Weiter wie bisher: SPD nimmt Kurs auf Große Koalition
Der erste Tag des Berliner Parteitags hat der kurzen Ungewissheit ein Ende gesetzt: Die SPD will wieder Teil einer Merkel-Regierung sein. Der wiedergewählte Vorsitzende Schulz schickt sich damit an, seine Erneuerungsversprechen in weniger als einem Jahr über den Haufen zu werfen.
Viel war vorher spekuliert worden, ob sich Martin Schulz nach dem schlechten Ergebnis bei der Bundestagswahl und dem darauf folgenden Hin-und-Her an der Parteispitze würde halten können. Auch die Jugendorganisation der SPD hatten in den Tagen vor dem Parteitag noch einmal Druck auf die Führungsriege der Sozialdemokrat*innen aufgebaut, die sich schon ihre Sitze am Verhandlungstisch mit der CDU freigehalten hatten – mit den Jusos würde es keine erneute Große Koalition geben.
Am Ende blieben die Überraschungen an diesem Donnerstag in Berlin aus. Martin Schulz wurde mit 81,9 Prozent zum Parteivorsitzenden wiedergewählt. Das sind zwar mehr als die 74,3 % von Sigmar Gabriel 2015, jedoch deutlich weniger als die 94,2 % desselben 2009, ganz zu schweigen von den 100 Prozent, die Schulz zu Beginn des Jahres erhalten hatte.
Außerdem konnte sich Schulz mit seinem Leitantrag durchsetzen, der sich für „ergebnisoffene Gespräche“ mit der Union ausspricht. Damit steht einer Neuauflage der Großen Koalition nichts mehr im Wege, auch wenn sich die Sozialdemokratie formell noch die alternativen Optionen einer Minderheitsregierung und Neuwahlen offen hält. „Wir müssen nicht um jeden Preis regieren, aber wir dürfen auch nicht um jeden Preis nicht regieren wollen“, so hatte sich Schulz in seiner mäßig bejubelten Rede ausgedrückt.
Am Ende konnten die GroKo-Gegner der Führungsriege nur einen erneuten Parteitag im Januar abringen, um über die Aufnahme von Koalitionsgesprächen zu entscheiden. Ein Koalitionsvertrag müsste am Ende der Regierungsbildung von den SPD-Mitgliedern angenommen werden.
Eine krumme Bilanz
Schulz sprach auf dem Parteitag davon, dass die SPD seit 1998 zehn Millionen Wähler*innen, und seit 2003 alle Bundestagswahlen verloren habe. Eine brutale Bilanz, die andere sozialdemokratische Parteien in Europa mit der SPD teilen. Doch Schulz sagte auch, dass die SPD für die „sehr erfolgreiche Politik“ in der vergangenen GroKo „nicht belohnt“ worden sei. War das wirklich so?
Außer kleinen Brotkrumen für die Wähler*innenbasis der SPD wie die Rente mit 63 und einen Mindestlohn, der nicht reicht, um anständig zu leben, hat sich die Große Koalition vor allem durch arbeiter*innenfeindliche und rechte Politik ausgezeichnet. Das Tarifeinheitsgesetz hat das Streikrecht eingeschränkt, es wurden weitreichende Maßnahmen zur Ausweitung des Überwachungsstaats getroffen, das Asylrecht wurde bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt und die Rechte von Geflüchteten massiv angegriffen, in Südeuropa wurde die erpresserische Austeritätspolitik weitergeführt.
Seit Gerhard Schröder steht die SPD für Sozialkahlschlag und die Aushöhlung traditioneller Errungenschaften der Arbeiter*innenbewegung. Senkung des Rentenniveaus, Befristung und Zeitarbeit, Hartz IV und Mini-Jobs sind die Ergebnisse einer Politik, die von der SPD in den letzten 19 Jahren mitgetragen wurden. Auch wenn Schulz von einer „Erneuerung“ der SPD spricht, ist sie von ihm, der die Agenda-Politik noch nicht einmal im Wahlkampf rückgängig machen wollte und jetzt sogar zu einer GroKo 2.0 bereit ist, nicht zu erwarten.
Kommt jetzt die GroKo?
Schulz hat auch nach der Abstimmung immer wieder betont, dass es keinen Automatismus hin zu einer neuen Großen Koalition gebe. Auch Optionen wie eine von der SPD geduldete Minderheitsregierung stünden im Raum und es komme darauf an, was die CDU programmatisch anzubieten habe. Sicherlich befindet sich auch Merkel im Zugzwang. Ihre Präferenz, eine Jamaika-Koalition, auf die sie monatelang gesetzt hatte, ist gescheitert. Doch sie hat in ihrem Rücken eine angeschlagene CSU, die, wie schon der Glyphosat-Skandal um Landwirtschaftsminister Schmidt zeigte, ihre harte Linie durchsetzt, ohne dabei auf zu großen Widerstand bei Merkel zu treffen.
Auch die anstehenden Verhandlungen zu einer GroKo werden also sicherlich kein Spaziergang werden für das politische Establishment. Dazu ist das politische Kapital der Beteiligten zu stark beschädigt nach den verheerenden Bundestagswahlen im September. Doch das kurze Muskelspiel des rechten SPD-Flügels um Bundespräsident Steinmeier und Sigmar Gabriel hat gezeigt, wie kräftig dieses Lager ist, wenn es darum geht, die SPD zur Verteidigung der innenpolitischen Stabilität auf Kurs zu bringen. Ein erneutes Scheitern von Sondierungsgesprächen ist nicht zu erwarten.
Schon am Mittwoch werden sich die Spitzen von Union und SPD nun zu Gesprächen zusammenfinden. Auch wenn es sich dabei noch nicht um den Beginn von Sondierungsgesprächen handeln soll, zeigt es die Eile der politischen Akteure, eine Lösung zu finden. In der Bevölkerung hingegen stößt die Große Koalition auf keine mehrheitliche Unterstützung. Eine Mehrheit von 52 Prozent lehnt sie laut ARD-Deutschlandtrend ab und auch die Unterstützung von Angela Merkel sinkt auf 54 Prozent ab, den niedrigsten Wert seit mehr als einem Jahr.
Eine kommende Große Koalition würde nicht nur wesentlich weniger Rückhalt in der Bevölkerung finden, noch dazu hätte sie eine viel kleinere Mehrheit im Bundestag als noch in der letzten Legislaturperiode. Und sie würde auf eine starke, aber fragmentierte Opposition treffen mit einer AfD als größter Oppositionspartei, deren faschistischer Flügel sich nach dem Parteitag in Hannover gestärkt sieht. Es gibt bessere Situationen, um die großen geopolitischen Herausforderungen des deutschen Imperialismus zur Kontrolle der latenten EU-Krise und im Wettstreit mit den USA und China gerecht zu werden. Die politische Krise der BRD wird dem Kapital noch eine ganze Weile Kopfschmerzen bereiten.