Was tun, wenn Hitler den Krieg gewinnt?
Im Jahr 1962 ist die USA nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg durch Deutschland und Japan besetzt. Dieses Szenario zeichnet die TV-Serie „The Man in the High Castle“. Was soll man bloß in einer solchen Welt anstellen?
Die Szenerie könnte so idyllisch sein: auf der menschenleeren Fernstraße in den Sonnenuntergang fahren, die Rocky Mountains am Horizont. Doch der Kurierfahrer Joe Blake hat ein Problem: Er steht mit geplatztem Reifen in der Pampa am Wegesrand und wundert sich über den einsetzenden Ascheregen. Ein Polizist kommt ihm zur Hilfe: Gemeinsam wechseln sie den Reifen und Joe bekommt eine Erkärung. „Die Asche? Ach ja, dienstags verbrennen sie Krüppel im Krankenhaus“, so die lapidare Antwort. Willkommen im „Greater Nazi Reich“, mitten in Nordamerika, 1962.
Die TV-Serie „The Man in the High Castle“, angelehnt an den gleichnamigen Roman von Philip K. Dick, hat einen alternativen Verlauf der Geschichte geschaffen: Hitler hat kurzerhand eine Wasserstoffbombe auf Washington D.C. geworfen und so die USA zur Kapitulation gezwungen. Nun teilt er sich mit Japan die ehemaligen US-Gebiete: die Nazis im Osten und Zentrum des Landes, die Japaner*innen an der Westküste. Dazwischen in den Rocky Mountains eine Pufferzone. Schließlich erschöpft sich der Expansionsdrang des deutschen und japanischen Kapitals nicht mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Formell noch Verbündete, gibt es doch bereits einen alternativen kalten Krieg. Hitler hält schwer krank noch seine üblichen Propagandareden. Dahinter zanken sich bereits Nazigrößen wie Göring und Himmler um seine Nachfolge, und damit die Frage, wer das Reich in den nächsten Weltkrieg führen wird.
Die Aussichten sind also ziemlich düster, ebenso wie das tägliche Leben. „Jeder hat seinen Platz in der Gesellschaft“, diese Lehre gibt der stramme SS-Offizier John Smith seinem Sohn mit. Die Schwachen werden aussortiert, die Starken sind zur Herrschaft bestimmt. Die Angst ist allgegenwärtig: Das Leben im NS-Staat und dem nicht minder brutalen japanischen Besatzungsregime bekommt eine bemerkenswerte atmosphärische Tiefe. Verkleidet wird dieses dystopische Szenario mit vielen Details, voller NS-Propagandaplakate, japanischer Geheimagenten mit kriegerischem Ehrenkodex und dem täglichen gutbürgerlichen Nazi-Lifestyle: Während die Ehefrau den Truthahn in den Ofen schiebt, schiebt der Ehemann „Staatsfeinde“ in die Gaskammer.
Was also anfangen in so einer grausigen Welt? Sich mit dem Bestehenden arrangieren oder gar Karriere machen? Selbst wer sich wegduckt, kann von der Geheimpolizei einfach mal um die Ecke gebracht und in einem anonymen Massengrab verscharrt werden. Dafür reicht es, jüdische Verwandte zu haben oder den Rassenvorstellungen der Nazis nicht zu entsprechen. Auch an den Spitzen des japanischen und großdeutschen Staates gibt es ein Hauen und Stechen ohne Rücksicht auf Verluste. Wer Karriere machen will, hat die Wahl: morden oder ermordet werden.
Oder doch lieber fliehen? Die neutrale Zone in den Rocky Mountains ist der Rückzugsort von Rebell*innen, Vagabund*innen und Kriminellen. Hier geht es keineswegs rosiger zu, ist doch auch dieses Gebiet vollkommen von Japan und Deutschland abhängig. In heruntergekommenen Barracken fristen die Menschen ihr Dasein. Wenn es Probleme gibt, lösen Nazi-Agent und Kopfgeldjäger diese ziemlich kompromisslos. Einfach mal jemanden am helllichten Tage an der Hauptstraße aufhängen? Kein Problem! Ein Entkommen vor den Schergen Japans und des Nazi-Reiches wird so sehr schwierig.
Also doch heroisch in den Widerstand? Diesen Weg gehen die beiden Hauptcharaktere Frank und Juliana, die in San Francisco in einem Kellerloch hausen. Ein wütender Fabrikarbeiter und eine mutige Heldin: eine durchaus sympathische Kombination. Doch sie haben ein Problem: Sie haben keine Ahnung, was zu tun ist. Frank zieht auf eigene Faust los, um den japanischen Kronprinzen zu erschießen. Währenddessen bekommt Juliana Kontakt zu einer ominösen Widerstandsgruppe, deren Ziele vollkommen unklar bleiben. Für diese Gruppe versucht sie, einen Film aus der japanischen Zone zu schmuggeln, der einen alternativen Verlauf der Geschichte, nämlich die unsrige zeigt. Gedreht wurde er angeblich von einem Unbekannten, dem „Man in the high castle“, dem Namensgeber der Serie. Den Film will sie an den Widerstand in der neutralen Zone weitergeben. Dabei gerät sie an den Kurierfahrer Joe Blake, der eine windige Rolle als Doppelagent spielt.
Es entwickelt sich ein Agententhriller in dystopischer Science-Fiction-Atmosphäre, der jedoch an seiner unklaren Zielsetzung krankt: Der Widerstand versucht keineswegs unter den sicher schweren Bedingungen der Illegalität, Mitstreiter*innen zu gewinnen, sondern einen Propagandafilm in die Hände zu bekommen, den aber niemand sehen darf. Was ist also an dem Film so besonders? Wie im Film „Iron Sky“ besteht die Vorstellung, der Faschismus könne mit einem guten Film besiegt werden. Eine größenwahnsinnige Selbsteinschätzung von vermeintlich politischen Regisseur*innen.
So wirkt die Handlung um den geschmuggelten Film doch recht aufgesetzt. Nicht das tatsächliche Geschehen und die Entwicklung der Charaktere erscheinen zentral. Eher dienen sie als Pappfiguren für die dystopische Atmosphäre. Der fragliche Film zeigt als Alternative das „Land der Freiheit“, die USA der 1960er Jahre. Diese Fiktion ignoriert, dass auch die USA etwa in Korea und Vietnam ihre Kriege nach dem Zweiten Weltkrieg fortsetzte, und in Deutschland alte Nazi-Eliten wieder in zentrale Stellen hob. Eine unzureichende Vision von Freiheit, die sich auch im Unvermögen des Widerstandes spiegelt.