Welcher Ausweg aus der Krise in Venezuela?

13.08.2024, Lesezeit 25 Min.
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Die Krise in Venezuela und der Kampf für einen von Maduro, der Rechten und dem Imperialismus unabhängigen Pol. Von unserem Korrespondenten Milton D’León, Anführer der Liga der Arbeiter:innen für den Sozialismus (LTS) aus Venezuela.

Venezuela befindet sich nach den Präsidentschaftswahlen vom 28. Juli erneut in einer schweren politischen Krise, als der Nationale Wahlrat (CNE) nach langen und unerklärlichen Stunden den Wahlsieg von Maduro bekannt gab. Er habe den Kandidaten Edmundo Gonzalez geschlagen, der von der Rechten María Corina Machado unterstützt wurde. Damit war der Weg frei für den Wahlbetrug. Die Augen der Welt waren auf die Geschehnisse in Venezuela gerichtet. Die Krise ist noch nicht beendet, und immer noch ist unklar, was der Ausweg sein wird. Alle Szenarien sowohl der Rechten als auch der Maduro-Regierung sind für die arbeitenden Massen nachteilig. Deshalb ist es notwendig, für einen von Maduro, der Rechten und dem Imperialismus unabhängigen Pol zu kämpfen.

Obwohl das Wahlsystem elektronisch automatisiert war und es nur um die Präsidentschaftswahl ging, war die Verzögerung bei der Bekanntgabe der Wahlergebnisse zu groß. Das erste offizielle Bulletin erklärte das Ergebnis für unumkehrbar: Bei 80 Prozent ausgezählter Stimmen habe Maduro mit 51,2 Prozent der Stimmen erhalten, gegenüber 44,2 Prozent für den Oppositionskandidaten Edmundo González Urrutia. Ein Unterschied von sieben Punkten zwischen Maduro und González, wobei 20 Prozent der Stimmen noch ausgezählt werden mussten, und ohne dass die Prozentsätze der anderen acht Kandidat:innen oder die nationale Verteilung der Stimmen überhaupt erwähnt wurden. Fünf Tage nach dem Ende des Prozesses, wurde am Freitag, den 2. August, ein zweites Bulletin veröffentlicht, in dem Maduro nach Auszählung von 96,87 Prozent der Stimmen 51,95 Prozent erreicht habe, während der Kandidat von María Corina auf 43,18 Prozent gekommen sei.

Die Art und Weise, wie das erste Bulletin präsentiert wurde, die Anprangerung eines angeblichen Hackerangriffs auf die Datenübertragung, um die Bekanntgabe zu verschieben, die nicht vorliegenden Wahlunterlagen: All das zeigte zweifellos ein fehlerhaftes und betrügerisches Verfahren. Am Wahlsonntag selbst wurden ebenfalls Unregelmäßigkeiten bei der Übermittlung der Wahllokalberichte und der willkürliche Ausschluss von Beobachter:innen aus den Wahllokalen gemeldet. Das Kommando der Streitkräfte bestätigte den gesamten Vorgang noch vor der Bekanntgabe durch den CNE. Nach einem ähnlichen Drehbuch wie bei früheren Wahlbetrügereien, z. B. der Farce der „Verfassungsgebenden Vesammlung“ von 2017, gaben der Regierungssprecher, der Verteidigungsminister (Vladimir Padrino López) und der CNE nacheinander Erklärungen ab, und in aller Eile verkündete die Wahlbehörde Maduro zum neuen Präsidenten, um die Kontinuität des Mandats von 2025 bis 2030 zu gewährleisten.

Stunden später verkündete der Sektor von María Corina Machado, dass „Venezuela einen neuen Präsidenten hat, und das ist Edmundo González Urrutia“, wobei sie auf 40 Prozent der Wahllokale Bezug nahmen, die der Kandidat mit 70 Prozent der Stimmen gewonnen haben soll. Zahlen, die angesichts der Art und Weise, wie sie ohne jede unabhängige Kontrolle präsentiert wurden, wenig glaubwürdig waren. Die Manöver des Nationalen Wahlrates waren jedoch mehr als offensichtlich.

Dies war die Krönung eines Betrugs, der sich bereits in einem Wahlverfahren mit politischen Verboten, Interventionen und dem Ausschluss von Parteien und Kandidat:innen angebahnt hatte. Besonders betroffen waren davon allerdings die Organisationen oder Politiker:innen der Linken, da sie die einzigen waren, die letztlich keine Kandidat:innen aufstellen konnten. Kurzum, die Wahlen waren durch perverse antidemokratische Mechanismen sowohl vor als auch während des Wahlprozesses selbst gekennzeichnet. Eine Wahl, und das ist wichtig zu erwähnen, die in einem Land stattfindet, das unter imperialistischer Belagerung durch die Wirtschaftssanktionen der USA und anderer europäischer Länder steht. Diese Sanktionen begannen ab August 2017, wobei die brutalsten im Januar 2019 verhängt wurden. Die Sanktionen verschärften die Wirtschaftskrise weiter, während umfangreiche Beschlagnahmungen der wichtigsten venezolanischen Vermögenswerte im Ausland stattfanden.

Der Verlauf der Krise und die Proteste in Venezuela

Schon Wochen vor den Wahlen schrieben wir: Wenn die Regierung Maduro zum Sieger erklärt würde – sei es mit knappem oder großem Vorsprung – und die Opposition die vom CNE verkündeten Ergebnisse nicht anerkennen würde, würde sich im Falle eines offenen Betrugs im Land eine konvulsive Situation mit massiven Protesten entfalten, bei denen die Regierung nicht nur repressiv vorgehen, sondern auch ihre eigenen sozialen und politischen Kräfte auf die Straße rufen könnte.

Die betäubende Stille und Ruhe, die am frühen Montag, den 29. Juli, in der Hauptstadt und im Allgemeinen in den meisten Teilen des Landes herrschte, wurde schon am Vormittag durch einen cacerolazo (laute Proteste mit Töpfen und Pfannen, A.d.Ü.) durchbrochen, der schnell eskalierte und dann zu Mobilisierungen und Protesten in vielen ärmeren Gegenden von Caracas führte, die die Regierung Maduro überraschten. Dem schlossen sich auch andere Sektoren der Mitte der Gesellschaft an und breiteten sich als Reaktion auf den grotesken Betrug bei den Präsidentschaftswahlen auf zahlreiche Städte des Landes aus. Auf dem Höhepunkt der Proteste an diesem Tag erklärte der Generalstaatsanwalt der Republik, dass gegen jede Bewegung, die sich gegen die Anerkennung der Ergebnisse wendet, ermittelt und das Gesetz angewandt würde. Die Streitkräfte meldeten sich erneut zu Wort, und die Regierung ging nicht nur mit den  Repressivkräften der Bolivarischen Nationalgarde, sondern auch mit bewaffneten parapolizeilichen Banden hart gegen die Proteste vor.

Es ist wichtig zu erwähnen, dass Edmundo González und María Corina noch um Mitternacht am Sonntag erklärt hatten, dass sie nicht auf die Straße gehen würden. Deshalb waren die Proteste am Montag, dem 29. Januar, sehr spontan und fanden an Orten statt, die als Hochburgen des Chavismus gelten, wie das bevölkerungsreiche Petare-Viertel, wo die Töpfe und Pfannen lautstark erklangen, aber auch die Repression am härtesten zu spüren war. Die Regierung, die es eher gewohnt ist, gegen die soziale Basis der Rechten in ihren traditionellen Hochburgen im wohlhabenderen Osten der Stadt vorzugehen, konnte nicht hinnehmen, dass die ärmeren Viertel auf die Straße gingen, um ihr Recht auf Kenntnis der konkreten Ergebnisse einzufordern.

Die harte Repression war vor allem in den ärmeren Vierteln zu spüren, da jegliche Proteste in diesen Sektoren blockiert und unterdrückt werden mussten. Dort war die Gewalt wesentlich stärker als anderswo. Von Montagmorgen bis Dienstagmorgen wurde ein großes Aufgebot an Militärpolizei und Parapolizei eingesetzt, um durch massive Razzien zu verhindern, dass sich die Proteste ausweiten. Dies erklärt, warum die Ereignisse vom 29. Juli in den Wohnvierteln am Dienstag nicht mehr zum Ausdruck kamen. Bereits ab Mittwoch übernahm die Regierung mehr Kontrolle.

Die Grund, warum am Montag die ärmeren Sektoren protestierten, liegt in nichts anderem als im enormen Überdruss an einer so katastrophalen Regierung wie der von Maduro und den Streitkräften: Unter der Maduro-Regierung ist es zu einer beispiellosen Zerstörung von Arbeitsrechten und Lebensbedingungen gekommen, die sich in den großen Mehrheiten der Arbeiter:innen und armen Massen bemerkbar macht, zusammen mit einer systematischen und anhaltenden Repression gegen Arbeiter:innen und soziale Kämpfer:innen. Unter diesen Bedingungen war es kein Zufall, dass María Corina Machado den Mitgliedern von Vente Venezuela (ihrer Organisation) und damit auch den anderen Parteien ihres rechten Spektrums die Anweisung gab, sich nicht an den Protesten am Montag zu beteiligen. 

Ganz anders der Aufruf von María Corina Machado und Edmundo González zu einer Kundgebung am Dienstagnachmittag, dem 30. Juli, im wohlhabenderen Osten der Stadt, einer traditionellen Hochburg dieses politischen Sektors. Diese Kundgebung hatte einen vollständig kontrollierten Charakter und unterschied sich stark von dem, was am Montag, dem 29. Juli, in den Armenvierteln stattfand. Dasselbe gilt für den Marsch, der am Samstag, den 3. August, stattfand und zu dem dieselbe politische Opposition in den von ihr traditionell kontrollierten Gebieten aufrief, um ihre Kräfte zu messen. Ihr reaktionäres politisches Ziel besteht darin, Demagogie unter der Fahne der Demokratie zu verbreiten. Diese Demonstrationen waren weit entfernt davon, zu einem Brennpunkt der Repression zu werden, wie sie die armen Sektoren am 29. Juli erlitten.

Wenn wir also den gesamten Prozess betrachten, sehen wir, wie sich ab Dienstagnachmittag alles unter dem Kommando von María Corina Machado und Edmundo González zu konzentrieren begann, was sich am deutlichsten in ihrem Aufruf zur Demonstration am Samstag, dem 3. August, manifestierte, die der Situation bereits den vollen Stempel ihrer reaktionären Politik aufdrückte. Diese Politik gewann schließlich die Oberhand und kanalisierte alles in Richtung ihrer reaktionären Ziele. Das Paradox besteht also darin, dass denjenigen, die am Montag, den 29. Juli, demonstriert haben, ihr Vertrauen in diejenigen setzen, die auch gegen die Interessen der großen Mehrheiten der Arbeiter:innenklasse und der armen Massen regieren werden.

Zu beiden Aufmärschen und Kundgebungen mit den Demagogien der führenden politischen Sektoren haben wir als Antikapitalist:innen und Sozialist:innen nicht zur Teilnahme aufgerufen. Zwei Demagogien kamen zum Ausdruck: einerseits die der Regierung, die sich durch Repression aufrechtzuerhalten versucht, wobei sie das Gespenst des Imperialismus heraufbeschwört, aber selbst Kürzungspolitik und Repression durchführt. Und andererseits die pro-imperialistische Rechte, die sich historisch durch ihren Putschismus auszeichnet, die sich mit der Fahne der Demokratie schmückt, aber zur militärischen Intervention im Land aufruft, zur Durchführung eines Militärputsches durch die Streitkräfte, während sie gleichzeitig die Sanktionen der USA und der europäischen Mächte vorantreibt.

Die Krise ist noch nicht beendet, und immer noch ist unklar, was der Ausweg sein wird. Alle Szenarien sowohl der Rechten als auch der Maduro-Regierung sind für die arbeitenden Massen nachteilig. Deshalb ist es notwendig, für einen von Maduro, der Rechten und dem Imperialismus unabhängigen Pol zu kämpfen.

Eine reaktionäre und autoritäre Regierung wie die von Maduro und den Streitkräften mit ihrer brutalen arbeiter:innenfeindlichen Politik drängt die Arbeiter:innen und die armen Massen in Richtung der Parteien der traditionellen pro-imperialistischen Rechten, da diese die einzige sichtbare Alternative sind, da es keine sichtbaren Arbeiter:innenorganisationen gibt, die die Interessen der Arbeiter:innen und der armen Massen zum Ausdruck bringen. Wir sagen dies, weil die Wirtschaftspläne von María Corina und Edmundo González ebenfalls darauf abzielen, die Profite der Unternehmen, des Großkapitals und die Interessen der Reichen über alle anderen Interessen oder Rechte der Arbeiter:innen und der Massen zu stellen. 

Eine repressive Regierung, die vor dem Imperialismus kapituliert, und eine pro-imperialistische Rechte: zwei Feinde der Arbeiter:innen

Die Arbeiter:innen und die Massen Venezuelas haben es mit zwei großen Feinden ihrer Interessen zu tun, die um die Macht kämpfen. Auf der einen Seite steht die Regierung, die sich mit Hilfe von Repression aufrechterhält, die sicherlich einen Sprung machen wird, wenn sie am Ende an der Macht bleibt. Diese Regierung macht große Geschäfte mit den transnationalen imperialistischen Konzernen und ist bereit, die Verhandlungen über die Schulden fortzusetzen und sogar zum IWF zurückzukehren, um eine internationale Finanzierung zu erhalten. Dafür führt sie selbst schrecklichste kapitalistische Pläne gegen die Arbeiter:innen durch. Ihr Gegenüber lauert eine pro-imperialistische Rechte, die diesmal von María Corina Machado angeführt wird, einer Trump-Anhängerin und Bewunderin von Mileis Plänen und denen der internationalen Rechten – die sogar inmitten des Völkermords ihre Verbundenheit mit Israel betont –, einer Dienerin des Imperialismus bis zum Anschlag, die Interventionismus, Sanktionen und sogar militärische Interventionen begrüßt hat. Eine Regierung dieser pro-imperialistischen, trumpistischen Rechten wird selbst mit der Legitimation durch Wähler:innenstimmen eine der arbeiter:innenfeindlichsten und ausverkaufendsten Regierungen sein, die es bisher gab. Beide sind für die Tragödie, die das Land erlebt, verantwortlich.

Denn die Regierung Maduro hat wirtschaftliche und politische Entscheidungen von großer Tragweite getroffen. Nicht nur vertiefte sie die harten Anpassungen gegen die breite Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung, die von den Unternehmer:innen und der kapitalistischen Wirtschaftsmacht aller Couleur begleitet wurden. Die Regierung fuhr auch einen ganzen Kurs der Kapitulation vor dem Imperialismus und sorgte für eine De-facto-Dollarisierung der Wirtschaft. Heute fungiert der freie Umlauf des Dollars als eine weitere Währung in den Wirtschaftskreisläufen, wo die Kapitalist:innen die Preise auf internationales Niveau heben. Maduro hat sogar gesagt, dass er zum IWF zurückkehren will, um eine Finanzierung zu erhalten und eine Auslandsschuld in Höhe von 160 Milliarden Dollar zu begleichen; wir erinnern uns, dass er allein zwischen 2014 und 2017 mehr als 74 Milliarden Dollar gezahlt hat, was das Land in großes Elend gestürzt hat. Er hat damals nur deshalb nicht mehr gezahlt, weil die Sanktionen die Türen zur Auslandsfinanzierung und damit zur Umstrukturierung der Schulden geschlossen haben.

Unter Maduro gab es einen zunehmenden Prozess der Entstaatlichung, Änderungen des Kohlenwasserstoffgesetzes, des Gesetzes über ausländische Investitionen, die räuberische Ausplünderung des Bodens im Bergbausektor und andere wichtige Maßnahmen, die es ermöglichten, vom Staat kontrollierte Sektoren nach und nach an ausländische Unternehmen oder lokale Wirtschaftsgruppen zu übertragen. Das kann man sehr deutlich im Erdöl-Sektor sehen, wo US-amerikanische, europäische, russische, chinesische und andere Unternehmen aus anderen Breitengraden in ihrer Kontrolle voranschreiten. Chevron, um nur das imperialistische Symbolunternehmen zu nennen, macht große Geschäfte in Venezuela, ganz zu schweigen von der russischen Rosneft und der chinesischen CNPC, die begonnen haben, die Kontrolle über die großen Ölfelder Venezuelas zu übernehmen. Das große internationale Kapital, ohne Unterschied, macht diese große Beute. Ein Geschäft, an dem auch große einheimische Geschäftsleute beteiligt sind, wie Oswaldo Cisneros, um nur ein Beispiel zu nennen, die die Kontrolle über wichtige Erdölgesellschaften übernehmen, die zuvor mehrheitlich unter staatlicher Kontrolle standen.

Auf der anderen Seite haben wir denjenigen Sektor, der ein noch direkterer Agent des Imperialismus ist und die Meinung vertritt, dass in diesem Land alles privatisiert werden muss, wie es María Corina Machado offen zum Ausdruck gebracht hat. Obwohl wir es mit einer Regierung zu tun haben, die von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird, ist die Politik des härtesten Sektors der venezolanischen Rechten dieselbe, die sie auch 2019 verfolgt: nämlich das, was sie die „Volkssouveränität“ des venezolanischen Volkes nennen, an Washington auszuliefern. Denn letztendlich wurde das, was sie während der Putschoffensive 2019 anstrebten, von der Regierung Donald Trumps orchestriert, damit sie in Caracas an der Regierung sind und ihre Pläne durchsetzen können. Sie wollen das Land noch weiter dem Imperialismus ausliefern, wie María Corina offen gesagt hat, und weitere Angriffe auf die Massen durchführen, wie sie im Plan „Land der Gnade“ (ein Name, der auf den zu plündernden Reichtum anspielt) zum Ausdruck kommen und die mit den Vereinigten Staaten und noch mehr mit einer wahrscheinlichen Ankunft von Trump im Weißen Haus abgestimmt werden. Es gibt sicherlich Unterschiede zwischen beiden Seiten, wie man im Fall der wichtigsten Ölgesellschaft PDVSA beobachten kann, deren vollständige Privatisierung María Corina vorschlägt, während die Maduro-Regierung den Plan verfolgt, sie gemeinsam mit den Streitkräften kapitalistisch zu managen, und in vielen Mischunternehmen als Juniorpartnerin bleibt (womit sie das Ölgesetz umdreht). Nichtsdestotrotz – und das ist wichtig zu betonen – würde die Rechte den Weg weiter beschreiten, den Maduro schon geebnet hat, der schon einen großen Teil dieser reaktionären Arbeit zugunsten des privaten Kapitals getan hat.

Deshalb ist es notwendig, beide Seiten abzulehnen und nicht auf die Täuschungen derjenigen hereinzufallen, die sich jetzt als „Demokraten“ bezeichnen, oder derjenigen, die sich kläglich auf Maduros Pflaster stellen. Sowohl die Regierung als auch die pro-imperialistische Rechte abzulehnen und ihnen entgegenzutreten, bedeutet in diesem Moment, für die Interessen der Arbeiter:innen einzutreten, ohne dabei das elementare Recht der Massen aufzugeben, die konkreten Ergebnisse zu erfahren. Es ist elementar für jede:n Antiimperialist:in, die imperialistischen Sanktionen abzulehnen, die seit August 2017 gegen Venezuela verhängt wurden und die 2019 im Ölsektor, der Beschlagnahmung von Offshore-Vermögenswerten, einige davon im Wert von rund 13 Milliarden Dollar wie das Unternehmen Citgo, eskalierten.

Venezuela in der Politik der USA, Russlands, Chinas und die Rolle Brasiliens

Es ist wichtig, den Platz Venezuelas in der Auseinandersetzung zwischen den USA, China und Russland zu betrachten, wo heute neue politische Winde mit offenen Szenarien in einer konvulsiveren Welt wehen.

Die Interessen der Vereinigten Staaten bewegen sich in der neuen internationalen Situation in dem Bestreben, sich einen loyalen Verbündeten und Untergebenen in Venezuela zu sichern und nicht ständig mit Maduro zu verhandeln. Das haben sie schon nach dem gescheiterten Putschversuch von 2019 mit heimlichen Treffen und Verhandlungen mit Juan Guaidó getan. Angesichts der militaristischen Atmosphäre in den Mächten wollen sie sich strategisch alternative Erdölquellen sichern, sowie für ihre großen Unternehmen wie Chevron und andere US-Konzerne, die große Geschäfte in dem Land tätigen.

Maduros derzeitige Regierung hat eine Vorgeschichte, die auf den Chavismus zurückgeht. Dieser entstand seinerzeit mit bonapartistischen Zügen sui generis, wandte sich mit Chávez nach links und hatte gewisse Reibereien mit dem US-Imperialismus, die zu Putschversuchen wie 2002, Ölsperren usw. führten. Sie änderten aber nichts an der kapitalistischen und abhängigen halbkolonialen Struktur des Landes. Doch als der Wirtschaftszyklus der Öl-Bonanza zu Ende ging, geriet das Land in eine Krise und Dekadenz, wurde immer repressiver und unterwürfiger und erreichte schließlich das aktuelle Stadium.

Eine Regierung, die mehr auf die imperialistische Politik in der Region ausgerichtet ist, ist der lang ersehnte Wunsch der Vereinigten Staaten, um einen weiteren Verbündeten zu erhalten. Das gilt umso mehr angesichts der möglichen Rückkehr von Trump ins Präsidentenamt, wie es mit einer Trump-freundlicheren María Corina der Fall wäre, wie es auch der argentinische Präsident Milei ist. Eine solche Regierung wäre auch ausgerichtet auf die Linie, die die NATO in Europa mit dem aktuellen Krieg in der Ukraine verfolgt, und auf die Politik im Nahen Osten, wie sie María Corina Machado öffentlich vertreten hat. Es war daher nur eine Frage der Zeit, bis die USA die Anerkennung von Edmundo González als Wahlsieger verkündeten und damit die gesamte kontinentale Rechte stärkten, die ihn schon in den ersten Stunden nach der Wahl als Sieger bejubelte.

Es gibt aber auch Interessen Russlands als militärische Großmacht in Venezuela, das sich mitten in einem Krieg vor den Toren Europas befindet, in dem die NATO als Stellvertreter auf ukrainischer Seite agiert. Aus diesem Grund hat Russland den betrügerischen Sieg Maduros überhaupt erst anerkannt und die Repression gebilligt. Wenn Maduro, der seine Regierung inzwischen als zivil-militärisch-polizeiliche Regierung bezeichnet, sich hält, wird er sich angesichts der konfrontativeren Haltung der USA noch stärker mit Russland verbünden müssen, was zu ständigen regionalen Spannungen führen wird. Vergessen wir nicht, dass Maduro sich im Krieg mit der Ukraine mit Putin verbündet hat, was zu weiterer politischer Instabilität in der Region führen könnte. Ganz zu schweigen von China, das Maduro ebenfalls anerkannt hat, da das asiatische Land große wirtschaftliche Interessen in Venezuela hat und als strategischer Verbündeter mit starken Investitionen in den Ölsektor und andere sehr wichtige Wirtschaftsbereiche gilt.

In diesem Szenario versuchen die weniger trumpistischen und nicht mit Russland verbündeten Sektoren unseres Kontinents, wie Brasilien, Mexiko und Kolumbien, eine Vermittlungsrolle zu spielen, indem sie eine, wie sie es nennen, „unparteiische Überprüfung“ in Abstimmung mit Maduro und Edmundo González (María Corina Machado) fordern. Dabei handelt es sich um nichts anderes als Pakte und Absprachen von oben, die nichts anderes sein können, die auf ihren Interessen basieren und den Interessen der Massen fremd sind. Aus diesem Grund führt Brasilien als wichtigster regionaler Akteur und in Abgrenzung zur kontinentalen Rechten den Dialog mit Maduro und González, wobei es auch eine Brücke zu den USA schlägt, zusätzlich zur Artikulation mit anderen Ländern der Region. Es ist kein Zufall, dass dieses Land die Botschaften Perus und Argentiniens in Caracas aufgrund der Spannungen mit diesen Ländern und der Ausweisung des gesamten diplomatischen Personals unter ihren Schutz gestellt hat – eine Aktion, die ohne Maduros Zustimmung nicht hätte durchgeführt werden können. Es steht also viel auf dem Spiel für das Schicksal Venezuelas, nicht nur in der Region, sondern auch auf dem internationalen Schachbrett.

Eine unabhängige Position der antikapitalistischen und sozialistischen Linken

In unserer Erklärung vom Dienstag, dem 30. Juli, haben wir geschrieben, dass das Volk das Recht hat, die Ergebnisse zu erfahren, dass die Ergebnisse Tabelle für Tabelle veröffentlicht werden müssen, und wir haben die brutale Repression der Regierung Maduro angeprangert, die sich am Montag und Dienstag auf die Volkssektoren konzentriert hat. Wir haben uns zugleich von der imperialistischen Rechten abgegrenzt, die aus ihren eigenen Interessen heraus Kapital schlagen will, die denen der Arbeiter:innenklasse und der großen Mehrheiten des Volkes fremd sind, und wir haben den Sektor von María Corina de Machado frontal angeprangert. Wir wehren uns gegen den Wahlbetrug und fordern, dass der Zugang zu allen Daten gewährt wird und die Protokolle veröffentlicht werden. Aber jetzt geht es darum, wie wir oben gesagt haben, für die Bildung eines von Maduro, der Rechten und dem Imperialismus unabhängigen Pols zu kämpfen.

In dieser Situation und bereits in der Phase des Zerfalls und der Dekadenz, in die der Chavismus verfallen ist, sind Sektoren entstanden, die die gesamte Politik der Maduro-Regierung gutheißen und den laufenden Wahlbetrug offen gutheißen, einige mit brutal antidemokratischen Argumenten wie der Verweigerung des Rechts der Bevölkerung, die Ergebnisse zu erfahren, und damit in der Praxis die gewaltsame Unterdrückung gutheißen. Wir sagen klar und deutlich: Nein zur Repression dieser arbeiter:innen- und massenfeindlichen Regierung und für die Freilassung der Verhafteten. Wir warnen die Massensektoren, die sich am 29. Juli mobilisiert haben, dass die pro-imperialistische Opposition mit María Corina Machado an der Spitze sie als Manövriermasse für ihre Verhandlungen und ihre Pakte von oben benutzen wird, um sie mit ihrer wichtigen traditionellen historischen Basis (rechte Mittelschicht aufwärts) mitzureißen, die mit ihren Zielen übereinstimmt.

Schon vor den Wahlen haben wir als antikapitalistische und sozialistische Linke eine Politik der Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse propagiert. Angesichts der Unmöglichkeit, aufgrund der Verbote eine eigene Kandidatur zu starten, haben wir anderen Organisationen, die sich als Arbeiter:innenorganisationen und sozialistische Organisationen verstehen, vorgeschlagen, eine große gemeinsame Kampagne im Interesse der Arbeiter:innenklasse durchzuführen und eine aktive Politik zu betreiben. Zusammen mit den Genoss:innen der Partido Socialismo y Libertad, Marea Socialista, PPT-APR haben wir als Liga de Trabajadores por el Socialismo die Parole „Die Arbeiter:innenklasse hat keine:n Kandidat:in“ ausgegeben, um beide Seiten der Bosse – sowohl die Regierung als auch die pro-imperialistische Opposition und die anderen Oppositionsparteien – zu konfrontieren, und zum Ungültigwählen aufgerufen. Wir haben das getan, weil es unter allen Kandidat:innen einen kapitalistischen Konsens als Ausweg aus der Krise des Landes gibt, oder zumindest den Vorschlag, dass „Arbeiter:innen und Unternehmer:innen gemeinsam“ Venezuela „vorwärts“ bringen würden.

Wir haben ein antikapitalistisches Programm in dem Sinne formuliert, dass die Arbeiter:innen regieren müssen, eine Arbeiter:innenregierung, die mit dem Kapitalismus bricht. Wir riefen zu größtmöglicher Einheit auf, um der großen Unterdrückung, die wir erleiden, entgegenzutreten, prangerten die imperialistische Einmischung an und sprachen uns gegen Sanktionen aus und hielten wirtschaftliche, soziale und demokratische Forderungen hoch, wie z.B. die Freiheit der inhaftierten Arbeiter:innen usw. Wir sind der Meinung, dass es eine wichtige Kampagne war, weil sie es zumindest den kleinen Sektoren, die Maduro in Frage stellen und María Corina Machado abgeneigt sind, ermöglicht hat, andere Perspektiven in den Wahlen aufzuzeigen, die nach einem völlig betrügerischen Schema gestaltet wurden.

Wir glauben, dass wir nur mit einer unabhängigen Mobilisierung der Arbeiter:innen un der Massen der Lage sein werden, für die vollen demokratischen Rechte des Volkes und der Arbeiter:innenklasse zu kämpfen, ebenso wie für bessere Lebensbedingungen, für die Freiheit der inhaftierten Arbeiter:innen, gegen die Sparmaßnahmen und die Preiserhöhungen, die von jedem der großen Konfliktfaktoren ausgehen. Eine Politik, um die Sektoren zu vereinen, die im Rahmen einer Arbeiter:innenperspektive kämpfen.

Angesichts einer Situation, in der sich im aktuellen politischen Szenario auch eine Neukonfiguration der Kräfte in Form einer breiten und populistischen Front zu entwickeln beginnt, schlagen wir vor, dass all diejenigen Kräfte, die die einheitliche Kampagne in der Vorwahlzeit unterstützt haben, gemeinsam darüber diskutieren, wie eine antikapitalistische und sozialistische Linke der Arbeiter:innenklasse aufgebaut werden kann. Das ist die große Herausforderung, vor der wir heute stehen, um eine revolutionäre antikapitalistische Partei aufzubauen, die sich allen Varianten der Bosse entgegenstellt.

Dieser Artikel erschien zuerst am 6. August 2024 auf Spanisch bei La Izquierda Diario Venezuela.

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