Von der Weigerung, Kämpfe zu verbinden

20.09.2017, Lesezeit 4 Min.
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Mit dem Streik an der Charité sorgt ver.di aktuell für Aufsehen. Doch die Auseinandersetzung könnte noch viel kraftvoller geführt werden, wenn andere Krankenhäuser und weitere Teile der Belegschaft miteinbezogen würden. Das scheint den Funktionär*innen an der Spitze aber nicht ins Konzept zu passen. Ein Kommentar.

Am Dienstag trat das Pflegepersonal der Charité wieder in den Streik, um gegen den unhaltbaren Arbeitsdruck im Krankenhaus zu kämpfen. Trotz der skandalösen Weigerung der Charité-Chefetage, eine Notdienstvereinbarung abzuschließen, legten hunderte Kolleg*innen die Arbeit nieder. Am Nachmittag zogen sie in einer Demonstration vom Campus Virchow bis vor das Gesundheitsministerium in Mitte. Dort gab es ab 17 Uhr eine Kundgebung mit zahlreichen Unterstützer*innen.

In den Redebeiträgen wurde einerseits die Dringlichkeit ihrer Forderung nach mehr Personal betont. Andererseits wurde auch deutlich, dass die Probleme, gegen die sich der Streik richtet, längst nicht nur an der Charité und nicht nur bei den Pfleger*innen akut sind. So traten gestern auch einzelne Kliniken im Saarland, in Hannover und in Gießen in den Streik. Ein gutes Zeichen, aber angesichts der vielen betroffenen Kliniken wohl noch viel zu wenig. Gleichzeitig hätte in Berlin auch das Personal der Vivantes-Klinken jeden Grund, zu streiken. Nicht nur das, es gab auch Bestrebungen, sich zu organisieren. Doch in ver.dis bundesweitem Plan für den Pflegestreik wurde nur wenigen Klinken auch tatsächlich ein Streikrecht eingeräumt.

Außerdem gibt es bei Charité und Vivantes auch noch die ausgelagerten Tochterfirmen, deren Existenzberechtigung im Lohndumping besteht. So kämpfen die Beschäftigten der Charité Facility Management (CFM) und auch der Vivantes Service Gesellschaft (VSG) seit Jahren für angemessene Bezahlung.

Beide Betriebe und das generelle Problem des Outsourcings wurden zwar in einigen Reden erwähnt. Auch der Gedanke, dass diese Kämpfe gemeinsam geführt werden sollten, war der ein oder anderen Ansprache zu vernehmen. Doch tatsächlich präsent waren die kämpfenden Belegschaften der anderen Betriebe kaum. Die Gründe dafür sind nicht bei den betroffenen Kolleg*innen von CFM oder VSG zu suchen, sondern vor allem in der Strategie des ver.di-Apparats. Die sieht – aller Lippenbekenntnisse zum Trotz – nämlich keine Verbindung der Kämpfe vor.

Ein Kollege der VSG konnte am Dienstag spontan noch einen Platz am Mikrofon ergattern und eine solidarische Rede halten. Aber eingeplant war das eigentlich nicht. Die Kolleg*innen der CFM waren überhaupt nicht auf der Bühne zu sehen. Bei ihnen handelt es sich zwar auch um Beschäftigte im bestreikten Krankenhaus, aber deren Auftreten hätte wohl nicht ins Konzept gepasst. Schließlich bremst der ver.di-Apparat ihren Kampf seit Monaten aus.

Den Willen zu gemeinsamen Streiks haben sowohl CFM- als auch Charité-Beschäftigte schon zu mehreren Gelegenheiten bekundet. Aber statt sich an den Demonstrationen und Kundgebungen zu beteiligen, müssen die meisten Kolleg*innen in der ausgelagerten Tochterfirma diese Woche den Betrieb während des Pflegestreiks aufrecht erhalten. Der ver.di-Bundesvorstand und die zuständigen Funktionär*innen könnten diese Situation jederzeit ändern und die Service-Gesellschaften CFM und VSG ebenfalls zum Streik aufrufen. Dass dies seit Monaten nicht geschieht, ist mit keiner nachvollziehbaren Streiktaktik zu erklären. Es bleibt nur der Schluss zu, dass der Erfolg dieser Kämpfe nicht die oberste Maßgabe für Bsirske & Co. ist.

Dagegen müssen sich die ver.di-Mitglieder organisieren. Nur, wenn die Basis innerhalb von ver.di gegen den bürokratischen Apparat aktiv wird und der Bevormundung die Selbstorganisierung ihrer Streiks entgegen setzt, werden die Gewerkschaften wieder zu Kampfinstrumenten im Interesse der Arbeiter*innen.

Gewerkschaften tun gute Dienste als Sammelpunkte des Widerstands gegen die Gewalttaten des Kapitals. Sie verfehlen ihren Zweck zum Teil, sobald sie von ihrer Macht einen unsachgemäßen Gebrauch machen. Sie verfehlen ihren Zweck gänzlich, sobald sie sich darauf beschränken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt gleichzeitig zu versuchen, es zu ändern, statt ihre organisierten Kräfte zu gebrauchen als Hebel zur schließlichen Befreiung der Arbeiterklasse, d.h. zur endgültigen Abschaffung des Lohnsystems.

Karl Marx, Lohn, Preis, Profit

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