Wahlrecht für alle, die hier leben!

18.12.2024, Lesezeit 5 Min.
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Foto: Fabian Strauch/shutterstock.com

Die Bundestagswahl steht bevor, doch Millionen Menschen in Deutschland bleiben außen vor. Ihnen wird ein wichtiges demokratisches Recht verwehrt. Es ist Zeit, das Wahlrecht für alle zu erkämpfen.

Menschen, die aus migrantischen Familien kommen, selber als Arbeitskräfte eingewandert sind oder aus ihren Heimatländern flüchten mussten, werden in Deutschland strukturell benachteiligt und entrechtet. Das Wahlrecht ist ein Beispiel dafür. Es bleibt eine ungelöste demokratische Frage hierzulande und drückt die Ungleichheit vor dem Gesetz und im Alltag aus. 

Millionen ohne Stimme: Wer vertritt sie?

Nach den neuesten Meldungen des Statistischen Bundesamts (auf Basis des Ausländerzentralregisters 2023) leben etwa 11,5 Millionen Menschen ohne deutsche Staatsbürger:innenschaft in Deutschland, die mindestens 18 Jahre alt sind. Dazu gehören auch die registrierten Geflüchteten in Sammelunterkünften. Sie wären vom Alter her in der Lage zu wählen, aber sie sind von der Stimmabgabe ausgeschlossen, da das Wahlrecht in Deutschland an die Staatsangehörigkeit gebunden ist​ (laut BVerfGE 83, 37, 59 ff.). Addiert man nun diese Gruppe mit der Zahl an Wahlberechtigten in Deutschland, die 59,2 Millionen Menschen beträgt, kommt man auf eine Zahl von insgesamt 70,7 Millionen potenziellen Wahlberechtigten hierzulande. Das bedeutet, dass die Migrant:innen (ohne deutschen Pass und mindestens 18 Jahre alt) etwa 16,3 % der 70,7 Millionen Wahlberechtigten ausmachen würden. Egal wie die Wahlergebnisse aussehen werden, bleiben sie nur teils repräsentativ, weil Millionen dabei nicht berücksichtigt werden.

Die Ungleichheit vor dem Gesetz bedeutet eine strukturelle Benachteiligung. Wenn die Migrant:innen keine Stimme abgeben dürfen, werden ihre Bedürfnisse von den Parteien nicht priorisiert. Es wird nichtsdestotrotz von ihnen erwartet, dieselbe Arbeit mit mindestens derselben Qualität und nach den Vorschriften wie ihre deutschen Kolleg:innen zu leisten. Sie müssen Steuern zahlen und sich „integrieren“. Union und FDP sind offen, Menschen ohne deutschen Pass in die Bundeswehr zu rekrutieren. Sie dürfen demnach an die Kriegsfront, aber nicht wählen. 

Deutschland hat eines der restriktivsten Gesetze weltweit, wenn es um das Wahlrecht von den nicht Staatsangehörigen geht. Juristisch wird das Verbot des Wahlrechts mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1990 begründet, in dem die Einführung eines Ausländerwahlrechts auf kommunaler Ebene in Schleswig-Holstein und Hamburg „für verfassungswidrig und nichtig erklärt wurde“. Das Bundesverfassungsgericht erklärte damals, dass nach Artikel 20 des Grundgesetzes alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Mit Volk seien diejenigen gemeint, die deutsche Staatsbürger:innen sind.

Die Regierungsparteien bringen den Einwand ein, dass die Einbürgerung unter der Ampel-Regierung erleichtert wurde, so dass nach fünf Jahren Aufenthalt der Erwerb möglich sei. Doch sie schweigen dabei von ökonomischen und politischen Voraussetzungen, die den Migrant:innen Hürden auf den Weg stellen. Wer die Einbürgerung will, darf beispielsweise keine Sozialleistungen beziehen. Wer aus welchem Grund auch immer nicht arbeitet, darf den deutschen Pass nicht bekommen. Des Weiteren wird von den Antragsteller:innen das Bekenntnis zum israelischen Staat gefordert, was eine rassistische Disziplinierungsmaßnahme der Migration darstellt. Denn mit der höchst umstrittenen IHRA-Definition für Antisemitismus können jegliche oppositionellen Äußerungen zum israelischen Staat und dessen deutscher Unterstützung als antisemitisch bezeichnet werden. 

Initiativen wie „Nicht ohne uns 14 Prozent“ oder „PASSt uns allen“ versuchen mit Kampagnen auf das demokratische Problem in Deutschland aufmerksam zu machen. Doch dabei bekommen sie bis auf Lippenbekenntnisse keine ernsthafte Rückendeckung von den Parteien. Schon damals in den 1970ern haben die sogenannten Gastarbeiter:innen Proteste organisiert, um das Wahlrecht zu erkämpfen, die allerdings erfolglos ausgegangen sind.

Wahlrecht für alle!

Die Migrant:innen in Deutschland sind heute mit strukturellen Hindernissen konfrontiert. Die Segregation der Geflüchteten, die Abschiebeoffensive, die rassistische Gewalt der Rechten und der Polizei, rassistische Diskriminierung und Benachteiligung auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie Einschränkungen sozialer Teilhabe und das fehlende Wahlrecht sind Ausdrücke davon. 

Es gibt bis heute Lücken in demokratischen Errungenschaften, wozu das Wahlrecht unter anderem gehört. Anfang des 20.Jahrhunderts hat die Frauenbewegung das Wahlrecht erkämpft, doch es gibt heute Millionen Frauen, die immer noch nicht wählen dürfen. Das Wahlrecht ist also beschränkt und noch nicht bis zum Ende erkämpft. Die Gewerkschaften haben zahlreiche Mitglieder, die vom Wahlrecht ausgeschlossen sind. Sie können dem mit einem konsequenten Kampf ein Ende setzen.

Mit den Bundestagskandidaturen von Inés Heider und Franziska Thomas in Berlin und Leonie Lieb in München möchten wir antirassistischen Forderungen in den Mittelpunkt rücken und den antirassistischen Kampf in den Betrieben und auf der Straße stärken. Während alle alle etablierten Parteien nach Rechts rücken und immer stärker gegen Migrant:innen hetzen, vertreten wir als RIO in unserem Programm offene Grenzen, Wahl- und Bleiberecht für alle und stellen uns gegen Abschottung und Abschiebungen. Wer hier lebt, soll auch wählen dürfen. Wir fordern aktives und passives Wahlrecht für alle Menschen, die in Deutschland leben.

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