Vorläufiges TVöD-Ergebnis: Stillhalten während der Krise?
Das Einigungspapier der ver.di-Verhandlungsführung und der kommunalen Arbeitgeber:innen in den Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst liegt nun vor. Unter dem Strich stehen eine Nullrunde bis April 2021, eine Laufzeit von 28 Monaten und Lohnerhöhungen, die wohl gerade einmal die Inflationsrate ausgleichen werden. Ein besseres Ergebnis kann erkämpft werden, wenn die Einigung in einer Abstimmung der Beschäftigten abgelehnt und die Streiks fortgesetzt werden.
Die Verhandlungen über einen neuen Tarifvertrag im öffentlichen Dienst (TVöD) hatten sich hingezogen, doch am Sonntag verkündeten die kommunalen Arbeitgeber:innen und ver.di schließlich eine Einigung. Von einer vollen Durchsetzung der Forderungen für die rund 2,3 Millionen betroffenen Beschäftigten ist das Ergebnis weit entfernt.
Die Liste der Vereinbarungen ist lang und kompliziert, ins Auge springt jedoch sofort eines: die lange Laufzeit. Bis zum 31. Dezember 2022 soll der Tarifvertrag dauern, insgesamt 28 Monate. Das bedeutet vor allem, dass der öffentliche Dienst stillhalten soll, bis die derzeitige Krise ausgesessen ist. Der Ver.di-Vorsitzende Frank Werneke äußerte sich in einer Videobotschaft, in der die Verhandlungsführung die „Tarifbotschafter:innen“ aus den Betrieben über das Ergebnis informierte, zu diesem Punkt – jedoch erst auf eine kritische Nachfrage aus dem Publikum.
Die ursprüngliche Forderung von zwölf Monaten Laufzeit sei von vornherein unrealistisch gewesen, da somit die nächsten Verhandlungen mit der Bundestagswahl im September 2021 zusammengefallen wären. Eine Erklärung, warum dies für die Beschäftigten von Nachteil gewesen wäre, blieb er schuldig. Stattdessen seien die Mindestbeträge für die unteren Einkommensgruppen nur im Austausch mit der langen Laufzeit auszuhandeln gewesen. Letztlich ist dies ein Eingeständnis, dass nur ein echter Kampf ein besseres Ergebnis hätte einbringen können. Gerade mit einer Laufzeit bis 2021 gäbe es die Möglichkeit, die Tarifrunden im Land (TV-L) und Kommunen/Bund (TVöD) zusammenzulegen und Streiks vom gesamten Öffentlichen Dienst zu organisieren.
Die Einkommenssteigerungen, mit der diese Endloslaufzeit erkauft werden soll, sind allerdings zum größten Teil ziemlich mager. Zwischen 3,2 für die höheren und 4,5 Prozent für die niedrigeren Entgeltgruppen sollen die Gehälter in zwei Schritten steigen. Das klingt erst einmal passabel. In Anbetracht der langen Laufzeit und der zu erwartenden Inflationsraten bleibt dabei jedoch keine Reallohnsteigerung übrig. Die erste Anhebung erfolgt außerdem erst zum April nächsten Jahres. Somit steht für das erste halbe Jahr der Laufzeit eine Nullrunde.
Die Frage der Arbeitszeit, die besonders in den Krankenhäusern, aber auch in vielen anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes eine große Rolle spielt, kommt in den Ergebnissen so gut wie nicht vor. Lediglich die Angleichung der Arbeitszeiten in Ost und West konnte endlich erreicht werden – doch auch das erst zum 1. Januar 2023.
Merkliche Verbesserungen hat die Einigung lediglich für die Beschäftigten in der Pflege bereit. Dort wurden zusätzliche Gehaltssteigerungen vereinbart. Intensivpfleger:innen erhalten noch einmal einen weiteren Zuschlag und könnten damit in der Spitze auf bis zu zehn Prozent mehr Lohn kommen. Diese Spaltung bietet bereits den Kommentator:innen der Süddeutschen Zeitung, die zuvor noch gegen die Streiks gehetzt hatten, den Anlass davon zu sprechen, dass es „ein guter Kompromiss“ sei, weil es vor allem für diejenigen Verbesserungen bereithalte, „die besonders von der Pandemie belastet waren und sind. Für die Anderen gibt es aufgrund der Zwänge entsprechend weniger.“ Das Ergebnis öffnet also denjenigen Tür und Tor, die die Beschäftigten der verschiedenen Sektoren gegeneinander ausspielen möchten.
Von jeglicher Lohnerhöhung sind weiterhin die Reinigungskräfte, Sterilisationsassistenzen oder Krankentransporteur:innen ausgeschlossen, die jeden Tag ihr Leben durch die Pandemie riskieren und zentrale Tätigkeiten ausüben, damit die Hygiene-Regelungen eingehalten werden und das Gesundheitssystem funktioniert. Diese Bereiche sind fast in allen Krankenhäusern in (oft private) Tochterunternehmen ausgelagert, sodass sie meist weder einen Tarifvertrag haben, noch eine Lohnerhöhung. Dieses Konzept des „Outsourcing“ ist ein fester Bestandteil der neoliberalen Kürzungspolitik der Bundes- und Landesregierungen, die das Leben von Millionen Patient:innen gefährdet. Um so wichtiger ist es daher, dass alle Krankenhausbeschäftigten und Tochterunternehmen gemeinsam zum Streik aufgerufen werden – eine Perspektive, die vom ver.di Bundesvorstand zu Gunsten der Regierung abgelehnt wird.
Sparpolitik im Gesundheitssystem im Interesse der Großaktionäre
Besonders im Kontext der Wirtschaftskrise hatte die Regierung das Ziel möglichst wenig Geld für das Gesundheitssystem auszugeben, um Geld für die Hilfen an Großkonzerne zu sparen. Diese Hilfen waren in den vergangenen Monaten immer unter Kritik geraten, da wie im Beispiel von dem Lufthansa Konzern, der 8 Milliarden Hilfen bekommen hat und trotzdem tausende Beschäftigte entlässt, deutlich wird, dass diese Hilfen am Ende des Tages den Großaktionären und Kapitalist:innen zu Gute kommen, die nur an ihrem Profit interessiert sind.
Mit dieser Politik nimmt die Bundesregierung die Gesundheit von Millionen Menschen in Kauf, während in Deutschland zehntausende Pflegekräfte fehlen. Nur mit einem Bruchteil des Geldes, das an die Taschen der Großaktionäre fließt, könnte man den Pflegemangel beseitigen.
Die Pandemie ist jedoch längst nicht vorbei. In den Krankenhäusern machen sich die rasant steigenden Fallzahlen bereits bemerkbar, die Vorbereitungen auf eine weitere Eskalation sind vielerorts besonders personell nicht ausreichend. Auch wann ein Impfstoff zur Verfügung stehen wird, ist weiterhin nicht klar. Somit schadet die lange Laufzeit auch den Pflegekräften in den öffentlichen Krankenhäusern, die verhältnismäßig besser dastehen. Denn auch sie sollen nun über zwei weitere Jahre lang stillhalten, während sich auch die Wirtschaftskrise hinziehen wird und eine effektive Verteidigung gegen die Angriffe der Bosse umso wichtiger werden wird.
Für verbindliche Abstimmungen der Beschäftigten in Versammlungen!
Rechtsbindend vereinbart sind bis jetzt nur die symbolischen „Corona-Prämien“ von 200 bis 600 Euro, die in diesem Jahr einmalig gezahlt werden. Allen anderen Verhandlungsergebnissen muss jedoch erst noch die Bundestarifkommission abschließend zustimmen. Sie trifft sich dazu am 24. November. Werneke versprach bis dahin „so viel Mitgliederbeteiligung wie möglich, in Präsenz und auf Videokonferenzen“, um Eindrücke und Stimmungen zu sammeln. Voraussichtlich vom 02. bis zum 20. November sollen in den Landesbezirken Videokonferenzen stattfinden, um die Einigung zu diskutieren.
„Eindrücke sammeln“ ist jedoch viel zu wenig. Es muss Videokonferenzen auf Betriebsebene geben, für die eigene Vertreter:innen anhand ihrer Positionierung zum Verhandlungsergebnis gewählt werden. Das Verhandlungsergebnis muss von allen Beschäftigten abgestimmt werden und das Abstimmungsergebnis sollte mit einfacher Mehrheit für die Bundestarifkommission (BTK) und alle Gremien von ver.di bindend sein.
Viele der Kolleg:innen sind der Meinung, dass die Streiks weitergeführt werden müssen. Denn ein besseres Ergebnis kann auch jetzt noch erkämpft werden. Das magere Ergebnis hat gezeigt, dass die Hoffnung auf Verhandlungen nicht weit trägt. Stattdessen muss in ver.di nun umso dringender über einen Kampfplan diskutiert werden, der zu Erzwingungsstreiks führt.
Die einzige Möglichkeit, dass nicht die arbeitende Bevölkerung die Krise bezahlt, ist, dass man sich gegen den Sparkurs der Regierung im Interesse der Großaktionäre stellt. Nicht nur symbolisch an einzelnen Warnstreiktagen, sondern durch einen bundesweiten Erzwingungsstreik bis die Forderungen nach mehr Personal, mehr Lohn, sowie die Rückführung der ausgelagerten Tätigkeiten erfüllt werden.