Warum werden LGBTI* in Tschetschenien verfolgt?
Anfang April berichtete die russische Zeitung „Novaja Gaseta“ über eine Massenverschleppung von LGBTI* in der russischen Teilrepublik Tschetschenien. Was steckt dahinter?
Im Bild: Tschetscheniens Präsident Ramsan Kadyrow
Spätestens seit Perestroika und Glasnost ist Tschetschenien instabil. Im Zuge des Zusammenbruchs der Sowjetunion versuchte Tschetschenien die Unabhängigkeit zu erreichen – gegen den Willen der russischen Regierung. Schließlich erklärte das Land 1993 sein Unabhängigkeit. In dieser Zeit spitzten sich die ethnischen Konflikte zu, was zu einem Massenexodus der nicht-tschetschenischen Bevölkerung führte und den Zusammenbruch der tschetschenischen Wirtschaft verursachte. Russlands Versuche, die Kontrolle über Tschetschenien zu erhalten, gipfelten im ersten Tschetschenienkrieg von 1994 bis 1996. Nach dem Waffenstillstand schaffte es die tschetschenische Regierung nicht, das Land zu befrieden und die Wirtschaft zu stabilisieren. Dadurch verlor das säkular-nationalistische Lager immer mehr Einfluss an radikal-islamistische Kreise. 1999 marschierten islamistische Milizen aus Tschetschenien in die benachbarte russische Teilrepublik Dagestan ein. Dies löste den zweiten Tschetschenienkrieg aus, den Russland nach einem halben Jahr gewann und daraufhin Tschetschenien wieder annektierte.
Die Kadyrows, Putins Bluthunde in Tschetschenien
Zwar hatte Russland den Krieg gewonnen, doch die Islamist*innen führten einen Guerillakrieg weiter, der auf niedrigerem Level bis heute anhält. Um Tschetschenien zu befrieden, setzt Russland auf die Führung der ehemaligen nationalistischen Separatist*innen, die zu großen Teilen nach dem Aufstieg der Islamist*innen die Seiten gewechselt hatten.
Nach der Annexion übernahm Achmad Kadyrow mit der Unterstützung Moskaus die Führung der Republik. Nach seiner Ermordung 2004 folgte ihm sein Sohn Ramsan, der bis heute regiert. Die Macht der Kadyrows stützt sich auf die sogenannten „Kadyrowzy“: Militäreinheiten, die zutiefst loyal gegenüber den Kadyrows sind und im Auftrag Moskaus Terror verbreiten, indem sie die „Feinde Tschetscheniens“ verschleppen, foltern und töten. Dies betrifft nicht nur Rebellen, sondern auch zum Beispiel Drogensüchtige, unabhängige Journalist*innen und LGBTI*. Dafür wurden verschiedene Lager und Geheimgefängnisse im Land errichtet, wie das in Argun, in das die vor kurzem entführten LGBTI* gebracht wurden.
Eine weitere Machtstütze der Kadyrows ist der einflussreiche tschetschenische Klerus. Achmad war selber Großmufti der tschetschenischen Separatist*innen, bevor er ins moskautreue Lager wechselte. Nachdem die Massenverschleppung von Schwulen öffentlich wurde, wurde beispielsweise eine Versammlung der höchsten tschetschenischen Geistlichen einberufen. Ziel war es, die Bevölkerung gegen diese „Beleidigung der Ehre und Würde der Muslime und der Bevölkerung Tschetscheniens“ einzuschwören.
Um den Klerus freundlich zu stimmen, wurden in Tschetschenien teilweise konservativ-islamische Gesetze wie das Verbot von Alkohol und Glücksspiel oder auch das verpflichtete Tragen des Kopftuchs für Frauen durchgesetzt.
LGBTI*-Menschen waren somit schon immer Ziel des tschetschenischen Repressionsapparats, doch diese Massenentführungen sind ein neues Niveau der Verfolgung. Sie sind eine Antwort der Regierung auf die vier Gaypride-Paraden, die dieses Jahr im Nordkaukasus durchgeführt wurden.