Vor der IAA: 27 Aktivist:innen der Letzten Generation ohne Anklage in Haft

05.09.2023, Lesezeit 7 Min.
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So weit wollen sie es diesmal gar nicht kommen lassen: Polizeieinsatz gegen eine Blockade in Berlin. Bild: Mo Photography Berlin / shutterstock.com

Die bayerische Polizei macht Gebrauch vom repressivsten Polizeigesetz der Bundesrepublik und sperrt Aktivist:innen der Letzten Generation für bis zu zwei Monate ohne Anklage ein. Der IAA-Protest muss sich für ihre sofortige Freilassung einsetzen.

Die umstrittene Internationale Automobil-Ausstellung (IAA), die vom 5. bis zum 10. September in München stattfindet, ist das Symbol schlechthin für das Festhalten Deutschlands an fossiler Wirtschaftspolitik. Sie wird wie in den letzten Jahren wieder breite Proteste provozieren. Eine Großdemonstration am kommenden Sonntag, aber auch Aktionen des zivilen Ungehorsams von verschiedenen Gruppen und Bündnissen werden erwartet. Zusätzlich findet im Münchner Luitpold-Park bereits das Mobilitätswende-Camp statt, zu dem bis zu 1.500 Teilnehmer:innen erwartet werden.

Um diese Proteste einzuschüchtern und das reibungslose Ablaufen der Autolobby-Veranstaltung zu sichern, nahm die bayerische Polizei in den letzten Tagen ganze 27 Aktivist:innen der „Letzten Generation“ in die sogenannte Präventivhaft. Sie befinden sich in den Justizvollzugsanstalten Memmingen und Stadelheim. 16 der Inhaftierten werden bis zum Ende der IAA am 10. September in Gewahrsam bleiben. Die anderen 11 werden wohl länger einsitzen. Zehn von ihnen werden auf Anordnung des Amtsgerichts München bis zum 30. September einsitzen. Sie waren im Vorfeld der IAA bei Blockadeaktionen festgenommen worden. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann sagte im Vorfeld, alle friedlichen Demonstrantinnen und Demonstranten seien in München zwar willkommen, aber er werde keine Straftaten tolerieren. „Wer Menschen im Straßenverkehr nötigt, fremdes Eigentum beschädigt oder gar gegenüber anderen Menschen gewalttätig wird oder Rettungskräfte behindert, der muss mit einem konsequenten Einschreiten der Polizei rechnen“, sagte er der Presse. Damit versucht das Innenministerium die Proteste in „gute“, friedliche und „böse“, gewalttätige Proteste zu spalten, aber es ist klar, wer in dieser Woche die eigentliche Gewalt ausüben wird: Wie im Jahr 2021 erwarten die Veranstalter:innen der Demonstration wieder Schlagstockeinsatz durch die Polizei.

Bayern hat den repressivsten Polizeistaat aller Bundesländer. Die Präventivhaft wird durch  das sogenannte Polizeiaufgabengesetz geregelt. 2018 wurde dieses schon einmal massiv verschärft. Seitdem können Menschen bei Verdacht auf eine geplante „erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit“, „eine Gefahr für ein bedeutendes Rechtsgut“ oder „Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit“ für bis zu 30 Tage präventiv eingesperrt werden. Die Dauer dieser Haft kann dann noch einmal vom Gericht um einen weiteren Monat verlängert werden. In anderen Bundesländern sieht die Rechtslage anders aus: Meist ist dort eine Präventivhaft von lediglich 14 Tagen möglich, in Berlin sind nur maximal 48 Stunden erlaubt. 2017 hatte die Bayerische Regierung versucht, mit ihrem ersten Gesetzesentwurf die Präventivhaft auf 3 Monate auszuweiten, mit der Option, sie gerichtlich unbegrenzt zu verlängern. Dieser erste Entwurf schaffte es nach großen Protesten allerdings nicht ins finale Gesetz. Neben der Präventivhaft sieht das Gesetz auch andere weitreichende Befugnisse für die Polizei vor: die Polizei kann bei Verdacht auf „Gefahr“ beispielsweise ohne richterlichen Beschluss Telefone abhören oder Briefe öffnen. Damals begründete die Regierung ihren autoritären Vorstoß mit der Gefahr durch Terrorist:innen. Heute findet das Gesetz Anwendung bei der Unterdrückung friedlicher Klimaaktivist:innen.

Damit offenbart sich der eigentliche Gedanke hinter der Polizeireform: Nicht allein um die Prävention von Terror geht es dem Staat. Es geht stattdessen darum, dass der Staat seine Möglichkeiten ausweitet, jede potenziell widerständige Bewegung, jeden Streik, jede Demonstration, jede Blockadeaktion unter dem Vorwand der „Gefahr“ für die öffentliche Sicherheit im Vorhinein zu unterdrücken. Die Letzte Generation mit ihrem alles andere als radikalen Programm und ihren zahmen, pazifistischen Methoden bekommt hier vom Staat die gleiche Behandlung wie zum Massenmord bereite und schwer bewaffnete Faschist:innen.

Dabei werden aus juristischen Kreisen immer wieder Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der bayerischen Präventivhaft laut. Denn es sei ohnehin zweifelhaft, ob die Aktivist:innen mit ihren Blockaden überhaupt eine strafbare Nötigung begehen, oder vielmehr lediglich eine Ordnungswidrigkeit. Das müsse im Einzelfall geprüft werden. Auch werden Aktivist:innen der Letzten Generationen vor Gericht fast ausschließlich zu Geldstrafen und eben nicht zu Haft verurteilt, was den exzessiven Einsatz der Langzeitpräventivhaft unverhältnismäßig und damit illegal machen würde. In den letzten Jahren gab es immer wieder Versuche, die Präventivhaftregelung gerichtlich zu kippen. Im Juli scheiterte zuletzt eine Klage vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof.

Sicherlich sollte auch juristisch gegen die immer größere Ausweitung des Polizei- und Überwachungsstaates vorgegangen werden. Doch zeigt die Geschichte, dass dem autoritären Ausbau des bürgerlichen Staates nur effektiv und nachhaltig begegnet werden kann, wenn sich eine Massenbewegung gegen Repression formiert, die mittels politischer Streiks und Demonstrationen aus den Betrieben und Universitäten heraus so viel Druck auf die Regierung ausübt, dass diese keine andere Wahl hat, als das Polizeiaufgabengesetz zu entschärfen. Im letzten Fall ist ein zentrales Element bei der Organisation einer solchen politischen Gegenmacht, dass die Klimabewegung nicht den Spaltungsversuchen der Regierung nachgibt, dass sie fest und geschlossen hinter den betroffenen Aktivist:innen steht und ihre sofortige Freilassung fordert. Der Angriff auf die Letzte Generation dient dazu, die gesamte Klimabewegung einzuschüchtern und das Märchen zu verbreiten, eine Protestbewegung müsse sich immer an den Rahmen der Gesetze halten. Wenn sich jede Bewegung in der deutschen Geschichte immer an bestehendes Gesetz gehalten hätte, dann hätten wir heute immer noch keine Republik, immer noch keine legalen Gewerkschaften, keinen Achtstundentag und auch kein Verbot von Kinderarbeit. Historischer Fortschritt musste immer schon gegen die bewaffnete bürgerliche Staatsmacht durchgesetzt werden.

Während der bayerische Staat also den reibungslosen Ablauf der größten Lobbyveranstaltung der fossilen Automafia beschützt, obwohl ihre Machenschaften den Fortbestand der menschlichen Zivilisation gefährden, wird jeder noch so zaghaft widerständige Protest ohne Anklage und ohne Urteil weggesperrt. Einen klareren Beweis dafür, dass dieser Staat nicht der Staat „aller Deutschen“, sondern der Staat des deutschen Kapitals ist, kann es nicht geben.

In bedingungsloser und ungeteilter Solidarität mit den inhaftierten Aktivist:innen und gegen die fortgesetzte Zerstörung der menschlichen Lebensgrundlage durch die kapitalistische Produktionsweise gehen die Studierenden- und die Arbeiter:innengruppierungen von Klasse Gegen Klasse am 10. September in München auf die Straße. Sie fordern unter anderem die sofortige Beendigung und Rücknahme der Förderung der IAA aus öffentlichen Geldern, die entschädigungslose Enteignung von BMW, VW und allen anderen Großkonzernen der Automobilindustrie unter der Kontrolle der Beschäftigten, den massiven Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs und die Streichung der Auslandsschulden, die von der deutschen Wirtschaft zur neokolonialen Unterdrückung und Ausbeutung von Ländern des globalen Südens eingesetzt werden. Klasse Gegen Klasse fordert alle ihre Leser:innen auf, sich ebenfalls an dieser Demonstration zu beteiligen. Gemeinsam muss sich der gesamte IAA-Protest für die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Inhaftierten einsetzen.

Geh mit KGK Workers und Waffen der Kritik gegen die IAA auf die Straße

Workshop „Welche Strategie gegen die Klimakatastrophe?“:
Sa., 9. September, 14 Uhr, Mobilitätswende-Camp im Luitpoldpark

#BlockIAA-Großdemonstration
So., 10. September, 11 Uhr, Mobilitätswende-Camp im Luitpoldpark

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