Was ist das „Unikomitee für Palästina München“?
Vor weniger als zwei Wochen gründete sich ein „Unikomitee für Palästina“, dass dazu dienen soll, palästinasolidarische Studierende und Beschäftigte zu organisieren und zur gemeinsamen Aktion zu bringen. Doch wofür benötigen wir ein solches Komitee und welche Aufgaben kann es erfüllen?
Das „Unikomitee für Palästina“ in München gründete sich am 15. November an der LMU mit 50 Teilnehmer:innen. Die Initiative beruhte auf den wöchentlichen Mobilisierungen in unserer Stadt, die sich für ein Ende des anlaufenden Genozids in Gaza aussprachen. Angesichts einer kurzfristigen viertägigen Feuerpause, die zur Durchsetzung des Deals um einen Gefangenenaustausch (von israelischen Geiseln und illegal Verhafteten Palästinenser:innen) aufkam, bleibt ein Ende der militärischen Offensive Israels, sowie der kolonialistischen Besatzungspolitik nicht in Sicht. Deshalb ist es umso nötiger, Initiativen zur Organisierung der Solidarität nicht nur auf die Straße, sondern vor allem an unsere Orte zu tragen.
Das Aktionskomitee an der Universität soll hierbei eine Referenz darstellen, wie wir uns als Studierende und Beschäftigte gegen die kolonialistische Politik Israels und insbesondere gegen die Komplizenschaft der Ampelregierung, die an unseren Unis einen besonderen Ausdruck erfährt, organisieren können. Hierbei hat vor Ort die Schweigsamkeit unserer Universitäten (LMU, Hochschule München, andere Fachhochschulen) im besten und ihre einseitige Positionierung (TUM) im schlechtesten Fall für Unzufriedenheit gesorgt. Eine Empfindung, für die ein organisatorischer Ausdruck von Nöten war. Dies ist allerdings alles andere als ein Münchener Alleinstellungsmerkmal.
Internationalistische Charakter der Selbstorganisierung an den Unis
Wie wir an anderer Stelle bereits betonten, ist das Unikomitee in München kein lokales Phänomen, sondern bettet sich ein in die Dynamik einer internationalen Selbstorganisierung von Studierenden und Schüler:innen:
Während der genozidale Krieg des israelischen Staates gegen die Palästinenser:innen im Gaza-Streifen weiterhin unaufhörlich voranschreitet, bilden sich international immer mehr Komitees an Hochschulen und Schulen, um sich an ihren Orten gegen den Genozid zu organisieren. In Frankreich, Spanien, Chile, Argentinien, Italien und weiteren Ländern gibt es schon seit einigen Wochen selbstorganisierte Treffen von Studierenden und Beschäftigten, die sich nicht mit der zionistischen Position ihrer Regierung und ihren Hochschulleitungen abfinden wollen. In New York kommt es täglich zu sogenannten Walkouts, bei welchem Schüler:innen, Lehrer:innen, Studierende und Dozierende ihre Lehr- und Lernorte verlassen, um sich gemeinsam auf Demonstrationen gegen die Vertreibung, Entrechtung und Entmenschlichung der Palästineneser:innen einzusetzen.
Diese Tendenz erfährt seit etwa zwei Wochen immer mehr Aufmerksamkeit und Empörung von Seiten der bürgerlichen Medien. Der Spiegel veröffentlichte am 19. November einen Artikel, dessen Titel diese Verzweiflung in besonderer Art und Weise widerspiegelt: „Antisemitismus in Harvard: Der Hass der schlauesten Köpfe“. Nach einer Phase, in der insbesondere in Mitteleuropa mit Versammlungsverboten und reihenweisen Inhaftierungen gearbeitet wurde, widmen sich linksliberale bis hin zu rechtskonservative Journalist:innen der Anklage der „Elite Studierenden“. Ihre Wut über die Aktionen gegen den anlaufenden Genozid von Studierenden weltweit und besonders in den imperialistischen Zentren ist ideologisch nachvollziehbar, denn die Proteste richten sich gegen das, was sie mit allen Mitteln zu verteidigen versuchen: die politische Unmündigkeit beziehungsweise Gehorsamkeit der Studierenden, den Mythos der Universität als Elfenbeinturm, für die politische und soziale Probleme keinen praktischen Ausdruck haben sollen, sowie dem elitären Charakter der Universitäten.
Ein interessantes Phänomen, welches ein Großteil dieser „neutralen Berichterstatter“ außer Acht lässt, ist die soziale Zusammensetzung der aktiven Studierenden, also ihr größtenteils migrantischer Hintergrund. Viele Studierende, die sich gerade aktiv für ein Ende des Genozids in Gaza und die Freiheit Palästinas einsetzen, haben sich dem nicht primär aus einer „postkolonialen Ideologie“ gewidmet, wie manch verwirrter „Studentenanführer“ der Jungen Union behauptet, sondern aufgrund ihrer eigenen Lebens- und Familiengeschichte, die durch und durch vom imperialistischen Charakter des gegenwärtigen Kapitalismus gebrandmarkt ist. Militärische Interventionen, wie in Afghanistan, Irak oder Syrien, Putsche, wie in Guatemala, Chile oder in der DR Kongo und gnadenlose ausbeuterische Geschäfte wie in Brasilien, Ägypten und vielen weiteren Ländern haben nicht nur Generationen an Arbeiter:innen in „Entwicklungsländern“ – besser gesagt halbkolonialen und „abhängig gemachten“ Ländern – für große Profite geopfert, sie haben eine durchaus bewusste Jugend hervorgebracht, die nun in den Zentren dieser globalen Ordnung an den Unis studieren.
Das sieht man auch an den Teilen der Jugend, die in den letzten Jahren im Zuge der Black Lives Matter Bewegung engagiert waren. Wie selbstverständlich organisiert sich diese aufstrebende Generation gegen den Genozid in Gaza, denn sie sehen und spüren einen Zusammenhang zwischen rassistischer Polizeigewalt und der kolonialen Unterdrückung Palästinas. Dass hier der gleiche Kampf geführt wird, erhält tragische Aktualität, denn am Samstag wurden drei palästinensische Studierende in Burlington (Vermont) angeschossen, es ist von einem hate crime (Hassdelikt) auszugehen. Die Studierenden trugen ihre Kufiya auf der Straße und waren zu einem Familienessen unterwegs, als ein Schütze das Feuer auf sie eröffnete. Die migrantischen Teile der Jugend haben hundert- und tausendfach Erfahrungen mit solchen Vorfällen gemacht, nicht nur in den USA. Solche Taten entstehen nicht aus dem Nichts, sie werden wahrscheinlicher in einem Klima, in dem palästinensische, muslimische und arabische Menschen als „unzivilisierbar“, „Dunkelheit“ oder „menschliche Tiere“ bezeichnet werden.
Dieser Charakter der multiethnischen Jugend an den Universitäten ist in den allermeisten Protesten sichtbar und kennzeichnet ebenfalls das Unikomitee in München. Wir haben es Leid, uns für unser „Dasein“ und unsere Meinungen rechtfertigen zu müssen, insbesondere vor denjenigen, die den Inhalt ihrer Moral, in unserer Geschichte und der der Ländern, aus denen wir kommen, offenbart haben. Nein, wir haben es satt und lassen uns nicht mehr mundtot machen, deshalb organisieren wir uns in einem Moment, wo genau diese politische Heuchelei am härtesten vor den Augen der gesamten Welt bewiesen wird.
Programm: „Nie wieder gilt für ALLE“
Die politische Grundlage unserer Selbstorganisierung wurde beim ersten Treffen des Unikomitees in einer demokratischen Versammlung beschlossen. Unser Motto lautet: „Nie wieder gilt für ALLE“, was klar macht, dass wir der ideologischen Rechtfertigung des Genozids mittels der „deutschen Staatsräson“ eine Absage erteilen. Wenn sie die ethnische Säuberung Palästinas durch den israelischen Staat mit der Referenz an den nationalsozialistischen Völkermord an den Jüd:innen rechtfertigen wollen, werden wir uns dieser Lüge und einem derartigen Geschichtsrevisionismus entschieden entgegenstellen.
Insbesondere in einer Zeit, in der die AfD weiter im Vormarsch ist, der Vize-Ministerpräsident unseres Bundeslandes ungehindert sein Amt trotz seiner antisemitischen Vergangenheit behält und in der die Ampel ihre „Abschiebe Euphorie“ verdeutlicht, lassen wir uns von derartigen Kräften in keinster Weise belehren. Die gesellschaftliche Situation stellt sich national wie global zunehmend widersprüchlich dar, es kommt zu einer zunehmenden Polarisierung. Auf der einen Seite sehen wir mit den Wahlsiegen von Rechten wie Milei in Argentinien und Wilders in den Niederlanden eine weitere Rechtsverschiebung im politischen Überbau. Gleichzeitig erkennen wir aber eine Gegentendenz im direkten Widerspruch dazu, die ihren fortschrittlichsten Ausdruck in den internationalen, anti-kolonialen Mobilisierungen an Unis, Schulen und auf der Straße sowie in den Blockaden durch die Arbeiter:innenklasse von Waffenlieferungen an den Häfen in England, Spanien, Belgien und Italien finden.
Wir sagen:„Als Studierende und Arbeiter:innen der Universitäten und Hochschulen organisieren wir uns für die Befreiung Palästinas. Wir gründen ein Komitee, das sich gegen alle Formen von Ausbeutung und Unterdrückung ausspricht.“
Diesem Ziel orientiert stellen wir uns der akutesten Lage entgegen, die derzeit in Gaza sichtbar ist und stellen folgenden Programm auf:
- Stoppt den Genozid in Gaza!
- Das Ende der Besatzung und Siedlung in Palästina
- Verurteilung aller Kriegsverbrechen!
- Stoppt bei militärischer Forschung die Zusammenarbeit mit israelischen Unis!
- Stoppt den Bruch demokratischer Rechte und die Repression pro-palästinensischer Stimmen!
- Keine Abschiebungen wegen politischem Aktivismus!
Dieses Programm stellt somit auf mehreren Ebenen Forderungen auf, von allgemeinpolitischen Forderungen, die weltweit zu hören sind, bis hin zu konkreten Forderungen an unsere Unileitungen. Dieses Programm ermöglicht Antworten auf dringende Probleme, die die gegenwärtige Lage in Deutschland durchdringen, sei es die Normalisierung einer „Rückführungsoffensive“ oder die Aushebelung demokratischer Rechte, wie wir es auch seit über einem Jahr gegenüber der Klimabewegung gesehen haben, die nicht zuletzt besonders durch die Hetze gegen Greta Thunberg aufgrund ihrer pro-palästinensischen Position und der „Letzten Generation“, die nun in Bayern als „kriminelle Vereinigung“ eingestuft wird, ihren Ausdruck erhält.
Verbindung zu Kämpfen: Streikbewegung und Tag gegen Gewalt an Frauen
Das seit weniger als zwei Wochen existierender Unikomitee richtet sein Blick auf das Phänomen des palästinensischen Kampfes allerdings mit der Komplexität, die dieser Kampf verdient und nicht zuletzt aufgrund dessen, dass wir nicht bloße Aktivist:innen sind, sondern junge Erwachsene in einer durch mehrfachen Krisen geplagten Welt leben.
Aus diesem Grund versuchen wir als Unikomitee nicht nur palästinaspezifische Aktionen zu besuchen oder zu organisieren, sondern möchten unsere Forderungen auch an diejenige bringen, die sich in anderen Kämpfen befinden, von denen wir ebenfalls teil sind.
In diesem Sinne waren wir anfang letzter Woche beim Hochschulaktionstag dabei, der im Rahmen der Tarifauseinandersetzungen der Länder stattfand. Wir waren dort nicht bloß als pro-palästinensische Aktivist:innen, sondern als Tutor:innen, studentische Beschäftigte oder Dozierende aus dem Mittelbau, die seit jeher den Druck der akademischen Prekarität erfahren. Als studentische Beschäftigte waren wir zudem im Streik, da wir uns bundesweit im Kampf für einen studentischen Tarifvertrag befinden. Jedoch wäre es für unseren eigenen wissenschaftlichen Anspruch eine Schande, würden wir in der aktuellen Situation in der wir den Beschuss auf Universitäten in Gaza sehen, unsere ökonomische von unseren politischen Forderungen trennen. Erneut bestätigte sich dabei vor Ort nicht nur, dass die Polizei auf den Demonstrationen gegen den Genozid Anfang des Monats mit Repression agierte und vor unseren Augen Minderjährige in Gewahrsam nahm. Sie zeigte an diesem Tag auch in Form ihrer „gewerkschaftlichen“ Aktiven der GdP, dass sie alles andere als Kolleg:innen sind: ein GdP Mitglied hat nicht nur versucht uns physisch einzuschüchtern und von der Demo zu verweisen, ihr Vertreter hat auch in seiner Rede nach unten getreten, indem er gegen Bürgergeldbezieher:innen hetzte.
Das Streikmittel, zu dem wir gegenwärtig nur instrumentell aufgerufen werden und in beschämenderweise an unserem eigenen Tag in die hinteren Reihen gedrängt werden, beginnt in anderen Ländern ein starkes Mittel in der pro-palästinensischen Solidarität zu werden. Nicht nur wurde dies im Zusammenhang mit Blockaden von Waffenlieferungen sichtbar, wie in Kent, England oder in Belgien, die einen unmittelbaren Einfluss auf Kriegsgeschehnisse haben kann. Schüler:innen in Melbourne, Sydney und Studierende im spanischen Staat haben ebenfalls die Lehrräume verlassen und sind auf die Straße gegangen.
Nicht zuletzt muss auch erwähnt werden, dass das Unikomitee für Palästina am 25. November am Tag gegen Gewalt an Frauen auf der Straße präsent war. Gemeinsam mit Palästina Spricht, Klasse Gegen Klasse und Waffen der Kritik bildeten wir einen Block, der aufzeigte, dass der Kampf gegen Gewalt an Frauen heute als höchste Priorität das Ende des Genozids in Gaza haben sollte. Dazu schrieben wir als Komitee in unserem Aufruf:
Der Kampf für die Befreiung Palästinas ist eng mit dem feministischen Kampf verbunden. Das sieht man unter anderem an Annalena Baerbocks sogenannter „feministischer Außenpolitik“. Während massenhaft Frauen und Kinder von den israelischen Bombardements getötet werden, spricht sie sich weiterhin gegen einen Waffenstillstand aus. Während sie also letztes noch den iranischen Frauen „Jin, Jiyan, Azadi“ (Frauen, Leben, Freiheit) zurief, interessiert sie sich nicht für Frauen und Queers, wenn sie aus Palästina kommen. Gegen solch eine Vorstellung von Feminismus wollen wir auf die Straße gehen, der feministische und der palästinensische Befreiungskampf gehen für uns Hand in Hand und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Für eine feministische Bewegung an der Seite Palästinas!
Um nicht nur auf der Straße aktiv zu sein, werden unsere nächsten Schritte noch stärker an unsere Orte gebunden sein, denn dort können wir als Studierende und Beschäftigte am meisten soziale Macht gegen unsere reaktionären Führungen im studentischen Konvent und in den Hochschulleitungen ausüben. Denn nicht nur die Hochschulleitungen geben einseitige Solidaritätsbekundungen heraus, die den „Konflikt“ ab dem 7. Oktober beginnen lassen, sondern auch die an den Unis aktiven Hochschulgruppen. Ein gemeinsames Statement von dutzenden studentischen Gruppen, das am 11. Oktober erschien, kann hierbei als nationale Einheit innerhalb der Unis verstanden werden. Nicht nur im Bundestag stimmten von Rechts nach Links alle Parteien für eine bedingungslose Solidarität mit dem israelischen Staat, sondern auch die politische Hochschulgruppen, von der Grünen Jugend über die Jusos, die junge liberale, den Ring-Christlich-Demokratischer-Studierender bis hin zur Jungen Union und pro-zionistischen, jüdischen Studierendengruppen liesen keinen Zweifel an ihrer unbedingten Unterstützung des israelischen Staates.
Laut diesen Gruppen soll Israel „jegliche humanitäre, politische und militärische Hilfe“ erhalten, die das Land benötigt, um die Geiseln zu befreien und die „Hamas zu zerschlagen“. In der Stellungnahme wird einseitig auf Iran als Hauptakteur in der Region verwiesen, der sanktioniert gehört und eine wichtige Rolle für die Offensive der Hamas am 07. Oktober gespielt haben soll. Dass die Situation im Gaza-Streifen, der Siedlerkolonialismus und die dauernden Brüche des Völkerrechts bei der Vertreibung und Entrechtung der Palästinenser:innen durch das israelische Militär mit keinem Wort erwähnt werden, zeigt ihre einseitige Blindheit für den Kontext des Konflikts. Wir finden also alte Gegner:innen wie neue Verbündete an unseren Unis vor, und jetzt besteht unsere Aufgabe darin, ihren Rassismus und ihre bedingungslose Solidarität mit Israel zu entlarven, um eine palästinasolidarische Jugendbewegung aufzubauen, die sich mit einem anti-kolonialen, anti-rassistischen, feministischen und internationalistischen Programm ausstattet, um die eigenen Unis, Hochschulen und Schulen wieder zurückzugewinnen.