Wahlen in Brasilien: Lula gewinnt nur knapp gegen Bolsonaro

31.10.2022, Lesezeit 6 Min.
1
Foto: shutterstock.com / Wagner Vilas

Am 30. Oktober 2022 fand die zweite Runde der Wahlen in Brasilien statt. Ein sehr breites Bündnis konnte sich knapp gegen den amtierenden rechtsextremen Präsidenten Bolsonaro durchsetzen.

Wird Bolsonaro gehen müssen, oder wird Brasilien noch weitere lange Jahre von einem Rechtsextremen regiert werden? Mit dieser Frage warteten Menschen auf der ganzen Welt gespannt auf die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen in Brasilien. Jetzt wissen wir: Luiz Ignacio da Silva (auch bekannt unter dem Namen Lula), der Kandidat der brasilianischen Arbeiter:innenpartei (Partido dos Trabalhadores, PT), konnte die Wahl für sich entscheiden. Allerdings vereinte er nur eine knappe Mehrheit der Stimmen auf sich, da viele Menschen weiterhin rechte Parteien wählten.

Ein knapper Sieg

Lange war nicht abzusehen, wer die Wahl gewinnen würde, doch schlussendlich gewann Lula in der zweiten Wahlrunde mit einem knappen Vorsprung von 50,9 Prozent. Der bisherige Präsident, der rechtsextreme Politiker Jair Bolsonaro, erhielt 49,1 Prozent der Stimmen. Der Kandidat der Arbeiter:innenpartei hatte ein breites Bündnis mit Parteien der politischen Mitte und der Rechten gebildet. Prominente Figuren in diesem waren Geraldo Alckmin (ehemaliger Gouverneur des Bundesstaates São Paulo und Mitglied der konservativen Partei PSDB), Simone Tebet (MDB, eine Mitte-Rechts-Partei), und Ciro Gomes, der der sozialdemokratisch ausgerichteten Demokratischen Arbeiterpartei PDT angehört.

Obwohl sich die PT während des Wahlkampfes sehr optimistisch gab, konnte das breite Bündnis, dem auch unternehmerfreundliche Parteien angehörten, keine großen Massen von sich überzeugen. Die Regionen, in denen die Bevölkerung mehrheitlich für Lula da Silva stimmten (v.a. Bundesstaaten im Norden und Westen Brasiliens) sind Orte, an denen die Arbeiter:innenpartei schon in der Vergangenheit oft Wahlerfolge verzeichnete. Besonders hervorzuheben ist die Provinz Bahia, wo 72% der Menschen für die PT stimmten. Der ehemalige Präsident Bolsonaro konnte 58 Millionen Wähler:innenstimmen gewinnen, die Arbeiter:innenpartei 56 Millionen. Insgesamt hat Brasilien 156 Millionen wahlberechtigte Einwohner:innen, weshalb das sehr knappe Ergebnis umso überraschender ist.

Bolsonaro erhält weiterhin großen Zuspruch

Der Kandidat der extremen Rechten gewann die Mehrheit in Sao Paulo (55%), dem Bundesstaat mit den meisten Wähler:innen, und in Rio de Janeiro (56%). Auch wenn Jair Bolsonaro die Wahl nicht gewinnen konnte, zeigen diese Ergebnisse, dass der Bolsonarismus in der politischen Landschaft Brasiliens angekommen ist und mit dieser Wahl nicht verschwindet.

Die Wahlenthaltung im zweiten Wahlgang betrug 20,56 Prozent, damit war der Anteil sehr ähnlich zum ersten Wahlgang (20,95% Enthaltung). Auch im zweiten Wahlgang der vorherigen Präsidentschaftswahl im Jahr 2018 enthielten sich 21,10 Prozent der Wahlberechtigten. Bemerkenswert ist, dass in Brasilien eine Wahlpflicht besteht. Dies bedeutet, dass Personen, die zum ersten Mal nicht wählen gehen, eine Geldstrafe von umgerechnet 9 Euro zahlen müssen. Wiederholtes Nichtwählen kann sogar zu einem Entzug des Wahlrechts führen.

Eine von antidemokratischen Manövern geprägte Wahl

Der Präsidentschaftswahlkampf war von Skandalen und Gewalt durchzogen. Am zweiten Wahltag berichteten Wähler:innen der PT aus dem Nordosten Brasiliens, dass sie während der Wahl von Polizist:innen eingeschüchtert worden waren.

Diese hatten vom Obersten Wahlgericht (TSE) den Auftrag erhalten, die „Überwachung des ordnungsgemäßen Ablaufs“ der Wahlen zu gewährleisten: Ein von den Bolsonarist:innen eingeführtes Manöver, um Einfluss auf das Ergebnis der Wahl auszuüben und die Wähler:innen durch die hohe Polizeipräsenz einzuschüchtern.

So führte die Verkehrspolizei im Nordosten Brasilien, einer historisch linksgerichteten Region, 272 Straßensperren durch, um die Stimmabgabe der Einwohner:innen zu verhindern oder zu verzögern, da sie nun größere Hürden hatten, zum Wahllokal zu gelangen. Insgesamt fanden in ganz Brasilien rund 560 derartiger Aktionen statt. Versuche die arme Bevölkerung im Nordosten daran zu hindern zur Wahl zu gehen, sind nicht neu: 2018 waren viele Stimmen aufgrund von Unregelmäßigkeiten im biometrischen Gesichtserkennungs-System nicht gezählt worden. Diese autoritären Polizeiaktionen sind ein Symptom für den Verfall des politischen Regimes, der durch den institutionellen Staatsstreich von 2016 stärker voranschritt, und für einen von Gewalt geprägten Wahlkampf.

Auf diese krasse Gewalt reagierte Lulas Arbeiter:innenpartei sehr zaghaft und forderte eine zusätzliche Stunde Wahlzeit – ein elementares demokratisches Recht, das ihnen die Justiz mit der Begründung verweigerte, dass es zwar zu Verzögerungen gekommen sei, die Möglichkeit zu wählen aber nicht beeinträchtigt worden wäre. Der ehemalige PTB-Abgeordnete Roberto Jefferson, gegen den ein Haftbefehl wegen Fake-News vorlag und der nicht zögerte, die Polizei mit einer Handgranate anzugreifen, wurde ebenfalls verhaftet. Ebenfalls gingen Bilder der Bolsonaro nahestehenden Abgeordneten Carla Zambelli durch die Medien. Auf diesen richtete sie auf offener Straße eine Waffe auf einen schwarzen Mann – ein Fall, der das ganze Land schockierte.

In seiner Antrittsrede begrüßte Lula, der mit breiter Unterstützung der brasilianischen Unternehmer:innen und des Establishments gewählt wurde, „einen Sieg, der nicht mein persönlicher Sieg, oder der Sieg der PT ist, sondern ein Sieg der Demokratie“, und betonte, „dass es an der Zeit ist, die Waffen niederzulegen“ und „an die Arbeit zu gehen, um das Land wieder zu vereinen“.

Jair Bolsonaro hat sich vor dem Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels noch nicht zu den Wahlergebnissen geäußert. Nach Angaben der brasilianischen Presse hat er sich mit seinen engsten Vertrauten im Präsidentenpalast verschanzt und antwortet nicht einmal hochrangigen Mitgliedern der Regierung auf ihre Anrufe. Es ist noch unklar, was er zu sagen oder zu tun gedenkt. Man darf nicht vergessen, dass Bolsonaro während seines Wahlkampfes angedeutet hat, dass er die Ergebnisse möglicherweise nicht anerkennen würde, falls es einen Verdacht auf Wahlbetrug geben sollte.

So oder so haben die Wahlen gezeigt, dass die extreme Rechte nach wie vor über eine starke Verankerung im politischen System Brasiliens verfügt. Um dem entgegenzutreten und die Politik der Regierung, die das Leben der Arbeiter:innen und Armen zu ruinieren droht, anzugreifen, müssen in Brasilien der Kampf und die Organisierung am Arbeitsplatz, im Studium und in den sozialen Bewegungen verstärkt werden. Die Menschen können nicht auf die Regierung vertrauen, die zwar von Arbeiter:innen, aber auch von Unternehmer:innen und von Rechten gewählt wurde.

Dieser Artikel erschien zuerst bei unseren Genoss:innen von Revolution Permanente. Wir haben ihn für die Übersetzung leicht angepasst.
Übersetzung: Freddy Hölzer

Mehr zum Thema