Von der Leyen auf Wahlkampfbesuch in Porto: Polizeigewalt gegen studentischen Protest
Vor einer Woche war Ursula von der Leyen auf einer Wahlkampfveranstaltung im portugiesischen Porto zu Gast. Studierende störten die Veranstaltung, die Polizei reagierte gewalttätig. Dies ist der letzte Höhepunkt einer studentischen Protestwelle in Solidarität mit Palästina in ganz Portugal.
Portugals etabliertes System ist seit einem Korruptionsskandal im November 2023 und den darauf folgenden Neuwahlen im März diesen Jahres mit erheblichen Zugewinnen für die neoliberale und faschistische Partei Chega (deutsch: „es reicht!“) erheblich durchgeschüttelt worden. Gleichzeitig formiert sich seit dem Einmarsch Israels in den Gazastreifen ein breiter, insbesondere junger und studentischer Protest für Solidarität mit Palästina und gegen die ausweichende und abwartende Haltung des politischen Establishments angesichts des Genozids in Gaza.
Vor diesem Hintergrund fuhr der portugiesische Ministerpräsident Luís Montenegro kurz vor der EU-Parlamentswahl am vergangenen Donnerstag, dem 6. Juni, schwere Geschütze im Wahlkampf auf: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sollte auf einer Wahlkampfveranstaltung in Porto gemeinsam mit Montenegro und Sebastião Bugalho, dem Spitzenkandidaten von Montenegros Wahlbündnis, Aliança Democratica (AD), sprechen. Die AD ist ein Bündnis der PSD – Partido Social Democrata, die namentlich zwar nach Sozialdemokratie klingen mag, de facto aber christlich-konservativ ist und in derselben Fraktion im EU-Parlament wie die CDU/CSU sitzt. Die PSD tritt in Portugal mit der rechtskonservativen CDS-Partido Popular und den Monarchist:innen der PPM an. Das Bündnis wird aufgrund der politischen Irrelevanz von CDS-PP und PPM von der PSD und Montenegro dominiert, wobei die ersten beiden bei der letzten EU-Parlamentswahl 2019 noch mit der Chega koalierten. Kurzum: Namen und vermeintliche Werte bedeuten auch in der portugiesischen Politik quasi nichts und es wird jeweils so zusammengearbeitet, wie es gerade opportun ist. Somit verwundert es nicht, dass die portugiesische Regierung auch seit jeher ihre Haltung zu Palästina nicht klar äußert, den Staat Palästina in jedem Fall aber nie anerkannt hat.
Hingegen sind die Beziehungen zum Staat Israel politisch und ökonomisch gefestigt: 2016 hatten beide Staaten untereinander ein Handelsvolumen von etwa 250 Millionen Euro und die portugiesische Außenhandelskammer unterhält ein eigenes Büro in Tel Aviv. Doch die portugiesische Regierung repräsentiert nicht die Bevölkerung. Genau das machen die Solidaritätsproteste für Palästina in Portugal immer wieder deutlich. Deswegen nahmen Student:innen und weitere Genoss:innen die Veranstaltung der AD mit von der Leyen zum Anlass, um ganz grundsätzlich das Schweigen der portugiesischen Regierung und der gesamten Hegemonie der EU anzuklagen. Aber insbesondere auch von der Leyen, repräsentativ für den gesamten deutschen Staat und dessen Unterstützung des Genozids in Palästina, war das Ziel ihrer Proteste.
Von der Leyen hatte für die Störaktionen nur heuchlerische Kommentare übrig: Die Protestierenden sollten dankbar dafür sein, dass sie protestieren könnten, denn in Moskau wäre das eine sehr andere Situation, sagte sie in einem Videoausschnitt der Veranstaltung, der danach im Netz kursierte. Der Kommentar und die Projektion des eigenen Imperialismus auf andere geopolitische Blöcke ist dabei so vielsagend und typisch für die bürgerliche Regierung, wie kaum eine Äußerung der letzten Monate: Es geht nicht darum, was getan wird, sondern wer es tut – eine klassische nationalistische und imperialistische Rhetorik, die jeglicher inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Kritik ausweicht.
Was während des Protests noch passierte und wie die Polizei mit massiver Gewalt reagierte, schilderte Tomás Nery, ein Aktivist von Estudantes do Porto em Defensa da Palestina (Studierende aus Porto für die Verteidigung Palästinas), in einem Video:
“Heute kam die EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen nach Porto, um ihre Unterstützung des Genozids zu zeigen. Die Studierenden entschieden sich, zu protestieren, sich gegen ihre Präsenz zu äußern. Die Völkermörder werden nicht in der Lage sein, sich in unseren Städten und unserem Land ohne Konfrontation zu bewegen, wir sind hier, um das zu fordern. Angesichts der friedlichen Demonstration der Student:innen reagierte die Polizei in brutaler und aggressiver Weise und ich und zwei weitere Genoss:innen wurden verhaftet. Einem unserer Genoss:innen wurde brutale Gewalt von der Polizei angetan, mit verstauchter Schulter sitzt er in diesem Moment im Krankenhaus, um medizinische Unterstützung zu erhalten. Sein Kopf ist aufgeschlagen, seine Handgelenke sind komplett zerschrammt. Diese Haltung ist unverzeihlich und indiskutabel und die AD, Luis Montenegro und Sebastião Bugalho, die auf dem Gelände anwesend waren, blieben komplett still und begannen, Siegesgesänge anzustimmen. Und wir fragen uns deswegen, welcher Sieg besungen wird, während das palästinensische Volk massakriert wird. Durch die Hände eines Staates, den wir finanzieren, hat die Europäische Union und insbesondere Deutschland seine Waffenverkäufe an den völkermordenden Staat Israel zwischen 2022 und 2023 mehr als verzehnfacht. Das ist komplett unverzeihlich von von der Leyen, welche sich für ihre taktische, finanzielle, wirtschaftliche und politische Unterstützung des laufenden Genozids verantworten muss! Und Luis Montenegro und die PSD sollen sich schämen, den Staat Palästina anerkennen und die unmittelbaren Beziehungen zu Israel und alles, was mit dem zionistischen Projekt zu tun hat, abbrechen. Und auch die Universität Porto: Im Kampf, den wir führen, muss auch sie sich positionieren, den laufenden Genozid verurteilen und auch die unmittelbaren Beziehungen zu Israel abbrechen, denn wenn das nicht passiert, werden wir weiter auf die Straße gehen, Versammlungen stören und Universitäten besetzen, bis Palästina frei ist!”
Die Aktion am vergangenen Donnerstag war dabei die aktuellste eines jungen und studentischen Protests, der seit Oktober in ganz Portugal stattfindet: Bereits wenige Tage nach dem Einmarsch der israelischen Armee in Gaza gab es erste Proteste in Porto und Lissabon unter dem Slogan „Dekolonisierung ist keine Metapher“. Zunächst intensivierten sich die Proteste in den beiden größten Städten, unter anderem mit einer täglichen Mahnwache um 22 Uhr vor dem Rathaus der Stadt Porto. Doch bereits im November fanden mehr und mehr Veranstaltungen in Städten im ganzen Land statt: Der Account Coletivo pela Libertação da Palestina (Kollektiv für die Befreiung Palästinas), dokumentiert seit November Veranstaltungen und Demonstrationen in Solidarität mit Palästina in über 30 Städten.
Bereits seit Oktober 2022 wurden in Lisboa regelmäßig Universitäten von ihren Studierenden besetzt. Die Besetzungen richteten sich zunächst gegen die Nutzung fossiler Brennstoffe zur Energiegewinnung, die einer der größten Antreiber des menschengemachten Klimawandels ist. In Zusammenarbeit mit Fim ao Fóssil (End Fossil) besetzten die Studierenden diverse Universitäten. Auch in diesem Kontext griff die Polizei immer wieder gewaltsam friedlich protestierende Studierende an, was auch in den bürgerlichen Medien diskutiert wurde.
Mit dem Fortschreiten des Genozids in Gaza wandelte sich auch der Fokus der Besetzungen: Seit Anfang Mai werden immer mehr Fakultäten in Solidarität mit Palästina besetzt. Unter anderem am 7. Mai die psychologische Fakultät der Universität von Lissabon, am 12. Mai die Fakultät der Sozial- und Humanwissenschaften der Neuen Universität Lissabon, am 13. Mai die Fakultät für Kunst der Universität Lissabon und am 17. Mai die naturwissenschaftliche Fakultät der Universität Porto. Die Besetzung der naturwissenschaftlichen Fakultät ist dabei für uns von besonderem Interesse, da sie ein erfolgreiches Beispiel ist, wie auch ohne bestehende Gruppierungen Solidaritätscamps für Palästina entstehen können, denn in Porto gab es die Zusammenarbeit mit Fim ao Fossil nicht.
Begleitend zu den regulären Protesten in ganz Portugal in Solidarität mit Palästina gab es auch Proteste direkt an der Universität Porto, um sie zur Beendigung aller Beziehungen mit Israel zu bringen. Es gab zunächst monatelange Proteste, dann Unterschriftenaktionen mit tausenden Unterschriften von Studierenden und hunderten Unterschriften von Professor:innen und wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen und schließlich Treffen mit dem Rektorat der Universität Porto. Doch den Studierenden wurde klar, dass das Rektorat den Forderungen nicht nachkommen würde.
Infolgedessen wurden demokratische Vollversammlungen abgehalten, in denen sich die Studierenden entschieden, den Kampf weiterzuführen. Inspiriert von den Besetzungen in vielen anderen Teilen der Welt entschieden sie sich dazu, selbst eine Fakultät zu besetzen. Die Wahl fiel hierbei auf die naturwissenschaftliche Fakultät, da sie viele Beziehungen zum zionistischen Projekt, sowohl durch privatwirtschaftliche Unternehmen, als auch zum Staat Israel an sich, haben.
Die Besetzung hielt zunächst sechs Tage, mit hunderten Studierenden, die sich täglich im Camp aufhielten. Am sechsten Tag fand ein Treffen mit dem Rektorat statt, in dem den Studierenden mit der Räumung gedroht und erklärt wurde, dass die Forderungen in keinem Fall erfüllt werden würden. Als Reaktion darauf wurde zu einer Unterstützungsdemonstration aufgerufen, in deren Kontext die Fakultät erneut gestürmt wurde. Die Polizei, die das Gebäude bewachte, wurde vertrieben, und das Gebäude der Fakultät konnte für zwölf Stunden besetzt werden. An diesem Tag allein hielten sich 300 Personen in Unterstützung der Besetzung in dem Gebäude auf, darunter auch viele Professor:innen und wissenschaftliche Mitarbeiter:innen.
Am nächsten Tag rückte die Polizei mit dutzenden Einsatzkräften an, und die Besetzer:innen entschlossen sich demokratisch, die Fakultät zu verlassen, da sie wussten, nichts in einem Kampf mit der Polizei gewinnen zu können. Das Ziel war die Fakultät und deren Beendigung der Unterstützung des Genozids in Gaza.
Auch wenn einige der Besetzungen, wie die in Porto, bereits geräumt wurden, werden dafür andere Fakultäten wieder besetzt. Es scheint so, als würden die Studierenden in Portugal nicht so einfach aufgeben. Auch die Genoss:innen in Porto sammelten sich nach der Räumung wieder schnell und störten nun die Wahlkampf- und Propagandaveranstaltung kurz vor der Europawahl.
Was können wir in Deutschland von diesen Aktionen lernen? Es lohnt sich, Kämpfe zusammen zu führen. Ein erster Ansatz dafür sind demokratische Vollversammlungen der Studierenden. Unsere Genoss:innen in Porto haben uns gezeigt, was aus solchen Versammlungen entstehen kann. Die Universitäten bieten auch in Deutschland ein breites Mobilisierungspotential und wie in Portugal zu sehen ist, können die richtigen Proteste den regulären Universitätsbetrieb sowie die Propaganda für den Genozid in Gaza stören und etablierte Strukturen zum Wanken bringen. Dafür müssen wir uns an den Universitäten demokratisch organisieren, unabhängig von etablierten Strukturen und dem allgegenwärtigen Zionismus. Kommt zu unseren Treffen von Waffen der Kritik oder tretet einem der vielen palästinasolidarischen Komitees an den Universitäten bei, wenn ihr diese Perspektive teilt!
A luta continua! – Der Kampf geht weiter!