Wagenknechts Populismus ist keine Alternative
Am Montag verkündete Sahra Wagenknecht offiziell ihren Austritt aus der LINKEN und die Gründung einer eigenen Partei. Angesichts des Bankrotts der Linkspartei ist Wagenknechts populistisches Projekt keine Alternative. Eine unabhängige revolutionäre Kraft der Arbeiter:innen muss her, um die Sackgasse des Reformismus zu überwinden.
Der Name ist Programm: Das „Bündnis Sahra Wagenknecht“, das sich am Montag in der Bundespressekonferenz unter großem medialen Interesse offiziell vorgestellt hat, tritt an als Wahlverein für die ehemalige Ikone der LINKEN. Grobe programmatische Linien – „wirtschaftliche Vernunft“, „soziale Gerechtigkeit“, „Frieden“, „Freiheit“ –, unter denen sich ein breites und schwammiges Spektrum an politischen Positionen nach links und rechts verstehen lässt, bilden das Grundgerüst für eine populistische Kandidatur, die vollständig auf die Person Wagenknecht zugeschnitten ist.
Das offenkundige Hauptziel des Pressetermins: Spenden zu erbitten, damit Anfang kommenden Jahres eine Partei gegründet werden kann, die sowohl zu den Europawahlen als auch zu den anstehenden drei ostdeutschen Landtagswahlen im kommenden Jahr antreten kann. Dies wäre ein weiterer Nagel im Sarg der Linkspartei, die sich von Wahlniederlage zu Wahlniederlage hangelt und im Ergebnis des Austritts von Wagenknecht und neun weiteren Bundestagsabgeordneten – Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali, Christian Leye, Ali Al-Dailami, Sevim Dağdelen, Klaus Ernst, Andrej Hunko, Zaklin Nastic, Jessica Tatti und Alexander Ulrich – nun spätestens Anfang 2024 ihren Fraktionsstatus im Bundestag verlieren wird. Spätestens dann werden die Felle aufgeteilt, und die Partei wird sich in zwei oder drei Teile spalten. Während Bewegungslinke und Bartsch-Regierungssozialist:innen letztlich auf ein „Weiter so“ hoffen, entwickelt sich mit der anstehenden Wagenknecht-Partei eine populistische Formation, wie es sie beispielsweise in Frankreich mit Jean-Luc Mélenchons „La France Insoumise“ schon längst gibt, wenn auch ein gutes Stück rechter als Mélenchons Projekt.
Wagenknechts Schlussfolgerung aus dem Scheitern der LINKEN ist keine tatsächliche Abrechnung mit der strategischen Ausrichtung der Partei auf Regierungs- und Parlamentsposten und der Mitverwaltung der kapitalistischen Misere. Ihr geht es um eine Erneuerung der Repräsentation, um das Vertrauen der Bevölkerung in die bürgerliche Demokratie wieder herzustellen. Dazu gibt sie vor, mit reichlich nationalistischen, rassistischen und pro-kapitalistischen Tönen all diejenigen anzusprechen, die von Ampel und Linkspartei enttäuscht sind, um so einen Teil der Wähler:innenschaft der AfD zurückzuerobern.
Mit einem Millionär für den „Standort Deutschland“
Das Programm von Wagenknecht und ihrem Wahlverein BSW ist dabei offen chauvinistisch: Migration muss zurückgedrängt werden, weil es zu wenige Wohnungen, zu hohe Mieten, fehlende Kitaplätze und marode Infrastruktur gibt. Die Kritik an der Ampelregierung ist hier, dass sie die Migration nicht effektiv genug begrenzen würde – keinerlei Abgrenzung von der rassistischen Migrationsdebatte der vergangenen Wochen, zu der Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erst dieses Wochenende im Spiegel in bester AfD-Manier sagte, man müsse „im großen Stil abschieben“. Anstatt die Profite der Kapitalist:innen anzugreifen, reiht sich Wagenknecht in den rassistischen Chor derjenigen ein, die „Deutsche zuerst“ rufen und so die prekärsten und am meisten entrechteten Teile der Bevölkerung für die Misere der öffentlichen Daseinsvorsorge verantwortlich machen.
Besonders heuchlerisch ist diese Position, wo Wagenknechts Wahlverein über die Frage der „Freiheit“ spricht. Während sich auf der BSW-Website gegen Cancel Culture gewandt wird – eine rechte Chiffre, die immer dann zur Anwendung kommt, wenn Positionen gegen rassistische, sexistische oder anderweitige Unterdrückung eingenommen werden –, wird die Begrenzung der Zuwanderung als Verteidigung der „Freiheit“ geframed. Freiheit à la Wagenknecht heißt hier also mehr Offenheit für rechte Diskurse und Abschiebegefängnisse und Festung Europa für „unerwünschte“ Migrant:innen.
Anders als Wagenknecht oft behauptet, ist ihr Programm aber auch auf der Ebene ihres Sozialprogramms keineswegs ein Ausdruck der Interessen der „kleinen Leute“. Wenig könnte sinnbildlicher dafür sein als die Teilnahme des Millionärs und Startup-Investors Ralph Suikat an der BSW-Gründung. Ein Millionär, dessen Projekt die Profitmacherei mit „Impact Investing“ ist, also der Investition in Unternehmen mit ökologischem oder sozialem Anstrich. Als solcher besitzt er Anteile an 15 Unternehmen. Entsprechend besteht sein Programm – oder Wagenknechts – auch nicht darin, die Profite der Kapitalist:innen tatsächlich anzutasten, Privatisierungen rückgängig zu machen oder gar die zentralen Pfeiler der Industrie und der Dienstleistungen zu verstaatlichen. Stattdessen soll es ein bisschen mehr Besteuerung und Regulierung geben, um das „Marktversagen“ zu beenden und eine „innovative Wirtschaft mit fairem Wettbewerb“ zu schaffen. Mit anderen Worten: Wagenknecht und Co. beschwören die Interessensgleichheit der Arbeiter:innen, der Kleinkapitalist:innen bis hin zum sogenannten „Mittelstand“, womit sie Millionär:innen meinen, die Firmen mit hunderten Beschäftigten besitzen. Kurzum: Ihre Vision ist die Stärkung des „Standortes Deutschland“.
Das zeigt sich auch in ihren außenpolitischen Vorschlägen, wo sie einerseits eine Anti-Kriegs-Position vertritt, aber zugleich eine starke deutsche Rolle in einer „europäischen Sicherheitsarchitektur“ mit einer aufgerüsteten Bundeswehr fordert. Dafür wirbt sie für eine stärkere Annäherung an den sich formierenden russisch-chinesischen Block, während sie die Souveränität des deutschen Imperialismus gegenüber dem US-Imperialismus erhöhen will. Ihr Programm einer multipolaren Diplomatie drückt die illusionäre Hoffnung aus, künftige Zuspitzungen der Konfrontation zwischen den Großmächten durch Vermittlung zu unterbinden. Als Sozialist:innen muss uns jedoch klar sein, dass ein „friedliches Europa“ mit den Interessen des deutschen Imperialismus unvereinbar ist.
Im aktuellen Palästina-Krieg verurteilte sie die Angriffe der Hamas. Eine positive Bezugnahme auf den palästinensischen Befreiungskampf ist von ihr nicht zu hören. Sie lehnt eine Bodenoffensive Israels ab und hofft auf diplomatische Lösungen. Gleichzeitig hält sie an der völlig illusorischen Zwei-Staaten-Lösung fest – defacto fehlt ihr also jegliche positive Vision zur Lösung des Konflikts. Auf Nachfrage eines Journalisten bezeichnete sie Gaza als größtes Freiluftgefängnis der Welt, was bei der Spitze der Linkspartei um Dietmar Bartsch gleich empörte Schnappatmung auslöste.
Kein Vertrauen in Wagenknecht oder DIE LINKE: Für den Aufbau einer unabhängigen revolutionären Alternative
Wenn man nur die Umfrageergebnisse betrachtet, scheint Wagenknechts Strategie vorerst aufzugehen: Laut einer ersten INSA-Umfrage käme BSW aus dem Stand auf 12 Prozent, wobei allein 5 Prozent auf das Konto bisheriger AfD-Wähler:innen gehen. Anderen Umfragen zufolge könnten in ostdeutschen Bundesländern sogar bis zu 30 Prozent eine Wagenknecht-Partei wählen. Ein Realitätstest ist das noch nicht, auch weil es sich noch um ein Überbau-Phänomen ohne Apparat handelt, dessen lokale Verankerung daher auch noch unklar ist. Unter den ausgetretenen Bundestagsabgeordneten findet sich so zum Beispiel niemand aus Ostdeutschland. Aber die Umfragen zeichnen ein Bild der aktuellen politischen Situation: Einerseits ist Wagenknechts Partei mit ihrem nationalistischen Programm selbst ein Ausdruck der deutlichen Rechtsverschiebung der Situation, wie sich insbesondere an ihrem Anti-Migrations-Kurs offensichtlich zeigt. Andererseits ist aber auch klar, dass Wagenknecht einen realen Sektor anspricht, dem die Positionen der AfD eigentlich zu rechts sind und die in Wagenknecht einen Anti-Establishment-Ausdruck sehen, den zuvor vorgeblich nur die AfD repräsentierte. Die Entstehung von Wagenknechts Wahlverein ist also ein Ausdruck einer komplexen Situation mit polarisierenden Elementen nach rechts und nach links.
Wagenknechts neues Parteiprojekt wird der Linkspartei aller Voraussicht nach einen weiteren Todesstoß verpassen. Während wir der LINKEN, die in den vergangenen 15 Jahren an über ein dutzend Abschiebe-, Zwangsräumungs-, Privatisierungs- und Militarisierungs-Regierungen beteiligt war, keine Träne nachweinen, ist zugleich klar, dass Wagenknecht keine tatsächliche Antwort für die Arbeiter:innen, die Jugend, Rentner:innen, Frauen, LGBTIQ- Personen und Migrant:innen bieten kann. Wir müssen daher zwei falsche Alternativen zurückweisen: einerseits die Resignation und den Rückzug auf die Rest-LINKE, um diesen zerbrechenden Apparat noch irgendwie zu retten, anstatt die notwendigen Schlussfolgerungen aus seinem strategischen Scheitern zu ziehen; und andererseits die Illusion, durch die Anpassung an und Unterstützung von Wagenknechts sozialchauvinistischen Programm die Grundlagen für eine „neue Linke“ aufrecht zu erhalten.
Im Gegenteil setzen wir an diesem Scheideweg auf den Aufbau einer unabhängigen revolutionären Kraft: Wir stellen uns gegen das Projekt der Regierung und des Großkapitals: Es setzt angesichts der sich vertiefenden wirtschaftlichen und geopolitischen Krise einen „grünen Imperialismus“ der Ressourcenplünderung, des Sozialkahlschlags und der Militarisierung nach außen und nach innen auf Kosten der Arbeiter:innen und ihrer Familien durch. Wir stellen uns gegen die falsche Opposition der rassistischen, sexistischen, homophoben, transphoben und arbeiter:innenfeindlichen Rechten. Wir setzen aber auch kein Vertrauen in DIE LINKE, die das kapitalistische Elend verwaltet und unsere Wut an die Wahlurnen lenken will, oder in Alternativen wie Wagenknecht, die im Dienste eines Standortnationalismus mit der Rechten flirten. Bauen wir eine unabhängige revolutionäre Alternative zur Ampel und der gescheiterten Linkspartei auf, um die Rechten zu konfrontieren.