VSG-Streik: Lohnerhöhung erkämpft – und das ist erst der erste Schritt!

02.06.2018, Lesezeit 7 Min.
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Der Streik der VSG geht nach 51 Tagen zu Ende. Nach Verhandlungen am Mittwoch haben die Streikenden in ihrer Versammlung am Donnerstag beschlossen, das vorgelegte Angebot der Geschäftsführung anzunehmen. Ab Samstag wird bereits wieder gearbeitet. Das Papier wurde schon offiziell unterschrieben.

51 Tage Streik – der längste Streik in der Geschichte von Vivantes und der längste Streik in Berlin seit Jahren. So lange haben die Kolleg*innen der Vivantes Service GmbH (VSG) ununterbrochen die Arbeit niedergelegt. Nun haben sie ein erstes Ergebnis erzielt.

Rückwirkend zum 1. Januar 2018 bekommen die niedrigen Gehaltsgruppen pauschal eine Lohnerhöhung um 70 Euro, andere Lohngruppen bekommen 2,1% mehr. Ähnliche Erhöhungen sind für 2019 vorgesehen, und im Jahr 2020 wird es eine prozentuale Erhöhung von 3,5% für alle Lohngruppen geben.

Dabei handelt es sich um spürbare Verbesserungen für die etwa 300 direkt bei der VSG angestellten Kolleg*innen. Doch sie werden weiterhin weniger verdienen als die etwa 600 Gestellten aus dem Mutterkonzern. Die zentralen Forderungen nach gleicher Bezahlung und TVöD für alle Beschäftigten sind damit weiterhin offen. Und das, während heute an die Öffentlichkeit kam, dass selbst der Landesrechnungshof die horrenden Gehälter der Vivantes-Oberen für überzogen hält.

Insgesamt liegt das Lohnniveau in etwa bei 90% des TVöD und entspricht damit der Forderung, die die Streikenden bereits seit längerem als Zwischenschritt zum vollen TVöD aufgestellt hatten. Wichtig war neben der reinen Lohnforderung aber auch der Manteltarifvertrag. Hier gibt es jetzt Verbesserungen in Urlaubsregelung, bei der betrieblichen Altersvorsorge und bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

Mit einer Laufzeit, die erst im April 2021 endet, binden sich die Kolleg*innen allerdings ausgesprochen lange an eine Friedenspflicht.

Sie haben bereits bekundet, dass sie auch weiter für den TVöD kämpfen wollen. Mit dem nächsten Streik werden sie aber voraussichtlich drei Jahre warten müssen.

Dieses Ergebnis ist also kein Sieg auf ganzer Linie – aber es muss dennoch gebührend gewürdigt werden. Immerhin hat es hier ein Kern von 70 aktiven Kolleg*innen geschafft, Vertragsverbesserungen für 300 Beschäftigte herauszuschlagen. Und das auch noch in einem Tochterunternehmen, in dem zusätzlich 600 Gestellte arbeiten. Es handelte sich also in der Regel um weniger als 10 Prozent der Belegschaft, die sich im Streik befanden.

Ein ausgesprochen harter Kampf

Und diese 70 Kolleg*innen haben es geschafft, mit 51 Tagen den längsten Streik zu führen, den es bei Vivantes bisher gegeben hat. Auch in ganz Berlin war der letzte Streik, der so lange andauerte, wahrscheinlich der CFM-Streik 2011.

In diesen sieben Wochen mussten sich die Streikenden die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, der Bosse und der politisch Verantwortlichen regelrecht erkämpfen. Lange Zeit wurden sie von den Medien dieser Stadt regelrecht ignoriert.

Doch nach und nach haben sie es geschafft, sich Gehör zu verschaffen. Vor allem, indem sie die Brücke zu anderen Belegschaften geschlagen haben. So solidarisierten sich die Streikenden mit den Kolleg*innen von #BerlinBrennt und es gab auch kleinere Solidaritätsstreiks von Vivantes-Pfleger*innen für die VSG. Und die gemeinsamen Streiks und Demonstrationen mit TVStud, sowie die große Kundgebung mit anderen prekarisierten Beschäftigten vor dem Brandenburger Tor werden allen Beteiligten im Gedächtnis bleiben.

Während sich die Geschäftsführung der VSG lange Zeit stur stellte und nicht einmal verhandeln wollte, konnte es ihr in der zurückliegenden Woche plötzlich nicht schnell genug gehen.

Dazu hat auch der öffentliche Druck beigetragen, den die Streikenden zusammen mit Unterstützer*innen nach und nach aufgebaut haben. So statteten sie nicht nur Bürgermeister Michael Müller mehrere Besuche ab, sondern skandalisierten auch das Vorgehen der VSG gegen den Streik. Erst in den letzen zwei Wochen sind Fotos aus der Zentralsterilisation aufgetaucht, die klar machen, dass die VSG und Vivantes Patient*innen gefährden.

Auch wenn der Streik nun beendet ist, könnte der Vivantes-Konzern durchaus noch in Erklärungsnot über die aufgedeckten Zustände kommen.

Ein Minderheitenstreik mit vielen Hürden

Natürlich muss die Frage gestellt werden, warum die Beteiligung am Streik durchgehend relativ gering blieb. Dabei spielt es auch eine Rolle, dass ver.di sich bei Vivantes und der VSG in den vergangenen Jahren nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat. Allein 2017 kam der VSG-Streik zweimal ins Rollen, um dann nach kurzer Zeit wieder abgebrochen zu werden. Einmal im Frühjahr, als der Streik durch einen Formfehler gerichtlich verboten wurde. Und dann im Sommer, als der gemeinsame Streik mit der CFM anstand. Doch beide Streiks wurden kurzerhand vom Bundesvorstand abgewürgt – bis heute ohne plausible Begründung. Außer vielleicht, dass Teile des Apparats der SPD doch lieber nicht zu viel Druck vor der Bundestagswahl machen wollten.

Diese Erlebnisse haben Spuren hinterlassen, die in Gesprächen mit Streikbrecher*innen immer wieder aufkamen.

Doch nicht nur die Erlebnisse der Vergangenheit haben im Streik bremsend gewirkt: Auch während der aktuellen Streikrunde gab es immer wieder Konflikte mit dem ver.di-Hauptamt, in denen sich die Tarifkommission und die Versammlung der Streikenden immer wieder durchsetzen mussten.

Kampfbereitschaft und Selbstorganisierung

Es gibt große Chancen, jetzt auf dem Ergebnis aufzubauen. Denn in der Bewertung zählt nicht nur der nominelle Zwischenerfolg, sondern vor allem die die erfolgreiche Organisierung eines solidarischen Kerns der Belegschaft.

Denn der VSG-Streik war nicht nur besonders aufgrund der Ausgangslage der staatlich geförderten Auslagerung und Prekarisierung, gegen die sich die Beschäftigten aufgebäumt haben. Er war auch deshalb bemerkenswert, weil der Streik von starken Elementen der Selbstorganisierung geprägt war. Besonders hervorzuheben sind dabei die täglichen Streikversammlungen, in denen die Situation diskutiert und Ideen ausgetauscht und Entscheidungen über Streikstrategie und Aktionen getroffen wurden.

Diese Streikdemokratie war nicht absolut, denn weiterhin hatte der ver.di-Bundesvorstand das letzte Wort über die Fortführung des Streiks. Es gab gute und wichtige Elemente, aber die Bürokratie hat die Zügel nur so locker gelassen, wir es ihr notwendig erschien – wobei auch dafür erst ordentlich gestritten werden musste.

Dennoch ist der Grad an demokratischer Selbstorganisierung der VSG-Streikenden ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Demokratisierung der Gewerkschaften.

Besonders wichtig ist dabei, dass die Streikenden es durchsetzten, dass die Entscheidung über das Ergebnis in ihrer Hand lag: Die Tarifkommission ließ sich nicht dazu nötigen, nach dem letzten Angebot der Geschäftsführung sofort etwas zu unterschreiben und damit das demokratische Prinzip des Streiks zu unterlaufen. Stattdessen delegierten sie die Entscheidung an die Gesamtheit der Streikenden, die nach einer kontroversen Diskussion in der Streikversammlung für die Annahme des Ergebnisses stimmten.

Doch auch nach der Abstimmung gab es noch einmal Unmut, da die Verhandlungsführung nicht die zugesagte Bedenkzeit bis zum 4. Juni eingehalten hat, sondern schon vor Fristablauf das Angebot unterschrieben hat.

Die nächsten Schritte folgen!

Die Streikenden haben bereits angekündigt, dass sie weiterhin Druck auf den Senat ausüben wollen, bis ihre Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit umgesetzt ist. Unter anderem haben sie am heutigen Samstag gemeinsam mit Unterstützer*innen vor dem Landesparteitag der SPD direkt weiter protestiert.

Das Prinzip der Auslagerung und des Lohndumpings hat bei Vivantes System. Insgesamt gibt es über ein Dutzend Tochtergesellschaften. Und nicht nur bei Vivantes, sondern in zahlreichen Landesbetrieben setzt sich dieses System fort. Doch die VSG-Kolleg*innen haben gezeigt, dass sie sich nicht damit abfinden wollen. Ebenso wie ihnen geht es auch zahllosen anderen Belegschaften dieser Stadt. Ihr Streik gegen prekäre Jobs wird also definitiv nicht der letzte gewesen sein.

Auf zum gemeinsamen Kampf der Prekarisierten dieser Stadt! Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! TVöD für alle!

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