Waffenruhe in Gaza: Was sagen deutsche Parteien?

20.01.2025, Lesezeit 7 Min.
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Foto: Anas-Mohammed / Shutterstock

Am Sonntag ist nach 467 Tagen Genozid offiziell eine Waffenruhe in Gaza eingetreten, die von den aushandelnden Kräften Ägypten, USA und Katar überwacht wird. Wie verhalten sich die großen deutschen Parteien dazu, von denen die meisten den Genozid bisher geleugnet und unterstützt haben?

Als Teil des Abkommens zwischen der israelischen Regierung und der Hamas wurden drei Phasen der Waffenruhe verhandelt. Die erste Phase stellt das Ende des Beschusses für sechs Wochen dar und soll durch die schrittweise Freilassung und den Austausch der Gefangenen, darunter mindestens 340 palästinensische Kinder, gekennzeichnet sein. Ebenso sollen 600 LKWs mit humanitärer Hilfe nach Gaza Zugang bekommen. Die Aushandlung einer dauerhaften Waffenruhe soll am sechzehnten Tag der ersten Phase beschlossen werden, und damit die zweite Phase einleiten, in der der weitere Austausch der restlichen Gefangenen stattfinden soll. In einer dritten Phase soll Israel schlussendlich die gesamten Truppen aus dem Gazastreifen zurückziehen, während der Wiederaufbau Gazas eingeleitet werden soll.

Am Mittwochabend zeigt sich im zerstörten Gaza nach Verkündigung der Waffenruhe ein Schwall an Jubelnden in den zerstörten Straßen. Es weckte Hoffnung bei all jenen, die mit tiefer Trauer auf die Ereignisse blicken, die seit über einem Jahr den Alltag im Gazastreifen prägen. In Damaskus, Tangier und London versammelten sich Zehntausende mit palästinensischen Fahnen in großer Freude. In mehreren deutschen Städten, wie Mainz und Berlin, gab es ebenso Kundgebungen. In Neukölln versammelten sich bis zu 150 Menschen spontan, wobei es zu Festnahmen aufgrund des „Skandierens verbotener Parolen“ kam.

Die große Freude wird jedoch von besorgten Stimmen begleitet, die auf die Zerbrechlichkeit des Deals hinweisen. Nicht nur sei der Deal nahezu identisch mit einem Vorschlag, dem die israelische Regierung vor einigen Monaten eine Absage erteilte. Während das israelische Kriegskabinett eine Zustimmung über einen Tag lang hinauszögerte, protestierten in der Nacht hunderte Siedler:innen vor Benjamin Netanjahus Haus in Jerusalem gegen die Waffenruhe. 

Die Ampelregierung vertuscht ihre Komplizenschaft

Dieser Deal hat ebenso für Reaktionen innerhalb der Bundesregierung gesorgt: Olaf Scholz befürwortete die Einigung über einen Waffenstillstand sowie die Freilassung aller Geiseln. Der Waffenstillstand biete die Chance für ein dauerhaftes Kriegsende und die Verbesserung der schlechten humanitären Lage im Gazastreifen. Ähnlich äußerte sich Annalena Baerbock auf X: „In diesen Stunden gibt es Hoffnung, dass die Geiseln endlich freikommen und das Sterben in Gaza ein Ende findet.“ Zudem erklärte sie in einem ZDF-Interview bezüglich des Deals, „im Hintergrund war Deutschland dafür mit zentral“.

Derartige Aussagen könnten angesichts der Verzehnfachung der Waffenlieferungen an Israel Ende 2023 nicht geschmackloser und scheinheiliger sein. Ihre bedingungslose Unterstützung für Israel unterstrich die Bundesregierung mit einer enormen Repression gegen die palästinasolidarische Bewegung, die über anderthalb Jahre für einen Waffenstillstand kämpfte. Derzeitige Versuche, sich den neuen Deal auf die Fahne zu schreiben, sollen lediglich davon ablenken, dass die regierenden Parteien von SPD und Grünen Kompliz:innen bei der Ermordung von über 70.000 Menschen waren.

Die Waffenruhe stellt lediglich einen ersten Schritt zur Atempause für die Palästinenser:innen dar. Als die Waffenruhe bereits angekündigt aber noch nicht in Kraft getreten war, bombardierte die israelische Armee weiter den Gazastreifen, was am Mittwochabend zum Tod von 32 Menschen führte. Es folgten weitere Angriffe in Rafah im Süden, Nuseirat (Zentrum) und im Norden des Gazastreifen. Palästinensische Angaben zählten bis zum Wochenende 72 Tote. 

Die Rechten und ihre kolonialistische Agenda

Die Union positionierte sich mitten im Wahlkampf in staatsmännischer Manier mit Vorsicht. Jürgen Hardt, der außenpolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, sprach sich „gegen voreilige Zusagen für den Wiederaufbau von Gaza“ aus. Seiner Auffassung nach sollte sich Deutschland am Wiederaufbau nur unter der Bedingung beteiligen, dass dies durch eine Regierung der „Palästinensischen Autorität“ in Gaza geschehe. Diese Stellungnahme ignoriert die Tatsache, dass das israelische Kriegsziel, die Hamas zu zerstören, vollkommen gescheitert ist und bestätigt andererseits die in der israelischen Zeitung Haaretz aufgeworfene These, Deutschland würde Netanyahu unter einer Merz-Regierung noch stärker unterstützen.

Indirekt positionierte sich die AfD auf X (ehemals Twitter) mit ihrem Wahlkampfbild: „Jetzt für den Frieden kämpfen!“ und erklärt, eine „souveräne Politik“ nach außen verfolgen zu wollen. Im Gegensatz zur medialen Darstellung einer kontroversen innerparteilichen Debatte zu Israel, war die AfD federführend in der Streichung von Hilfsgeldern an die UN-Hilfsorganisation UNRWA und bei der Exmatrikulation von palästinasolidarischen Studierenden, die später durch die regierenden Parteien übernommen wurden. Ihre angebliche Ablehnung von Waffenlieferungen durch einen vermeintlichen nationalistischen Pazifismus steht jedoch in klarem Kontrast zu ihrem Wunsch einer massiven Aufrüstung der Bundeswehr. In einem Interview mit dem ZDF erklärte die Kanzlerkandidatin der Partei, Alice Weidel, dass Ausgaben noch über den von Trump geforderten fünf Prozent „möglich und sehr wahrscheinlich“ seien. 

Ihre Geistesverwandten in der israelischen Regierung, die rechtsextremen Finanzminister Bezalel Smotrich und der „Minister für nationale Sicherheit“, Itamar Ben-Gvir, forderten zunächst gemeinsam eine härtere Bombardierung Gazas. Während Smotrich von einer Zusicherung Netanyahus sprach, bereits nach der ersten Phase wieder militärisch zu agieren, verließ Ben-Gvir am Sonntag mit seiner Partei wegen des Deals die Regierungskoalition.

Die Linke und BSW zwischen Diplomatismus und Zionismus

In diesem Kontext wirkt die Stellungnahme des Linkspartei-Vorsitzenden Jan van Aken, er wolle „nach Gaza fahren, sobald es geht“, besonders zynisch. Dass er sich dabei vermeintlich gegen Waffenlieferungen ausspricht, steht jedoch nicht im Einklang mit der Politik seiner Partei in den letzten 15 Monaten. Diese unterstützte das Verbot von Samidoun, einer Organisation für die Befreiung palästinensischer Gefangener, war in der Bewegung gegen den Genozid gänzlich abwesened und war außerordentlich zurückhaltend, wenn es darum ging, die Bewegung gegen Polizeigewalt und die Einschränkung der Meinungsfreiheit zu verteidigen.

Sevim Dağdelen, die außenpolitische Sprecherin der BSW-Gruppe im Bundestag, kritisierte die Lage folgendermaßen: „Israels Regierung darf mit einer Fortführung des Krieges nicht durchkommen.“ Ebenso sprach sie über die Lösungsvorstellung ihrer Partei: „Notwendig sind ein Stopp der Waffenlieferungen an Israel, sowie eine diplomatische Lösung mit einem unabhängigen Staat Palästina in den Grenzen von 1967 mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt“. Doch Diplomatie ist hier nur eine Floskel für das Akzeptieren der Besatzung unter der illusorischen Perspektive einer Zwei-Staaten-Lösung.

Damit bleibt eine Antwort auf die weiterhin geplante ethnische Säuberung und das Rückkehrrecht der während der Nakba ab 1948 vertriebenen und beraubten Palästinenser:innen aus. Das BSW unterstützt auch nicht politisch den palästinensischen Widerstand, was man daran sieht, dass sie ebenfalls keine Rolle innerhalb der Palästinabewegung spielen und ebenso keinen Beitrag leisten, gegen die massive Repression anzugehen, geschweige denn, zu mobilisieren.

Eine internationalistische Antwort der Arbeiter:innen

Eines ist klar: Israel verfolgt weiterhin die Kolonialisierung Palästinas und die Vertreibung der Palästinenser:innen. Die Waffenruhe ist nicht das, was die Palästinenser:innen befreien kann. Es ist eine Pause der Gewalt. Ein Durchatmen. Zeit, um Leben zu retten, die an der Kippe stehen. Zeit für die Bereitstellung wichtiger Hilfsgüter, Nahrung und Medikamente. Der Genozid, den westliche Medien und Israelunterstützer:innen weiterhin leugnen, wird solange weitergehen wie ein auf Appartheid gegründeter Staat das Sagen hat. 

Waffenlieferungen werden weder durch bloße diplomatische Abkommen und noch weniger durch Scholz oder Merz gebremst werden. Deshalb besteht unsere Aufgabe darin, gemeinsam in den DGB-Gewerkschaften die Wirkkraft der Arbeiter:innen in den Rüstungsfabriken, in den Häfen und an der Logistik in Gang zu setzen und Blockaden umzusetzen. Dies ist international  in den letzten 15 Monaten dutzendfach geschehen und war eine der Forderungen im Aufruf zentraler Gewerkschaftsverbände im Februar letzten Jahres.

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