Wahlen in Chile: Rechter Milliardär verfehlt überraschend die absolute Mehrheit, Linke gewinnt hinzu

21.11.2017, Lesezeit 6 Min.
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Die Parlaments- und Präsidialwahlen in Chile sind der Ausdruck einer zunehmenden Polarisierung im Andenland. Während der konservative Sebastián Piñera die erste Runde klar für sich entscheidet, erlangt die linksreformistische „Frente Amplio“ einen Achtungserfolg. Auch die revolutionäre Linke beteiligte sich in zwei Städten an der Parlamentswahl und erzielte ein gutes Ergebnis.

Bis zum Wahltag am vergangenen Sonntag schien es, als sei das Ergebnis vorprogrammiert: Die Mitte-Links-Regierung der „Nueva Mayoría“ würde deutlich verlieren und der Ex-Präsident und konservative Milliardär Sebastián Piñera könnte möglicherweise schon in der ersten Runde über die 50-Prozent-Hürde kommen und in den Präsidentenpalast „La Moneda“ einziehen. Am Ende enthielt der Wahltag weit mehr Spannung und zahlreiche Überraschungen für sich bereit.

Die ersten Nachrichten machten die Chilen*innen im Ausland, viele von ihnen noch in Zeiten der Militärdiktatur von Agosto Pinochet exiliert, die zum ersten Mal von ihrem neuen Wohnsitz aus ihre Stimme abgeben konnten. Dort erlangten die linken Kräfte ein überdurchschnittliches Ergebnis und kündigten damit schon an, was sich auch in Chile in abgewandelter Form ereignen würde.

Doch beginnen wir von vorne: Sebastián Piñera wurde mit 36,6 Prozent der Stimmen der meistgewählte Präsidentschaftskandidat, gefolgt von Alejandro Guiller mit 22,7 Prozent. Damit ziehen die Kandidaten der beiden traditionellen Parteienbündnisse in die Stichwahl am 17. Dezember ein. Doch das Ergebnis von Piñera war wesentlich schlechter als erwartet: Er konnte sich zwar in allen Regionen durchsetzen, doch die Kandidatur des ultrarechten Pinochet-Befürworters José Antonio Kast, der auf fast acht Prozentpunkte kam, spaltete die Rechte.

Guillier hingegen konnte als Vertreter der „Nueva Mayoría“, dem Regierungsbündnis, an der sich auch die Kommunistische Partei Chiles (PCCh) beteiligt, mit einem soliden Ergebnis den Niedergang dieser Allianz verhindern. Er gilt als ein Vertreter des linken Flügels und hatte sich in den Vorwahlen gegen seine Konkurrent*innen durchgesetzt, was zum Austritt der Christdemokrat*innen (DC) aus der Koalition führte. Ihre Kandidatin Carolina Goic erzielte mit weniger als sechs Prozent jedoch ein so schlechtes Ergebnis, dass auch sie die Niederlage ihres Alleingangs anerkennen musste.

Den Überraschungserfolg landete die Journalistin Beatriz Sánchez, die mit 20,2 Prozent nur knapp hinter Guillier blieb. Umfragen der konservativen Medien hatten die Kandidatin der „Frente Amplio“ (FA) nur auf acht Prozent geschätzt. Die FA ist ein breites Bündnis aus linksreformistischen bis autonomistischen Organisationen, das sein Debüt bei den Kommunalwahlen 2016 feierte, und Ausdruck einer sich neu formierenden politischen Landschaft, besonders bedingt durch den Aufstieg linker Kräfte, ist.

Die Tatsache, dass die FA gerade unter einer Mitte-Links-Regierung wie der von Michelle Bachelet mit Beteiligung der KP so stark wachsen konnte, ist ein Beleg für die Schwäche des traditionellen Parteiensystems in Chile. Auch die geringe Wahlbeteiligung von 47 Prozent ist ein Indiz dafür, dass sich viele Chilen*innen nicht mehr von der bürgerlichen Demokratie und einer verfassungsmäßigen Ordnung, die noch aus Zeiten der Diktatur stammt, vertreten führen.

Seit 2011 haben zahlreiche soziale Bewegungen mit massiven Mobilisierungen die öffentliche Debatte mit ihren Forderungen wie der nach kostenloser Bildung, dem Ende sexualisierter Gewalt oder der Abschaffung des privaten Rentensystems bestimmt. All diese Forderungen stehen im Gegensatz zum chilenischen abhängigen Kapitalismus, der sich auf das neoliberale Erbe der Pinochet-Diktatur stützt.

Piñera ist der vom Kapital bevorzugte Kandidat, um das Land „wieder in die Normalität zurückzuholen“ und zu „modernisieren“. Er selbst ist milliardenschwerer Geschäftsmann und hat in seiner ersten Präsidentschaft eine besonders harte Hand gegen soziale Proteste bewiesen. Bachelet hatte in ihrer Legislaturperiode versucht, die Massenproteste durch Reformversprechen abzuschwächen, jedoch scheiterte sie sowohl damit als auch mit ihren Reformen. Guillier wäre eine etwas „linkere“ Neuauflage der Bachelet-Regierung, also eine, die nichts Grundlegendes am politischen und wirtschaftlichen Systems ändert.

Demgegenüber stand Sánchez als Vertretung der sozialen Bewegungen und ihren Forderungen für eine Abkehr vom „neoliberalen Kapitalismus“ für einen breiten „Antineoliberalismus“ und eine „Erneuerung“ des politischen Systems. Doch schon in den Vorwahlen hatte sie sich klar gegen radikale Maßnahmen wie die Verstaatlichung der Kupfer-Minen oder ein vollkommen kostenloses Bildungssystem ausgesprochen.

Die Konfrontation von Piñeras Rechten auf der einen und dem Mitte-Links Bündnis von Guillier auf der anderen Seite werden die vorhandene Polarisierung bis zur zweiten Runde zweifellos verschärfen. Während sich Piñera weiter zum rechten Rand hin öffnen muss, um die Stimmen von Kast zu bekommen, wird sich Guillier zumindest in seinen Forderungen an die Wähler*innen der „Frente Amplio“ anzuschließen versuchen. Sánchez hat noch am Wahlabend konkrete Wahlempfehlungen für die zweite Runde vermieden, zumindest indirekt deutete sie jedoch eine Beteiligung an einer möglichen „Anti-Piñera-Front“ an. „Eins ist aber klar, Piñera wäre ein Rückschlag“, sagte sie.

In dieser Situation beteiligte sich die trotzkistische Partei Revolutionärer Arbeiter*innen (PTR) erstmals in Antofagasta im Norden und im zehnten Wahlbezirk der Hauptstadt Santiago an den Wahlen und erzielte mit insgesamt 15.000 Stimmen ein beachtliches Ergebnis. In der Minen- und Hafenstadt Antofagasta konnte sich die PTR als Partei legalisieren und mit bekannten Vertreter*innen sozialer Bewegungen und Arbeitskämpfe eine Kampagne für die Verstaatlichung des Kupfers unter Arbeiter*innenkontrolle durchführen, um ein kostenloses Bildungs- und Gesundheitssystem zu finanzieren.

In Santiago trat der Student Dauno Tótoro als unabhängiger Kandidat an und erzielte, nachdem er 4.000 Unterschriften gesammelt hatte, mit 7.500 Stimmen rund zwei Prozent in dem Wahlbezirk und damit mehr als andere Kandidat*innen links der KP, die jedoch durch das Listenprinzip ins Parlament einzogen. Er forderte unter anderem, dass Abgeordnete nur einen durchschnittlichen Arbeiter*innenlohn erhalten und trat für ein Notprogramm gegen sexualisierte Gewalt ein. Außerdem solidarisierte er sich mit den Protesten der Mapuche im Süden des Landes, die ständig kriminalisiert und als „Terrorist*innen“ verfolgt werden. Tótoro ist bekannt als Aktivist in der Studierendenbewegung und der demokratischen Bewegung für die Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen zu Zeiten der Militärdiktatur.

Mit dieser Kampagne haben die Kandidat*innen der PTR gezeigt, dass es möglich ist, im Rahmen einer starken Polarisierung und dem Erstarken des Linksreformismus, mit revolutionären Ideen an Zehntausende zu kommen und sie für ein antikapitalistisches Programm zu überzeugen. Die Aufgabe der kommenden Periode wird es sein, den Widerstand gegen eine mögliche Rechtsregierung von Piñera oder eine Neuauflage einer Mitte-Links-Regierung von Guillier, die keine der großen Forderungen der sozialen Bewegungen der letzten Jahre erfüllen wird, vorzubereiten.

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