Warum wir zum ungültig wählen aufrufen

08.06.2024, Lesezeit 6 Min.
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Immer wieder fordern wir vor Wahlen, für keine der etablierten Parteien zu stimmen, sondern ungültig zu wählen. Gerade jetzt, wenn es scheinbar um so viel geht, möchten wir unsere Positionierung noch einmal erklären und für das ungültig wählen plädieren. Aktuelles Beispiel bietet hier die Europawahl.

Der Kurs der Medien, Gewerkschaftsführungen und gesellschaftlichen Institutionen ist klar: Wählen gegen die AfD. Alle Hoffnung besteht darin, dass mit Stimmen an die CDU, die Ampelparteien sowie Linkspartei und BSW der Rechtsruck gestoppt werden kann und das europäische Parlament “demokratisch” bleibt. Die Sorge ist, dass die extreme Rechte innerhalb des Europäischen Parlaments die Oberhand gewinnt und die EU zu einem Werkzeug des Autoritarismus umbaut. Doch wie bereits in einem früheren Artikel ausgeführt: Ein Hort der Demokratie, der Menschenrechte und des Friedens ist die EU nicht. Und zwar nicht allein oder hauptsächlich wegen der extremen Rechten von AfD und Co., sondern gerade wegen der Politik der Parteien der „extremen Mitte“.

In besagtem Artikel beschäftigen wir uns näher damit, in welchen Krisen die EU aktuell steckt, warum die Parteien nicht im Interesse von uns Arbeiter:innen agieren und warum auch vermeintliche Oppositionsparteien für uns keine Alternative darstellen. Kurz zusammengefasst: Keine der aktuell in Deutschland antretenden Parteien stellt sich gegen ein Europa des Kapitals und fordert eine echte Alternative für ein Europa der Arbeiter:innen.
Auch die aktuell in linken Kreisen vielfach gelobte und als „echte Opposition“ gesehene Partei „Mera25“ bietet keine antikapitalistische Alternative, sondern möchte die bestehenden Veträge und Institutionen der EU in ein sozialeres Europa reformieren. Ebenso sehen wir auch in Parteien wie der DKP oder MLPD keine Wahlmöglichkeit, da diese in der Tradition von stalinistischen und eurokommunistischen Parteien stehen, die in der Arbeiter:innenklasse nicht das Subjekt der eigenen Befreiung sehen, sondern von oben in bürokratischer Weise sozialdemokratische Minimalforderungen umsetzen wollen, ohne Perspektive auf Beseitigung der bestehenden Ordnung.

Da wir aktuell keine Alternative haben, eine Partei zu wählen, die sozialistische Perspektiven vertritt und sich für ein Europa der Arbeiter:innen einsetzt, wählen wir als Revolutionär:innen ungültig und rufen alle Schüler:innen, Student:innen und Arbeiter:innen dazu auf, es uns gleich zu tun.

Das bedeutet aber auch, dass wir unersättlich daran arbeiten müssen, eine solche Perspektive aufzubauen. Und genau das tun wir aktuell. Auch in Deutschland wollen wir gerade Kräfte für eine konsequente antikapitalistische und internationalistische Alternative, unabhängig von den reformistischen Bürokratien und Parteien, sammeln, um spätestens zu den Bundestagswahlen im nächsten Jahr eine sozialistische Wahlfront aufzubauen.

Was für ein Programm eine solche Formation bei den Europawahlen aufstellen würde, können wir beispielhaft an der Kandidatur unserer spanischen Schwesterorganisation CRT ablesen, die mit einem antikapitalistischen und sozialistischen Programm gegen den Genozid in Palästina, gegen Krieg und gegen die Festung Europa zu den Europawahlen zugelassen wurden oder auch bei unserer argentinischen Schwesterorganisation, der Partei Sozialistischer Arbeiter:innen (PTS) als Teil der Front der Linken und der Arbeiter:innen (FIT-U) in Argentinien, die eine wichtige Rolle in den aktuellen Klassenkämpfen gegen die ultrarechte Regierung von Javier Milei spielen. Entgegen jeder Anpassung an die Politik der bürokratischen Apparate des Peronismus steht die PTS für den Aufbau klassenkämpferischer und antibürokratischer Gruppierungen in der Arbeiter:innenklasse. Zugleich kann die FIT-U bei Wahlen hunderttausende Stimmen mit einem Programm des Sturzes des Kapitalismus und des Aufbaus einer Arbeiter:innenregierung erreichen.
Eine solche Kraft existiert in Europa noch nicht. Jedoch sind wir fest davon überzeugt, dass es sich lohnt, für ihren Aufbau zu kämpfen.

„Ungültig wählen spielt den Rechten in die Hände“?

Doch spielt es den Rechten jetzt wirklich in die Hände, wenn wir ungültig wählen? Der Rechtsruck stoppt nicht bei der AfD oder der CDU. Gerade in Deutschland können wir gut beobachten, wie rechte Politik wieder salonfähig wird und das über die bunte Parteienpalette hinweg. Während sich das ganze Land über das rassistische Video von Sylt echauffiert hat, macht die vermeintlich progressive Bundesregierung Aussagen, wie “Wir müssen endlich im großen Stil abschieben” (Olaf Scholz, im Oktober 2023 auf dem Spiegel-Cover), wieder salonfähig und kriminalisiert Proteste gegen die Unterstützung des Genozids in Gaza. Gleichzeitig werden in Deutschland Milliarden Euro in die Militarisierung des Landes gesteckt, während wir gesagt bekommen, dass für die Bereiche Soziales, Bildung und Gesundheit kein Geld da ist. Sind das wirklich die Parteien, für die wir wählen sollten, nur um die AfD zu verhindern?

Allein diese Beispiele zeigen, dass die Wahlen den Aufstieg der Rechten nicht verhindern. Der Rechtsruck ist längst in allen etablierten Parteien angekommen und wird in der Realpolitik umgesetzt. Bei den Ampelparteien steht rassistische Migrationspolitik, die Militarisierung des Landes und Kürzungen im Sozialbereich auf dem alltäglichen Plan, die Linkspartei bekennt sich zur EU und möchte sie nur etwas „sozialer“ gestalten und die CDU und das BSW rufen in das gleiche rassistische Sprachhorn für weniger Migration.

Nur indem wir ungültig wählen, können wir unseren Missmut aktuell zum Ausdruck bringen und zeigen, dass wir uns von diesen Parteien nicht vertreten fühlen.
Nur indem wir ungültig wählen, können wir uns aktuell gegen das Europa des Kapitals stellen, dass auch Linkspartei und BSW gern mitverwalten wollen.
Nur indem wir ungültig wählen, können wir bewirken, dass die Legitimation der Wahlergebnisse und die Inszenierung der Parteien als legitimierte Vertreter:innen von uns Arbeiter:innen ins Schwanken gerät.

Die einzige Alternative gegen ihre rechte Politik und das immer salonfähiger werden rechter Forderungen ist die Organisierung von uns Arbeiter:innen gemeinsam mit Student:innen und Schüler:innen. Gemeinsam müssen wir in unseren Betrieben, unseren Gewerkschaften und unseren Universitäten und Schulen gegen die Politik im Interesse des Kapitals und für eine Politik im Interesse von uns Ausgebeuteten kämpfen. Durch Druck auf unsere Gewerkschaftsführungen, den Kampf um antibürokratische Strömungen innerhalb der Gewerkschaften und Streiks in Schule, Uni und Betrieb können wir unsere Forderungen durchsetzen. Wir haben die Kraft, dass Land lahmzulegen und zu kämpfen, wie beispielsweise unsere Genoss:innen in Argentinien.

Gleichzeitig fordern wir alle Interessierten dazu auf, mit uns gemeinsam über den Aufbau einer revolutionären Alternative zu diskutieren, die mit hunderten Aktivist:innen Tausende von der Notwendigkeit einer revolutionären Organisierung überzeugt, um Hunderttausende zu mobilisieren, sodass wir eine gemeinsame Wahlfront 2025 bilden können.

Kommt zu unserem Sommercamp im August in Nordhessen oder kontaktiert uns unter info@klassegegenklasse.org, um euch dieser Diskussion anzuschließen.

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