Während Macron mit Scholz diniert: Nächster Massenprotest gegen Rentenreform

07.06.2023, Lesezeit 4 Min.
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Foto: Dorian M. Demonstration gegen die Rentenreform in Toulouse am 6. Juni

In Frankreich wurde gestern zum vierzehnten Mal massenhaft gegen die Anhebung des Rentenalters protestiert. Der Adressat des Protests, Präsident Macron, hat sich der ungebrochenen Wut vieler französischer Arbeiter:innen und Jugendlicher jedoch entzogen.

Aus den deutschen Schlagzeilen war der Kampf gegen die Rentenreform in Frankreich längst verschwunden – anders als die große Wut vieler französischer Arbeiter:innen auf die Regierung von Präsident Emmanuel Macron. Über ein Monat war seit dem letzten Aktionstag vergangen, anderthalb Monate, seit Macron am Parlament vorbei die Anhebung des Renteneintrittsalters beschloss.

Auch wenn die Zahl der Demonstrant:innen gestern im Vergleich zu vorherigen Aktionstagen zurückgegangen ist, war die Mobilisierung mit hunderttausenden Protestierenden in ganz Frankreich alles andere als „ein letztes Aufbäumen“, wie es Spiegel-Korrespondentin Britta Sandberg nannte. Laut der Gewerkschaft CGT gingen insgesamt 900.000 Menschen auf die Straße. Mehr als 300.000 Menschen demonstrierten in Paris, 50.000 in Toulouse und Marseille, 20.000 in Nantes, 10.000 in Rennes, Grenoble und Le Havre, 6.500 in Nizza und Tausende in anderen Städten.

 

Doch während die Proteste mehr als 54 Tage nach Inkrafttreten der Reform andauern, machen die Gewerkschaftsführungen keinen Hehl mehr daraus, dass sie die die Bewegung gegen die Rentenreform begraben wollen, indem sie den „sozialen Dialog“ wieder in den Mittelpunkt stellen. So sagte Laurent Berger, Vorsitzender der CFDT, des größten Gewerkschaftsverbands des Landes, dem Fernsehsender BFM, es sei „die letzte Demonstration zur Rentenfrage in diesem Format“.

Unsere Genoss:innen von Révolution Permanente schlagen angesichts des ungebrochenen Willens zum Kampf gegen die Rentenform einen grundlegend anderen Weg vor als die Gewerkschaftsführungen. So schreibt Rafael Cherfy auf der KGK-Schwesterseite Révolution Permanente: „Die politische Krise ist noch lange nicht beendet und es besteht die Möglichkeit, Macron zu besiegen.“ Dafür jedoch müsse eine Bilanz über die Strategie der Intersyndicale in den letzten fünf Monaten gezogen werden. Sie weigerte sich, die Streiks zu verallgemeinern und setzte stattdessen darauf, durch große, aber isolierte Streiktage Druck auf die Institutionen auszuüben. Nachdem Macron auf antidemokratische Weise das Gesetz durchgesetzt hatte, verschärfte sie den Kampf nicht etwa, sondern kehrte zum „sozialen Dialog“ mit der Regierung zurück. Nötig, so beschreibt Cherfy weiter, ist hingegen die Forderungen der Bewegung auf die Lohnfrage auszuweiten und dabei die laufenden Streiks als Ausgangspunkte zu nutzen. Gleichzeitig müsse für die Verteilung der Arbeitszeit auf alle gekämpft werden, um der Massenarbeitslosigkeit ein Ende zu bereiten.

Dafür aber braucht es einen Kampfplan: „Nur die Blockade der Wirtschaft kann ein Kräfteverhältnis schaffen, das Macron in die Knie zwingen kann.“

Macron mit Scholz im Nobelrestaurant

Wie die Bewegung also weitergeht, ist umkämpft. Ungemütlich bleibt die Lage für Präsident Macron und seine Regierung aber ohnehin. Denn vor dem Hintergrund der anhaltenden Inflation ist eine Welle von Streiks für höhere Löhne entstanden. Symbolträchtige Mobilisierungen wie beim Modehersteller Vertbaudet oder bei den Verkehrsbetrieben von Toulouse, so Cherfy bei RP, zeigen, dass der Kampf gegen die Rentenreform lokale Lohnkämpfe beflügelt hat.

Auch im Parlament herrscht noch keine Ruhe. Die kleine Fraktion LIOT wird am Donnerstag in der Nationalversammlung einen Antrag einbringen, der das bereits beschlossene Rentengesetz doch noch kippen soll. Der Vorstoß verspricht kaum Aussicht auf Erfolg – auch weil Macron erneut zu einem antidemokratischen Verfassungsartikel Zuflucht nehmen könnte. Den weiterhin niedrigen Zustimmungswerten zur Macron-Regierung würde das weiteren Schaden zufügen.

Dieser Lage entzog sich Macron jedoch vorerst. Er war stattdessen in Potsdam zu Gast und traf sich mit Bundeskanzler Scholz zu einem privaten Abendessen gerüchtehalber im einzigen Lokal mit Michelin-Stern in der Stadt. Ganz unbeschwert dürfte der Abend aber auch dort nicht gewesen sein. Mangelnde Absprache in der militärischen Zusammenarbeit, Uneinigkeit in der Haltung gegenüber China, der deutsche Alleingang mit dem Hilfspaket gegen steigende Energiepreise: Die Partnerschaft der deutsch-französischen Bourgeoisien hat bessere Zeiten gesehen. Bleibt zu hoffen, dass die französische Arbeiter:innenklasse Macron bei seiner Heimkehr einen möglichst ungemütlichen Empfang bereitet.

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