Warum unterstützt unsere Gewerkschaft die GroKo?

10.02.2018, Lesezeit 4 Min.
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Die neue Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD ist bei Lohnabhängigen alles andere als beliebt. Aber Frank Bsirske, Chef der Gewerkschaft ver.di, ist begeistert vom Koalitionsvertrag. Warum eigentlich?

Die Große Koalition hat laut einer neuen Umfrage keine Mehrheit mehr. Wie die BILD-Zeitung am Dienstag berichtete, würden CDU/CSU und SPD im aktuellen Insa-Meinungstrend zusammen nur noch auf 47,5 Prozent der Stimmen kommen.

Doch eine Person ist richtig begeistert: Frank Bsirkse, Vorsitzender der vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. „Bildet eine Regierung!“ rief er Anfang der Woche in Richtung der SPD – und das, obwohl Bsirkse im Gegensatz zu den meisten führenden Gewerkschaftsfunktionär*innen kein SPD-Mitglied ist. Er hat ein Parteibuch der Grünen.

Nun hat ver.di per Pressemitteilung bestätigt: „Koalitionsvereinbarung: Weichenstellung für bessere Lebensbedingungen – ver.di-Chef begrüßt Vereinbarungen zu Rente, Pflege und Bildung“.

Über den Koalitionsvertrag sagt der Gewerkschaftsvorsitzende:

Wir haben [für die Verbesserungen in der Alten- und Krankenpflege] gekämpft. Die Politik hat einen Anfang gemacht: Untergrenzen für die Personalausstattung aller bettenführenden Abteilungen im Krankenhaus, für die Altenpflege 8.000 zusätzliche Stellen und flächendeckende Tarifverträge – das sind erste Schritte in Richtung Entlastung der Pflegekräfte und einer verlässlicheren Versorgung von Patientinnen und Patienten.

Kolleg*innen, die in der Pflege arbeiten, weisen seit Wochen auf das Problem hin: Es gibt rund 13.000 Pflegeeinrichtungen in Deutschland. 8.000 zusätzliche Stellen bedeutet etwas weniger als 0,6 neue Pflegekräfte pro Einrichtung.

Andere Teile des Tarifvertrags sind ähnlich unbefriedigend. Bei der letzten Großen Koalition im Jahr 2013 haben die Gewerkschaftsführungen die Einführungen eines Mindestlohns gefeiert. Aber hat das gereicht? 8,50 Euro pro Stunde reichen nicht für ein menschenwürdiges Leben – und trotzdem gibt es bis heute rund zwei Millionen Menschen in Deutschland, die noch weniger verdienen.

Verbesserungen für die Lohnabhängigen wird es nur geben, wenn die Arbeiter*innenbewegung selbst dafür kämpft. Auf die Parteien des Kapitals können wir uns nicht verlassen. Lohnabhängige halten wenig von der GroKo. Aber unsere Vertreter*innen, die Gewerkschaftsführer*innen, gehören zu den „treusten Anhänger*innen“ der neuen Regierung.

Der Grund dafür liegt in den Lebensbedingungen. Gewerkschaftsmitglieder müssen sich tagtäglich mit Prekarisierung, mit Niedriglöhnen und Befristungen herumschlagen. Gewerkschaftsbosse im Gegenteil verdienen Löhne wie Manager*innen. (Laut Bsirske selbst braucht er einen solchen Lohn, um mit den Kapitalist*innen „auf Augenhöhe“ verhandeln zu können.)

Längst nicht alle im ver.di-Funktionäre sind einer Meinung mit ihrem Chef. Der Pressesprecher von ver.di Berlin-Brandenburg, Andreas Splanemann, sagte vollkommen richtig im rbb Inforadio, die 8.000 Stellen seien nur „ein Tröpfchen auf den heißen Stein“.

Als Mitglied der Gewerkschaft ver.di finde ich es gut, dass unsere Gewerkschaft über Politik redet. Aber ich zahle meinen Mitgliedsbeitrag nicht für Lobbyarbeit für die GroKo. Politische Fragen sollten wir demokratisch entscheiden: Das heißt: ver.di-Mitglieder in ganz Deutschland sollten in Versammlungen zusammenkommen und unsere Haltung zur neuen Regierung diskutieren.

Was ist nötig, um die Forderung nach mehr Personal in den Krankenhäusern durchzusetzen? Wie können wir für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen? Reicht die Lobbyarbeit durch unseren Vorsitzenden bei CDU und SPD? Oder werden wir eher groß angelegte Streiks organisieren?

Ich bin der Meinung, dass unsere Gewerkschaft politisch unabhängig bleiben sollte. Aber ich bin auch nur eins von zwei Millionen ver.di-Mitgliedern. Das sollten wir alle gemeinsam demokratisch entscheiden.

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