Warum gibt es in Berlin ein Pro-Völkermord-Denkmal?

22.11.2022, Lesezeit 5 Min.
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Der Afrikastein, Berlins widerwärtigstes Denkmal. Foto: Nathaniel Flakin

Auf einem Friedhof in Neukölln erinnert der sogenannte Afrikastein an sieben deutsche Soldaten, die starben, während sie sich am Völkermord an den Herero und Nama beteiligten. Nathaniel Flakin fragt sich: Wie kann so etwas möglich sein?

Nur wenige Menschen kennen den Volkstrauertag. Er besteht darin, dass jeden 13. November ein Haufen alter Faschist:innen und Halbfaschist:innen mit Kerzen und Blumen zu Soldatenfriedhöfen zieht, um den Gefallenen zu gedenken.

Der militaristischste Friedhof Berlins liegt am Columbiadamm, neben dem Tempelhofer Feld und dem Neuköllner Schwimmbad. Dort finden Sie Denkmäler für deutsche Soldat:innen aus dem Deutsch-Französischen Krieg, dem Ersten und sogar dem Zweiten Weltkrieg, mit chauvinistischen Botschaften wie: Wir starben, auf dass Deutschland lebe! Es ist gruselig – etwas, das es heute eigentlich nicht mehr geben sollte.

Ich besuchte diesen Friedhof letzten Sonntag aufgrund eines anonymen Hinweises (dazu gleich mehr) und sah zahlreiche frische Kränze und noch brennende Kerzen. Ich muss denjenigen verpasst haben, der sie angebracht hat. Ich stelle mir einen erbärmlichen Achtzigjährigen vor, dessen Nazi-Nostalgie bald mit ihm sterben wird.

Im hinteren Teil des Friedhofs, an der östlichen Mauer zum Teich hin, steht das abstoßendste Denkmal Berlins. Der riesige Brocken aus rotem Granit ist sieben deutschen Soldaten gewidmet, die in Südwestafrika den Heldentod starben. In den Jahren 1904 –1907 verübten sie einen Völkermord an den Herero und Nama in Namibia – der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts. Auf Befehl der deutschen Kolonialmacht wurden 60.000 bis 80.000 Herero und Nama jeden Geschlechts, unter ihnen auch Kinder, ermordet.

Dieser 1907 geschaffene Stein wurde 1973 auf dem Friedhof aufgestellt und steht seitdem hier. Selbst nachdem die deutsche Regierung im letzten Jahr den Völkermord irgendwie (aber nicht wirklich) anerkannt hat, hat sich an diesem Gedenkstein nichts geändert. Und als ob das nicht schon grausam genug wäre, wurde später ein Logo des deutschen Afrikakorps von 1941 – 1943 auf dem Stein hinzugefügt.

Statt dieses schreckliche Denkmal entfernen zu lassen, hat die Neuköllner Regierung versucht, es zu kontextualisieren – und alles nur noch schlimmer gemacht. Vor dem auch Hererostein genannten Denkmal wurde 2004 eine provisorische Gedenktafel für die Opfer des Völkermordes angebracht. Sie verschwand bereits nach wenigen Tagen. Im Jahr 2009 wurde ein dauerhafterer Grabstein aufgestellt, auf dem der Begriff „Genozid“ nicht mehr vorkommt. Stattdessen wurde er den Opfern der deutschen Kolonialherrschaft gewidmet.

Was soll man dazu sagen? Wenn wir großzügig sein wollen, könnten wir zugestehen, dass die lokalen Politiker zweifellos gute Absichten hatten. Offenbar hat das deutsche Außenministerium hinter den Kulissen darauf gedrängt, das “G-Wort” zu vermeiden. Aber die neue Plakette dient nur dazu, den Rassismus zu unterstreichen: Während sieben deutsche Mörder mit einem riesigen Stein geehrt werden, werden ihre 60.000 Opfer in eine Fußnote verwandelt. Weniger als 2.000 Euro hat das Bezirksamt für diese schlichte Marmorplatte ausgegeben. Und doch ist diese beleidigend unzureichende Gedenktafel das einzige Denkmal für die Opfer des deutschen Kolonialismus im ganzen Land.

Am Sonntag bekam ich zwei sehr unterschiedliche Perspektiven auf den Afrikastein zu sehen. Ein Traditionsverband der Freunde des früheren Schutzgebietes Deutsch Südwestafrika (ja, das ist ihr richtiger Name) hatte ein weißes Band mit dem Spruch: Ein vaterländischer Gruß zu den fernen Gräbern in Südwestafrika hinterlassen. Damit sind nicht die Gräber der Opfer des Völkermordes gemeint, sondern die der Mörder.

Doch am selben Tag hatte jemand (vermutlich eine andere Person) den Stein mit leuchtend roter Farbe beschmiert. Ich hatte einen anonymen Hinweis erhalten. Bei näherer Betrachtung wies der gesamte Felsen unzählige rote Flecken auf – frühere Graffiti, die sich nicht mehr ganz entfernen ließen. Ich fragte das Bezirksamt Neukölln, wie oft Menschen mit roter Farbe ihre Abneigung gegen den Völkermord zum Ausdruck bringen. Sie sagten, dass sie keine Statistik führten, aber dass es sehr oft vorkomme, auch wenn sich das Tempo im Jahr 2021 verlangsamt habe.

Ich fragte mich, wie viel sie für die Beseitigung des letzten Farbanstrichs zahlen würden – wie viel alle Steuerzahler:innen für die Ehrung dieser „Helden“ zahlen würden? Sie haben versprochen, sich bei mir zu melden, sobald sie einen Kostenvoranschlag haben.

Bereits im August berichtete die taz, dass sich “etwas ändern” würde. Doch der Artikel unter dieser Schlagzeile klang viel bescheidener. Offenbar will das Museum Neukölln – einige Kilometer vom Friedhof entfernt – im Jahr 2023 eine Ausstellung über den Afrikastein zeigen. Sie verspricht, „die verschiedenen Perspektiven“ zu zeigen. Aber wie genau sehen unterschiedliche Perspektiven auf Völkermord aus? Pro und Contra?

Stellen Sie sich einmal vor, der deutsche Staat würde auf diese Weise seiner anderen Völkermorde gedenken. Das hieße, alle Nazi-Statuen stehenzulassen und dann kleine Schilder anzubringen, die darauf hinweisen, dass einige Leute Hitler gegenüber sehr kritisch eingestellt sind.

Christian Kopp von “Berlin Postkolonial” hat eine viel einfachere Lösung: den Afrikastein wegnehmen – nicht erst nach ein paar Jahren Diskussion, sondern jetzt – und ihn in der Zitadelle Spandau aufstellen, wo auch andere stillgelegte „toxische Denkmäler“ präsentiert werden.

Und wenn das zu teuer ist? Es gibt eine viel einfachere Lösung: das Neuköllner Bezirksamt könnte der Zivilgesellschaft den Vortritt lassen. Indem ein roter Anstrich nach dem anderen aufgetragen wird, kann Berlin ein lebendiges Denkmal schaffen, das die schockierenden Verbrechen des deutschen Kolonialismus immer wieder verurteilt.

Mehr über den Afrikastein und die Kolonialgeschichte Berlins erfahren Sie in Nathaniels Buch Revolutionary Berlin, das bei Pluto Press für 20 € erhältlich ist.

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