Warum „Waffen der Kritik“?
// Für einen Marxismus an der Uni, der interveniert! //
„Das Ergebnis [der Trennung von Theorie und Praxis] war die Isolierung der Theoretiker in den Universitäten fernab vom Leben des Proletariats […] und ein Rückzug der Theorie […] hin zur Philosophie.“
– Perry Anderson, „Über den westlichen Marxismus“ [1]
Noch vor einigen Jahren war es schwer – an der Uni oder sonstwo – über Revolution und Sozialismus oder auch nur über Karl Marx zu reden, es sei denn als Gegenstand historischer Rückblicke. Thatchers Devise „There is no alternative“ und Fukuyamas Diktum vom Ende der Geschichte ließen jegliche Gedanken über eine Gesellschaft ohne kapitalistische Profitzwänge als utopisch, wenn nicht sogar „ewiggestrig“ erscheinen. Doch mit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 2008, die die Grenzen des Kapitalismus für breite Teile der Bevölkerung offensichtlich machte, erwachte wieder das Interesse am Marxismus. Bis in bürgerliche Kommentarspalten war allerorts zu hören: „Marx hatte Recht.“ Auch an der Universität kam es wieder in Mode, über Marx und Marxismus zu reden.
Doch es ist durchaus umstritten, was denn Marxismus tatsächlich bedeutet. Für die meisten Professor*innen und Studierenden dient Marxismus als philosophischer Gegenstand, als Debatte des „frühen“ gegen den „späten“ Marx, als interessantes Studienobjekt – aber in jedem Fall nicht als Fundament für politische Praxis. Dies ist vereinfacht gesagt das, was wir als „akademischen“ Marxismus bezeichnen. Perry Anderson zeigte in seinem Buch „Über den westlichen Marxismus“, in dem er sich vor allem mit der Tradition der „Kritischen Theorie“ auseinandersetzt, eindrucksvoll auf, dass der Rückzug auf die „richtige“ Kritik eine Abschottung von der Realität gesellschaftlicher Veränderung bedeutet.
Diese Interpretation ist im Fall der*des individuellen Studierenden oder Professors*in sicherlich überspitzt, aber in jedem Fall hält diese Strömung den Marxismus für eine interessante Theorie, die aber letztlich wenig über die aktuelle Praxis sagen kann.
Doch wir denken, dass der Marxismus keine Theorie wie jede andere ist. Er ist für uns die Aufhebung der Trennung von Theorie und Praxis, oder anders gesagt, Marxismus ist eine Theorie der Praxis. Nicht umsonst schrieb Marx schon 1844 in der Einleitung zur „Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“: „Die Waffe der Kritik kann allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen, die materielle Gewalt muß gestürzt werden durch materielle Gewalt.“ [2]
Dieses etwas sperrige Zitat, welchem wir unseren Namen entnommen haben, bedeutet für uns zwei Dinge: Zum einen ist die Theorie die Voraussetzung jeglicher Praxis und nur in der Praxis kann die Theorie ihre Gültigkeit beweisen und weiterentwickelt werden. Zum anderen ist der Satz eine historische Abgrenzung gegen den Idealismus, d.h. gegen die Vorstellung, dass die Veränderung der Ideen genüge, um die Welt zu verändern. Stattdessen kann der Kapitalismus und sein Staat, der über die Masse der Menschen eine materielle Gewalt ausübt, nur durch die dagegen organisierte materielle Gewalt der Massen gestürzt werden. Oder anders gesagt: Dem Kapitalismus müssen wir mehr entgegensetzen als die richtige Kritik, sondern die materielle Vorbereitung des Umsturzes.
Als WaffenderKritik wollen wir dazu beitragen, diese Vorbereitung voranzutreiben. Im gleichen Absatz der Einleitung zur „Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“ definiert Marx diese Maxime als „kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“ Das bedeutet für uns an der Universität vor allem, die Erkenntnisse des Marxismus wiederzubeleben, die ihm die Intervention in die Wirklichkeit des Klassenkampfes, in die Welt außerhalb des universitären Sumpfs, ermöglichen: die Zentralität der Lohnabhängigen bei der Überwindung des Kapitalismus und die Notwendigkeit für Studierende, die sich als emanzipatorisch begreifen, die Allianz mit den Arbeiter*innen zu suchen, da nur sie an den neuralgischen Punkten der kapitalistischen Produktionsweise sind und dieses System paralysieren und schließlich überwerfen können.
Gleichzeitig sind wir uns der Tatsache vollständig bewusst, dass die Mehrheit der Lohnabhängigen diese Perspektive aktuell nicht besitzen. Ein revolutionäres Bewusstsein entsteht nicht automatisch, sondern nur im Zusammenspiel von marxistischer Theorie und selbstorganisierter Praxis. Dementsprechend wollen wir mit dieser ersten und hoffentlich vielen weiteren Ausgaben unserer Zeitschrift als Waffen der Kritik dazu beitragen, die zentralen Lehren der marxistischen Theorie zu aktualisieren und sie zur Wiederherstellung der Einheit von Studierenden und Arbeiter*innen im Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung zu nutzen. Wenn du daran Interesse hast, melde dich bei uns!
Fußnoten
1. Über den westlichen Marxismus. Frankfurt/Main 1978.
2. Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung. http://www.mlwerke.de/me/me01/me01_378.htm.