Wahlen im Osten: Kommt der nächste Rechtsruck?
Am 1. September wird in Sachsen und Brandenburg ein neuer Landtag gewählt. Ende Oktober folgt dann Thüringen. Vertieft sich damit der Rechtsruck in Ostdeutschland? Warum immer der Osten? Und hilft dagegen wirklich das ganz breite Bündnis aller politischen Kräfte links der AfD?
Das Wahljahr 2019 stand von Anfang an unter keinem guten Stern. In drei von fünf ostdeutschen Bundesländern finden Landtagswahlen statt, in allen dreien gehen die Umfragen von Wahlerfolgen für die AfD aus. Der Osten ist damit in den Mittelpunkt der politischen Debatte gerückt. Heiß diskutiert werden vor allem zwei Dinge: Weshalb fährt die AfD dort immer neue Wahlerfolge ein? Und was ist dagegen zu tun?
Besonders in Sachsen, dem wirtschaftlich stärksten aller ostdeutschen Bundesländer, steht die AfD im Kontext der rechten Massenmobilisierungen von Pegida in Dresden und der Hetzjagden in Chemnitz im vergangenen Jahr im Zentrum der Debatte. Bei der Bundestagswahl 2017 konnte die AfD hier 27 Prozent einfahren und lag damit knapp vor der CDU. Nach der aktuellen Umfrage des INSA-Instituts werden für Landtagswahlen in Sachsen 25 Prozent für die AfD prognostiziert. Damit wüchse ihr Stimmenanteil im Vergleich zu 2014 um satte 15,5 Prozentpunkte. Die bisherige Regierungspartei CDU hingegen würde 10,5 Prozentpunkte verlieren. Die AfD wäre damit zweistärkste Kraft. Bei der letzten Landtagswahl in Sachsen landete sie knapp einstellig noch auf dem vierten Platz, hinter der Partei Die Linke und der SPD. Diese müssen jeweils mit Verlusten von um die vier Prozent rechnen.
Besonders für die CDU führt dies zu einer unangenehmen Situation. Seit der deutschen Wiedervereinigung konnte sie dank guter Wahlergebnisse problemlos Koalitionen schließen und den Ministerpräsidenten stellen. Der vorausgesagte Wahlerfolg der AfD stellt die bisherige „Große Koalition“ aber infrage. Das führt zu Spannungen in den ostdeutschen Landesverbänden gegenüber der politischen Führung in Berlin. Vor allem die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel wird dort für den Aufstieg der AfD verantwortlich gemacht.
Zudem spricht sich die Bundesspitze der CDU entschieden gegen eine Kooperation mit der AfD aus. Für die CDU bedeutet dies erhebliche Probleme bei der Koalitionsbildung für eine zukünftige Landesregierung in Sachsen. Für den Landesverband käme durchaus ein Angebot an die AfD infrage, um eine schwarz-blaue Koalition nach österreichischem Vorbild zu ermöglichen. Allerdings hätte dies eine erhebliche Konfrontation mit der CDU-Führung auf Bundesebene zur Folge, die viel stärker durch den Aufstieg der Grünen herausgefordert wird. Wahrscheinlicher aber ist ein Bündnis der CDU mit den Juniorpartnern SPD und Grünen – sofern die knappe Mehrheit zustande kommt und die Grünen sich dazu durchringen würden. Dann bliebe wohl nur noch eine CDU-Minderheitsregierung, was wiederum die AfD stärken dürfte.
Die CDU befindet sich in einem Zwei-Fronten-Konflikt. Sie wird im Westen durch die Grünen, im Osten durch die AfD herausgefordert. Die nach wie vor bestehende Ost-West-Spaltung bekommt damit einen zusätzlichen verstärkten elektoralen Ausdruck, der bundespolitisch wesentlich mehr Sprengstoff in sich birgt als die Wahlerfolge der Linkspartei im Osten, weil sie die einzige noch stabile Volkspartei vor eine Zerreissprobe stellt. Allerdings legen die Grünen auch in Sachsen zu. Gelang ihnen 2014 noch knapp der Einzug in den sächsischen Landtag erwarten sie nun einen Zuwachs von immerhin 5,5 Prozentpunkten.
Auch in Brandenburg wird gewählt
Im Gegensatz zu Sachsen, wo seit der Wende die CDU die stärkste Partei ist, konnte die SPD in Brandenburg seit der Wende die größte Fraktion im Landtag stellen. Sie regiert hier seit zehn Jahren gemeinsam mit der Linkspartei. Ihr werden Verluste von elf Prozent prognostiziert. Sie läge damit gleichauf mit der AfD. Die rot-rote Koalition ist aller Wahrscheinlichkeit nach passé. Den Grünen winkt ein Zugewinn von acht Prozentpunkten.
Daraus ergibt sich zwar ein ausgeglicheneres Feld als in Sachsen, aber die Verluste könnten in Brandenburg noch größer ausfallen und auch hier bahnt sich ein Wandel an. Kein Zweierbündnis wird eine Mehrheit zusammenbekommen. Denkbar ist demnach eine rot-rot-grüne Koalition, vielleicht aber sogar ein Zusammengehen von CDU, SPD und Grünen. Der erwartete Zugewinn der Grünen kann zwar die Verluste von SPD und Linkspartei nicht komplett ausgleichen, trägt aber dennoch zur politischen Stabilisierung bei. An ihnen wird bei der Regierungsbildung wohl niemand vorbeikommen.
Im Oktober folgt Thüringen
Ende Oktober findet dann die letzte Landtagswahl des Jahres in Thüringen statt. Hier regiert seit 2014 eine rot-rot-grüne Koalition. Mit Bodo Ramelow stellte die Partei Die Linke zum ersten Mal einen Ministerpräsidenten, auch wenn die CDU-Fraktion noch immer die stärkste im Landtag ist.
In den Umfragen der letzten Monate lagen die Linkspartei, die CDU und die AfD recht nahe beieinander, wobei den Linken trotz leichter Verluste im Vergleich zu 2014 aktuell die größten Chancen auf den ersten Platz zugeschrieben werden. Ein möglicher Aufstieg der Linkspartei zur größten Fraktion im Landtag wäre allerdings nur ein relativer Sieg, der nur durch Stimmenverluste der CDU an die AfD zustande kommt.
Thüringen ist zudem bedeutend, weil hier mit Bernd Höcke eine wichtige Figur des faschistischen „Flügels“ in der AfD sein politisches Zuhause hat. Der AfD-Landesverband ist dementsprechend radikal. Selbst die Werteunion – eine Vereinigung am rechten Rande der Union und seit kurzem wegen dem Beitritt des umstrittenen ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen im Fokus der Öffentlichkeit – lehnt in Thüringen eine Koalition mit der AfD entschieden ab.
Unklar ist, ob Bodo Ramelow die rot-rot-grüne Koalition nach der kommenden Landtagswahl fortführen kann. Allerdings ist er, wie sein Kontrahent Björn Höcke, politisch zu einer „Stimme des Ostens“ geworden. Zwar stammen beide aus dem Westen, jedoch ist Bodo Ramelow als junger Gewerkschaftsbürokrat im Osten die Karriereleiter emporgestiegen. Er nimmt für sich in Anspruch, die soziale Situation vieler Menschen in Ostdeutschland besser einzuschätzen und artikulieren zu können.
Was bedeutet das alles?
Auch wenn klar ist, dass der Aufstieg der AfD die Landtagswahlen in Ostdeutschland dominiert, können auch die Grünen hier spürbar Prozentpunkte einfahren und eine stabilisierende Rolle einnehmen. Klar ist, dass die Siege der AfD im Osten sehr viel ausgeprägter sind als im Westen der Bundesrepublik.
Fest steht schon jetzt, dass die drei Wahlen ein Ende stabiler Regierungsmehrheiten bedeuten werden – da helfen auch die Zugewinne der Grünen nicht weiter. Zweierkoalitionen sind nicht in Sicht. Es wird offen über Minderheitsregierungen diskutiert. Damit bedeuten die Wahlen insgesamt einen harten Schlag für die relative Stabilität der Bundesrepublik insgesamt.
Das Bild „grüner Westen, blauer Osten“ geht dennoch nicht auf. Der Rechtsruck ist kein rein ostdeutsches Phänomen. Seit dem Aufstieg der AfD hat die CDU ihre rassistische Politik auch im Westen deutlich verschärft und die AfD besitzt inzwischen auch dort Bastionen. Die Grünen hingegen können vor allem in den urbanen Zentren im Osten punkten, während die AfD in den peripheren und vom Strukturwandel stärker getroffenen Gegenden Zugewinne macht. Hier zeigt sich nicht nur der Unterschied zwischen Stadt und Land, sondern auch der zwischen Innenstadt und Randgebiet. Vor allem in den Universitätsstädten macht sich dies bemerkbar. In diesen Grundtendenzen sind sich West und Ost ziemlich ähnlich.
Besonders hervorzuheben ist auch die Zwickmühle der CDU, die sich auf Bundesebene um die Möglichkeit einer schwarz-grünen Koalition bemüht. Aber genau diese Perspektive ist es die ihr eine Koalition mit der AfD im Osten erschwert. Vorschläge einer Koalition mit den Grünen und der SPD in Sachsen trafen bislang auf starken Gegenwind in den eigenen Reihen. Für Viele in den ostdeutschen Landesverbänden ist die schwarz-grüne Perspektive vor allem eins: westdeutsch. Mit Kamp-Karrenbauer aus dem Saarland als neue Parteivorsitzende spitzt sich dieser Konflikt nochmal zu.
Also alle Demokrat*innen gegen die AfD?
Für die breitere Linke und die fortschrittlichen Kräfte stellt sich die drängende Frage, wie der zunehmenden Instabilität und dem Aufstieg der AfD begegnet werden kann. Die vorherrschende Antwort darauf drückte sich zuletzt in der Massendemonstration unter dem Motto #unteilbar in Dresden aus. Dort demonstrierten am vergangenen Samstag bis zu 40.000 Menschen kurz vor den Wahlen gegen den Rechtsruck. Damit war es die größte Demonstration in Dresden seit Jahrzehnten, und deutlich größer als die Pegida-Demos auf ihrem Höhepunkt.
Aufgerufen hatte ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis, sichtbar vertreten waren neben verschiedenen NGO’s sowie SPD, Grünen und Linkspartei auch linke Organisationen und Initiativen. Die Gewerkschaften nahmen zwar teil, eine ernsthafte Mobilisierung ihrer Arbeiter*innenbasis blieb aber aus. Mut macht hingegen, dass trotzdem auch kämpferische Basismitglieder teilnahmen.
Freilich ist es ein fortschrittliches Signal, wenn so viele Menschen gegen rechts auf die Straße gehen. Zum einen stellte die Demonstration jedoch trotz ihrer beachtlichen Größe nur einen Bruchteil der großen #unteilbar-Mobilisierung in Berlin im vergangenen Herbst dar. Zum anderen ist die große Breite des Bündnisses nicht etwa Ausdruck einer Stärke. Vielmehr drückt sich darin die Unfähigkeit der Linken und der organisierten Arbeiter*innenbewegung aus, eine von den bürgerlichen Parteien und Unternehmen unabhängige Antwort auf den Rechtsruck zu formulieren.
Zu denken geben muss etwa, dass sogar der stramm rechte CDU-Ministerpräsident Sachsens, Michael Kretschmer, anerkennende Worte für die Protestierenden fand und lediglich von der Anwesenheit der „Antifa“ von einer eigenen Teilnahme abgehalten wurde. „Keine einfache Entscheidung“ sei es für ihn gewesen.
Statt einer so breiten Front gegen die AfD, die auch diejenigen Kräfte einschließt, die dem Rechtsruck Jahre und Jahrzehnte lang den Boden bereitet haben, braucht es eine Antwort, die dazu in der Lage ist, noch viel mehr Menschen zu mobilisieren und vor allem so zu mobilisieren, dass davon politische Schlagkraft ausgeht: eine Antwort der Arbeiter*innenklasse.
Dieselben Arbeiter*innen, die als Basisgewerkschafter*innen an der #unteilbar-Demonstration teilnahmen, haben am Beispiel der Fridays for Future-Bewegung auch die Perspektive aufgeworfen, wie der Weg zu einer solchen politischen Schlagkraft aussehen muss. Sie fordern gemeinsam mit hunderten anderen Gewerkschafter*innen für den 20. September einen politischen Streik gegen die Klimakrise.
Genauso wie die Verbindung zwischen Klimastreik und sozialer Frage nötig ist, um breitere Massen in den Kampf gegen die Klimakrise zu ziehen und ihm zum Sieg zu verhelfen, ist es nötig, die soziale Frage und ein Ende der ökonomischen Spaltung 30 Jahre nach der Wiedervereinigung ins Zentrum des Kampfes gegen den Rechtsruck zu stellen. Darin besteht der erste Schritt zu einem effektiven Bündnis zwischen Arbeiter*innen und Unterdrückten, das die AfD und den gesamten Rechtsruck zurückschlagen kann.