Wählen gegen rechts – und dann?

09.02.2025, Lesezeit 10 Min.
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Foto: Elaine Toszka/KGK

In den letzten Wochen häufen sich die Aufrufe, "taktisch" zu wählen, um die AfD zu schwächen. Warum diese Perspektive eine Sackgasse ist und wie der Rechtsruck tatsächlich gestoppt werden kann.

Nach der offenen Zusammenarbeit der Union unter Führung von Friedrich Merz mit der AfD im Bundestag sorgen sich viele berechtigterweise um eine weitere Vertiefung des Rechtsrucks. Hunderttausende füllten die Straßen, um die Merz-Weidel-Collab abzulehnen.  

 Zwei Wochen vor der Wahl hat sich nun auch die Diskussion zugespitzt, wie sich der Rechtsruck an den Wahlurnen ausdrücken wird. Die Umfragen sind widersprüchlich: Laut dem Deutschlandtrend von infratest dimap sind Union und AfD mit leichten Stimmenzuwächsen aus der vergangenen Woche gekommen. Die Forschungsgruppe Wahlen sieht hingegen eine leichte Schwächung der AfD. Einig sind sich die Umfragen, dass SPD und Grüne bisher nicht profitieren konnten, während die Linkspartei teilweise leicht zugelegt hat. Eine Merz-Kanzlerschaft scheint weiterhin das allerwahrscheinlichste Ergebnis der Wahl zu sein, auch wenn wild über Koalitionsoptionen spekuliert wird.

Vor diesem Hintergrund vervielfältigen sich Aufrufe, „taktisch“ oder „strategisch“ zu wählen – wobei beide Begriffe wenig mit der tatsächlichen Bedeutung von Taktik oder Strategie zu tun haben, sondern aussagen sollen, dass man nicht für diejenigen Parteien und Kandidat:innen stimmt, mit denen man am meisten übereinstimmt, sondern dort das Kreuz setzt, wo es am meisten „nützt“. Die Einschätzung des „Nutzens“ ist selbstverständlich extrem subjektiv. Während Grünen-Sympathisant:innen argumentieren, dass man jetzt Habeck wählen müsste, um Merz als Kanzler zu verhindern, sagen Anhänger:innen der Linkspartei, dass man gerade jetzt für sie stimmen sollte, um der AfD Plätze im Bundestag wegzunehmen, wodurch die AfD auch weniger Parteienfinanzierung bekommen würde.

Exemplarisch für diese Debatten steht der Beitrag „Das musst du wählen, um Merz als Kanzler zu verhindern“ von Lea Schönborn. Die Autorin bringt dort die Logik hinter der Diskussion auf den Punkt: „Es geht darum, die AfD auch zukünftig von der Regierung fernzuhalten. ‚Wenn es der nächsten Bundesregierung in vier Jahren nicht gelingt, das Vertrauen der Wähler zurückzugewinnen, dann haben wir 2029 ein echtes Problem‘, sagte der Berliner Oberbürgermeister Kai Wegner (CDU) beim Neujahrsempfang des Tagesspiegels.“ Abgesehen davon, dass Wegner selbst Vorreiter rassistischer Diskurse ist und deshalb nicht gerade als Kronzeuge dafür herhalten sollte, wie man die AfD stoppt, geht es also um die Frage, eine künftige AfD-Regierung zu verhindern. 

Mit demselben Argument hat die Linkspartei im thüringischen und im sächsischen Landesparlament bereits für CDU-geführte Landesregierungen gestimmt, die ohne die Stimmen der Linkspartei nicht zustande gekommen wären. Und auch nicht für irgendwelche CDUler, sondern Mario Voigt (Thüringen) und Michael Kretschmer (Sachsen), die beide offen für eine Zusammenarbeit mit der AfD sind. Sieht so die Verhinderung einer künftigen AfD-Regierung aus? Das genaue Gegenteil ist der Fall: Voigt, Kretschmer und künftig Merz im Bund arbeiten an der Normalisierung der AfD. 

Dass eine Merz-Kanzlerschaft an den Urnen noch verhinderbar ist, glaubt indes auch Schönborn nicht. „Um Merz als Kanzler zu verhindern, muss eine Koalition ohne die Union an die Regierung kommen, oder die Union muss Juniorpartnerin werden. Und das ist ungefähr so wahrscheinlich wie ein Elon Musk, der die ‚Internationale‘ singt.“ 

Der Rechtsruck wird nicht an der Urne gestoppt

Selbst wenn die künftige Bundesregierung nicht Friedrich Merz an der Spitze hätte, wäre der Rechtsruck damit nicht gestoppt. SPD und Grüne waren selbst an der Regierung für eine massive Verschärfung des Migrationsregimes verantwortlich und leisteten damit Union und AfD Vorschub: von der Verabschiedung der rassistischen europäischen GEAS-Asylreform über die Einführung von Bezahlkarten und Grenzkontrollen bis hin zu Abschiebungen nach Afghanistan. Im Jahr 2024 wurden unter ihrer Regierung 40.000 Menschen an den Grenzen zurückgewiesen. Ganz zu schweigen von der massiven Aufrüstung und den Waffenlieferungen seit Beginn des Ukrainekriegs, mit der jegliche sozialen Versprechen der Ampelregierung über Bord geworfen wurden, sowie der bedingungslosen politischen, finanziellen und militärischen Unterstützung für den Völkermord im Gazastreifen. Es ist ein nur allzu durchsichtiges Manöver, wenn sie jetzt versuchen, von den Massenmobilisierungen gegen AfD und CDU zu profitieren und auf Stimmenfang zu gehen.

Auch die Linkspartei hat sich in diesem Sinne einiges zu schulden kommen lassen. Zum Einen hat sie in über einem Dutzend Landesregierungen, an denen sie bisher beteiligt war, Abschiebungen, Zwangsräumungen, Privatisierungen und Polizeigewalt mitgetragen. Sie hat der Begrabung des Volksentscheids in Berlin zur Enteignung der Immobilienkonzerne tatenlos zugesehen. Aber auch als Oppositionspartei im Bundestag hat sie sich in Bezug auf die Unterstützung der NATO im Ukrainekrieg und in Bezug auf den Genozid an den Palästinenser:innen auf die Seite der deutschen Staatsräson geschlagen. Ihre historische Position zur Ablehnung der NATO hat sie bis ins Unkenntliche aufgeweicht, ihr Aushängeschild Gregor Gysi hat sich sogar explizit für die Erweiterung der NATO auf Schweden und Finnland ausgesprochen. Die zweite „Silberlocke“ Bodo Ramelow hat gefordert, ukrainische Männer aus Deutschland zurück an die Front zu schicken und fordert die schnellere Abschiebungen von Geflüchteten, „die bei uns permanent die Regeln brechen“. Und die Partei stimmte gemeinsam mit allen Parteien (inklusive der AfD) für das Verbot palästinasolidarischer Organisationen und die Prüfung „aufenthaltsrechtlicher Maßnahmen“.

Vor diesem Hintergrund hat das Argument, für die Linkspartei zu stimmen, damit sie die Fünf-Prozent-Hürde überspringt oder zumindest durch Direktmandate den Einzug in den Bundestag schafft, einen bitteren Beigeschmack. Die Linkspartei mag tausende Neueintritte verzeichnen (nachdem sie zuvor einen historischen Niedergang durchlaufen hatte), doch ihre Entsolidarisierung mit der palästinensischen Bewegung hat sie dadurch nicht überwunden, ebensowenig ihre grundsätzliche Unterstützung für den Ukrainekrieg und ihre Orientierung auf die Mitverwaltung des kapitalistischen Staates, mit zwei aktuellen Regierungsbeteiligungen. 

Das ist nichts Nebensächliches. Denn der Rechtsruck im Allgemeinen und der Aufstieg der AfD im Besonderen sind eng mit dem antimuslimischen Rassismus und der bedingungslosen Solidarität mit dem genozidalen zionistischen Projekt verbunden. Die rassistische Trope des „importierten Antisemitismus“, mit der praktisch die gesamte arabischstämmige Bevölkerung in Deutschland überzogen wird – zeitgleich mit der gleichlautenden Diffamierung der radikalen Linken –, um den anhaltenden Genozid und die Verschärfung von Polizeibefugnissen und Abschieberegeln zu rechtfertigen, ist eine Speerspitze in der Autoritarisierung des deutschen Staatsapparats. Mag die Linkspartei bisher noch gegen die konkreten Aufrüstungspläne im Bundestag gestimmt haben: Mit Gysi und Ramelow an der Spitze ist eine antimilitaristische Politik nicht zu machen. Der Versuch der bürgerlichen Parteien, einen „demokratischen“ Antifaschismus zu etablieren, der zwar die AfD ausgrenzt, aber die Kriegspolitik und den Sozialkahlschlag beibehält, ist nur im Interesse des deutschen Kapitals und wird den Rechtsruck nicht aufhalten. Eine Linke, die sich nicht konsequent dagegen stellt, kann schlicht keine tatsächlich antifaschistische Kraft darstellen, sondern wird der Umlenkung des Kampfes gegen Rechts in eine Stütze des deutschen Imperialismus Vorschub leisten.

Wie wir an anderer Stelle schreiben, kann der Kampf gegen Rechts „nur tatsächlich geführt werden, wenn Sozialist:innen und Arbeiter:innen in die Mobilisierungen als eigenständige Fraktion intervenieren, für die Abschaffung sämtlicher rassistischer Gesetze, den Stopp von Abschiebungen, Seite an Seite mit migrantischen Gruppen und Geflüchteten, gegen die Spaltungen und Angriffe auf die Lebensbedingungen der Massen, für die Zusammenführung des Kampfes gegen Rechts mit den gewerkschaftlichen Tarifrunden und Kämpfen gegen Kürzungen und Schließungen, gegen die Militarisierung, den Krieg und den Genozid, die wichtige Grundlagen des Rechtsrucks sind.“

Aus diesem Grund rufen wir nicht dazu auf, die Linkspartei zu wählen. Wir rufen auch nicht dazu auf, in irgendeiner Weise „taktisch“ zu wählen. Wir haben stattdessen eigene, unabhängige sozialistische Bundestagskandidaturen aufgestellt, um Stimmen gegen Aufrüstung und Genozid, gegen den Rechtsruck, gegen die aktuellen und kommenden antisozialen Angriffe, gegen die Klimakatastrophe und für eine ganz andere, antikapitalistische Perspektive zu stärken. Dort, wo man unsere Kandidatinnen nicht wählen kann, setzen wir auf die Abgabe einer ungültigen Stimme. Aber vor allem setzen wir darauf, schon jetzt eine große Bewegung auf der Straße, in den Betrieben und Universitäten aufzubauen, um uns der kommenden Regierung und der extremen Rechten entgegenzustellen. Denn den Rechtsruck werden wir an der Urne nicht aufhalten, sondern nur durch Massenmobilisierungen, Streiks und Blockaden.

Für Massenmobilisierungen, Streiks und Blockaden gegen den Rechtsruck

Das rassistische „Zustrombegrenzungsgesetz“ wurde vergangene Woche nicht durch parlamentarische Vernunft gestoppt, sondern die Hunderttausenden auf der Straße; der Parlamentarismus gab ihrem Druck lediglich nach. 

Nun gilt es, die Bewegung auszuweiten, um nicht nur die rassistischen Vorstöße von AfD, Union und FDP zu stoppen, sondern auch die rassistischen Gesetze der Ampelregierung rückgängig zu machen und offene Grenzen und Bleibe- und Staatsbürger:innenrechte für alle zu erkämpfen. Nun müssen wir beginnen, uns auf die Angriffe der kommenden Regierung und der extremen Rechten vorzubereiten. Dafür muss die Bewegung sich organisieren. Wir brauchen die Einheit der Arbeiter:innen, Jugendlichen, Migrant:innen, Frauen und Queers gegen Rechts und gegen die rassistische Spaltung. Wir brauchen Streiks, Blockaden und Besetzungen, um die Rechten zurückzuschlagen. Damit das funktioniert, braucht es Versammlungen an allen Arbeitsplätzen, Schulen und Hochschulen, wo wir in möglichst großer Zahl zusammenkommen, über die Angriffe diskutieren und einen Kampfplan dagegen aufstellen können.

Wir kämpfen selbstverständlich an einer Seite mit all den Linkspartei-Mitgliedern, die den Rechtsruck tatsächlich stoppen wollen, aber vertrauen nicht darauf, dass eine Stimme für die Linkspartei bei der kommenden Wahl diese Perspektive verwirklichen kann. Wir kämpfen auch mit denjenigen Mitgliedern der SPD, die für die Rücknahme der von der Ampel beschlossenen Asylrechtsverschärfungen eintreten. Aber wir sagen ganz klar: Um unsere Forderungen wirklich zu erkämpfen, müssen wir uns unabhängig organisieren. 

Wir warten nicht darauf, dass im Parlament Rechtsruck und AfD gestoppt werden – die letzten zehn Jahre haben gezeigt, dass keine der Parteien dazu in der Lage ist. Deshalb ist genau jetzt der Moment, um aktiv zu werden und eine Kraft aufzubauen, die das rassistische Grenzregime abschafft, die dafür eintritt, dass die Banken und Konzerne enteignet werden und die Arbeiter:innen selbst über die Wirtschaft entscheiden. Die sich nicht an den Staat klammert, sondern schon jetzt für eine Revolution kämpft, die ein für alle Mal die Festung Europa einreißt und den Kapitalismus überwindet. Es liegt an uns, diese Kraft aufzubauen – wir haben keine Zeit zu verlieren.

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