Was ist Einheitsfront?
Sei es beim antifaschistischen Kampf gegen Pegida und AfD, sei es bei Arbeitskämpfen gegen Niedriglöhne und Entlassungen – die Taktik der Einheitsfront für den gemeinsamen Kampf aller Arbeiter*innen für konkrete Forderungen ist auch 96 Jahre nach ihrer ersten Formulierung von großer Bedeutung für die radikale Linke.
Die Einheitsfront-Taktik wurde auf dem Dritten Weltkongress der Kommunistischen Internationale (Komintern) entworfen. Damals standen die jungen Kommunistischen Parteien vor einer großen Herausforderung. Nach der Oktoberrevolution 1917 in Russland hatten sich überall auf der Welt revolutionäre Gruppen aus der alten Sozialdemokratie abgespalten. Diese hatte sich mit ihrer Unterstützung für den Ersten Weltkrieg vom Prinzip des Internationalismus und des Kampfes für Sozialismus losgesagt. Gleichzeitig entstanden in ganz Europa revolutionäre Bewegungen, in Ungarn, Spanien und Deutschland stellten Massenstreiks und Straßenkämpfe die bürgerliche Ordnung in Frage. Dieser Aufschwung dauerte bis 1921 an, als auch in Italien und Deutschland die letzten proletarischen Aufstände niedergeschlagen wurden.
Ursprünge
In diesem Moment der Rückschläge der Arbeiter*innenbewegung entsteht die Taktik der Einheitsfront. Es ging darum, die revolutionäre Bewegung vor weiteren Verschlechterungen zu schützen und sich auf einen neuen Aufschwung der Massen vorzubereiten. Doch was ist die Einheitsfrontpolitik konkret? Es handelt sich um den Aufruf an die großen Arbeiter*innenorganisationen (Gewerkschaften und Parteien) von Seiten der Revolutionär*innen, gemeinsam für konkrete Forderungen zu kämpfen.
Doch konnten die Arbeiter*innen und Jugendlichen diese Position einfach so unterstützen? Gerade erst hatten sie mit der Sozialdemokratie gebrochen, nachdem diese die Massenbewegung verraten, die Verwaltung der neuen Weimarer Republik übernommen und tausende Revolutionäre wie Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg umbringen ließen. Jetzt sollten sie erneut mit diesen Verräter*innen zusammenarbeiten?
Doch auch wenn die Kommunistischen Parteien rasch wuchsen, organisierten sie nur eine kleine Minderheit der europäischen Arbeiter*innenklasse und waren nicht in der Lage, die revolutionäre Bewegung anzuführen. Immer noch hegte der Großteil der Arbeiter*innen Hoffnungen in die alten sozialdemokratischen Anführer*innen, die feurige Reden über den Sozialismus hielten, obwohl sie gleichzeitig den Kapitalismus verwalteten. Es reichte nicht, nur mit Flugblättern auf diesen Widerspruch aufmerksam zu machen, um die kommunistische Bewegung aus der Isolierung zu holen. Die komplett arbeiter*innenfeindliche Rolle des Reformismus musste vielen Arbeiter*innen noch konkret bewiesen werden.
Defensive und Offensive
In den Thesen über die Taktik der Komintern vom Vierten Weltkonkress wird die Einheitsfront wie folgt beschrieben:
Die Taktik der Einheitsfront ist das Angebot des gemeinsamen Kampfes der Kommunisten mit allen Arbeitern, die anderen Parteien oder Gruppen angehören, und mit allen parteilosen Arbeitern zwecks Verteidigung der elementarsten Lebensinteressen der Arbeiterklasse gegen die Bourgeoisie. Jeder Kampf um die kleinste Tagesforderung bildet eine Quelle revolutionärer Schulung, denn die Erfahrungen des Kampfes werden die Werktätigen von der Unvermeidlichkeit der Revolution und der Bedeutung des Kommunismus überzeugen.
Eine besonders wichtige Aufgabe bei der Durchführung der Einheitsfront ist die Erreichung nicht nur agitatorischer, sondern auch organisatorischer Resultate. Keine einzige Gelegenheit darf verpaßt werden, um in der Arbeitermasse selbst organisatorische Stützpunkte (Betriebsräte, Kontrollkommissionen aus Arbeitern aller Parteien und Parteilosen, Aktionskomitees usw. zu schaffen.
Gingen die reformistischen Führungen dem Aufruf nach und wurden die gestellten Ziele erreicht, gingen die Arbeiter*innen mit einer höheren Moral aus dem Kampf und waren in besseren Bedingungen, für mehr zu kämpfen: Sie hatten sich von ihrer eigenen Kraft überzeugt. Sollte die Sozialdemokratie dem Aufruf jedoch nicht zustimmen, würde sie sich vor den Augen ihrer Basis delegitimieren und die Kommunist*innen könnten konkret die verräterische Rolle des Reformismus aufzeigen.
Die Einheitsfront hat also ein defensives Element, das sich auf die Verteidigung von Errungenschaften und Rechten der Arbeiter*innen gegen Angriffe des Kapitals bezieht, und ein offensives Element, da sich durch den gemeinsamen Kampf und die Schaffung von Organen der Selbstorganisierung der Arbeiter*innen, die Bedingungen für den revolutionären Kampf verbessern und die Macht des reformistischen Apparats gebrochen wird.
Getrennt marschieren, vereint schlagen
Konkret boten sich in den darauffolgenden Jahren zahlreiche Möglichkeiten der Anwendung dieser Taktik. Besonders angesichts des Aufstiegs des Faschismus in Deutschland zu Beginn der 30er Jahre stellte sich die Frage, wie kommunistische und sozialdemokratische Arbeiter*innen gemeinsam diese große Bedrohung aufhalten könnten. Beide Parteien organisierten Millionen von Arbeiter*innen, doch verweigerten die Zusammenarbeit: Die SPD-Führung hoffte darauf, dass die Weimarer Verfassung Hitler aufhalten würde, und die KPD, die Stalins Diktaten aus Moskau folgte, bezeichnete die SPD als „Sozialfaschist*innen“.
Leo Trotzki schlug zu dieser Zeit aus dem Exil in der Türkei eine Einheitsfront-Politik vor, um den Faschismus aufzuhalten und die Bedingungen für die sozialistische Revolution vorzubereiten. Es sei die Hauptaufgabe der KPD, „sich der Mehrheit der deutschen Arbeiterklasse zu nähern und mit den sozialdemokratischen und parteilosen Arbeitern eine Einheitsfront gegen die faschistische Gefahr zu bilden.“ (Leo Trotzki, 1930, Die Wendung der Komintern und die Lage in Deutschland)
Weiter unten im selben Text gibt er ein plastisches Beispiel, wie ein*e kommunistische*r Arbeiter*in eine solche Politik gegenüber einer*m sozialdemokratischen Kolleg*in vorschlagen könnte:
Die Politik unserer Parteien ist unversöhnlich; aber wenn die Faschisten heute nacht kommen, um die Räume Deiner Organisation zu zerstören, so werde ich Dir mit der Waffe in der Hand zu Hilfe kommen. Versprichst Du, ebenfalls zu helfen, wenn die Gefahr meine Organisation bedroht?
Tragischerweise kam keine Einheitsfront zustande, da die KPD für die Zusammenarbeit mit sozialdemokratischen Arbeiter*innen den Bruch mit der SPD zur Voraussetzung machte, was als „rote Einheitsfront“ in die Geschichte eingegangen ist.
Doch noch immer behält die Einheitsfront-Taktik große Bedeutung: Sowohl, um uns gegen rechten Terror von Pegida und AfD zu schützen, uns gegen Polizeigewalt wie zuletzt in Hamburg zu wehren, oder um Angriffe des Kapitals in Form von Outsourcing, Entlassungen und Lohnkürzungen zu verhindern. Dabei kommt es darauf an, mit einer kühnen Politik die Massenorganisationen der Arbeiter*innen für einen gemeinsamen Kampf zu gewinnen, ohne dabei an Kritik an deren Politik zu sparen und dadurch in der Praxis die Überlegenheit revolutionärer Organisierung aufzuzeigen.