Was geht in Österreich?

11.01.2025, Lesezeit 9 Min.
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Foto: Valentin Radev, bulgarischer Innenminister (links), Herbert Kickl, FPÖ-Chef (rechts) / Kiril Konstantinov (EU2018BG)

Nach gescheiterten Koalitionsverhandlungen in Österreich hat der Bundespräsident Alexander Van der Bellen der FPÖ den Auftrag zur Regierungsbildung übergeben, um drohende Neuwahlen zu verhindern. Die Brandmauer ist gescheitert. 

Zum ersten Mal in der Geschichte der extrem rechten FPÖ wurde sie mit 28,9 Prozent der Stimmen in der Nationalratswahl im September letzten Jahres stärkste Kraft. Im Vergleich zu den letzten Nationalratswahlen im Jahr 2019 verzeichneten sie eine Zunahme an Stimmen von fast 13 Prozent. Dicht dahinter landete die christdemokratisch-konservatione ÖVP, ehemalige Partei des korrupten Sebastian Kurz, auf 26,3 Prozent, die jedoch einen Verlust von 11 Prozent einbüßen musste. 

Die sozialdemokratische SPÖ zog gleichbleibend mit 21 Prozent in den Nationalrat, gefolgt von der liberalen NEOS mit rund 9 Prozent und den Grünen mit 8 Prozent, die einen Einbruch von knapp 6 Prozent verzeichneten. Nicht in den Nationalrat geschafft, aber zu einer relevanteren Partei herangewachsen ist die KPÖ mit 2,4 Prozent der Stimmen, womit die Prozenthürde von vier Prozent nicht erreicht wurde. 

Die herben Stimmenverluste von Seiten der ÖVP und der Grünen bedeuten, dass sie zusammen keine Mehrheit mehr gründen können und ihre Regierungskoalition der letzten Wahlperiode damit zu Ende geht. Doch wer wird die neue Koalition in Österreich bilden? Nach drei Monaten gescheiterter Koalitionsverhandlungen zwischen der ÖVP, der SPÖ und der NEOS, hat der Bundespräsident als letzte Möglichkeit zur Verhinderung von Neuwahlen den Auftrag zur Regierungsbildung an die rechte FPÖ gegeben. Sie soll einen Zusammenschluss mit der ÖVP diskutieren. Das Gespräch zwischen Van der Bellen und Kickl wurde begleitet von Protesten, die sich gegen den sich immer mehr verschärfenden Rechtsruck stellten. Bei gelungenen Verhandlungen würde Österreich das erste Mal unter einem Kanzler der FPÖ regiert werden. 

Doch wie kam es dazu? 

Noch kurz nach der Wahl schlossen alle neu gewählten Parteien eine Koalitionsbildung mit der FPÖ aus. Damals machte die ÖVP ihre Bereitschaft zum Zusammenschluss noch davon abhängig, dass der bisherige FPÖ-Chef Herbert Kickl zurücktritt. Eine mögliche Koalition hätte sich aus der ÖVP und der SPÖ bilden können, optional noch mit einer dritten Partei, ob mit der NEOS oder den Grünen.

Die vorherigen Verhandlungsgespräche sind zusammengebrochen und damit die Idee einer Brandmauer gegen Kinkl und die FPÖ. So nahmen die ÖVP und SPÖ ihre Koalitionsverhandlungen mit der NEOS auf, die die Gespräche jedoch nach rund sechs Wochen als erste abbrach. Nur zwei Tage später brach auch die ÖVP die Verhandlungen ab. Doch woran scheiterten die Verhandlungen, die bis wenige Tage vorher einen Optimismus ausgestrahlt haben, dass sie die eisenfeste Brandmauer seien? 

Die wirtschaftsliberalen NEOS forderten Einsparungen bei den Pensionen und lehnten das Aufnehmen von neuen Steuern ab und auch die ÖVP lehnte die von der SPÖ geplanten Zugeständnisse im Sozialbereich ab. Karl Nehammer nannte das Programm der SPÖ „wirtschaftsfeindlich, leistungsfeindlich und wettbewerbsfeindlich”. Anstatt mit der Drei-Parteien-Koalition das geringere Übel zur FPÖ darzustellen, wählten sie die FPÖ als ihr geringeres Übel, wie Magdalena Berger im Magazin Jacobin festhielt. Weitergehend sagt Berger richtigerweise, dass der ÖVP mehr an der Vertretung der Interesse des Großkapitals lag, als an ihrem eigenen Machtanspruch. Denn unter einer Koalition mit der FPÖ verzichtet sie auf einen von ihnen gestellten Kanzler.

Doch die SPÖ war auch dazu bereit, ihre wichtigsten Wahlkampfpunkte aufzugeben, um die Brandmauer aufrechtzuerhalten. So hätte sie sogar die Forderungen nach der Arbeitszeitverkürzung und der Besteuerung von Erbschaft und Vermögen aufgegeben. Sich so selbst zu verraten, nur um eine relevante Partei in der Regierung zu bleiben, beweist nur, dass selbst das Verständnis der Brandmauer nur ein Vorwand ist, um die eigene Macht aufrechterhalten zu können. 

Zeitgleich mit dem Rückzug aus den Verhandlungen der ÖVP verkündete ihr Spitzenkandidat und Kanzler der alten Regierung Karl Nehammer seinen Rücktritt aus beiden Ämtern über X. Er hat sich stets gegen eine Koalition mit der FPÖ ausgesprochen, mit seinem Rücktritt und dem neuen Nachfolger Christian Stocker öffnete sich die Partei für die Verhandlungen mit der FPÖ. 

Was bringt die Zukunft? 

Es wäre nicht die erste Koalition von FPÖ und ÖVP. Bereits zwischen 2000 und 2005, sowie erneut von 2017 bis 2019 bildeten die ÖVP und die FPÖ eine Koalition. Letztere gründete sich unter Sebastian Kurz als Bundeskanzler und wurde wegen seiner Verwicklung im sogenannten „Ibiza-Skandal“ aufgelöst. Auch die SPÖ hat sich sowohl auf kommunaler als auch auf Landesebene mehrfach mit der FPÖ in eine Koalition eingelassen – auch wenn das einige Zeit zurückliegt. Die Behauptung, dass die Brandmauer nun gefallen sei, ist folglich falsch. Auch regiert die FPÖ bereits in fünf Landesregierungen, in Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Kärnten. 

Nun braucht es aber ein Regierungsprogramm, was sich in der veränderten Weltlage und der härteren Konfrontation zwischen den Großmächten schwieriger gestalten könnte. Während beide Parteien einen harten Migrationskurs, konservative Familienpolitik und eine wirtschaftsliberale Ausrichtung mit geplanten Steuersenkungen für Unternehmen verfolgen, gehen ihre Auffassungen in der Außen- und Sicherheitspolitik jedoch weit auseinander. 

Auch wenn beide Parteien eine restriktive Zuwanderungspolitik verfolgen, haben sie sehr unterschiedliche Vorstellungen über deren Umsetzung. So lehnt die FPÖ den Asyl- und Migrationspakt der EU ab und hat auch angekündigt, aus allen anderen internationalen Abkommen aussteigen zu wollen, wozu beispielsweise die WHO und auch der Internationale Gerichtshof (IGH) zählen. Die ÖVP hingegen vertritt mit Magnus Brunner, dem EU-Kommissar für Inneres und Migration, den Pakt. Auch vertritt die FPÖ einen russlandfreundlichen Kurs und stellt sich gegen die Sanktionen wie auch gegen die Hilfen an die Ukraine.

Doch ob die Koalitionsregierung zustande kommt oder nicht, die Bevölkerung Österreichs kann sich in der kommenden Periode auf einen Umbau zum Vorteil der Bosse und des Kapitals gefasst machen. Es wird eine Regierung der Kürzungen im sozialen Bereich und von Angriffen auf Arbeiter:innen, Frauen, migrantische und queere Menschen sein. Auch wird das Hoffen auf einen neuen Skandal der Regierung wohl kaum den Rechtsruck stoppen.

Gibt es noch eine Aussicht gegen die FPÖ?

Während die Verhandlungen laufen, baut sich ein breiter Protest dagegen auf, der an die in Deutschland stattfindenden Demos gegen Rechts im vergangenen Winter erinnert. Die Parteien die Grüne, NEOS, SPÖ und weitere riefen zu den Demonstrationen auf, so wie es auch in Deutschland der Fall gewesen ist. Man müsse ja die Demokratie schützen. Jene Vorstellung einer Demokratie, die der Präsident an die extreme Rechte verschenkt hat und die von Parteien wie der ÖVP nur hätte aufrechterhalten werden können, wenn sie auch ihr letztes Rückgrat gebrochen und den rechtspopulistischen Diskurs der FPÖ noch stärker übernommen hätten.

Viele sehen eine kleine, aber existierende Hoffnung in der KPÖ. Mit ihren aktuell 2,4 als relativ neue Partei haben sie zwar bereits reell gesehen keine Chancen gegen die FPÖ, auch nicht im bürgerlich-demokratischen Rahmen von Bundestagswahlen. Aber sie haben auch inhaltlich gar nichts zu bieten, was der FPÖ die Basis nehmen könnte. Ihr Programm beschränkt sich auf Minimalforderungen, die weder große Verbesserungen für die Arbeiter:innen, Jugendlichen, Obdachlosen, Kranken und behinderten Menschen bringen würden, noch sich überhaupt an den Problemen des Rechtsrucks orientieren.

Die KPÖ nennt sich zwar kommunistisch, hebt sich aber nicht groß von der Linkspartei in Deutschland ab. Ihre Forderungen nach Reformen verringert das Kampfpotential der Arbeiter:innen, in dem sie ihnen Hoffnung macht, sie könnten durch diese Reformen ein besseres Leben führen. Doch klar ist: Die FPÖ ist nun mit aller Wahrscheinlichkeit die führende Regierungspartei. Diesem Fakt hat die KPÖ genauso wenig entgegenzubringen wie die anderen etablierten Parteien.

Parlament als Bühne für eine klassenkämpferische Perspektive

Was Österreich aber wirklich braucht, ist dasselbe, was auch Deutschland braucht, um der Gefahr der AfD als führende Regierungspartei entgegenzutreten: Einen Kampf von unten. Nicht die reichen Politiker:innen, die sich eine goldene Nase an Diäten und millionenschwere Spenden von Großparteien verdienen, werden unser aller Leben verbessern. Das können nur diejenigen, die tagtäglich unter diesen Regentschaften, unter dieser Politik leiden.

Es sind die Arbeiter:innen, die morgens bis abends in Fabriken schuften, die die Kraft haben, diese Fabriken lahmzulegen. Und jede lahmgelegte Fabrik ist eine realistische Gefahr, ein tatsächliches Druckmittel gegen die Politik der Reichen und Rechten. Die Studierenden, die ihre Universitäten besetzen und sich in selbstorganisierten Vollversammlungen über Lösungen und Strategien austauschen, wie sie den Rechten entgegentreten können, sind die tatsächlich notwendigen Menschen, um für ein besseres Leben kämpfen zu können.

Lasst uns nicht auf bürgerliche Parteien vertrauen. Heute ist es wichtiger denn je, das Parlament nicht als Regierungsort zu sehen, sondern als Bühne, um revolutionäre Ideen, um klassenkämpferische Politik an die breite Mehrheit tragen zu können, die wirkliche Veränderungen selbst in der Hand haben. Deshalb treten wir in Deutschland mit drei Direktkandidaturen in Berlin und München zu den Bundestagswahlen an, um sowohl für Deutschland, als auch für Österreich, ein Beispiel aufzuzeigen, wie das Parlament genutzt werden muss, um die Massen wirklich zu erreichen und nicht ihren Kampfeswillen mit leeren Versprechen zu dämpfen, sondern ihn stattdessen sogar mit kämpferischen Perspektiven befeuern.

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