Warum wir uns vom 9-Euro-Ticket nicht abspeisen lassen sollten
Die Regierung kauft mit sozialen Entlastungsmaßnahmen den sozialen Frieden, während die Inflation steigt und die Aufrüstung voranschreitet.
Die Entlastungsmaßnahmen der Bundesregierung stellen für viele Menschen eine Verschnaufpause dar und heben die Stimmung zugunsten der Bundesregierung leicht an. In starkem Kontrast dazu steht die beschlossene Aufrüstung und das Sondervermögen der Bundeswehr, wie im aggressiven Kurs gegenüber Russland. Wenn wir für unsere Zukunft kämpfen, müssen wir beides betrachten und dürfen jetzt nicht auf die Augenwischerei der Regierung hereinfallen.
Probleme wie die bestehende Altersarmut, Arbeitslosigkeit und ein wachsender Niedriglohnsektor sind für viele sehr real und wurden in den letzten Jahren durch die Pandemie verschärft. Dazu kommt nun die steigende Inflation und zusätzliche Preissteigerungen durch den Krieg in der Ukraine, namentlich durch den Stopp von Öl- und Gasexporten aus Russland.
Das von der Regierung beschlossene Entlastungspaket soll Abhilfe schaffen und nimmt durch den vergünstigten Zugang zum öffentlichen Nahverkehr oder der Subventionierung von Kraftstoffen einigen etwas von dem steigenden Druck der letzten Monate. So ist das 9-Euro-Ticket für Geringverdiener:innen eine Möglichkeit, nicht bei jeder Fahrt 3–5 Euro bei dem örtlichen Verkehrsunternehmen lassen zu müssen. In zum Beispiel der Hauptstadt sparen sie so im Vergleich zum Monatsticket knapp 80 Euro, welche sie zum Bezahlen der Lebenshaltungskosten zur Verfügung haben. Auch Autofahrer:innen sparen so 15 Cent bei Benzin und 30 Cent pro 100 km für Diesel an staatlichen Abgaben ein, bei einem durchschnittlichen Arbeitsweg für Deutschland von 17 km sind das immerhin 15 Euro pro Monat, die man für Sprit einspart. Man könnte meinen, diese 7 bzw. 15 Prozentige Einsparung wären ein indirekter Inflationsausgleich.
Doch im Detail und in der Perspektive sind die Maßnahmen „anders“ effektiv und sorgen nicht für die erhoffte Entlastung oder gar einen sozialen Ausgleich. Das 9-Euro-Ticket gilt nur bis August und jetzt schon kündigt der Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) an, dass die Preise für den ÖPNV dann weiter steigen werden. Außerdem forderten manche Jobcenter von Hartz-IV-Empfänger:innen von schon bezahlten Nahverkehrstickets die Differenzbeträge zurück.
Darüber bewirkt diese dreimonatige Vergünstigung auch keine Taktverdichtung der Züge, schon jetzt sind die Nachrichten voll mit Berichten von vollen Zügen und massiven Verspätungen durch ein sehr hohes Fahrgastaufkommen, vor allem während der Feiertage. Auch wenn die Maßnahme angeblich die Nutzung des ÖPNV schmackhaft machen soll, ist ein Ausbau dessen, gerade in ländlichen Gebieten, kaum in Sicht, für viele bleibt das Auto die einzige Mobilitätslösung.
Durch die Absenkung der Abgaben auf Kraftstoffe profitieren gerade diese Regionen kaum. Wer damit sehr wohl Reibach macht, sind die Mineralölkonzerne, die die Steuererleichterungen nicht zwingend an Verbraucher:innen weitergeben müssen. Es ist also eher eine Riesengeschenk für die Konzerne, statt eine Entlastung für Verbraucher:innen. Genau diese Konzerne stopfen sich jedoch schon seit Beginn des Kriegs in der Ukraine die Taschen voll: Während die Benzinpreise massiv stiegen, blieben die Rohölpreise bei Weitem stabiler.
Auch die von der SPD im Wahlkampf oft angepriesene Erhöhung des Mindestlohns wird für viele Menschen im Niedriglohnsektor keine Erleichterung bedeuten. Die weiteren Preissteigerungen, vor allem bei den Mieten und Lebensmitteln, heißt auch bei höherem Mindestlohn keine Verbesserung ihres Lebensstandards, sondern maximal für den Erhalt ihres Lebensminimums sorgen.
Während das 9€-Ticket und die Spritpreisbremse – und angesichts stetig steigender Preise auch die Anhebung des Mindestlohns – temporäre Maßnahmen sind, so ist die Erhöhung des Etats des Verteidigungsministeriums permanent. Auch die Neuverschuldung für die 100 Mrd. Sondervermögen, wird uns durch Zinszahlungen deutlich länger begleiten, als der günstigere ÖPNV. Da durch das Sondervermögen nur der Grundstein für die „Zeitenwende“ gelegt worden ist, sind weitere Erhöhungen durchaus nicht auszuschließen, da auch die Anpassung des Nato-Budgets der BRD weitere Milliarden kosten wird. Die Regierung will mit den sozialpolitischen Maßnahmen den Anschein des Fortschritts für alle wahren und speist damit die von der Inflation und Teuerung betroffene Bevölkerung ab.
Das Fortschrittsprogramm der Regierung hat also nur kurzfristige Antworten auf einige wenige Probleme und schafft über die Militarisierung gleich neue. Die tatsächliche Bedrohung, mit der wir uns konfrontiert sehen, die Klimakrise, wird sich nicht durch Panzer aufhalten lassen können, sie wird dadurch tatsächlich eher noch schlimmer werden. Auch die soziale Schere wird vor atomar bewaffneten Kampfflugzeugen nicht erzittern und sich schließen, sie wird sich durch die Inflation und den Krieg weiter öffnen. Während in der Pandemie dem Pflegepersonal und den Schulen stets erzählt wurde, es sei kein Geld für Schutzausrüstung da, wird jetzt Schutzausrüstung für eine Truppe latent Rechter Gewalttäter besorgt.
Durch die Zeitenwende muss dieses Geld natürlich auch irgendwo herkommen. Wir werden wie immer für die Krisen bezahlen. Bereits jetzt plant beispielsweise der Berliner Senat eine Kürzung des Bildungshaushalts von 153 Millionen Euro, obwohl die Bildung bereits seit Jahren unzureichend ausgestattet ist und es einen latenten Lehrer:innenmangel gibt. In den kommenden Jahren ist durch die fortschreitende Zeitenwende mit weitreichenden Angriffen auf Sozialsysteme zu rechnen. Wenn jetzt schon vom „Frieren für den Frieden“ erzählt wird, wird in den kommenden Jahren die außenpolitische Situation immer wieder zur Legitimation für Repression werden, wenn der Sozialhaushalt weiter eingekürzt wird, die Inflation unsere Lebensqualität weiter auffrisst, Arbeitskämpfe beschwichtigt werden oder politische Kämpfe, wie der palästinensischen Bewegung, repressiv niedergeschlagen werden. Zeitwende heißt für uns, dass wir die geopolitischen Ambitionen Deutschlands bezahlen werden. Dieses Interesse fokussiert sich immer mehr auf einen Führungsanspruch im internationalen Wettbewerb der Großmächte, die innere und äußere Militarisierung soll diesen nur verfestigen.
Wir haben doch nichts zu gewinnen, wenn Deutschland zur drittstärksten Militärmacht aufsteigt. Und uns reicht auch kein dreimonatiges 9-Euro-Ticket. Wir kämpfen für Geld für Klima und Soziales statt Aufrüstung. Es braucht jetzt einen kostenlosen, massiv ausgebauten ÖPNV für alle, um einen Schritt gegen die Klimakrise zu gehen und allen, unabhängig vom Einkommen, Mobilität zu gewähren.