Vorwort zur CFM-Broschüre

12.09.2012, Lesezeit 3 Min.
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Ein Jahr ist seit dem Beginn des Streiks bei der Charité-Facility-Management (CFM) am 12. September 2011 vergangen. Obwohl der Streik bei der prekarisierten Tochtergesellschaft des Berliner Uni-Klinikums Charité offiziell mit einem Sieg endete, gibt es bis heute keinen Tarifvertrag für die Beschäftigten. Bis auf das Sicherheitspersonal haben die Beschäftigten keine Verbesserungen erhalten.

Die überwiegende Mehrheit der KollegInnen ist zutiefst demoralisiert. Die 13 Wochen im Streik brachten bisher nur Einkommensverluste. Viele sagen, dass sie nie wieder streiken wollen. Die einzige Hoffnung besteht darin, dass die Charité-Beschäftigten erneut streiken und damit neue Impulse für einen Kampf bei der CFM geben. Doch auch diese Hoffnung ist trübe, wenn man bedenkt, wie ver.di beim letzten Charité-Streik die CFM-ArbeiterInnen im Stich ließ.

Seit dem Streik hat sich ein kleines Netzwerk von KollegInnen zusammengefunden, das sich trotz Repression durch Geschäftsführung und Gewerkschaftsbürokratie trifft, austauscht und Gedanken darüber macht, was gegen die miserablen Zustände unternommen werden kann.

Auch aus einem Sieg, der so stark nach Niederlage riecht, müssen politische Lehren gezogen werden. Denn die Bedeutung des CFM-Streiks – hier waren sich die Streikenden, die Gewerkschaft, die revolutionäre Linke und sogar die KapitalistInnen einig – ging weit über diesen Berliner Betrieb hinaus. Es war ein Kampf gegen die Prekarisierung, die sich seit zehn Jahren in Deutschland breit macht.

Welche Lehren können wir aus diesem Streik für zukünftige Kämpfe ziehen? Was müssen wir beim nächsten Mal unbedingt anders machen? Und was bedeuten diese Erfahrungen für unsere strategische Ausrichtung auf die sozialistische Weltrevolution? Diese Fragen sind besonders interessant, weil mehrere revolutionäre Gruppen, die sich auf den Trotzkismus beziehen, in den CFM-Streik intervenierten. So ermöglicht die Bilanz des Streiks auch eine Gegenüberstellung verschiedener Strömungen.

RIO, die Revolutionäre Internationalistische Organisation, ist eine junge Gruppe und der CFM-Streik war unsere erste Erfahrung damit, einen Streik vom Anfang bis zum Ende zu begleiten und dort Politik zu entfalten. Uns ist bewusst, dass wir viele Fehler gemacht haben und dass unser Einfluss sehr begrenzt blieb. (Zum Beispiel wollen wir nicht verheimlichen, dass die SAS, die Sozialistische Arbeiterstimme, weit mehr für die Organisierung von KollegInnen nach dem Streik getan hat als wir).

Doch gerade deswegen finden wir es auch bemerkenswert, was für ein Vakuum für kämpferische Politik in diesem Land existiert, das von RevolutionärInnen gefüllt werden kann. Mit unseren sehr bescheidenen Mitteln konnten wir Impulse hin zu einer Demokratisierung des Streiks und einer Ausweitung der Solidarität geben. Was wäre möglich gewesen, wenn weitere revolutionäre AktivistInnen mit einer ähnlichen Perspektive interveniert hätten?

Um die Lehren aus diesem Streik zu ziehen, legen wir diese Broschüre vor – mit Analysen und Berichten von verschiedenen Momenten des Streiks, Interviews mit Beteiligten, exemplarischen Einblicken in Solidaritätserklärungen und Interventionen sowie mit Gegenüberstellungen der Strategien linker Gruppen.

Wir denken, dass der Aufbau einer revolutionären Partei der ArbeiterInnen und Jugend die kritische Aufarbeitung der wichtigsten Kämpfe erfordert. Mit dieser Broschüre möchten wir deshalb eine Debatte über einen solchen Kampf anstoßen und laden zu Diskussion, Kritik und Kommentaren ein.

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