Welche Partei für welche Strategie? Revolutionäre Organisierung statt Linkspartei 2.0
Welche Organisation brauchen wir, um zu siegen? Stefan Schneider diskutiert die Bilanz der Partei DIE LINKE und blickt auf der Suche nach Alternativen nach Frankreich.
Debattenbeitrag anlässlich der Konferenz „15 Jahre Solid und Linkspartei – Welche Organisation für den Klassenkampf?“ | Von Stefan Schneider (Revolutionäre Internationalistische Organisation)
Die Krise der Linkspartei vertieft sich immer weiter; inzwischen ist eine Spaltung der Partei das wahrscheinlichste Szenario. Über die Gründe dafür wurde schon viel geschrieben.
Bei der voraussichtlich Anfang Februar stattfindenden Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl in Berlin deutet sich an, dass die Linkspartei auch in ihrer Hochburg Berlin weiter abstürzt (je nach Umfrage nur noch 11 oder 12 Prozent). Die Wahlwiederholung ist aber mehr als nur ein weiteres Wahldebakel für DIE LINKE. Sie ist auch für die gesellschaftliche Linke ein Test, eine Richtungsentscheidung. Denn die Linkspartei wurde mit dem Versprechen gewählt, als Teil des rot-grün-roten Senats die Enteignung der großen Immobilienkonzerne umzusetzen, für die es beim zeitgleichen Volksentscheid eine breite Mehrheit gab. Nicht nur die Kampagne Deutsche Wohnen und Co. enteignen, sondern breite Teile der gesellschaftlichen Linken waren deshalb empört, dass der Senat schließlich eine „Expert:innenkommission“ einberief, um die Umsetzung des Volksentscheids zu verschleppen. Die Linkspartei entschuldigte sich damit, dass die Expert:innenkommission bestätigen würde, dass die Enteignung rechtmäßig ist, und danach planmäßig zur Umsetzung vorangeschritten werden kann. Doch über ein Jahr nach der Wahl hat diese Kommission nur informelle Zwischenstände abgeliefert, ein Abschlussbericht wird noch Monate oder gar Jahre dauern. In der Zwischenzeit bleibt die bürgerliche Presse nicht untätig, sondern wettert an jeder möglichen Stelle weiter gegen die Enteignung. Die Fokussierung auf die Regierungsbeteiligung und die Hoffnung auf eine einfache Umsetzung durch den Senat hat derweil die Kampagne demobilisiert. Die Linkspartei hat also erfolgreich ihren Job gemacht: Die gesellschaftliche Stimmung für die Enteignung der großen Immobilienkonzerne wurde vollständig in die Wirrungen der Institutionen kanalisiert und deaktiviert. Und so ist die Wahlwiederholung ein Scheideweg: Soll erneut – wie kritisch auch immer – die Wahl der Linkspartei unterstützt werden, oder ist der Zeitpunkt gekommen, den Ankündigungen verschiedener Teile der (radikalen) Linken Taten folgen zu lassen und mit der Linkspartei zu brechen, wenn sie DWE begräbt?
Wie schon gesagt, hat die Partei DIE LINKE ihren Job gemacht: Sie hat eine sich formierende gesellschaftliche linke Opposition aufgenommen und in für das bürgerlich-kapitalistische Regime ungefährliche Bahnen gelenkt. Dieselbe Rolle der Einbindung in den bürgerlichen Staat spielte sie in den mehr als ein Dutzend Regierungsbeteiligungen auf Landesebene in den vergangenen 15 Jahren. Das Argument ist immer dasselbe: Um wirkliche Veränderungen erreichen zu können, müsse man eben in der Regierung Verantwortung übernehmen – andernfalls würde eine rechtere Regierung die Dinge nur noch schlimmer machen. Diese Logik des „geringeren Übels“ ist nicht nur eine immer wieder wiederholte Rechtfertigung für Regierungsbeteiligungen von reformistischen Funktionär:innen und Unterstützer:innen gleichermaßen. Sie ist Ausdruck einer tiefgründigen Skepsis gegenüber der Fähigkeit der Arbeiter:innenklasse und der Massen, gesellschaftliche Veränderungen – bis hin zur Perspektive des Sturzes des Kapitalismus und der sozialistischen Revolution – mit ihrer eigenen Kraft und ihren eigenen Methoden zu erreichen. Die strategische Ausrichtung der Linkspartei, die wir in einem anderen Artikel ausführlich analysiert haben, besteht darin, in Wahlen Parlamentssitze zu erlangen, um auf diesem Wege an die Regierung des bürgerlichen Staats zu gelangen. Jegliche Veränderung geht laut in dieser Strategie von Regierungs- und Parlamentsposten aus. Wenn sich überhaupt auf Mobilisierungen gestützt wird, wie es Teile der Linkspartei wie die Bewegungslinke zu tun vorgeben, dann nur als Druckmittel, um parlamentarische Mehrheiten zu erreichen.
Die „Strategie“ der Demobilisierung
Was bedeutet es, wenn wir von strategischer Ausrichtung sprechen? Um das zu verdeutlichen, lohnt ein Blick über den nationalen Tellerrand hinaus. Denn DIE LINKE ist bei Weitem nicht die einzige Partei, die historisch oder in den letzten Jahren mit einer solchen Perspektive ihren Griff nach Posten im bürgerlichen Staat gerechtfertigt hat.
Das wohl eindrücklichste Beispiel der letzten Jahre für diese Perspektive ist das neoreformistische Projekt Syriza, das 2015 auf dem Höhepunkt der Staatsschuldenkrise in Griechenland an die Regierung kam. Nach über 30 Generalstreiks in den vorangegangenen Jahren, welche das Potenzial der Arbeiter:innenklasse zeigten, sich den Interessen des Kapitals entgegenzustellen, war Syriza mit dem Versprechen gewählt worden, die Spardiktate der sogenannten Troika aus Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank (EZB) und EU-Kommission zu bekämpfen. Am 5. Juli 2015 stimmten 61 Prozent der griechischen Bevölkerung in einem Referendum mit „Oxi“ („Nein“) gegen die Austeritätspläne der Troika – in den Arbeiter:innenvierteln Athens sogar 70 Prozent und unter Jugendlichen 80 Prozent. Trotz dieses Referendums, welches Syriza selbst einberufen hatte, setzte Syriza seinen Stempel unter Verträge mit der Troika und weigerte sich, kapitalistisches Eigentum anzugreifen. Binnen weniger Monate wurde Syriza so zur „linken“ Verwalterin der neuen Austeritätspläne, die Privatisierungen eines nie zuvor gesehenen Ausmaßes beinhalteten. All das geschah inmitten einer tiefen sozialen Krise: Ein Viertel der griechischen Bevölkerung lebte in Armut. Die Übernahme der Regierungsmacht im bürgerlichen Staat, dessen Zweck gerade die Verteidigung der Interessen des Kapitals ist, verriet die Interessen der großen Mehrheit der griechischen Bevölkerung. Anstelle das Potenzial der Generalstreiks auszubauen und die Arbeiter:innenklasse und die Massen in den Kampf gegen die Interessen des Kapitals zu führen, wurden die Hoffnungen in die Überwindung der Spardiktakte in für das Kapital ungefährliche Bahnen gelenkt und zerstört. Im Zuge des Verrats von Syriza stärkte sich auch die extreme Rechte, da die “linke Regierung” jetzt die Massen angriff, die sie an die Macht gebracht hatten.
Wie konnte das geschehen? Der Gründer und ehemalige Vorsitzende der spanischen Partei Podemos, Pablo Iglesias, die inzwischen an der imperialistischen Regierung des spanischen Staates beteiligt ist, schlug angesichts des Verrats der Syriza-Regierung an den Massen folgende Reflexion vor:
Das Problem ist, dass noch bewiesen werden muss, ob jemand innerhalb eines Staats eine solche Herausforderung annehmen kann […] Wenn man aus der Regierung heraus eine harte Sache machen will, hat man plötzlich einen guten Teil der Armee, des Polizeiapparates, aller Medien und alles gegen sich, absolut alles. Und in einem parlamentarischen System die absolute Mehrheit sicherstellen, ist sehr schwierig […] Zunächst hätte man sich mit der Sozialistischen Partei einigen müssen.
Matías Maiello, Co-Autor des Buches Sozialistische Strategie und Militärkunst und Anführer der Partei Sozialistischer Arbeiter:innen (PTS) aus Argentinien,, schlussfolgert diesbezüglich:
Diese Reflexion ist interessant, weil sie die zwei Wege klar markiert, zwischen denen die Strategie wählen muss. Man kann sich an den Rahmen der Institutionen halten und innerhalb ihrer Grenzen handeln, natürlich in Kombination mit einem ‚linken‘ Diskurs. Oder man kann über die Grenzen der Institutionen hinausgehen, kapitalistische Interessen angreifen und den bürgerlichen Staat konfrontieren. Dafür muss man sich auf die Konfrontation mit einer ganzen Reihe materieller Kräfte vorbereiten, die sich widersetzen werden.
Strategie, das heißt hier also zunächst die Frage: Kämpfen – mit dem Ziel, die kapitalistischen Institutionen zu überwinden – oder nicht kämpfen – also im Rahmen der Institutionen verbleiben? Syriza und die linksreformistischen Projekte wie Podemos oder eben die Linkspartei entscheiden sich für Zweiteres. Ihre Perspektive besteht gar nicht darin, den institutionellen Rahmen zu überschreiten, sondern eben darin, Proteste gegen die Institutionen zu kanalisieren und letztlich mit einem „linken“ Diskurs die Interessen der Kapitalist:innen mitzuverwalten.
Wenn wir also davon sprechen, dass es einen Bruch mit der Linkspartei braucht, dann geht es nicht nur um den konkreten Linkspartei-Apparat, sondern darum, die gesamte Perspektive der Eingrabung und Kanalisierung in die bürgerlich-kapitalistischen Institutionen zu überwinden. Nicht nur der Verrat an DWE, oder die Abschiebungen, Privatisierungen, Zwangsräumungen, Polizeigewalt, Aufrüstung und Überwachung, die DIE LINKE in ihren Regierungsbeteiligungen mitverwaltet, sondern die Perspektive, dass nur im Rahmen der kapitalistischen Institutionen und im Kompromiss mit den Interessen des Kapitals Veränderungen möglich sind, muss überwunden werden. Denn in zugespitzten Klassenkampfsituationen verkehrt sich die Ausstrahlung der angeblich „linken“ Regierung direkt in ihr Gegenteil: Von der Verhandlung kleiner Verbesserungen wird sie zum Vehikel der Umsetzung der größten Angriffe und der Deaktivierung jeglichen Widerstands gegen sie.
Das ist nicht nur für die Kämpfe „im eigenen Land“ fatal. Denn in imperialistischen Ländern wie eben in Deutschland bedeutet die Perspektive der Regierungsbeteiligungen notwendigerweise, die Führung des imperialistischen Staats mit zu übernehmen und damit zu Vollstrecker:innen der Interessen der imperialistischen deutschen Bourgeoisie in der ganzen Welt zu werden. In der aktuellen Situation des Ukraine-Kriegs bedeutet die grundsätzliche Strategie der Linkspartei nichts anderes als die Bindung von Arbeiter:innen und Jugendlichen an die Erneuerung des deutschen Militarismus.
Welche Partei für den Sieg?
Unsere Perspektive ist dem radikal entgegengesetzt: Das strategische Zentrum für die Veränderung der Gesellschaft – d. h. für die Enteignung des Kapitals und die Errichtung einer Arbeiter:innenregierung in der Perspektive einer weltweiten sozialistischen Revolution – ist der Klassenkampf; parlamentarische Positionen können diesen lediglich unterstützen, nicht ersetzen. Gegen die Unterordnung unter die Interessen des Kapitals setzen wir die Notwendigkeit der politischen Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse vom Kapital, von der kapitalistischen Regierung und von den Bürokratien, die sie stützen. Mit Arbeiter:innenregierung meinen wir hingegen eine Regierung, die sich auf Organe der Macht der Arbeiter:innen wie Räte stützt.
Angesichts der qualitativen Veränderung der internationalen Situation mit dem Krieg in der Ukraine, der fortgesetzten Wirtschaftskrise und der immer deutlicher werdenden Klimakatastrophe stehen wir daher vor einer Richtungsentscheidung. Denn die Frage „Kämpfen oder nicht?“ ist nur der Anfang. Allgemeiner gesprochen ist für uns Strategie der Einsatz von taktischen Teilkämpfen, um den Willen des Feindes zu brechen. Diese Definition geht zurück auf den preußischen Militärstrategen Carl Clausewitz. Wenn wir uns für das Kämpfen – also für die Konfrontation mit den Kapitalist:innen – entscheiden, stellt sich die Frage, was für eine Kraft, was für eine Organisation wir also brauchen, um den Willen des Feindes zu brechen, und wie wir sie aufbauen.
Eine solche – revolutionäre – Kraft fällt nicht vom Himmel, sondern muss aufgebaut werden. Unsere Perspektive ist, dass diese Vorbereitungsaufgabe jetzt stattfinden muss, und dass es die Verantwortung von Revolutionär:innen ist, aus dem Debakel der Linkspartei grundsätzliche Lehren zu ziehen und Schritte zum Aufbau einer revolutionären Front zu gehen, die im Klassenkampf versucht, die Avantgarde der Arbeiter:innenklasse hinter einem revolutionären Programm zu sammeln, sich in Gewerkschaften und sozialen Bewegungen verankert und auch perspektivisch revolutionäre Kandidaturen bei bürgerlichen Wahlen aufstellt. Es kann nicht darum gehen, einfach darauf zu hoffen, dass eine irgendwie linkere (reformistische) „neue Arbeiter:innenpartei“ entsteht, und solange einfach weiterhin mehr oder weniger „kritisch“ zur Wahl der Linkspartei aufzurufen, oder eine „linkere Linksjugend“ aufzubauen, die weiterhin die Linkspartei unterstützt.
Gegen diese Perspektive wird häufig eingewandt, dass man sich nicht von „den Massen“ abwenden dürfe. Tatsächlich schlagen wir nicht vor, uns in einem Hinterzimmer zu verkriechen und Pamphlete zu schreiben. Im Gegenteil schlagen wir vor, eine starke revolutionäre Kraft aufzubauen, die in den Klassenkampf intervenieren und um die Führung der Massen kämpfen kann. Das bedeutet auch, dass eine solche Kraft in Streiks und sozialen Bewegungen selbstverständlich mit allen Strömungen der Arbeiter:innenbewegung, seien sie auch doch so reformistisch wie die LINKE, Aktionseinheiten um Forderungen der Arbeiter:innenklasse und Unterdrückten bilden muss. Dabei ist das unmittelbare Ziel, die Spaltungen innerhalb der Arbeiter:innenklasse zu überwinden und in bestimmten defensiven Kämpfen Kräfte zu sammeln. Eine Einheitsfront bedeutet jedoch immer, einerseits die reformistische Führungen in eine solche Front zu zwingen, jedoch andererseits sie innerhalb einer solchen Front politisch zu bekämpfen, um ihre Basis für ein revolutionäres Programm zu gewinnen. Sich als eine eigenständige revolutionäre Partei unabhängig vom Reformismus zu organisieren, ist also eben überhaupt die Perspektive zu haben, sich an die “Massen” zu wenden, um sie vom Einfluss des Reformismus zu brechen.
Und um das zu tun, braucht es nicht nur eine politische Unabhängigkeit von diesen (neo)reformistischen Organisationen – eine unabdingbare Voraussetzung –, sondern eine Konfrontation der Strategie der Veränderung durch die Institutionen und nicht einfach nur ein „linkes Korrektiv“. Organisationen wie Sol und SAV1 schlagen hingegen vor, den Aufbau einer revolutionären Organisation als eine „doppelte Aufgabe“ wahrzunehmen:
die Arbeiter*innenbewegung im breiten Sinne wieder aufzubauen und gleichzeitig eine revolutionäre Partei aufzubauen“. Dafür schufen sie sogar eine neue Definition: „Eine breite Partei mit einem Aktionsprogramm für Reformen, in der zugleich eine demokratische Diskussion über die Bedeutung dieser Reformen stattfindet, wäre keine reformistische Partei.2
Und deshalb sei es auch kein Widerspruch, eine solche breite, „nicht-reformistische“ Partei aufzubauen, die für beide Organisationen lange Zeit die Linkspartei war. Doch damit nicht genug: Die revolutionäre Organisierung dient in ihrer Vorstellung nicht dazu, wie man vielleicht meinen könnte, aus einer solchen Partei wie der LINKEN einen Flügel für ein revolutionäres Programm und eine revolutionäre Strategie herauszubrechen. Vielmehr wolle man in der angestrebten nicht-reformistischen, sozialistischen Arbeiter:innenpartei „dafür kämpfen, dass diese Parteien opportunistische Fehler möglichst vermeiden.“
Die “doppelte Aufgabe” geht davon aus, dass die Arbeiter:innenbewegung, die seit dem Neoliberalismus und der bürgerlichen Restauration große Niederlagen erlitten hat, in ihrem Wiederaufstieg dieselben Entwicklungen machen müsse, die sie in ihrer Entstehung gemacht hat. Das heißt, sie müsse zuerst eine lange Zeit der gemeinsamen Organisierung der Revolutionär:innen und Reformist:innen wie vor dem 1. Weltkrieg durchlaufen. Nur nach einer langen Periode des Kampfes und opportunistischer Fehler gäbe es die Möglichkeit einer revolutionären Organisierung. Wir denken hingegen, dass die neuen Wellen des Klassenkampfes eine neue Generation von Arbeiter:innenavangarde hervorbringen werden, die in ihrem Bewusstsein und Organisierung Sprünge machen kann. Das heißt, dass sie nicht mehr die großen reformistischen Apparate als erste Addressatin wahrnehmen müssen, sondern Revolutionär:innen unter ihnen einen größeren Einfluss erlangen können, wenn sie eigenständige revolutionäre Organisationen mit Verankerung in der Arbeiter:innenklasse bilden. Die historische Entwicklung der letzten Massenaufstände bestätigen eher unsere Hypothese, wo sich alle neo-reformistischen Projekte in einer Sackgasse befinden und alte reformistische Apparate schrumpfen.
Wie wir an anderer Stelle ausgeführt haben, bedeutet ihre Politik der „doppelten Aufgabe“ deshalb ganz und gar nicht, dass sie gleichzeitig die Krise der Führung (durch den Aufbau revolutionärer Organisationen) und die Krise des Bewusstseins (in ihrer Vorstellung durch den Aufbau reformistischer Organisationen) bekämpfen. Denn nachdem sie sich jahrelang dem Aufbau der Linkspartei gewidmet haben, um diese Partei in eine solche Richtung zu entwickeln, müssen sie nun resigniert zugeben, dass DIE LINKE am Ende ist, ohne dass sie eine solche Fraktion aufbauen konnten.
Lehren aus Frankreich
Aber das Debakel der Linkspartei hält die linksreformistischen, populistischen und zentristischen Strömungen nicht davon ab, weiterhin die Linkspartei kritisch zu unterstützen oder zu hoffen, dass sie „zu ihren Ursprüngen“ zurückfinden wird. Insbesondere wird immer wieder auf die Situation in Frankreich verwiesen, um die Perspektive einer möglichen kämpferischen Linkspartei (2.0?) aufrecht zu erhalten. Daher lohnt ein genauerer Blick auf die Situation in unserem Nachbarland. Dort hat sich seit 2016 ein Klassenkampfzyklus eröffnet, der verschiedene Höhepunkte hatte, von den Streiks und Mobilisierungen gegen das Arbeitsgesetz 2016 bis zum großen Streik gegen die Rentenreform 2019, der Gelbwestenbewegung oder den antirassistischen, feministischen und ökologischen Mobilisierungen, die einen erheblichen Teil der Jugend mobilisiert haben.
Was taten nun die verschiedenen Kräfte der französischen Linken? Der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon und seine La France Insoumise („Unbeugsames Frankreich“, LFI) nahmen sich, wie die Linkspartei hierzulande, vor, die Mobilisierungen von der Straße in das Parlament zu verlagern. Die Perspektive: Mélenchon solle Premierminister der Fünften Republik werden, um ein Gegengewicht zum Präsidenten Emmanuel Macron zu sein. Dazu schmiedete er das Wahlbündnis NUPES („Neue ökologische und soziale Volksunion“), an dem sogar die Grünen und die sozialliberale Sozialistische Partei beteiligt sind. Die NUPES ist nun der größte Oppositionsblock in der Nationalversammlung, blieb jedoch weit davon entfernt, Macrons Mandat beenden zu können. Währenddessen war die massive Wahlenthaltung von 54 Prozent der Wahlberechtigten auch Ausdruck davon, dass nicht nur Macron, sondern auch Mélonchon und sein Bündnis große Probleme haben, arme Bevölkerungsschichten und die Jugend zu überzeugen. Unter Jugendlichen bis 24 Jahren lag die Wahlbeteiligung sogar nur bei 29 Prozent. Dass auch Mélenchon sie nicht mobilisieren konnte, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass er für die Wahl mit bürgerlichen Parteien paktierte. Das hinderte jedoch Organisationen wie SAV und Sol nicht daran, Mélenchon und die NUPES bei den Wahlen zu unterstützen.
Das Beispiel Frankreich zeigt aber auch, dass es nicht ausreicht, einfach auf ein Bündnis aller Kräfte links des Reformismus zu setzen. Im Jahr 2009 hatte sich die Neue Antikapitalistische Partei (NPA) mit fast 10.000 Mitgliedern gegründet, als Prototyp einer „breiten antikapitalistischen Partei“, die alle Strömungen links vom Reformismus, die sich als antikapitalistisch verstanden, sammeln wollte. Im Dezember 2022 hat sich die NPA nach Jahren der Lähmung, des Mitgliederverlusts und der schleichenden Anpassung ihrer Führung an den Reformismus/Linkspopulismus gespalten. Während die historische Führung der NPA die Anpassung an Jean-Luc Mélenchon weiter vorantreiben wollte, verteidigt die Plattform C (zu der auch die Schwesterorganisation der deutschen RSO gehört), die „Weiterführung“ der NPA und eine Rückkehr zu ihren Ursprüngen. Doch die immer weitere Annäherung an den Reformismus, den die ehemalige Führung der NPA (und zuvor verschiedene rechte Abspaltungen) nun auch organisatorisch vollzogen haben, ist keine einfache Abweichung von der ursprünglichen Idee der NPA, sondern Konsequenz der strategischen Unklarheit (bzw. unterschiedliche Strategien) über die Notwendigkeit des Aufbaus einer revolutionären, von der institutionellen Linken abgegrenzten Organisation, die sich darauf vorbereitet, in die wichtigsten Ereignisse des Klassenkampfes und die kommenden politischen Auseinandersetzungen einzugreifen.
Unsere eigene Schwesterorganisation Révolution Permanente hat innerhalb der NPA stets für eine solche Perspektive gekämpft und wurde dafür ausgeschlossen. Während die NPA sich nun im Dezember in zwei etwa gleich große Teile mit etwas mehr als 500 Mitgliedern spaltete, hat Révolution Permanente ein Wochenende später mit fast 400 Mitgliedern und einer Online-Zeitung, die Millionen Menschen erreicht, eine neue revolutionäre Organisation gegründet. Ihr Beispiel zeigt, dass es auch jetzt schon möglich ist, mit einem revolutionären Programm hunderte Arbeiter:innen und Jugendliche zu organisieren, die in einigen der wichtigsten Kämpfe der vergangenen Jahre verwurzelt sind.
Um das zu erreichen, haben sie in verschiedenen Kämpfen auf eine Strategie der Hegemonie der Arbeiter:innenklasse gesetzt: die Perspektive, dass die Arbeiter:innenklasse an der Spitze aller Ausgebeuteten und Unterdrückten alle ökonomischen, sozialen und demokratischen Probleme lösen kann – und muss. Dafür bedarf es nicht nur eines Programms, sondern auch einer Strategie für den Aufbau einer materiellen Macht, die das Kapital, die Regierung und die Bürokratien der Gewerkschaften und sozialen Bewegungen gleichermaßen konfrontieren kann. Eine der wichtigsten Erfahrungen in diesem Sinne war der Aufbau des SNCF-RATP-Koordinierungskomitees (Koordinierungskomitee zwischen den Beschäftigten der französische Bahn und des Pariser ÖPNV) im Streik gegen die Rentenreform 2019, wo Révolution Permanente mit dem Genossen Anasse Kazib an der Spitze zur Entwicklung einer der wichtigsten Erfahrungen der Streikenden mit Selbstorganisierung und Arbeiter:innendemokratie der letzten Jahrzehnte in Frankreich mit vorangetrieben hat.
Für eine revolutionäre Partei mit Verankerung im Klassenkampf
Der Aufbau einer revolutionären und antibürokratischen Strömung in der Arbeiter:innenbewegung, die der Gewerkschaftsbürokratie die Führung streitig machen kann, ist eine der hauptsächlichen Vorbereitungsaufgaben für den Aufbau einer revolutionären Organisation. Dasselbe gilt für eine revolutionäre Fraktion in den sozialen Bewegungen, die für eine Verbindung mit der Arbeiter:innenbewegung und eine Strategie der Hegemonie der Arbeiter:innenklasse kämpft. Denn die Arbeiter:innenklasse ist die einzige Kraft, die nicht nur einen Kampf gegen die imperialistische Politik der Regierung führen, sondern tatsächlich ein Ende von Ausbeutung und Unterdrückung erkämpfen kann.
Die Arbeiter:innenklasse braucht ein Kampfbündnis mit unterdrückten Sektoren wie Frauen, rassistisch unterdrückten Menschen, POCs, LGBTIQ etc., die in ihrer übermäßigen Mehrheit organischer Teil der Arbeiter:innenklasse sind.
Sie kann aufgrund ihrer Stellung im kapitalistischen Produktionsprozess nicht nur die zentralen Hebel der Wirtschaft lahmlegen, sondern kann die Gesamtheit aller ausgebeuteten und unterdrückten Teile der Bevölkerung im Kampf gegen den bürgerlichen Staat und für den Sturz des Kapitalismus anführen, wenn sie sich ihre Forderungen zu Eigen macht und sich selbst an die Spitze der Kämpfe gegen Sexismus, Rassismus und jegliche Form von Unterdrückung stellt. Denn erst die Abschaffung der kapitalistischen Produktionsweise und des imperialistischen Systems sowie die Kollektivierung der gesellschaftlichen Reproduktion legen die Grundlagen dafür, das Patriarchat, den Rassismus, Queerfeindlichkeit, Ableismus usw. abzuschaffen.
Eine materielle Kraft mit dieser Perspektive aufzubauen, heißt für eine revolutionäre Partei mit Verankerung im Klassenkampf zu kämpfen – eine internationale leninistische Kampfpartei. Dafür ist es notwendig, mit dem Reformismus organisatorisch und strategisch zu brechen und heute die Vorbereitungsaufgaben zu beginnen: Verbindungen zur Avantgarde der Arbeiter:innenklasse und der Jugend zu schmieden, sich mit ihren fortschrittlichsten Teilen zu fusionieren und in gemeinsamen Kämpfen ein Programm gegen die imperialistische Regierung und das Kapital, sowie gegen die Vermittlungsinstanzen wie die reformistischen Parteien und die Bürokratien von Gewerkschaften und NGOs auszutesten.
Fußnoten
1 „SPD, PDS und neue Arbeiter:innenpartei“ von Sasha Stanicic aus dem Buch “Welcher Weg für den Sozialismus?” (2019)
2 „“Zur Geschichte des Trotzkismus” (2011) von Wolfram Klein
Debatten über einen revolutionären Bruch mit der Linkspartei und Solid
Zur Vorbereitung der Konferenz „15 Jahre Solid und Linkspartei – Welche Organisation für den Klassenkampf?“ am 14./15. Januar 2023 wurden von verschiedenen Organisationen und Einzelpersonen Debattenbeiträge geschrieben. Hier geht es zu allen Beiträgen.