Warum sieht man deutsche Politiker:innen nie im Bus?
Die Korruption im Bundestag ist ein Hohn auf die repräsentative Demokratie, die die käuflichsten Personen in Deutschland belohnt.
In Berlin bin ich meistens mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs und treffe alle möglichen Leute. Aber wissen Sie, wem man im Zug, Bus, in der Straßenbahn oder auf der Fähre absolut nicht sieht? Bundestagsabgeordnete!
Ein Bundestagsabgeordneter (MdB) bekommt 11.227,20 Euro pro Monat. Zum Vergleich: Das Durchschnittseinkommen eines Vollzeitbeschäftigten in Berlin beträgt 3.806 Euro – ein:e Abgeordnete:r bekommt also dreimal so viel. Diese Zahl ist jedoch verzerrt, da mehr als ein Drittel der Berliner Arbeitnehmer:innen eine Teilzeitbeschäftigung hat und fast 10 % arbeitslos sind. Das bedeutet, dass Politiker:innen etwa 4-5 mal so viel verdienen wie ein normaler Arbeitnehmer:innen.
Sie erhalten zusätzlich 5.349.58 €, um ein Büro in ihrem Bezirk einzurichten. Aber niemand kontrolliert, wofür dieses Geld ausgegeben wird – es kann für Miete oder auch für Crystal Meth verwendet werden. Sie können bis zu 25.874 € pro Monat für die Einstellung von Assistenten ausgeben. Sie erhalten unbegrenzte Freifahrten mit der Deutschen Bahn (im Wert von 500 €), und die Flüge werden erstattet. Sie werden in großen schwarzen Limousinen durch Berlin chauffiert – deshalb begegnet man ihnen auch nie im Bus.
Wenn man das alles zusammenzählt, kommt jeder MdB auf knapp 20.000 Euro pro Monat. Das sind die „Vertreter des Volkes“, aber jeder einzelne von ihnen gehört zu den oberen 1 % der Verdiener. Deshalb kostet das Parlament auch rund eine Milliarde Euro.
„Legale“ Korruption
Neben der Vertretung des Volkes – offenbar kein besonders anspruchsvoller Job – ist es den MdBs ausdrücklich erlaubt, Nebenjobs auszuüben, solange das Parlament „im Mittelpunkt“ ihrer Tätigkeit steht. Sie müssen nur vage Angaben zu solchen Einkünften machen, aber mindestens 37 MdBs verdienen mehr als 100.000 Euro pro Jahr – einer gab sogar ein Nebeneinkommen von 3,4 Millionen Euro an!
Jens Spahn ist ein rassistischer Hetzer und ehemaliger Gesundheitsminister. Noch 2018 sagte er, dass die 416 € vom Bürgergeld zum Leben reichen. Aber woher sollte er das wissen? Damals verdiente er 15.311 Euro – das 37-fache. Aber er musste nicht von seinem offiziellen Gehalt leben. Spahn arbeitete als Lobbyist für Pharmakonzerne, während er im Gesundheitsausschuss des Bundestages saß, und er erwarb mit Hilfe eines mysteriösen Kredits eine Villa in Berlin-Dahlem im Wert von 4-5 Millionen Euro.
Mit anderen Worten: Gewählte Abgeordnete kassieren während ihrer Amtszeit ab. Ist das nicht der Inbegriff von Korruption? Und dennoch ist das alles völlig legal.
Illegale Korruption
Die Deutschen halten ihr Land für das neuntkorrupteste Land der Welt, mit einem Wert von 78 von 100 auf dem Korruptionswahrnehmungsindex. Schlagen Sie eine beliebige Zeitung auf, und die Korruption ist weit verbreitet und kaum zu verbergen. Ein prominentes Beispiel ist der glücklicherweise verstorbene imperialistische Schmierfink Wolfgang Schäuble, der dabei erwischt wurde, wie er einem Waffenhändler einen Umschlag mit 100.000 D-Mark in bar abnahm. Das hat Schäubles Karriere kaum beeinträchtigt; er wurde Minister und Bundestagspräsident, und als er starb, wurde er als großer Staatsmann gepriesen.
Oder schauen Sie sich den derzeitigen Bundeskanzler Scholz an, der den Banken half, Milliarden aus den öffentlichen Kassen zu stehlen und ungeschoren davonkam. Scholz hat die Ermittlungen behindert, ohne dass es zu Konsequenzen gekommen wäre.
Das zieht sich durch das gesamte politische Spektrum – deshalb skandalisieren die Parteien meist nicht die Korruption der anderen. Die rechtsextreme AfD, die gegen ein korruptes Establishment wettert, hat wahrscheinlich den größten Korruptionsskandal mit illegalen Spenden von rechtsextremen Milliardären.
Noch mehr legale Korruption
Gelegentlich gerät ein MdB in Schwierigkeiten, weil er Millionen kassiert hat. Doch die meiste Korruption in Deutschland ist legal. Der Sozialdemokrat Sigmar Gabriel, ehemaliger Vizekanzler, kassierte 10.000 Euro im Monat von Tönnies, einem Unternehmen, das Fleischverpackungsanlagen mit übermäßig ausgebeuteten Migranten betreibt. Gabriel verteidigte sich, indem er daran erinnerte, dass er kein Politiker mehr sei – 10.000 Euro mögen für die meisten Menschen viel Geld sein, aber „in dieser Branche ist das kein besonders hoher Betrag“.
In der Tat hatte Gabriel zahlreiche solcher Verträge laufen. Und so kommt das Geld zu den Politiker:innen: Sie bekommen riesige Summen, aber erst, nachdem sie aus dem Bundestag ausgeschieden sind. Ich bezweifle, dass solche Verträge jemals schriftlich festgehalten werden, aber jeder versteht, wie sie funktionieren: Es ist Bestechung mit aufgeschobener Belohnung.
Ein Politiker im Ruhestand kann jedes Jahr Millionen erhalten, wenn er als „Berater“ oder Vorstandsmitglied eines Unternehmens fungiert, was bedeutet, dass er ein paar Wochenenden im Jahr an einen Urlaubsort fährt und ein paar Papiere unterschreibt. Lenin schrieb, dass die Korruption in der demokratischen Republik „zu einer außergewöhnlichen Kunst entwickelt ist“. Und die Bundesrepublik Deutschland ist in der Tat ein ziemlich „entwickeltes“ Land.
Dies ist einer von vielen Mechanismen, die dafür sorgen, dass die bürgerliche Demokratie nicht wirklich demokratisch ist. Das Volk darf zwar seine Vertreter:innen wählen, aber wer auch immer von ihm gewählt wird, gehört automatisch zu den 1%. Ist es da verwunderlich,
dass sie eher mit den Vermieter:innen, den Besitzer:innen von Mietshäusern, sympathisieren als mit den Mieter:innen unter uns?
Sozialistische Kandidaturen gegen jegliche Korruption
Bei dieser Wahl kandidieren Arbeitnehmer:innen für den Bundestag, die diese systematische Korruption ablehnen. Die Sozialarbeiterin Inés Heider und ihre Genoss:innen haben versprochen, dass sie im Falle ihrer Wahl nur das Gehalt einer Krankenschwester nehmen werden – das nahe am Median liegt, etwa 3.800 Euro. Die Differenz – über 7.000 Euro – würden sie in einen Streikfonds einzahlen, um die Kämpfe anderer Arbeitnehmer:innen zu unterstützen.
Dies ist eine von vielen Möglichkeiten, wie sie den „gesunden Menschenverstand“ der kapitalistischen Politik herausfordern. Bei einem sozialistischen Wahlkampf geht es nicht darum, Stimmen zu bekommen. Vielmehr geht es darum, den arbeitenden Menschen zu helfen, zu verstehen, dass dieses System darauf ausgelegt ist, den Kapitalist:innen zu dienen, nicht uns. Forderungen gegen die tief verwurzelte Korruption sind Teil eines antikapitalistischen Programms.
Dieser Artikel erschien erstmals am 15. Januar in The Left Berlin unter dem Titel Red Flag: Why Do You Never See German Politicians on the Bus?