Warum ich als Berliner Schulsozialarbeiterin ungültig wähle
Schulsozialarbeit ist notwendiger denn je. Egal, wo wir hingucken. Ob auf Inklusion, auf die Gestaltung des Ganztages oder die Bewältigung der Pandemiefolgen: An allen Schulen in der Hauptstadt braucht es mehr Sozialarbeiter:innen als es gibt. Die Anzahl der Kinder und Jugendlichen, die sich selbst verletzen, suizidgefährdet oder gar suizidal sind, nimmt stetig zu. Es gibt auch immer mehr Jugendliche, die mit psychischen Krankheiten wie beispielsweise Depressionen diagnostiziert werden.
An Brennpunktschulen kommen beengte Wohnverhältnisse hinzu, weil der rot-rot-grüne Senat sich nach wie vor weigert, den Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. enteignen” umzusetzen. Auch haben die Schüler:innen mit Armut, Diskriminierungserfahrungen und/oder der ständigen Angst vor Abschiebung zu kämpfen. Leider eine berechtigte Angst, denn in keinem Bundesland wird so viel abgeschoben wie in Berlin – nicht nur numerisch, sondern auch anteilig. Und das unter einer „linken“ Regierung. Nicht, dass ich von der CDU oder der FDP mehr erwarte. Im Gegenteil. Der Inhalt des Wahlkampf der CDU ist zusammengefasst Rassismus. Aber zurück zum Thema.
Vom Senat werden um die 100 Stellen für Schulsozialarbeiter:innen pro Jahr ausgeschrieben. Bei über 800 Schulen ist das wenig. Zu wenig. Alle anderen von uns sind von freien Trägern angestellt, also freien Unternehmen. Das war nicht immer so. Vielmehr wurde seitens der Politik der verheerende Fehler begangen, den Bereich an die freie Wirtschaft outzusourcen.
Pädagogik interessiert in der Marktwirtschaft niemanden. Stattdessen überwiegen Profitinteressen. So spart der Träger, für den ich arbeite, zum Beispiel überall, wo er es kann. Wir arbeiten deshalb alle nicht unter dem Schutz eines Tarifvertrages, sondern lediglich „angelehnt an den Tarifvertrag der Länder (TV-L)“. So steht es in den Stellenausschreibungen – nicht aber in unseren Arbeitsverträgen, da wir dann tatsächlich unter dessen Geltungsbereich fielen. Dann könnten wir erkämpfte Gehaltserhöhungen einklagen.
So ist es von der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens abhängig, ob die Arbeitsbedingungen genauso gestaltet werden, wie es der TV-L vorsieht – oder nicht. Und, oh Wunder: Urlaubsgeld, vermögenswirksame Leistungen und Sonderurlaub kriegen wir nicht. In meinem Arbeitsvertrag heißt es sogar: „Sonstige Zuwendungen – wie Jahressonderzahlung – können gewährt werden. Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass es sich bei den sonstigen Zuwendungen um einmalige und freiwillige Zahlungen handelt“. Und während meine Kolleg:innen in Tränen ausbrechen, wenn auf der Gehaltsabrechnung wieder einmal willkürlicherweise 100 Euro fehlen, fährt mein Chef jedes Mal, wenn ich ihn sehe, in einem anderen teuren Auto vor.
Die bildungspolitischen Sprecher:innen der FDP, der CDU, der SPD, der Grünen und der Linken versprechen das Blaue vom Himmel. Aber sie können so viele Stellen schaffen, wie sie lustig sind – der Fachkräftemangel wird weiter existieren, wenn das Outsourcing und die damit einhergehende Prekarität nicht beendet wird.
Sozialarbeiter:innen müssen alle wieder vom Senat angestellt werden. Und das Geld dafür ist da. Aber es wird woanders ausgegeben: 190 Millionen Euro wurden für Start Ups, 3,75 Millionen Euro für die Polizeiwache am Kottbusser Tor und 1,5 Millionen Euro für Taser für die Polizei bereitgestellt.
Und es kommt noch schlimmer: Statt Geld in Bildung zu stecken, wird in Bildung gekürzt. Eine Milliarde Euro hat R2G im Schulbau und der Schulsanierung „verloren“ und im Rahmen des Nachtragshaushalts im November nur 300 Millionen Euro davon wiedergefunden, obwohl in Aulen der Putz von der Wand fällt und Klassenräume von Schimmel befallen sind. Das entspricht einer Kürzung in Höhe von 700 Millionen Euro. Aber jetzt macht die Berliner Linkspartei Wahlkampf mit dem Slogan „Schulen sanieren. Neue bauen.“ Heuchlerisch geht es kaum.
Nochmals: All das tut eine vermeintlich linke Regierung. Ich sitze vor meinen Briefwahlunterlagen und muss mich nicht mehr fragen, wen man vor diesem Hintergrund wählen soll. Aus einer bildungspolitischen Perspektive halte ich keine Partei für wählbar. Ich wähle ungültig.