Von Pierburg bis Berlin – Der Kampf für mehr Streikrechte in Deutschland

21.06.2018, Lesezeit 6 Min.
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Szene aus dem Kurzfilm über den Streik in Pierburg

Auf der „Wir streiken alle“-Demo wurde in einem Redebeitrag der Gruppe „§218 und §219a wegstreiken“ die Perspektive einen Frauen*streiks in Deutschland aufgeworfen. Darauf aufbauend wollen wir uns mit dem deutschen Streikrecht, deren Auslegung und dem Kampf dagegen auseinandersetzen.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erlebte Deutschland eine neue Welle des Klassenkampfs. Aufgrund der steigenden Lebenshaltungskosten mündete diese 1948 in den einzigen Generalstreik in Westdeutschland seit 1945, mit über neun Millionen Streikenden. Doch dieser Streik wurde von der SPD in die Niederlage geführt. So gab es keine öffentliche Mobilisierung, die Streikenden blieben einfach zu Hause. Ein weiterer Faktor waren Auflagen der Alliierten, die eine Wiederholung der Tumulte verhindern sollten, wie sie einen Monat zuvor in Stuttgart stattfanden, wo die hinzugezogene US-Militärpolizei Tränengas und Panzer einsetzte.

Im Gegensatz zu anderen europäischen Staaten ist der Generalstreik in Deutschland nicht vom Streikrecht gedeckt. Dies führt dazu, dass betroffene Firmen gegenüber den aufrufenden Gewerkschaften Schadensersatzansprüche geltend machen können. So war es 1952 beim Zeitungsstreik, bei dem die Gewerkschaften versuchten Druck auf die Verlage auszuüben, die sich gegen betriebliche Mitbestimmung positionierten und eine Kampagne gegen die Gewerkschaften führten. Die betroffenen Verlage klagten, weil sie es als politischen Streik werteten, der ebenfalls nicht vom Streikrecht gedeckt sei.

Der Jurist Hans Carl Nipperdey schrieb 1952 daraufhin ein Gutachten, nachdem sich mehrere deutsche Landesarbeitsgerichte mit dem Fall beschäftigten und ihn als „ungesetzlich und sittenwidrig“ einstuften. Daraufhin beschäftigte sich das Bundesarbeitsgericht mit dem Fall. Aufgrund des Gutachtens des Juristen Hans Carl Nipperdey, das Streiks nur im Rahmen von Tarifforderungen für zulässig erklärte, beurteilte das Gericht 1955 den Zeitungsstreit für rechtswidrig. Seit diesem Urteil gilt jeglicher Streik, der außerhalb der Tarifordnung stattfinden als unzulässig.

Angriffe aufs Streikrecht gehen weiter

Aber auch heute wird versucht das Streikrecht zu begrenzen. Der langanhaltende Streik der Gewerkschaft der Lokführer*innen (GDL), der das öffentliche Leben stark beeinträchtigte und der Deutschen Bahn einen Millionenschaden einbrachte, wurde mit dem Tarifeinheitsgesetz beantwortet. Durch dieses Gesetz soll es kleineren Gewerkschaften untersagt werden, zum Streik aufzurufen. Dieser damalige Angriff auf die Arbeiter*innenbewegung blieb weitgehend unbeantwortet und fand sogar mit Bewilligung der IG Metall-Führung statt, die um ihre Stellung fürchtete. Aber es wäre nicht das erste Mal dass die Gewerkschaftsführung die arbeiter*innenfeindliche Rechtssprechung benutzt, um Streiks zu begrenzen.

So wurde im Daimler-Werk in Bremen im Dezember 2014 eine Nachtschicht unangekündigt bestreikt. Ziel der Streikenden war es gegen die Ausweitung der Leiharbeit vorzugehen, die die festangestellten Kolleg*innen immer stärker unter Druck setzt und deren Arbeitsbedingungen in Frage stellt. Die Führung der IG Metall versagte den Kolleg*innen die Unterstützung. Dies wurde begründetet mit der Auslegung, die seit 1952 das Arbeitsrechtsverständnis prägt und jegliche Arbeitskampfmaßnahmen untersagt, die außerhalb der Tarifordnung stattfinden. Schließlich wird die Ausweitung der Leiharbeit nicht vom Tarifvertrag geregelt. Diese Arbeiter*innen des Daimler-Werks in Bremen stellten daraufhin eine eigene Kampagne auf die Beine, mit der sie die bestehende Auslegung des Streikrechts in Frage stellten. Die Beschäftigten von Daimler in Bremen bezogen sich dabei auf die Sozialcharta der Europäischen Union, die im Widerspruch zur restriktiven Auslegung des deutschen Streikrechts steht und von Deutschland ratifiziert wurde. Diese Charta sieht entgegen der deutschen Rechtsdogmatik vor, dass nicht nur für tariflich regelbare Ziele gestreikt werden darf. Sie gewährleistet in Teil II Art. 6 Nr. 4a: „Das Recht der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechts im Falle von Interessenkonflikten, vorbehaltlich etwaiger Verpflichtungen aus geltenden Gesamtarbeitsverträgen“. Danach würde nur unter die Friedenspflicht fallen, was bereits vom bestehenden Tarifvertrag geregelt würde.

Damit wären Streiks gegen Leiharbeit, sowie politische Streiks und der Generalstreik in Deutschland legal, somit auch Frauen*streiks, wie im Spanischen Staat. Das wir uns aber nicht auf die bürgerlichen Institutionen verlassen dürfen, dass wissen auch die Beschäftigten vom Daimler-Werk in Bremen. Beim Prozess sagte Gerhard Kupfer:

Streikrecht erkämpfen wir nicht vor Gericht. Das erkämpfen wir auf der Straße, indem wir es einfach wahrnehmen, das Streikrecht. Das ist so. War immer so in der Geschichte.

Kürzlich klagten auch Lehrer*innen gegen die geltende Auslegung des Streikrechts. Vier verbeamtete Lehrer*innen hatten an Warnstreiks teilgenommen, zu dem die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) aufgerufen hatten. Daraufhin sollten sie ein Bußgeld von bis zu 1.500 Euro zahlen. Sie legten Widerspruch ein und beriefen sich in ihrer Argumentation auf die europäische Rechtssprechung. Ein allgemeines Streikverbot für alle Angehörigen des öffentlichen Dienstes sei unverhältnismäßig, hieß es 2009 in einem Straßburger Urteil zur Türkei. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe war der Argumentation der Lehrkräfte nicht gefolgt. Diese hatten im Januar angekündigt in dem Fall selbst vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zu ziehen. Doch am Ende müssen die Gewerkschaften selbst die Bereitschaft haben das Streikrecht zu erkämpfen und gegen Angriffe zu verteidigen.

Pierburg-Streik 1973

Auf ein leuchtendes Beispiel können wir auch hier in Deutschland zurückblicken. Beim Pierburg-Streik 1973, wo migrantische Arbeiterinnen in einen wilden Streik traten und ihre männlichen Facharbeiter-Kollegen mit einbezogen, gelang es ihnen auch den Betriebsrat und die Gewerkschaft auf ihre Seite zu ziehen. Am Ende waren sie erfolgreich. Ihre Forderung, die Auflösung der Lohngruppe II, die allein Frauen schlechter stellte, wurde aufgelöst und alle bekamen Eine Mark mehr pro Stunde. Sie hatten auch ein Programm, das sich auch an ihre männlichen deutschen Kollegen richtete. Diese Erfahrung zeigt, dass nur die gesamte Klasse gemeinsam das Streikrecht herausfordern kann, unabhängig von Geschlecht und Nationalität.

Auch heute stehen beim Kampf von TV Stud wieder Frauen in der ersten Reihe. Einige fordern neben einem neuen Tarifvertrag auch die Möglichkeit für die Abschaffung der Abtreibungsparagraphen §218 und 219a des Strafgesetzbuchs zu streiken. Der Kampf von Pierburg hat gezeigt, dass dieser Kampf nur erfolgreich sein kann, wenn die gesamte Klasse für diesen Kampf gewonnen werden kann – denn letztlich ist es auch ein Kampf der gesamten Arbeiter*innenklasse.

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