Was ist da los bei [’solid] Hamburg? Interview mit Katharina Doll

02.01.2017, Lesezeit 7 Min.
1

Seit einem Jahr passieren seltsame Dinge im Hamburger Jugendverband der Linkspartei. Wir haben Katharina Doll interviewt – zu den Folgen des „Hamburger Putsches“, aber auch zur Frage der Regierungsbeteiligung und einer Strategie gegen den Rechtsruck in Deutschland.

Du bist selbst in der SAV und [’solid] Hamburg aktiv. November 2015 „putschte“ ein Sprecher der östlichen Gruppe, Bijan Tavassoli, gegen den bis dahin von der westlichen Gruppe – in der die SAV eine wichtige Rolle spielt – geführten Landessprecher*innenrat. Das war vor einem Jahr. Was ist seitdem passiert?

Zum Putsch 2015 kam es, weil Mitglieder der Sozialistischen Alternative (SAV) zwei Jahre zuvor den völlig entleerten Jugendverband wieder aufgebaut haben. Volle Treffen, Demos, Straßenfeste, Kundgebungen, Blockaden, Infotische, Teilnahmen an Bundes- und Landesparteitagen, Streiks, ein Schulstreik mit 5.000 Teilnehmenden, der Aufbau eines Jugendbündnis mit den Gewerkschaften und vieles mehr haben dazu geführt, dass die Arbeit erfolgreich war und wir jetzt zwei große stabile Basisgruppen in Altona und Barmbek haben. Aber Einzelpersonen aus LINKE und [’solid] stören sich an unserer Arbeit. Ein Mitarbeiter der Fraktion, die Gruppe um Bijan Tavassoli und antideutsche Personen haben zusammen einen Block gebildet. Bei der Mitgliederversammlung 2015 übernahmen sie mit einer größeren Gruppe aus uns unbekannten Menschen die Strukturen. Wie viele von ihnen Mitglieder der Linksjugend waren, konnten wir nie nachvollziehen.

Seitdem sind die Landesstrukturen handlungsunfähig. Der Zugriff auf Gelder wird uns verweigert. Mitgliedern wird bei Kritik mit Unterlassungserklärungen gedroht, Störaktionen werden gegen die eigenen Mitglieder organisiert. Skurril ist, dass manche das begründen, indem sie sagen, die SAV würde mit undemokratischen Methoden arbeiten. Dabei hat es Zustände wie jetzt im Verband zuvor nie gegeben.

Die bürokratischen Methoden beschämen die, die sie anwenden. Sie konzentrieren sich auf Posten, krumme Deals und Ellbogenpolitik. Das drückt nicht aus, was die Mehrheit der aktiven Mitglieder will. Wir sind aktiv, weil wir gemeinsam die Welt ändern wollen. Wir wollen einen Jugendverband, der seine Unabhängigkeit bewahrt. Wir wollen flache Hierarchien, in denen es um politische Mehrheiten geht und nicht darum, wer den besseren Anwalt hat oder zufällig im Vorfeld zu einem Klüngeltreffen zugeladen wurde. Wichtig ist, dass sich diese Grundstimmung bei der nächsten Landesmitgliederversammlung durchsetzt und die Bürokraten den Platz räumen müssen.

Mina Ahadi, Gewerkschaft der Polizei, KenFM, Trump – Namen, die in den letzten Wochen mit Solid Hamburg in Verbindung gebracht werden. Wie geht das?

Wie schon gesagt, ist es eine Clique von Leuten, die durch einen Putsch den Landesverband übernommen haben. Veranstaltungen wie mit der Rassistin Ahadi sind ärgerlich und politisch falsch, aber ich würde ihre Bedeutung auch nicht überhöhen. Sie sind kein Ausdruck von dem, was die Mehrheit im Jugendverband denkt. Jugendlichen, die sich mit uns beschäftigen, erklären wir die Situation in den Landesstrukturen. Die Stimmung auf den Treffen in Barmbek und Altona ist solidarisch und nach vorne gerichtet, Sympathien mit Leuten wie Ahadi gibt es keine, im Gegenteil. Uns begeistert die Aktivität in unseren Basisgruppen und die kämpferische Arbeit unserer Mitglieder unendlich mal mehr als die lächerlichen Konflikte.

Wie bewertest du den Hamburger Rechtsruck vor dem Hintergrund der Gespräche über Rot-Rot-Grün auf Bundesebene und nach dem 90-Prozent-Sieg der Regierungsleute in der Berliner Linkspartei?

Ganz offensichtlich wird in der Partei der Druck stärker, Regierungsbeteiligungen zuzustimmen. Eine „Verbürgerlichung“ von Parteien lässt sich wie schon bei der SPD durchsetzen, indem man Basisstrukturen zusammenstaucht. Natürlich gibt es bürokratische Manöver, die die Aktivität an der Basis zurückdrängen, und es kann sein, dass sie früher oder später die Partei Die LINKE für Aktivistinnen und Aktivisten unbrauchbar machen, wie es in Thüringen oder Sachsen passiert ist.

Aber das alles ist nur eine Seite der Medaille. Die Frage der Bürokratisierung von Parteien wurde nie in Führungsstrukturen entschieden. Was zählt, ist, dass es genug Mitglieder gibt, die sich von unten einer solchen Entwicklung widersetzen und eine kämpferische Praxis haben. Wenn wir uns auf innerparteiliche Konflikte konzentrieren, macht uns das krank und unsere Strukturen sterben ab. Die Leute, die wir erreichen wollen, suchen Strukturen, wo man etwas ändern kann, und nicht welche, wo man nur Anträge schreibt und sich über Bürokraten frustet. Und nur weil ein paar Vögel sich Strukturen zurechtputschen ist das zwar ein Rechtsruck der Führungsstrukturen, aber doch keiner des gesamten Verbandes, wenn man auf die Basis guckt. Und die Basis im Hamburger Landesverband ist in der übergroßen Mehrheit schwer in Ordnung. Nicht nur innerhalb von Solid gibt es harte Auseinandersetzungen.

Der Kampf gegen den Rechtsruck, angeführt von der AfD, ist eine der größten gesellschaftlichen Fragen und befasst die ganze politische Linke. Was sind die wichtigsten Kämpfe gegen rechts in Hamburg und welche Rolle spielt Solid darin?

Hamburg ist eine Stadt mit einer starken Tradition gegen Rechts. Darum konnten Versuche wie der Naziaufmarsch am 12. September 2015 verhindert werden. Dabei hat die Hamburger Linksjugend das Bündnis „Jugend blockt“ mit der SDAJ aufgebaut und bundesweit für einen Jugendblock mobilisiert. Mit fast 20.000 Menschen wurde dann der Platz vor dem Hauptbahnhof blockiert und der Aufmarsch verhindert. Ähnlich erfolglos war der Versuch der AfD, im November durch Hamburg zu demonstrieren. Ein paar AfDler wurden von über 1.000 Hamburgern am Laufen gehindert.

Wir müssen weiter daran arbeiten, dass sich das nicht ändert. Gerade in den Vororten machen Faschisten und AfD fleißig Werbung. Häufig trifft es ärmere Ecken und auch in Hamburg und seinen Vororten sind Polizei und Justiz gerne mal auf dem rechten Auge blind. Deswegen ist entscheidend, dass linke Strukturen, DGB und die Partei Die LINKE Kampagnen zur sozialen Frage organisieren, die breit ausstrahlen, kämpferisch sind und Leute zum aktiv werden auffordern. Nur so wird der Kampf gegen Rechte erfolgreich bleiben.

Gibt es noch etwas, das du unseren Leser*innen mitteilen möchtest?

Allerdings! Das Wichtigste: Im nächsten Jahr ist G20 in Hamburg angekündigt. Leute wie Erdoğan, Putin, Trump und Merkel wollen sich treffen und über ihre Politik diskutieren. Dafür sollen fast 200 Millionen Steuergelder ausgegeben werden. Das ist beispielhaft für die Politik, die sie bei ihrem Treffen besprechen wollen! Überall auf der Welt herrscht Hunger, Armut und Elend. Auch in Hamburg lebt jedes vierte Kind in Armut und die Altersarmut grassiert! Statt sich darum zu scheren, wird weiter unten gekürzt und oben geprasst. Von den G20-Politikern, ihren Regierungen und Konzernen geht auf der ganzen Welt Armut, Rassismus und Krieg aus. Wir sind aktiv, weil wir diese Welt verändern wollen und mit der Diktatur der Banken und Konzerne Schluss machen. Zu G20 wollen wir vor allem Schülerinnen, Schüler und Azubis überzeugen, mit uns für Aktionen und Proteste zu mobilisieren. „Schüler/innen und Azubis gegen G20“ könnt ihr schon auf Facebook finden!

Vielen Dank für das Interview!

Mehr zum Thema