Warum sind MarxistInnen gegen die EU?
Die EU präsentiert sich als Vereinigung Europas, als Schritt zur Überwindung überkommener nationaler Grenzen. Doch wir als MarxistInnen erklären uns zu GegnerInnen der EU. Für uns bedeutet die EU nichts anderes als imperialistische Unterdrückung. Doch wie können wir InternationalistInnen ein solches internationales Projekt ablehnen? Nichts liegt uns ferner, als die Nationalstaaten zu verteidigen. Warum sind wir dann gegen die EU? Und was setzen wir ihr entgegen?
Die EU ist eine politische Institution des Imperialismus. Imperialismus beschreibt eine besondere Entwicklungsstufe des Kapitalismus, die sich durch die weit fortgeschrittene Konzentration des Kapitals zu gigantischen Monopolen auszeichnet. Dadurch entstand das Finanzkapital, eine Fusion des Industriekapitals mit dem Bankkapital. Im imperialistischen Stadium des Kapitalismus existieren weltweit agierende Konzerne. Durch Kapitalexport bringen diese auch andere als ihre „eigenen“ Volkswirtschaften unter ihre Kontrolle. Aufgrund dieses Wettrennens um die Aufteilung der Welt unter den Konzernen kommt es zu immer stärkeren politischen und militärischen Konflikten auch zwischen den kapitalistischen Staaten, zu militärischen Besetzungen und dem Anstacheln regionaler Konflikte.
Die EU bildete sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nach und nach heraus, vor dem Hintergrund, dass die USA die Hegemonie unter den imperialistischen Mächten erlangt hatten. Die durch den Krieg geschwächten europäischen Mächte, insbesondere Deutschland und Frankreich, fanden sich zunächst zu einer beschränkten Allianz zusammen, um die Aufteilung der europäischen Einflusssphäre zu steuern. Heute ist sie ein Instrument, um innerhalb und außerhalb die hegemonialen Interessen des Kapitals (besonders des deutschen Kapitals) durchzusetzen. Dies geschieht auch vor dem Hintergrund des langsamen Niedergangs des US-Imperialismus, wo die EU für Deutschland eine Möglichkeit bietet, eine unabhängigere Rolle von den USA zu spielen. Von der Währungspolitik der EZB bis zu weltweiten gemeinsamen Militäreinsätzen der EUFOR agiert die EU als imperialistische Allianz, die allerdings alles andere als einheitlich ist.
In der aktuellen Wirtschaftskrise sind die Mitgliedsstaaten der EU natürlich weit davon entfernt, in gleichem Maße betroffen zu sein. Entgegen bürgerlicher Propaganda sind die Ursachen dafür nicht in besserer oder schlechterer Steuerpolitik oder gar in der Arbeitsmoral zu suchen.
Das deutsche Kapital mit seiner Konzentration hochtechnologischer Industrien besitzt einen großen Vorteil gegenüber anderen Volkswirtschaften.1 Mit der Einführung des europäischen Binnenmarktes und der gemeinsamen Währung konnte es zudem leicht in die Märkte der in die Wirtschaftskrise geratenen Länder eindringen. Die hatten nun allerdings nicht mehr die Möglichkeit, mit währungspolitischen Mitteln wie Deflation zu antworten. In ihrer Wettbewerbsfähigkeit geschwächt, verschuldeten sich die Länder des europäischen Südens, infolge dessen verstärkte sich das Ungleichgewicht weiter.
Diese sogenannten PIGS-Staaten (Portugal, Italien, Griechenland, Spanien), mit besonderer Härte von der Krise getroffen, wurden nun von den stärkeren Staaten des Nordens mit Finanzspritzen „gerettet“ – zu dem Preis teils wichtiger Elemente ihrer nationalen Souveränität. Die imperialistischen Institutionen wie die Troika aus EU, EZB und IWF konnten harte „Strukturreformen“ durchdrücken: Gerade Griechenland wurde und wird zu starken Einsparungen im öffentlichen Dienst und der staatlichen Daseinsvorsorge gezwungen, genauso zu massiven Privatisierungen der staatlichen Infrastruktur. Auf diese Weise werden die Lebensbedingungen der Massen der Bevölkerung dramatisch verschlechtert.
Das deutsche Kapital und sein Staat konnten ihre Machtstellung im Rahmen der Krise ausbauen. Es ist kein Wunder, dass im aktuellen Konflikt in der Ukraine auch von deutschen Fraktionen angeführte Kräfte an der Spitze standen. Zudem fordern verschiedene europäische und auch US-amerikanische ImperialistInnen eine stärkere und bewusstere Führung Deutschlands. So sagte EU-Währungskommissar Olli Rehn kürzlich, viele hätten „nichts gegen mehr Führung durch Deutschland“.2
Vor diesem Hintergrund sind die offenen Anbiederungen der Linkspartei an den Imperialismus von besonderer Qualität. Sie zeigen, dass diese Partei keinerlei progressive Alternative für die ArbeiterInnen Europas bietet. Aber eine klare antiimperialistische Linie ist für RevolutionärInnen und ArbeiterInnen gerade in Deutschland die dringendste Aufgabe.
Wir revolutionäre MarxistInnen lehnen die verschiedenen bürgerlichen Antworten auf die Eurokrise ab, die ihren Weg leider auch in die ArbeiterInnenbewegung finden. Völlig inakzeptabel ist die Position der reformistischen Linkspartei, die in der EU einen „offenen demokratischen Rahmen“ erkennen will. Nicht weniger schädlich ist der Vorschlag der stalinistischen KKE aus Griechenland, gegen den Euro die nationale Souveränität zu verteidigen.
Angesichts der absoluten Verflechtung der europäischen Wirtschaft kann es in keiner Weise eine Rückkehr zu Nationalstaatlichkeit geben. Sollten die ArbeiterInnenklasse und die Massen der südlichen Länder das Diktat der Troika abschütteln, werden sie sich an die ArbeiterInnen der anderen europäischen Länder wenden müssen, schon allein um sich gegen die folgenden Angriffe der EU zu wehren.
Zur Überwindung der nationalen Grenzen und der Diktate der imperialistischen Mächte müssen die ArbeiterInnen und Unterdrückten Europas ihre eigene Alternative der EU entgegen stellen. Wir brauchen eine Vereinigung des Kontinents auf Grundlage von ArbeiterInnenregierungen und eines Notprogramms gegen die Krise. Deswegen kämpfen wir TrotzkistInnen für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa!
Diese Losung haben MarxistInnen wie W.I. Lenin und Leo Trotzki bereits vor 100 Jahren vertreten. Im letzten Jahrhundert haben die europäischen Bourgeoisien immer wieder ihre Unfähigkeit bewiesen, den Kontinent zu vereinigen. Deswegen ist die Losung aktueller als je zuvor: Nur die ArbeiterInnenklasse kann Europa vereinen.
Fußnoten
1. Juan Chingo: In welcher Etappe der Eurokrise befinden wir uns? In: Klasse Gegen Klasse Nr. 3.
2. FAZ: „Sollte es so weitergehen, wird Russland in die Rezession fallen.“