Wahlen in Tschechien: Petr Pavel, Marionette in Milliardärshänden
In Tschechien steht an diesem Wochenende die zweite Wahlrunde an. Der Sieger der ersten Runde, Petr Pavlik, wird gegenüber dem Milliardär Andrej Babiš als "kleineres Übel" gesehen. Doch was steckt hinter dem ehemaligen NATO-General? Ein Kommentar.
Die Menschen waren in der Politik stets die einfältigen Opfer von Betrug und Selbstbetrug, und sie werden es immer sein, solange sie nicht lernen, hinter allen möglichen moralischen, religiösen, politischen und sozialen Phrasen, Erklärungen und Versprechungen die Interessen dieser oder jener Klassen zu suchen.1
– Wladimir Lenin
Was steht bei den Wahlen auf dem Spiel?
Derzeit wird entschieden, wer das nächste Staatsoberhaupt Tschechiens wird. Vor der ersten Wahlrunde am 13. und 14. Januar besagten Umfragen, dass der Ex-Vorsitzende des Militärausschusses der NATO, Petr Pavel, gegen Ex-Premier Andrej Babiš das Rennen um die Präsidentschaft gewinnen würde. Nun steht eine Stichwahl zwischen den zwei Kandidaten an, nachdem Pavel in der ersten Wahlrunde mit 35,4 Prozent einen knappen Vorteil gegenüber 34,99 Prozent für Babiš verzeichnen konnte.
Babiš, der durch sein Unternehmen Agrofert zu den Reichsten des Landes gehört, konnte kurz vor den Wahlen einer Verurteilung wegen Betrugs entkommen. Ihm wird des Öfteren eine rechtspopulistische Orientierung zugeschrieben. Dagegen wird Pavel von den anderen Kandidat:innen unterstützt, die bei der ersten Wahlrunde scheiterten. Unter ihnen befindet sich auch die Wirtschaftswissenschaftlerin Danuše Nerudová, die zuvor in einigen Umfragen als Mitbewerberin um den Posten galt und mit nur 14 Prozent für einiges an Überraschung sorgte. Sie sagte am Abend ihrer Niederlage im Zusammenhang mit ihrer Unterstützung für Pavel: „Es gibt immer noch ein großes Übel, und dieses Übel heißt Babiš“.
Es zeichnet sich also eine Wahl „für oder gegen Babiš“ ab. In dieser Situation ist der politische Wahlkampf von persönlichen Vorwürfen der Kandidaten untereinander geprägt. Wer ist also Petr Pavel, „das kleinere Übel“?
Wer ist Petr Pavel?
Petr Pavel war von 2015 bis 2018 erster Vorsitzender des NATO-Militärausschusses aus den Ländern des früheren Warschauer Paktes. Von 2012 bis 2015 bekleidete er als Chef des Generalstabs das höchste Militäramt der Tschechischen Republik.
Pavel stammt aus der tschechischen Stadt Plan. Sein Vater Josef Pavel diente als Militäraufklärer und war Mitglied der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KPTsch). Dieser wurde ein großes Vorbild für Petr und beeinflusste seine Karriere. Er absolvierte 1979 das Jan Žižka-Militärgymnasium in Opava und 1983 die Militärhochschule des Heeres in Vyškov. 1985 wurde Petr Pavel in die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei aufgenommen. Dann hat er einen Militäraufklärungskurs an der Antonín-Zápotocký-Militärakademie in Brünn abgeschlossen.
Die Samtene Revolution von 1989 eröffnete für Pavels Wirken eine neue Perspektive und 1999 setzte er seine Karriere in der NATO fort. Trotz seiner Laufbahn über nun zwei Jahrzehnte in den westlichen Streitkräften wird ihm seine ehemalige Mitgliedschaft in der KP bei den Wahlen zum Verhältnis. Doch was liegt dieser Vergangenheit zugrunde?
Kommunistische Vergangenheit: Parteiloyalität als Scheinehe
Es ist bemerkenswert, dass Pavel kurz vor seiner politischen Karriere mit der kommunistischen Vergangenheit gebrochen hat. „Ich war 6 Jahre alt und ich konnte nicht verstehen, warum unsere Freunde, die uns im Krieg befreit hatten, uns mit den Panzern und mit dem Feuer „halfen“. Ich musste auf Verständnis warten. Vielleicht ist der Wert der Freiheit und die Notwendigkeit, sie zu schützen, das wertvollste Wissen“, schrieb Petr 2020 am 52. Jahrestag der Invasion der Warschauer-Pakt-Truppen gegen den Aufstand der Arbeiter:innen und Studierenden im Prager Frühling, auf Twitter. Natürlich beschuldigten viele Twitter-Nutzer ihn der Heuchelei, weil Pavel Sekretär der Grundorganisation der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei war.
Warum trat Pavel in die Partei ein?
Im Interview mit der tschechischen Wochenzeitung „Respekt“ begründete Pavel seine Motivation zum Parteibeitritt damit, dass es eine zwingende Voraussetzung für seine erfolgreiche Militärkarriere war. Aber dann änderte Petr seine Meinung. Im Jahr 2019 erzählte er in seiner Rede bei dem Konzert für das Gedächtnis der Nation, das in Prag stattfand, seine Lebensgeschichte neu: „Ich dachte, dass genau die gleiche Situation wie 1967/1968 eintreten könnte. Ich wollte die Maßnahmen treffen, die dann eine weitreichende Veränderung bewirken konnten.“ Ihm zufolge hatte Gorbatschows Politik einen starken Einfluss auf seine Ansichten ausgeübt. Damals applaudierte das Publikum dem Ex-Armeegeneral begeistert. Peter verschwieg, dass er noch im Jahr 1983 einen Mitgliedsantrag stellte und im Februar 1985 Mitglied der KP Tschechiens wurde.
Konzert für das Gedächtnis der Nation oder für antikommunistische Propaganda?
Das Konzert für das Gedächtnis der Nation wurde von der tschechischen NRO Post Bellum, die eine Mitglieder(Teil)organisation der Platform of European Memory and Conscience ist, veranstaltet. Interessant hieran ist, dass 2017 die deutsche Historikerin Juliane Wetzel anführte, dass die Plattform, die auch in Prag gegründet wurde, in den Gründungsdokumenten zwar explizit auf die Singularität des Holocaust verweist; allerdings befassen sich die beteiligten Institutionen und Organisationen aber fast ausschließlich mit dem kommunistischen Terror. Es entstehe der Eindruck, dass es den Beteiligten nur um die Darstellung der Verbrechen und Leiden während des Stalinismus gehe, fügte sie hinzu. Durch diese Verbindungen wird Pavels scheinheiliges Verhältnis zu diesem Teil seiner Vergangenheit offenbart.
Im Dienst der NATO: Pavels ununterbrochene Wahnsinnskarriere
1999 traten Tschechien, Polen und Ungarn als erste Mitglieder der ehemaligen Warschauer Vertragsorganisation der NATO bei. Von 1999 bis 2002 war Peter Pavel Verbindungsoffizier im Hauptquartier der US-Streitkräfte (AFCENT) sowie Stellvertreter des Befehlshabers des aus dem Hauptquartier hervorgegangenen Regionalkommandos ANFORTH.
Während der Irak-Invasion 2003 diente er als Verbindungsoffizier bei den amerikanischen Streitkräften in As Sayliyah (Katar), wo ein mobiles US-Operationszentrum für die Führung aller Einsätze zu Lande, in der Luft und auf See stationiert war. Damals warnte er, der Irak könne Massenvernichtungswaffen einsetzen. „Falls heute der Kommandeur der Republikanischen Garde in eine gefährliche Situation gerät, kann er chemische Waffen einsetzen“, sagte er der Tschechischen Presse-Agentur.
Doch Massenvernichtungswaffen wurden im Krieg weder eingesetzt noch entdeckt. Außerdem wussten alle NATO-Mitglieder bereits vor der Invasion, dass die US-Geheimdienstinformationen gefälscht waren und dass in den Neunziger Jahren biologische und chemische Waffen durch die UN-Waffeninspekteure und die Iraker selbst vernichtet wurden. Natürlich wusste auch der damalige Verbindungsoffizier Pavel davon, aber die NATO-Karriere war ihm wichtiger als Wahrheit und Gerechtigkeit.
Keine klare Position in der Frage um die Krim
Im Zuge des Laufbahnaufstiegs wurde der Ex-General Meister der Schaukelpolitik. Kurz vor der Ernennung zum Vorsitzenden des NATO-Militärausschusses forderte er in einem Interview mit der tschechischen Zeitung Aktuálně.cz einen friedlichen Ausweg aus der Ukraine-Krise und plädierte gegen Waffenlieferungen. Das war damals völlig verständlich und logisch, denn die Herren der Welt in der Person des US-Präsidenten Obama waren auch Gegner der Militärhilfe für die Ukraine.
„Ich habe mich lange von der Lage in der Ukraine distanziert. Aber bei Bedarf nehme ich eine gemäßigte Haltung in dieser Frage ein“, sagte er. Laut Pavel würden Waffenlieferungen eine Eskalationsspirale befeuern und noch mehr Tote bringen. Er meinte, dass beide Seiten des Konflikts schuldig waren: „Die binäre Vision der Welt ist gut nur für Computerspiele. Die Situation in der Ostukraine ist nicht schwarz-weiß, wo die Ukraine nur weiß ist und Russland ausschließlich schwarz ist. Solche Darstellung führt dazu, dass Extrempositionen beider Seiten verstärkt werden.“
Am Anfang des Angriffskrieges zog Peter Pavel auf LinkedIn über den ukrainischen Politiker Oleksiy Goncharenko her, der in seinem eigenen Telegram-Kanal Folter von Kriegsgefangenen gefordert, unmoralische Bilder gepostet und rassistische und ultranationalistische Ideen verbreitet hatte. Der Ex-Armeegeneral löschte dennoch später all seine Posts und begann ein neues Leben im sozialen Netzwerk . Die Telegram-Nachrichten von Goncharenko bleiben immer noch stehen. Diese sind nur die Spitze des Eisberges.
Heute befürwortet Pavel eine militärische Unterstützung der Ukraine, um die Freiheit Europas und der „westlichen Werte“ zu verteidigen. Dies stellt er auch Babiš gegenüber, der mit einem vermeintlichen Pazifismus – welcher von Anfang bis Ende inkonsistent bleibt – auf westlicher Seite eine breite Ablehnung erfährt. Durch einee nähere Betrachtung ihrer vor allem ökonomischen Unterstützer:innen lässt sich zeigen, dass weder der Agrobusiness-Milliardär noch der Ex-NATO-General den Arbeiter:innen, Jugendlichen und Frauen Tschechiens irgendeine Politik in deren Interesse erfüllen werden. Sie stellen jeweils nur zwei Seiten der herrschenden Klasse Tschechiens dar, die sich in einer polarisierten Welt für gegensätzliche Richtungen einsetzen.
Präsidentenwahlen in Tschechien: Wessen Interessen schützt Petr Pavel?
Die Kandidatur des Ex-Generals weckt nicht nur die Aufmerksamkeit der tschechischen Expert:innen und Politiker:innen, sondern auch der Milliardär:innen. Während Erstere eine grenzenlose Bewunderung für jeden seiner Schritte ausdrücken, finanzieren Letztere seinen Wahlkampf.
Woher kommt das meiste Geld?
Der proamerikanische Teil der herrschenden Klasse der tschechischen Gesellschaft hat sich im Hintergrund eingeschaltet – die meisten für Peter Pavel, um Andrej Babiš loszuwerden.
Unter ihnen befinden sich der CEO und Gründer der tschechischen IT-Corporation Y Soft, Václav Muchna, der Investor von der Finanzgruppe RSJ, Libor Winkler, der Gründer des Online-Versicherungsunternehmens ePojisteni, Jan Barta, der Miteigentümer des größten tschechischen Anbieters Tipsport, Jaroslav Beran, und der Gründer vom größten Online-Händler Tschechiens Mall.cz, Ondřej Fryc. Peter Pavel wurde auch von den Internet-Unternehmern Martin Hájek und Jiří Mareš von Livesport, von den Mitgliedern der Investmentgruppe Pale Fire Capital Jan Barta und Dušan Šenkypl, vom Eigentümer von Eurowag (W.A.G.) Martin Vohanka und vom Gründer des tschechischen Krankenbettenherstellers Linet Zbynek Frolik unterstützt.
So sieht die Top-Spender-Liste aus. Der Gesamtbetrag ihrer Hilfe belief sich auf 800.000 Euro.
Welche Politiker und Parteien wünschen sich die Kandidatur von Pavel?
Das liberalkonservative Bündnis Spolu (Gemeinsam), das die Regierungskoalition (Bürgerdemokraten, Christdemokraten und TOP 09) bildet, stellte keinen eigenen Präsidentschaftskandidaten auf, weshalb es drei „unabhängige“ Kandidat:innen unterstützt: Den ehemaligen General Petr Pavel, die frühere Hochschulrektorin Danuse Nerudova und den Ex-Botschafter Pavel Fische.
Wie oben erwähnt, besteht das Hauptziel der hochrangigen Pavel-Befürworter;innen darin, eine Präsidentschaft von Ex-Ministerpräsident Andrej Babiš zu verhindern – aber nicht wegen Subventionsbetrugs oder wegen des Zerfalls der bürgerlichen Demokratie. Natürlich sind die Anklagen zutreffend, mehr noch sind sie aber eine Tarnung für den Kampf um die geopolitische Hegemonie zwischen den USA und China. Tschechiens Präsident Miloš Zeman und der Ex-Premier Andrej Babiš sind sozusagen Einflussagenten von China. Während Zeman mehr Investitionen von Xi Jinping forderte und persönlich Kritik an der Taiwan-Reise von Senatschef Miloš Vystrčil (Bürgerdemokraten) äußerte, lobte Babiš Zemans Beziehungen zu China.
Dies bestätigt der Sinologe Ondřej Klimeš vom Orientalischen Institut an der tschechischen Akademie der Wissenschaften:
Miloš Zeman ist ein guter Freund des chinesischen Regimes. Während seiner zwei Amtsperioden hat er dem Land wirklich sehr gute Dienste geleistet. Von allen Staatsoberhäuptern der EU ist Zeman der engste Verbündete Chinas.
Auch bei der Frage, wer in Zukunft mit den USA konkurrieren kann, spielt Russland eine immer weniger bedeutsame Rolle. Putin hat das Land, dessen Wirtschaftslage schon lange dramatisch ist, zum Vasallen des Reichs der Mitte gemacht. Vielleicht ist der Ukraine-Krieg die Sterbephase vom kapitalistischen Räuber.
Tschechien darf wie jedes andere kapitalistische Land – welches über keine imperialistische oder regionale Macht verfügt – wählen, mit wem es zusammen sein will bzw. welchem Lager es sich anschließt. .Es macht sich bemerkbar, dass das nationale Kapital, dessen Interessen der Ex-General vertritt, das Schicksal des Landes mit den USA verknüpfen will. Das Kapital gibt der Politik eine Richtung.
Darum mahnen Petr Pavel, der heutige Premierminister Petr Fiala (ODS) oder Tschechiens Europaminister Mikulas Bek (STAN) eine härtere Gangart des Westens gegenüber Peking an. Darum bezeichnen die USA 5G-Technik von Huawei und ZTE als Bedrohung oder warnen Tschechien vor einer Kooperation mit chinesischen und russischen Atomarfirmen.
Es handelt sich hier um ein großes Schachspiel, an dem zwei Supermächte beteiligt sind: China und die USA. Und Petr Pavel ist eine Marionette, der geführt wird, ein Wendehals. Wie Friedrich Engels einst schrieb:
Die Bourgeoisie muss sich vollständig entwickeln, ihre Kapitalien täglich vermehren, die Produktionskosten ihrer Waren täglich erniedrigen, ihre Handelsverbindungen, ihre Märkte täglich ausdehnen, ihre Kommunikationen täglich verbessern, um nicht zugrunde zu gehen. Die Konkurrenz auf dem Weltmarkt treibt sie dazu. Und um sich frei und vollständig entwickeln zu können, bedarf sie eben der politischen Herrschaft, der Unterordnung aller anderen Interessen unter das ihrige.
Deutlich wird, dass die Anschuldigungen durch manipulative Propaganda und die schleichende Anfeindung der Supermächte zu keiner Besserung des Lebensstandards der Arbeiter:innenklasse führen, sondern nur der Machtkampf zwischen zwei undemokratisch geführten Regimen ist. Und nun helfen die Medien ihnen dabei. So veröffentlichte die Tageszeitung der Mediengruppe Pressedruck Südkurier einen Artikel mit dem Titel „Wer seine Meinung ändert, ist nicht unbedingt ein Opportunist“. Die Autorin schreibt darin einleitend: „Wenn man seine Meinung ändert, kann das auch daran liegen, dass man sich von Fakten oder Argumenten überzeugen lässt“. Ich denke, dass man diesen Satz umformulieren muss: Wenn man seine Meinung ändert, kann das auch daran liegen, dass man sich von Geld und Macht überzeugen lässt, weil es mehr Profit bringt.
Fußnoten
1. Lenin, Wladimir Iljitsch (1913): Drei Quellen und drei Bestandteile des Marxismus.