Von Black Lives Matter bis Gorillas: Rassismus, Kapitalismus und Befreiung II

13.11.2021, Lesezeit 6 Min.
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Foto: Simon Zinnstein

Woher kommt Rassismus und wie drückt er sich heute aus? Was können wir tun, um ihn zu bekämpfen?

In Teil I dieser Artikelreihe ging es um die Funktion, die Rassismus im Kapitalismus erfüllt: Er spaltet die Arbeiter:innenklasse und hält sie somit von gemeinsamer Organisierung ab.

Aber Rassismus geht natürlich weit über das Ökonomische hinaus: Vom Zwischenmenschlichen, über Kinderbücher oder Bücher allgemein, bis hin zur Schulempfehlung – überall gibt es Rassismus.

Wie kam es dazu?

Historisch gesehen lässt sich die Entstehung des modernen Rassismus – also den, den wir heute kennen – auf die des Kapitalismus zurückdatieren. Dieser wiederum war auf den Kolonialismus angewiesen, um sich zu entwickeln.

Es hat zwar auch schon im Mittelalter Rassifizierungsprozesse gegeben. Zum Beispiel wurden Slaw:innen versklavt und nachdem irische Inseln von England kolonisiert wurden, Ir:innen in England weiterhin diskriminiert. Heute sagen viele, dass es sich bei beiden Gruppen um privilegierte weiße handle. Doch wurde an ihnen geübt, wie Unterdrückung genutzt werden kann, um mehr und effektiver auszubeuten.

Dies hat später, mit der Kolonisierung der Peripherie, neue Ausmaße angenommen. Doch mussten die Versklavung und Genozide irgendwie gerechtfertigt werden. Denn zu der Zeit der französischen Revolution, also der von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, kam zurecht die Frage auf, warum das nicht für alle gilt.

Um diesen Zustand zu erklären, wurden rassistische “Theorien” aufgestellt, die nicht nur menschenverachtend, sondern erwiesenermaßen unwissenschaftlich und falsch sind. Diese Ideen mussten dann gewaltvoll durchgesetzt werden, weil sie keineswegs von Natur aus gegeben und dementsprechend auch nicht verbreitet waren.

Rassismus ist also nicht die Ursache für Kolonialismus, sondern andersherum. Noch einmal: Die Versklavung von Menschen hat nicht stattgefunden, weil Leute rassistisch waren. Stattdessen wurden rassistische Logiken herangezogen, um sie zu legitimieren.

Der Großteil prekär beschäftigter Menschen hat keinen Migrationshintergrund

Jetzt gibt es sie und Kolonialismus zumindest formell nicht mehr, Rassismus aber immer noch. In Deutschland wurde er benutzt, um beispielsweise die Bedingungen zu begründen, unter denen Gastarbeiter:innen hier gelebt und gearbeitet haben. So wurden diese von weiß-deutschen Arbeiter:innen ferngehalten, damit sie sich nicht zusammen organisieren. Das passiert heute immer noch.

Migrant:innen verdienen nicht nur weniger und Rassismus zeigt sich wie gesagt nicht nur im Betrieb, sondern zum Beispiel auch auf dem Wohnungsmarkt oder bei der Suche nach einem Kitaplatz. Zu glauben, dass andere irgendeines von diesen Grundrechten weniger verdienen, ist nicht nur rassistisch, sondern ermöglicht auch der Bourgeoisie, soziale Probleme vermeintlich zu rationalisieren und sicherzustellen, dass keine großen Bewegungen gegen soziale Ungleichheit, prekäre Arbeitsverhältnisse oder Kapitalismus an sich entstehen.

Von all diesen Dingen sind hierzulande nicht nur Migrant:innen und Geflüchtete betroffen. Doch sind sie es natürlich auf überproportionale Art und Weise: 34,6 Prozent von allen, die weniger als 500 Euro netto verdienen und 28,4 Prozent derer, die zwischen 500 und 900 Euro Einkommen haben, sind migrantisch1 – obwohl Migrant:innen “nur” 25,5 Prozent der Bevölkerung ausmachen2. Das bedeutet aber, dass der absolute Großteil prekär beschäftigter Menschen in diesem Land keinen “Migrationshintergrund” hat.

Entweder leben wir in ihrer oder in unserer Welt

Was können wir tun, um vom reinen Widerstandsmoment, also von dem Fordern von kleinen Verbesserungen wie beispielsweise der Bestrafung von Killercops, hin zu vollkommener Emanzipation, also der Beendigung von rassistischer Unterdrückung überhaupt zu gelangen?

Wenn die Grundlage des Rassismus der Kapitalismus ist, kann Antirassismus nicht losgelöst von der Überwindung der Klassengesellschaft gedacht und praktiziert werden. Diese wiederum muss vorbereiten werden, weil eine revolutionäre Situation nicht einfach vom Himmel fällt.

Es bedarf einer Revolution, weil kein Mittelweg zu finden ist. Schließlich schadet all das, was für die Bosse vorteilhaft ist, den Arbeiter:innen aktiv – und andersherum. Von Versöhnung kann nicht die Rede sein, wenn die Devise ist: Entweder leben wir in ihrer oder in unserer Welt.

Wenn wir in unserer leben wollen, müssen wir uns dafür organisieren – zusammen. Als Migrant:innen mit weißen Deutschen und als weiße Deutsche mit Migrant:innen, denn andernfalls hat keine:r von uns eine Chance gegen dieses System. Dabei sind natürlich nicht alle gemeint – sondern die, die wir im Kapitalismus ausgebeutet werden.

Tun wir es nicht, kann es zwar dazu kommen, dass einzelne Forderungen erfüllt werden. Es könnte ein Wahlrecht für alle hier Lebenden erkämpft werden, unabhängig davon, welche Nationalität in ihrem Pass steht und wie lange sie schon in Deutschland sind. Das Recht, sich in diesem Land und auf diesem Kontinent, frei zu bewegen. Das auf Wohnraum, auf Asyl. Uneingeschränkter Zugang Bildung. Die Erlaubnis, zu arbeiten. Vielleicht. Teilweise werden nicht mal so elementare Sachen wie ein Abschiebungsstopp durchgesetzt. Denn in jedem Bundesland wird abgeschoben – sogar in denen mit einer rot-rot-grünen Regierung wie Berlin. Aber es steht außer Frage, dass niemals all das wahr werden wird, ohne das Problem an der Wurzel zu packen, an der kapitalistischen Produktionsweise.

Dasselbe gilt für weiße, deutsche Arbeiter:innen. Wenn sie sich nicht mit den unterdrückten Teilen der Klasse zusammenschließen, werden sie nur für sich selbst und damit nur für einige beschäftigte Sektoren kämpfen und in Kauf nehmen, dass andere weiterhin, wenn nicht sogar noch brutaler, ausgebeutet werden.

Ein gutes Beispiel für eine solche, gemeinsame Organisierung ist der Arbeitskampf der bei Gorillas beschäftigten Rider:innen, um das es in Teil III dieser Artikelreihe gehen wird.

Fußnoten

1. vgl. STATISTISCHES BUNDESAMT (2019): Statistisches Jahrbuch. Deutschland und Internationales. URL: https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Jahrbuch/statistisches-jahrbuch-2019-dl.pdf?__blob=publicationFile. S. 42

2. vgl. ebd.: 41

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