Wenn die Maske fällt – Ein Milliardär gewinnt die Wahlen in Tschechien

23.10.2017, Lesezeit 6 Min.
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Aus den Parlamentswahlen in Tschechien ging der Multimilliardär Andrej Babiš mit großem Abstand als Sieger hervor. Das Streben von Großkapitalist*innen nach politischen Ämtern entblößt den Klassencharakter des bürgerlichen Staates.

In der Tschechischen Republik wurde am vergangenen Samstag ein neues Parlament gewählt. Mit Abstand stärkste Kraft ist die Partei des Chemie- und Medienmagnaten Andrej Babiš, ANO 2011, geworden. Sie erreichte 29,6 Prozent der Stimmen und damit mehr als doppelt so viel wie die bisherigen führenden Koalitionspartner, die Sozialdemokratie (ČSSD 7,2%), und die Christ-Demokraten (KDU-ČSL 5.8%) zusammen. ANO heißt „Ja“, ist aber gleichzeitig auch ein Akronym für die „Aktion unzufriedener Bürger“.

Andrej Babiš rechts-liberale populistische Partei feiert seit der Gründung im Jahre 2011 ein Wahlsieg nach dem anderen. So zog sie schon 2013 auf Anhieb als zweitstärkste Kraft ins Parlament ein und bildete eine Koalitionsregierung mit der ČSSD (damals stärkste Kraft) und KDU-ČSL. 2014 zog sie als stärkste Kraft ins Europaparlament und erzielte auch auf kommunaler Ebene Erfolge. In Prag stellt sie die Bürgermeisterin.

Die Partei ist voll auf ihren Gründer Andrej Babiš zugeschnitten. Wie unabhängig die Abgeordneten und Parteifunktionäre von Babiš sind, ist umstritten. Doch die Partei wird klar von ihm gelenkt und gilt als „pragmatisch und ideologielos“. Das Programm wird mit allem gefüttert, was in aktuellen Umfragen gerade populär ist und dem entsprechend auch regelmäßig abgeändert. Dabei bilden Europakritik und Flüchtlingspolitik wichtige Eckpunkte. Wahlkampf betreibt die Partei vor allem mit Babiš selbst und seinem Image als erfolgreichem Geschäftsmann. So verspricht er das Land wie eine Firma zu führen und gibt sich dank seines Reichtums als unbestechlich. Nicht nur, dass er und seine Partei selbst resistent gegen jede Form der Korruption seien, auch wolle man das gesamte Establishment von diesem Übel befreien. Trotz oder eben gerade weil er Multimilliardär ist, mache ihn dieser Aspekt in den Augen vieler Menschen vertrauenswürdig, da er sich so vorgeblich von der alten politischen Elite unterscheidet.

Politische Karriere aller Skandale zum Trotz

Kurioserweise hält sich dieses Image, obwohl es ganz offensichtlich nichts mit der Realität zu tun hat. In diesem Moment wird gegen Babiš wegen EU-Subventionsbetrug ermittelt. Vor sechs Wochen wurde ihm deshalb die Immunität als Abgeordneter entzogen. Schon im Mai musste Babiš, damals noch Finanzminister der Koalitionsregierung, aufgrund von Vorwürfen der Veruntreuung von Steuergeldern von seinem Amt zurücktreten. Durch den andauernden Verdacht gegenüber Babiš, er würde seine politischen Ämter für eigene Interessen benutzen, versuchte sich das Parlament Anfang 2017 gegen eine solche Instrumentalisierung zu wappnen und verabschiedete das sogenannte „Lex Babiš“: ein Gesetz, dass die wirtschaftlichen Tätigkeiten von Politikern im Allgemeinen einschränkt, jedoch ausdrücklich auf Babiš zugeschnitten wurde.

Nützen wird dieses Gesetz freilich nichts. Babiš überführte seinen Konzern Agrofert, Tschechiens größter privater Arbeitgeber, kurzerhand in einen Treuhandfonds. Er gehört nun nicht mehr offiziell ihm, erlaubt ihm jedoch weiterhin volle Kontrolle. Zu dem Konzern gehören inzwischen auch deutsche Firmen wie der Backwarenhersteller Lieken und der größte Stickstoffdüngerhersteller Deutschlands, die Stickstoffwerke Piesteritz, sowie eine Mediengruppe, die einige der auflagestärksten Zeitungen Tschechiens umfasst und an diversen privaten Fernsehsendern, Internetportalen und Druckereien beteiligt ist.

Wenn Babiš sagt, er werde das Land wie ein Unternehmen führen, ist also klar was er damit meint: Das Land, genauso wie die Arbeiter*innen in seinen Fabriken, auszupressen und den Profit in die eigene Tasche zu stecken.

Wenn das Feigenblatt überflüssig wird

Der bürgerliche Staat ist ein Klassenstaat. Auch in seiner Form als bürgerliche Demokratie, in der die Klassenherrschaft unter dem Feigenblatt der vermeintlichen Volkssouveränität versteckt wird. Er dient als idealer Gesamtkapitalist dazu, den freien Warentransfer und die ungestörte Konkurrenz zwischen den Kapitalist*innen zu gewährleisten, die Rahmenbedingungen der Ausbeutung festzulegen und die Interessen des nationalen Kapitals auf der Weltbühne zu vertreten.

In einer bürgerlichen Demokratie passiert die Einflussnahme des Kapitals auf die Politik meist im Hintergrund: durch Lobbyarbeit von Interessenverbänden, durch Parteispenden, durch die Vergabe von Vorstandsposten und Privilegien. Dabei gibt es immer wieder einzelne Kapitalist*innen, die durch die Akkumulation von Kapital milliardenschwer geworden sind und so nicht nur eine führende Rolle innerhalb ihrer eigenen Klasse einnehmen, sondern beizeiten auch keine Notwendigkeit mehr für eine passive Einflussnahme auf die Politik sehen. Sie nutzen ihre Macht, um selbst den Staat zu übernehmen und diesen für die eigenen Interessen einzusetzen.

Dieses übermütig werden von Großkapitalist*innen, die konfrontiert mit einer schwachen und delegitimierten Kaste von Politiker*innen, das Feigenblatt der bürgerlichen Demokratie fallen lassen und sich selbst an die Spitze des Staates setzen, ist kein Einzelfall. Prominente Beispiele sind Berlusconi, Macri oder Trump.

Doch auch in der Region gibt es viele Beispiele für das aufstrebende Selbstbewusstsein der Oligarchen. In Georgien stellt die Bewegung „Georgischer Traum“, gegründet vom reichsten Mann des Landes Bidsina Iwanischwili, die Mehrheit im Parlament, in der Ukraine regiert seit 2014 der Süßwarenproduzent Petro Poroschenko und in Bulgarien nutzt der Pharmaunternehmer Veselin Mareshki seine Partei „Volya“ für seine politischen Ambitionen. Fast immer gebären sie sich als Anti-Establishment und Führer im Kampf gegen Korruption und Einwanderung.

Die revolutionäre Linke muss es schaffen, den Mythos vom erfolgreichen „Macher“ der das Land wie ein Unternehmen zum Erfolg führt zu entzaubern und aufzeigen, dass der bürgerliche Staat nur den Interessen der Kapitalist*innen dient und der bürgerliche Staat in den Händen einzelner Kapitalisten diesen Charakter nicht verliert, sondern nur noch verschärft. Unsere Waffe muss der Internationalismus sein. Denn der Kampf gegen den Rechtsruck – hierzulande und anderswo – muss immer auch in der Perspektive geführt werden, diesen Rechtsruck international zurück zu schlagen und den Massen in ganz Europa und der Welt eine Alternative zu der erdrückenden Herrschaft des Kapitals anzubieten – ob es nun hinter den Kulissen agiert oder offen auf der Bühne des Politikbetriebs wie im Falle von Babiš.

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