Warum Kühnert und Merz auch keine Antworten liefern können

14.07.2019, Lesezeit 10 Min.
1

Mit dem Rücktritt von Andrea Nahles und dem unglücklichen Start von AKK als neue CDU-Parteivorsitzende lebt die Debatte über die Zukunft der beiden ehemaligen großen Volksparteien wieder auf. Mit Friedrich Merz und Kevin Kühnert stehen zwei Kandidaten zur Diskussion die die Rückkehr zur alten Stärke versprechen. Aber auch sie können das Rad der Geschichte nicht einfach zurückdrehen.

Was ist nur los? Die beiden alten Stützen des deutschen Regimes wirken führungslos. In der SPD ist nach der Niederlage bei der Kommunal- und Europawahl die einst als Hoffnungsträgerin gefeierte Parteichefin Andrea Nahles nach interner Kritik zurückgetreten. Die im Dezember gewählte CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) steht ebenfalls parteiintern alles andere als auf festen Füßen. Dabei konnte sie sich nur knapp gegen ihren Kontrahenten, und ehemaligen CDU-Fraktionschef im Bundestag, Friedrich Merz durchsetzen. Das Straucheln von AKK gibt ihm weiterhin die Gelegenheit sich in der CDU als Alternative zu positionieren.

In der SPD wird diese Rolle von Kevin Kühnert eingenommen. Er gilt als Hoffnungsträger, seitdem er sich als Juso-Vorsitzender nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen gegen den plötzlichen Umschwung der SPD-Parteiführung auf GroKo-Kurs stellte und damit die Stimmung breiter Teile der SPD-Basis artikulierte. Mit dem vorzeitigen Rücktritt von Andrea Nahles ist die Debatte um die zukünftige Ausrichtung der SPD neu entbrannt.

Die Idee, die Kühnert und Merz verkörpern, ist im Grunde ganz einfach. Die GroKo ist gescheitert, der Unterschied zwischen CDU und SPD wurde von Jahr zu Jahr weniger. Deswegen profiliert man sich wieder ein bisschen. Die SPD beruft sich wieder auf alte Werte der Sozialdemokratie und die CDU wird wieder die Partei der alten Herren. Dann tauscht man sich wieder alle paar Jahre ab und alles ist wieder wie damals. Am Ende heißt es vielleicht sogar „und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“.

Aber wie im Märchen wissen alle, dass das natürlich Quatsch ist. Man lebt nicht einfach glücklich bis ans Ende seiner Tage. Schon gar nicht in einer Welt der Bolsonaros und Trumps, mit einem China, das um seinen „Platz an der Sonne“ kämpft. Deutschland ist auch keine Insel der Glückseligkeit, sondern so abhängig vom Welthandel, wie keine andere Wirtschaftsmacht.

Das ist aber die Idee, oder besser die Hoffnung, wie sie von Merz und Kühnert vertreten wird. Kühnert weiß das eigentlich auch. Nur Merz glaubt tatsächlich mit der Erzählung einer konservativen CDU die politische Krise zurückdrängen zu können. Während Merz weiter in der CDU um die Führung ringt, hält sich Kühnert in der Debatte um den neuen Parteivorsitz auffallend zurück. Man könnte meinen, er wisse, was auf ihn zukommt.

In der SPD hoffen viele auf einen echten Neuanfang, auf eine Erneuerung. Und tatsächlich verkörpert Kühnert diese am Besten. Wir können uns sicher sein, dass intern viele auf Kevin Kühnert zugehen, um ihn von einer Kandidatur für den Parteivorsitz zu überzeugen. Gesine Schwaan hat bereits offen zugegeben, mit dem Juso-Vorsitzenden über eine mögliche Kandidatur seinerseits für den Parteivorsitz gesprochen zu haben. Über den Inhalt des Gesprächs schweigt sie sich allerdings aus.

Währenddessen bleibt in der CDU AKK als neue Vorsitzende geschwächt. Sie hat mittlerweile nach einigen Fehltritten schon offen zugegeben, dass öffentliche Äußerungen nicht ihre größte Stärke sind. Manch einer wird sich schon die Hände reiben, die etwas rechtere Merkel endlich vom Thron zu stoßen. Merz steht wie kein anderer für den Traum einer konservativen „Erneuerung“.

Aber welche Antworten können Merz und Kühnert auf die aktuellen Fragen schon bieten? Die alte Ordnung nach dem Fall des Ostblocks, die Post-Jalta-Ära, bröckelt immer mehr. Trumps Alleingänge, die Krise des Multilaterismus, Handelskriege und eine damit zusammenhängende stagnierende Weltwirtschaft. Weder Kühnert noch Merz konnten bisher darlegen, wohin sie Deutschland in solch stürmischen Zeiten führen wollen. Während Kühnert laut über eine mögliche Vergesellschaftung von BMW nachdenkt, wiederholt Merz die Plattitüden aus der Mottenkiste des Konservatismus.

Kühnert redet über einen wunderbaren Tag in der Zukunft, an dem wir offen und gemeinsam über die Eigentumsverhältnisse von BMW diskutieren. Und Merz redet über die Vergangenheit, als noch keine rechtsterroristischen Prepper-Netzwerke in Polizei und Bundeswehr Todeslisten mit Namen von CDU-Politiker*innen führten und die Hunde des Kapitals sich noch nicht von der Union „im Stich gelassen“ fühlten.

Doch wie man dahin kommt, darüber schweigt man sich aus. Merz’ Losung lautet lediglich, man solle den Sicherheitskräften wieder den Rücken stärken. Doch ob er die Befugnisse der Polizei massiv ausdehnen und Deutschland eine massive Aufrüstung bescheren möchte oder einfach nur einen symbolischen Akt, davon erfährt man nichts. Stattdessen wird über die Verfassungstreue deutscher Soldat*innen und Polizist*innen diskutiert. Als hätte Merz nicht nur das gesagt, was eh überall bekannt ist.

Und wie möchte Kühnert seinen „demokratischen Sozialismus“ nun verwirklichen? Auch dazu finden wir wenig konkretes. Er ist gegen die GroKo und für eine Vergesellschaftung von BMW, irgendwann und irgendwie. Wohnraum soll massiv vergesellschaftet werden. Doch darüber, wie das durchgesetzt werden soll, herrscht Schweigen im Walde.

Wohin große Versprechungen führen, ohne einen festen Plan, zeigt uns die Erfahrung von Syriza und Podemos. Nach dem deutlichen Nein der griechischen Bevölkerung gegen das Spardiktat der EU beugte sich Syriza unter Tsipras am Ende gegenüber der imperialistischen Bourgeoisie. Pablo Iglesias, der Anführer von Podemos im Spanischen Staat fasste es gut zusammen:

Wenn man aus der Regierung heraus eine harte Sache machen will, hat man plötzlich einen guten Teil der Armee, des Polizeiapparates, aller Medien und alles gegen sich, absolut alles. Und in einem parlamentarischen System die absolute Mehrheit sicherstellen, ist sehr schwierig.

Aber strategische Fragen würden an dieser Stelle den Rahmen sprengen. Belassen wir es deshalb dabei dass sowohl Friedrich Merz, als auch Kevin Kühnert, angesichts der angespannten Weltlage, keine zufriedenstellenden Antworten liefern können. Weder für das Kapital, noch für die Arbeiter*innenklasse.

Rückkehr zum Zweiparteiregime als internationales Phänomen?

Nicht nur in Deutschland, auch in anderen wichtigen europäischen Ländern kam es zu einem Niedergang des alten Zweiparteiregimes. Immer war dies stark geprägt von einem tiefen Fall der alten sozialdemokratischen Partei. Man spricht hierbei auch von der „PASOK-isierung“, weil sich im Falle Griechenlands die alte sozialdemokratische Partei PASOK nahezu aufgelöst hat. In Griechenland kam Syriza mit dem Versprechen an die Macht, die Austeritätspolitik unter dem EU-Diktat den Kampf anzusagen. Mit dem darauffolgenden Verrat und der Unterwerfung unter die Institutionen der EU und des internationalen Finanzkapitals nahm sie die Rolle der alten Sozialdemokratie ein. Auf der einen Seite setzte sie mit brutalen Mitteln die aufdiktierte Sparpolitik durch, während sie andererseits durch ihren Einfluss in den sozialen Bewegungen und Teilen der Gewerkschaftsbürokratie den Widerstand lähmte.

Wie Phillipe Alcoy in seiner jüngsten Analyse zum Wahlerfolg von „Nea Dimokratia“ erläuterte, könnte sich auch hier eine Rückkehr zum alten Zweipartei-Regime andeuten, „in der sich zwei Parteien an der Macht abwechseln, um die Durchsetzung der Sparpolitik zu gewährleisten.“ Nur dass im Falle Griechenlands Syriza die Rolle der alten Sozialdemokratie einnimmt.

Ebenso konnte sich im Spanischen Staat die PSOE wieder stärken. Nachdem der Präsident Rajoy zurückgetreten ist, übernahm sie die provisorische Regierung. In Brasilien war es die sozialdemokratische PT, die sich angesichts des Niedergangs der alten bürgerlichen Parteien und des Aufstieg des rechtsaußen-Politikers Bolsonaro erneuern konnte, während sie nichts gegen die kriminelle Inhaftierung des ehemaligen Präsidenten und PT-Politikers Lula übernahm.

In Deutschland liegen die Dinge etwas anderes. Die wirtschaftlichen Herausforderungen dieses wichtigen imperialistischen Landes sind gänzlich andere, als in Ländern wie Griechenland, Brasilien oder des Spanischen Staats. Vor allem durch die Herausforderungen des Klimawandels und die Konkurrenz mit China und USA, bestimmt durch die Rolle Deutschland im Maschinen- und Fahrzeugbau, macht einen radikalen Umbau der Wirtschaft erforderlich. Überall spricht man vom „Strukturwandel“. Wie wir bereits feststellen konnten, haben weder Merz noch Kühnert hier etwas anzubieten.

Die Demonstration der IG Metall mit 50.000 Teilnehmenden und einem großen technischen Aufgebot vor dem Brandenburger Tor zeigen die Dimension des Strukturwandels für die Arbeiter*innen. In Deutschland geht es nicht darum, eine von internationalen Institutionen erzwungene Sparpolitik durchzusetzen, sondern die exportorientierte Wirtschaft auf die Zukunft vorzubereiten. Autonomes Fahren, Elektromobilität und Industrie 4.0, das sind die Themen. Hierbei kommt einer anderen Partei eine besondere Schlüsselrolle zu.

Was ist mit Habeck?

Wir können nicht über die Zukunft des deutschen Parteiregimes sprechen, ohne den Aufstieg der Grünen zu bilanzieren. Er spricht im besonderen Maße gegen die Möglichkeit das alte Parteiregime nur zu erneuern. Mittlerweile belegen sie in den Umfragen den ersten Platz. Angesichts dessen, dass die Parteien der GroKo auf die neuen Fragen nicht wirklich eine Lösung anbieten können, ist der Erfolg der Grünen umso bedeutungsvoller. Die Frage ist, welche Rolle die Grünen im neuen Parteiregime einnehmen werden.

Zumindest auf dem Gebiet der neuen Technologien verfolgen sie einen festen Plan. Dagegen wirkt Merz Idee, die Grünen mit einer konservativen Erzählung kontern zu wollen lächerlich absurd. Mehr noch: Die Grünen können aufgrund ihrer mangelnden Bindung zum Kapital den Umbau der deutschen Wirtschaft radikal durchsetzen, während in der Union schon der Zuzug von eine Million potentiellen Arbeitskräften für heftige Tumulte sorgt. Dabei pocht das deutsche Großkapital weiterhin auf eine offensive Einwanderungspolitik.

Die Grünen dagegen haben kein Problem damit eine Einwanderungspolitik nach kanadischem Vorbild einzuführen. Also mit Repressionen gegen Migrant*innen und einem verstärkten Konkurrenzdruck zwischen den Arbeiter*innen. Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, um dem Stellenabbau in der Automobilindustrie entgegenzuwirken und neue Arbeitsplätze für Migrant*innen zu schaffen, wird es unter dem Kommando der pro-kapitalistischen Grünen nicht geben.

Eine andere Frage ist, ob nicht ein Zwei-Parteien-Regime mit den Grünen möglich wäre. Die Partei steht hier tatsächlich vor einem Dilemma. Traditionell steht sie dem linken Parteiblock näher. Das drückt sich in etlichen Regierungen gemeinsam mit SPD und Linkspartei auf Bundes- und Landesebene aus. Vor allem unter Gerhard Schröder haben sie die neoliberale Wende mit der Agenda 2010 mitgetragen.

Mit dem Wandel der Grünen von einer Partei des linken Kleinbürger*innentums zu einer bürgerlichen Kraft ist allerdings ein neues Phänomen aufgetaucht. Im wichtigen Industrieland Baden-Württemberg regieren die Grünen als stärkste Partei gemeinsam mit der CDU. Über die zukünftige Ausrichtung der Grünen herrscht große Uneinigkeit.

Gut möglich, dass wir uns auf eine Periode ständiger wechselnder Fronten einstellen müssen. Es gehört mit zum Charakter des deutschen Regimes, dass der Parlamentarismus diejenige Partei bevorteilt, die in der Lage ist, Kompromisse auszuhandeln. Die Grünen eignen sich im besonderen Maße dazu zwischen den unterschiedlichen Flügeln und Fraktionen zu vermitteln. Dabei gehen sie auch bewusst auf Teile des Militärapparats zu. Ihr sicherheitspolitischer Sprecher Tobias Lindner gab kürzlich bekannt, dass ihm Parteimitglieder bekannt sein, die als Soldat*innen tätig sind. Diese hätten sich ihm anvertraut. Dieses herausstechende Beispiel soll nur betonen wie sehr die Grünen versuchen als Schiedsrichter zwischen den Fraktionen aufzutreten, stoßen die Grünen mit ihrer liberalen Ausrichtung nirgendwo sonst auf so viel Ablehnung, wie in großen Teilen des Militärapparats.

Mehr zum Thema