Warum immer wieder DIE LINKE?

05.06.2024, Lesezeit 20 Min.
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Foto: Martin Heinlein / Flickr.com

Die Europawahlen am 8./9. Juni 2024 stehen unter dem Stern von Rechtsruck, Krieg und Krise. Obwohl die Partei DIE LINKE seit Jahren in einer tiefen Krise ist, rufen sozialistische Organisationen zur kritischen Wahlunterstützung der Partei auf. Warum das für uns keine Alternative ist.

Die Europawahlen waren schon immer von geringerer Bedeutung als Bundestags- oder Landtagswahlen. Eine niedrigere Wahlbeteiligung und weniger Interesse am Wahlkampf ziehen sich durch. Dazu kommt, dass das EU-Parlament selbst keine Befugnisse hat, eigene Gesetze zu verabschieden, sondern es letztlich den Regierungen obliegt, Verordnungen oder Richtlinien über die Europäische Kommission zu verabschieden. 

Trotz der scheinbar geringen Bedeutung des Parlaments selbst sind die Wahlen dieses Jahr aber alles andere als bedeutungslos. Der Aufstieg der Rechten international macht die Europawahlen zu einem wichtigen Gradmesser für die allgemeine Stimmung in Deutschland und Europa. Auch wenn die AfD durch die Skandale der letzten Monate in den Umfragen deutlich an Zuspruch verloren hat, könnte sie immer noch die zweitstärkste Kraft in Deutschland werden. In anderen europäischen Ländern wie Italien könnten die Rechten sogar stärkste Kraft werden. Die Stärke der Rechten stellt damit auch die politische Linke vor die Frage: Wie kämpfen wir gegen die Rechte?

Wahlunterstützung für DIE LINKE?

Viele sozialistische Organisationen beantworten diese Frage sehr ähnlich. Die Sozialistische Organisation Solidarität (SOL) schreibt beispielsweise dazu: „Wer durch seine Stimme die Interessen von Lohnabhängigen, Antikapitalismus und Unterstützung von Frieden und Menschenrechten zum Ausdruck bringen möchte, sollte Die Linke wählen – trotz aller Fehler und Begrenztheiten ihres Programms.“ Sie nennen dort zwar Mängel im Programm der Linkspartei, wie beispielsweise die „uneindeutige“ Haltung zu Gaza oder Waffenlieferungen in die Ukraine. Ihre Schlussfolgerung daraus ist: „Linke wählen und selbst aktiv werden im Kampf gegen Angriffe auf die Arbeiter*innenklasse und für eine sozialistische Veränderung“. 

Dabei verkennt die SOL allerdings, dass das Problem der Linkspartei nicht ein uneindeutiges Programm ist – als ob es in der Partei noch ernsthafte Kämpfe geben würde zwischen Revolutionär:innen und Reformist:innen – sondern dass der reformistische, pro-kapitalistische Flügel schon seit Jahren die Führung der Partei fest in eigener Hand hat. So ist die Haltung zu Gaza nicht einfach uneindeutig, sondern ein Produkt der pro-zionistischen Haltung vieler führender Parteimitglieder. So wurde kurzerhand die Debatte über zwei Anträge der Linkspartei-Verbände in Berlin-Neukölln und Mitte zu Gaza mit einer Mehrheit (!) der Stimmen der Delegierten auf dem Berliner Landesparteitag Ende April gecancelt. Die Mitglieder der Berliner Linksfraktion Klaus Lederer und Elke Breitenbach haben zudem nach dem Verbot des Palästina-Kongresses ihren Namen unter einem Statement von „Bündnis gegen antisemitischen Terror“ gesetzt, was den Teilnehmer:innen pauschal Antisemitismus unterstellt hat. Der thüringische Ministerpräsident der Linkspartei Bodo Ramelow hat nach dem 7. Oktober 2023 sogar die israelische Flagge vor der Staatskanzlei gehisst. 

Die Palästina-Frage ist nur ein Beispiel für die Politik der Linken, in der die Verwaltung des kapitalistischen Staates und die Regierungsfähigkeit längst gewonnen hat, gegenüber einer konsequenten Politik für die Interessen von Arbeiter:innen und Unterdrückten in aller Welt. Die Nicht-Umsetzung des Volksentscheids zur Enteignung großer Immobilienkonzerne, Abschiebungen in Berlin, Brandenburg und Thüringer unter Verantwortung der LINKEN in der Regierung sind nur weitere Beispiele dafür. Entsprechend verliert DIE LINKE seit Jahren an Zustimmung. Laut aktuellen Umfragen steht sie bei der Europawahl bei gerade einmal drei Prozent. Sich wieder und wieder bei Wahlen an DIE LINKE zu klammern, egal wie kritisch oder nicht, beweist eigentlich nur, dass die SOL scheinbar keinen Glauben daran hat, mit einem konsequenten sozialistischen und revolutionären Programm Massen erreichen zu können. Schlimmer noch: Der Aufruf, DIE LINKE zu wählen, wird nur zu mehr Frustration unter Linken führen, zu mehr Illusionen darin, dass eine Politik des kleineren Übels in der Lage ist, der Rechten und den imperialistischen Regierungen der Welt etwas entgegenzusetzen. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall. Das Versagen der reformistischen Linken ist maßgeblich mit für den Aufstieg der Rechten international verantwortlich, die sich in vielen Ländern der Welt als einzige „Anti-Establishment-Partei“ inszenieren können, weil linke Partei selbst tief in den Staat integriert sind. Es ist kein Zufall, dass die AfD in Deutschland vor allem dort stark ist, wo die sozialen und ökonomischen Widersprüche in der Gesellschaft am größten sind und wo DIE LINKE in der Vergangenheit ihre Hochburgen hatte – Ost-Berlin, Thüringen, Sachsen, usw. 

Kritik der SOL am Revolutionären Bruch

Daher treten wir schon seit Langem für einen Bruch aller aufrichtigen sozialistischen Kräfte mit der Linkspartei ein und haben im vergangenen Jahr mit einem Teil der Berliner Linksjugend eine Konferenz für einen Revolutionären Bruch durchgeführt. Im Anschluss an diese Erfahrung hat die SOL uns für unser Projekt des Revolutionären Bruchs ausführlich kritisiert. In Ihrem Artikel von damals heißt es unter anderem: 

„Die Existenz einer neuen Arbeiter*innenpartei wäre aber selbst dann ein Fortschritt, wenn sie nicht direkt ein revolutionäres Programm annehmen würde, weil sie der Arbeiter*innenklasse ein wichtiges Werkzeug im Klassenkampf (zurück-)geben würde. Was für ein Fortschritt wäre heute die Existenz einer kämpferischen Partei, die streikende und gewerkschaftlich aktive Arbeiter*innen, Sozialist*innen, Mietenaktivist*innen und andere Vertreter*innen sozialer Bewegungen zusammenführen und der Macht der Banken und Konzerne den Kampf ansagen würde. Sie würde nicht nur das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen zu unseren Gunsten verschieben, sondern wäre gleichzeitig ein Forum für Debatten (und damit auch für Revolutionär*innen) darüber, wie die Interessen der Arbeiter*innenklasse durchgesetzt und der Kapitalismus abgeschafft werden könnte.

Entscheidend ist für die Sol, dass es ein Fortschritt ist, wenn ein relevanter Teil der Arbeiter*innenklasse sich politisch unabhängig vom Kapital organisiert, um seine Klasseninteressen durchzusetzen; wenn es einen Bezugspunkt für die Hoffnung breiterer Schichten gibt und wenn deren Erfolg nicht nur zu materiellen Verbesserungen sondern auch zu mehr Selbstbewusstsein, -organisation und -aktivität führen würde.

Die Bildung neuer Arbeiter*innenparteien vorzuschlagen bzw. solche zu unterstützen bedeutet nicht politische Unterstützung für möglicherweise reformistische Positionen solcher Parteien. Marxist*innen müssen immer vor den Grenzen und Folgen einer reformistischen Politik warnen. Es gilt aber auch zu verstehen, dass es einen Unterschied macht, ob reformistische Illusionen Teil des Weges der Arbeiter*innenklasse auf dem Weg von einer ‚Klasse an sich‘ zu einer ‚Klasse für sich‘ sind oder ob diese Illusionen als Waffe in der Hand einer bürgerlichen Bürokratie gegen den Kampf für Sozialismus genutzt und damit gefestigt werden. Ersteres müssen Marxist*innen als notwendiges Zwischenstadium der Bewusstseinsentwicklung mindestens von Teilen der Massen anerkennen und dabei helfen, dass die Massen dieses Stadium schnell hinter sich lassen und zu revolutionären Schlussfolgerungen kommen. Letzteres gilt es als systemerhaltend zu erkennen und politisch zu bekämpfen.“

An anderer Stelle wendet die SOL das hier ausgeführte auf DIE LINKE an. Sie behauptet, allein die Anwesenheit der LINKEN in Parlament wäre ein „Pluspunkt im Kräfteverhältnis zwischen den Klassen [gewesen], weil es eine Partei gab, die sich u.a. gegen die Macht der Banken und Konzerne ausspricht, teils die Eigentumsfrage stellte und die Regierenden von links unter Druck setzte.“ Das oben angeführte Beispiel zeigt zudem, dass wir offensichtlich eine unterschiedliche Analyse der Linkspartei haben. Auch wenn DIE LINKE vor einigen Jahren noch deutlich stärker war, war die Partei immer nur sehr partiell eine Kraft, die kämpferische Arbeiter:innen, Mieter:innen usw. zusammengeführt hat. Auf vielen Streiks suchten wir vergeblich nach Mitgliedern der Linkspartei, mit Ausnahme von einigen Funktionär:innen war die Partei selten in der Lage überhaupt ihre eigene Mitgliedschaft zu mobilisieren, geschweige denn darüber hinaus. Die Bewegung zur Enteignung großer Immobilienkonzerne war hier sicherlich eine gewisse, begrenzte Ausnahme. DIE LINKE hat den Volksentscheid aber letztlich als Wahlkampf genutzt. Mit der Berlin-Wahl 2021 ist das Thema im Sumpf des Berliner Senats und der sogenannten Expertinnenkommission verschwunden. Seitdem gab es keine großen Mobilisierungen der Partei, die Aktivitäten der Initiative sind von einer breit sichtbaren Kampagne aus der Öffentlichkeit verschwunden. DIE LINKE hat hier eindrücklich bewiesen, dass es ihr eben nicht darum ging, breite Debatten in der Klasse zu forcieren und Massenmobilisierung voranzutreiben – sie stand am Ende letztlich auf der Seite der Regierung und war nicht bereit, die Immobilienlobby und die eigenen Koalitionspartner bis zum Ende herauszufordern. 

Die doppelte Aufgabe

Die SOL bezeichnet ihre Politik als „doppelte Aufgabe“. An anderer Stelle haben wir dazu bereits geschrieben: 

„Die ‚doppelte Aufgabe‘ geht davon aus, dass die Arbeiter:innenbewegung, die seit dem Neoli­beralismus und der bürgerlichen Restauration große Niederlagen erlitten hat, in ihrem Wieder­aufstieg dieselben Entwicklungen machen müs­se, die sie in ihrer Entstehung gemacht hat. Das heißt, sie müsse zuerst eine lange Zeit der ge­meinsamen Organisierung der Revolutionär:in­nen und Reformist:innen wie vor dem 1. Welt­krieg durchlaufen. Nur nach einer langen Perio­de des Kampfes und opportunistischer Fehler gäbe es die Möglichkeit einer revolutionären Or­ganisierung. Wir denken hingegen, dass die neuen Wellen des Klassenkampfes eine neue Generation von Arbeiter:innenavangarde hervor­bringen werden, die in ihrem Bewusstsein und Organisierung Sprünge machen kann. Das heißt, dass sie nicht mehr die großen reformisti­schen Apparate als erste Addressatin wahrneh­men müssen, sondern Revolutionär:innen unter ihnen einen größeren Einfluss erlangen können, wenn sie eigenständige revolutionäre Organisa­tionen mit Verankerung in der Arbeiter:innen­klasse bilden. Die historische Entwicklung der letzten Massenaufstände und der Rechtsruck sowie die Schwäche der LINKEN bestätigen eher unse­re Hypothese, wo sich alle neo-reformistischen Projekte in einer Sackgasse befinden und alte reformistische Apparate schrumpfen.“

Die SOL widerspricht in ihrem oben genannten Beitrag zwar, dass das ihre Politik sei. Dass die SOL trotz Rechtsruck schablonenhaft an ihrer Politik gegenüber der LINKEN festhält, bestätigt unsere Haltung dazu aber erneut. Die Gründung von Jugend für den Sozialismus (JfS) ist zwar ein kleiner Schritt in Richtung Unabhängigkeit von der Linken, ein strategischer Bruch sieht aber anders aus. So schreibt JfS in ihrer eigenen Stellungnahme zu den EU-Wahlen, dass die Linkspartei eine „Partei mit antikapitalistischem Anspruch und mit positivem Bezug zum Sozialismus“ sei, jedoch die „Praxis der Partei von ihrem eigentlichen Programm und Beschlüssen ab[weicht]“. In Wahrheit ist es andersherum: Das tatsächliche Programm der Partei – also das, was die Partei tatsächlich sagt und tut – ist überhaupt nicht antikapitalistisch, sondern zutiefst reformistisch und bewegt sich immer weiter nach rechts. Das „Abweichende“ sind nur die Schönwetterreden, die den wahren Charakter der Partei veschleiern. Es kann daher wohl nur als Ausdruck politischer Resignation angesehen werden, in der LINKEN zu verharren. Es bedeutet letztlich eine ständige Anpassung an einen bürokratischen reformistischen Apparat, um angeblich Teile der Klasse nicht zu verschrecken. Doch damit trabt die SOL letztlich den Bewegungen hinterher, anstatt sie anzuführen.

Position der SAV

Auch die Sozialistische Alternative (SAV) ruft zur kritischen Wahlunterstützung der LINKEN auf. In ihrem Aufruf heißt es: 

„In Deutschland schafft es Die Linke nicht, sich als wirkliche linke Alternative zum Establishment zu präsentieren. Das Europawahlprogramm tut so, als könne es einen EU-Neustart geben. Es verschleiert damit die Tatsache, dass Staatenzusammenschlüsse auf kapitalistischer Basis nicht neutral sein können oder für Frieden und soziale Gerechtigkeit sorgen werden. Allgemein richtige Forderungen wie höhere Löhne, Klimaschutz, funktionierende soziale Dienstleistungen und Umverteilung von oben nach unten bleiben relativ abstrakt, da Die Linke keine Durchsetzungsstrategie liefert und die Ursache Kapitalismus nicht klar benennt. Da, wo sie an der Regierung beteiligt ist, ist sie leider auch für Kürzungen verantwortlich, in Bremen wird zum Beispiel das Krankenhaus Links der Weser geschlossen – unter einer linken Gesundheitssenatorin! Die Logik des Profitsystems wird nicht durchbrochen. Gerade in Zeiten des kapitalistischen Niedergangs kann das nur in die Sackgasse führen. Die Mehrheit in der Partei krankt schon lange daran, im Zweifel auf Parlamentsposten zu orientieren und sich an die etablierten Parteien anzupassen. Nötig wäre der Aufbau einer konsequenten, antikapitalistischen Alternative, die in den Betrieben und Stadtteilen verankert ist.

Dennoch ist Die Linke in Deutschland die einzige größere Kraft, die nicht nur soziale Fragen aufwirft, die Reichen zur Kasse bitten will und Streiks unterstützt, sondern auch dem rassistischen und militaristischen Einheitsbrei etwas entgegensetzt, wenn auch leider häufig viel zu schwammig. Es bleibt richtig, die Partei Die Linke zu wählen.“

Letztlich gilt hier dasselbe, was wir auch schon gegenüber der SOL ausgeführt haben. Der Rechtsruck der LINKEN macht die Partei eben nicht zu einer Partei, die das Bewusstsein der Arbeiter:innen und der Massen vorantreibt – wenn sie das denn jemals überhaupt war. Der Mitgliederverlust der letzten Jahren, die schwachen Wahlergebnisse bzw. Umfragen zeigen, dass viele Menschen bereits mit den Füßen abgestimmt haben und andere politische Parteien ihre Stimme geben und nicht mehr wählen. Sich immer und immer wieder an die LINKE anzupassen und trotzdem all dieser Probleme der LINKEN so zu tun, als wäre die LINKE die einzig wählbare Kraft bei den Europawahlen, ignoriert diese Entwicklung völlig. Es ist vielmehr ein Ausdruck politischer Resignation und der fehlende Glaube daran, dass man mit einem sozialistischen Programm der Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse in der Lage ist, Massen zu erreichen.

Kritische Stimme als Teil einer Einheitsfronttaktik?

Auch die Gruppe Arbeiter:nnenmacht ruft zur kritischen Wahlunterstützung für DIE LINKE auf. Auf ihrer Website heißt es dazu: 

„Revolutionär:innen können nie das Programm und Strategie einer solchen Partei gutheißen. Wo sie zur Wahl dieser aufrufen, kann das immer nur eine kritische Unterstützung darstellen, die darauf zielt, die Basis eine solchen Partei zu erreichen und sie in einen Gegensatz zu ihrer Führung zu bringen, indem man einerseits zur Wahl dieser Partei aufruft, andererseits die Mitglieder oder Wähler:innen dazu auffordert, ihre Führung in der Aktion auf die Probe zu stellen, von ihr einen wirklichen Kampf selbst für ihre Reformforderungen zu führen. In diesem Sinne setzt die Taktik der kritischen Wahlunterstützung als eine Form der Einheitsfronttaktik notwendig mit der Kritik an den nicht-revolutionären Formationen an, die es hierdurch gilt, anhand ihres Programms zu überprüfen.“

Zunächst einmal halten wir es für sinnvoll, die Frage zu klären, was eigentlich die Einheitsfront bedeutet. Die Einheitsfront ist eine Taktik, sozialdemokratische bzw. reformistische Organisationen und Beschäftigte zur gemeinsamen Aktion gegen Angriffe von Kapitalist:innen und Faschist:innen zu bewegen, ohne aber die eigene politische Unabhängigkeit aufzugeben. Das heißt, gemeinsam schlagen gegen einen gemeinsamen politischen Feind. Das heißt aber vor allem die Wahrung voller Diskussionsfreiheit innerhalb dieser Front. Das heißt, die zentrale Aufgabe von Revolutionär:innen ist es, einen Kampfplan aufzustellen und eine eigene Perspektive in den Kampf hineinzutragen, um den Mitgliedern sozialdemokratischer Organisationen aufzuzeigen, wie unfähig und unwillens ihre Führungen sind, den Kampf gegen Angriffe auf unsere Arbeits- und Lebensbedingungen bis zum Ende zu führen. 

Für uns ist diese Taktik essentiell. Wir haben in der Vergangenheit immer wieder mit Mitgliedern der Linkspartei gemeinsame Kundgebungen und Demonstrationen organisiert und DIE LINKE aufgefordert, eine antiimperialistische Position zu beziehen zum Krieg in der Ukraine oder auch jetzt in Gaza – ohne auch nur ein Fünkchen an politischer Unabhängigkeit aufzugeben oder periodisch zur Wahl zur Linkspartei aufzurufen. Zwar verschließen wir uns nicht grundsätzlich davor, unter sehr bestimmten Umständen auch reformistische Parteien, in denen in Momenten des Aufstiegs des Klassenkampfes breite Teile nach links tendieren, kritisch bei Wahlen zu unterstützen. Doch könnten wir aktuell kaum weiter entfernt sein davon, dass DIE LINKE solch eine Partei ist. Zudem fragen wir uns, was das politisch überhaupt mit einer Einheitsfront zu tun haben soll. 

Denn anders als bei einer Verteidigung in der Aktion gegen einen gemeinsamen politischen Feind, ist der Wahlantritt der Linkspartei keine gemeinsame Aktion von Revolutionär:innen und Reformist:innen, sondern ein Wahlantritt einer gefestigt reformistischen Partei, die sich in den letzten Jahren zudem immer stärker nach rechts entwickelt hat und immer mehr Mitglieder verloren hat. Es gibt keinen relevanten Flügel in der Partei, der nach links tendiert. Es gibt keine Masseneintritte in die Partei, auch wenn der Austritt von Wagenknecht einen kleinen Mitgliederzuwachs brachte. Die GAM schreibt weiter: „Eine Kampagne, die sich auf eine Wahlenthaltung oder gar einseitig auf Nichtwahl der LINKEN kapriziert, als ob es nichts Schlimmeres im Juni 2024 gebe, halten wir für unsinnig.“

An der Stelle wird deutlich, wie widersprüchlich die Position der GAM ist. Natürlich gibt es Schlimmeres als die Linkspartei, aber das ist doch gar nicht die Frage. Die Frage ist, ob die GAM nicht selbst die Rolle der Linkspartei beim Rechtsruck unterschätzt. Insbesondere das Argument, man müsse DIE LINKE wählen, um den Aufstieg der Rechten zu bremsen, ist keinesfalls neu. 

Die GAM ruft seit Jahren zur kritischen Wahlunterstützung für die LINKE auf. Doch was ist die Bilanz dieser Taktik in den letzten Jahren? Die GAM schreibt richtigerweise, dass die Logik vom „kleineren Übel“ eine Illusion ist. Wie wir weiter oben bereits erläutert haben, hat genau diese Logik den Aufstieg der Rechten mit begünstigt. Dort wo DIE LINKE stark war, ist heute die AfD stark. Anstatt konsequent die Interessen von Jugendlichen, Arbeiter:innen und Unterdrückten zu vertreten, hat die LINKE Bewegungen in parlamentarische Bahnen gelenkt und letztlich jede Eigendynamik damit zerstört. Bestes Beispiel dafür ist der Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“, wo vor Jahren noch Zehntausende auf den Straßen in Berlin waren. Eine starke LINKE war niemals ein Garant dafür, die Rechte zurückzudrängen, sondern die Integration der LINKEN in bürgerliche Regierungen hat die AfD immer weiter gestärkt. 

Hunderttausende Menschen haben sich in den letzten Jahren von der Linkspartei abgewandt. Die Spaltung der Linken und vor allem der Gaza-Krieg haben längst dazu geführt, dass Leute sich in Richtung Sahra Wagenknecht und/oder in kleineren Teilen auch zu MERA25 umorientieren. Wie wir an anderer Stelle erläutert haben, halten wir die Wahl von BSW oder MERA25 nicht für richtig. Dennoch drückt sich darin aus, was weder die SOL noch die GAM wahrnehmen wollen. Die Krise der Linkspartei öffnet ein Vakuum in der Linken, was Raum bietet für neue politische Kräfte und Fronten. Die Jugendbewegungen für Palästina an den Universitäten muss für die revolutionäre Linke ein zentraler Anker sein für den Aufbau einer antiimperialistischen Jugendbewegung. Was der revolutionären Linken fehlt, ist kein Aufruf zu irgendeiner Einheit der LINKEN auf reformistischer Basis, sondern eine revolutionär-sozialistische Linke, die das Selbstbewusstsein hat, den Kampf gegen die reformistischen Führungen aufzunehmen, Hunderttausende zu erreichen – auch bei Wahlen – und sich das Ziel setzt, mit den fortschrittlichsten Teilen der Jugend und der Arbeiter:innen zu verschmelzen. 

Die Genoss:innen von Revolutionäre Linke (RL) und Sozialismus von Unten (SvU) haben bisher keinen offiziellen Wahlaufruf. Wir begrüßen sehr, dass sich beide Organisationen im letzten Jahr von der LINKEN abgespalten haben und laden sie gerne ein, mit uns über den Aufbau einer sozialistischen Kraft zu diskutieren, die ihre Perspektive auch bei Wahlen in einer gemeinsamen Front nach außen trägt. 

Für eine sozialistische Kraft der Arbeiter:innen und der Jugend in Europa

Eine solche Kraft existiert in Europa noch nicht. Jedoch sind wir fest davon überzeugt, dass es sich lohnt, für ihren Aufbau zu kämpfen, anstatt sich wieder und wieder an die LINKE zu klammern. Was für ein Programm eine solche Formation bei den Europawahlen aufstellen würde, können wir beispielhaft an der Kandidatur unserer spanischen Schwesterorganisation CRT ablesen, die mit einem antikapitalistischen und sozialistischen Programm gegen den Genozid in Palästina, gegen Krieg und gegen die Festung Europa zu den Europawahlen zugelassen wurden.

Unsere Genoss:innen der PTS in Argentinien zeigen innerhalb der FIT-U seit Jahren, dass es möglich ist, mit solch einem Programm Millionen Menschen zu erreichen. Nicht allein durch Wahlkampf einige Woche vor den Wahlen, wie es bei bürgerlichen Parteien üblich ist, sondern durch eine tiefe Verankerungen in den Bastionen der Jugend und der Arbeiter:innenklasse, durch Kandidatur:innen von Anführer:innen der Jugend und der Arbeiter:innen, die es ihnen ermöglicht aus ihren Stellungen heraus zur gesamten Klasse zu sprechen und das Parlament als Bühne nutzt, um die Kämpfe, wie aktuell gegen den rechten Präsidenten Milei, zu unterstützen. 

Wenn wir dazu aufrufen, zu diesen Europawahlen in Deutschland ungültig zu wählen, dann in der Perspektive, spätestens zu den Bundestagswahlen im nächsten Jahr eine sozialistische Wahlfront aufzubauen. Auch in Deutschland müssen wir Kräfte für eine konsequente antikapitalistische und internationalistische Alternative, unabhängig von den reformistischen Bürokratien und Parteien, sammeln. 

Wir laden insbesondere die Genoss:innen der GAM, der SOL und der SAV, ebenso wie von SvU und RL, aber auch andere sozialistische Organisationen ein, diese Diskussion mit uns führen und gemeinsam eine sozialistische Wahlfront aufzubauen. Die aktuelle Krise, die Kriege und der Aufstieg der Rechten sind eine Chance für Revolutionär:innen eine eigene Alternative aufzubauen. Die GAM, die SAV und die SOL verpassen diese Chance, wenn sie sich weiterhin weigern, sich am Aufbau einer sozialistischen Wahlfront zu beteiligen. 

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