Was ich als Hebamme zum Tag gegen Gewalt an Frauen denke
Am 25. November, dem internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, wird auf vielfältige Formen von Gewalt aufmerksam gemacht. Ich möchte aus der Sicht einer feministischen Hebamme und Mutter einiges dazu sagen.
Am 25.11. war der Tag gegen Gewalt an Frauen. Wie jedes Jahr gibt es zahlreiche Gründe, um an diesem Tag auf die Straßen zu gehen: Kampf gegen Femizide, Vergewaltigungen und häusliche Gewalt sowie für die vollständige Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und Sozialisierung von Care-Arbeit. Wir sind aktuell Zeug:innen des Genozids in Gaza, durch den zehntausende Frauen und Kinder ermordet wurden und werden. Umso schlimmer finde ich die Spaltung innerhalb der Frauenbewegung, die nicht vereint gegen den Genozid vorgeht. Diejenigen, die gegen Morde in Deutschland auf die Straße gehen, aber von dem Genozid in Gaza schweigen, legen eine Doppelmoral an den Tag. Der Kampf gegen Gewalt an Frauen ist international.
Auch wenn der feministische Kampf weitergeht und immer wieder neue Rechte erkämpft werden, erleben wir ebenso viele Rückschläge, die das Leben von Frauen und auch vieler queerer Personen bedrohen, einschränken und Entwicklungen verhindern – oder sogar rückgängig machen. Ganz besonders mit dem weltweiten Rechtsruck, der Militarisierung und den Kürzungen in sozialen Bereichen verschlechtern sich die Lebens- und Selbstbestimmungsbedingungen in Deutschland, aber auch weltweit. Der Druck, sich in die Familie zurückzuziehen, die Ausweitung von Niedriglohnsektoren und die Abschiebungen von Familien, Frauen und Kindern – sogar aus Frauenhäusern, wie wir kürzlich gesehen haben – werden alltägliche, breit erlebte Realitäten.
Der 25.11 ist auch der Tag gegen Gewalt in der Geburtshilfe. Als Hebamme und junge Mutter ist es mir besonders wichtig, dass dieses erst seit wenigen Jahren öffentlich diskutierte Thema nicht nur symbolisch genannt wird in der leider langen Reihe an Gewaltformen, sondern eine besondere Betonung findet.
Laut Statistiken erleben dreißig bis fünfzig Prozent aller Gebärenden ihre Geburt als gewaltvoll. Die Dunkelziffer ist natürlich höher, ebenso zu beachten ist, dass nicht selten auch Begleitpersonen traumatisiert werden.
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass ein so einschneidendes Erlebnis wie zu gebären, sich unglaublich tief in das Gehirn eingräbt. Wie man sich dabei gefühlt hat, im Positiven oder im Negativen, lässt einen nie wieder los. Unfreundlichkeit, Angst und Druck gemacht zu bekommen, gar nicht oder nicht ausreichend informiert zu werden, grob angefasst werden, können lebenslange Narben, nicht selten schwere Traumata hinterlassen. Noch schlimmere Folgen können unnötige Interventionen, Vernachlässigung und das falsche Durchführen von Manövern hinterlassen. Die höchste Stufe von Gewalt in der Geburtshilfe ist der Tod. In Gaza sehen wir, wie durch einen imperialistischen Krieg unzählige Frauen ohne Hilfe gebären und sogar Kaiserschnitte ohne Betäubungen erleben. Die Ursache für diese Gewalt ist ein imperialistischer Krieg. In den USA sind besonders die Zahlen besonders schwarzer Frauen, die aufgrund ihrer Geburt sterben, erschreckend hoch – die Ursache ist ein tief verinnerlichter Rassismus.
Gewalt in der Geburtshilfe ist ein Resultat der Klassengesellschaft und ihren Machtmechanismen.
Wie kommt es denn zur Gewalt in der Geburtshilfe? Ich würde sagen, dass es an den patriarchalen Strukturen der Gesellschaft liegt, die jahrhundertelang angehäuft und verinnerlicht wurden.
Es ist deshalb nicht ,,natürlich” oder ,,unvermeidbar” gewaltvoll zu arbeiten – aber die materiellen Bedingungen, in denen wir leben, lassen es halt zu, dass ein großer Teil Geburtshelfer:innen regelmäßig Gewalt anwendet. Die Grenzen verschwimmen bei genauerem Hinsehen zwischen individueller Schuld und den Gegebenheiten des Gesundheitssystems: Personalmangel, Einsparungen, Konkurrenzdruck unter Ärzt:innen, Überarbeitung, nicht aufgearbeitete Traumata, häufig keine Lösung für Sprachbarrieren im Klinikalltag, ständige Rechtsfälle und zu wenig Zeit für die individuellen Beratungen führen dazu, dass Personal zu gewaltvollen Methoden greift. Wenn das zur Normalität wird, man sich gegenseitig die Notwendigkeit oder Unvermeidbarkeit bestätigt und damit Patient:innen Stück für Stück die Selbstbestimmung abspricht, kommt es schnell dazu, dass es gar nicht um Extremfälle oder besonders herausfordernde Geburtsverläufe geht, bei denen Gewalt angewandt wurde, sondern schon im Klinikalltag.
Am Roses Revolution Day, als dem Tag gegen Gewalt in der Geburtshilfe, legen seit einigen Jahren bundesweite viele Betroffene Rosen vor den Kreißsälen ab, wo sie Gewalt erfahren haben und/oder schreiben Briefe, teilweise werden diese veröffentlicht. Das hat auf jeden Fall zu einem anderen Bewusstsein dieser Thematik geführt und auch in den neuen Hebammenstudiengängen wird darüber viel mehr gesprochen. Eine definitiv positive und wichtige Entwicklung und Ergebnis vieler vorangegangener Kämpfe für Selbstbestimmung über den eigenen Körper.
Dennoch denke ich, dass es nicht genug ist, auf awareness zu setzen und zu hoffen, dass bald alle Menschen, die in der Geburtshilfe arbeiten, genug davon mitbekommen, um sich selbst so tief zu reflektieren, dass sie keine Gewalt mehr anwenden.
Wichtige Veränderungen, die wirklich etwas gegen Gewalt in der Geburtshilfe ( + Schwangerschaft und Wochenbett) ändern können:
Diese Forderung ist im ganzen Sektor relevant, damit mehr Personal überhaupt in den Kliniken bleibt und der Druck abnimmt
Das Gesundheitssystem ist nicht losgelöst vom Rest der Gesellschaft. Große Veränderungen erfordern große Kämpfe und hier haben wir es mit jahrhundertealtem Ballast zu tun. Wir können nicht gegen Gewalt in der Geburtshilfe kämpfen, ohne gegen Gewalt gegen Frauen insgesamt zu kämpfen. Eine feministische Bewegung darf deshalb nicht an den Betrieben vorbei organisiert werden. Es braucht Selbstorganisierung innerhalb und außerhalb von Krankenhäusern, um Kämpfe zu führen, die tatsächlich Strukturen ändern.
Wir können nur gesunde und starke Eltern für unsere Kinder sein, wenn wir auf diese riesige Aufgabe vorbereitet sind. Sowohl unser Körper, als auch unser Geist machen eine riesige Transformation durch – dafür brauchen wir Kraft und Unterstützung von außen.