Von Bautzen bis nach Leipzig: CSD schützen, Nazibanden zurückschlagen!

14.08.2024, Lesezeit 10 Min.
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Foto: Internationalist Queer Pride / Baki von Klasse Gegen Klasse

Hunderte Neonazis mobilisieren bundesweit gegen den CSD. Veranstalter:innen verlassen sich derweil auf die Polizei. Doch das ist keine Antwort auf den Anstieg rechter Gewalt.

Am Samstag gingen in der ostsächsischen Stadt Bautzen über 1.000 Menschen auf die große Christopher-Street-Day-Demonstration. Das sind fast dreimal so viele wie im letzten Jahr. Auch linke Organisationen aus der Region mobilisierten nach Bautzen. Eine erfreuliche Entwicklung. So wurden die grünen und linksliberalen Veranstalter:innen inhaltlich herausgefordert und konnten ihre vollkommen wirkungslose Symbolpolitik nicht unwidersprochen verbreiten. 

Weniger erfreulich war die Größe der rechtsradikalen Mobilisierungen gegen den CSD. Etwa 680 Neonazis marschierten ganz in Schwarz gekleidet und mit Reichsfahnen ausgestattet auf. Aufgerufen hatten die „Jungen Nationaldemokraten“, die Jugendorganisation der Partei „die Heimat“, ehemals NPD, sowie die „Freien Sachsen“. Die Nazis trugen T-Shirts mit rechtsradikalen Parolen. „Division Bautzen“, „Bautzen Nazikiez“ und anderes war dort zu lesen. Stahlhelm- und angedeutete Hakenkreuz-Tattoos inklusive. Aus den Reihen der Gegendemonstrant:innen wurden verschiedene gewaltsame Übergriffe auf den CSD versucht, die jedoch wegen des immens hohen Polizeiaufgebotes fehlschlugen.

Die Organisatior:innen des CSD mussten ihre geplante Abschlussparty in einem Jugendzentrum aus Angst vor Naziübergriffen absagen. Laut Angaben der Polizei waren dort in der Nacht zum Freitag Unbekannte eingebrochen, die insgesamt 1.500 Euro aus den Büros gestohlen hätten.

Diese Vorfälle sind nur die Spitze des Eisberges. Der Sprecher des CSDs Bautzen Jonas Löschau (Grüne) erklärte im Interview mit dem Spiegel, dass er allgemein „eine starke Radikalisierung in der Region“ beobachte:

Die Szene läuft mit bedruckten Shirts und wachsender Selbstsicherheit durch die Stadt und hat das Gefühl, unantastbar geworden zu sein. Dieses Selbstverständnis ist eine große Gefahr.

Nach den Sächsischen Kommunalwahlen sei dieses Selbstbewusstsein nochmals gestärkt worden. Die AfD in Bautzen konnte dort ein Plus von 5,8 Prozent auf insgesamt 29 Prozent verzeichnen, was sie mit neun Abgeordneten zur stärksten Fraktion im Stadtrat macht.

Diese Entwicklung ist nicht neu: Sie geht auf jahrelange gezielte Aufbauarbeit der Neonazis zurück, die bisher noch nicht auf organisierten Widerstand aus der Arbeiter:innenbewegung gestoßen ist. So sind die verschiedenen Bautzener Neonazi-Banden und ihre Organisationen heute eine gut vernetzte, gut informierte und bewaffnete Gefahr für alle queeren und trans Menschen, für alle Geflüchteten und Migrant:innen und für alle Gewerkschafter:innen und linke Aktivist:innen. 

Noch am gleichen Wochenende teilten örtliche Nazifotografen Nahaufnahmen von den „Rädelsführern“ des CSD in ihren diversen Telegram-Chats. Sie dienen zur Markierung möglicher Ziele für Vandalismus, Einschüchterungen und Anschläge.

Solche Aktionen haben in Bautzen bereits eine längere Tradition. Im Februar 2016 verübten Unbekannte einen Brandanschlag auf das geplante Flüchtlingsheim „Husarenhof“, vor dem Haus behinderten Nazis den Einsatz der Feuerwehr. Ein rechtsradikaler Dachdecker, der nach dem Brand das zerstörte Haus inspizierte und dies auf Video aufzeichnete, kommentierte den Anschlag mit den Worten: „Kameraden, Sieg Heil, gute Arbeit geleistet.“ Im September 2016 jagten rechte Jugendliche Flüchtlinge durch die Innenstadt, zwei Monate später wurden Flüchtlinge am Kornmarkt mit Schreckschusspistolen bedroht. Im Dezember folgte ein weiterer Anschlag mit Molotow-Cocktails auf das „Spreehotel“, in welchem zeitweise Flüchtlinge unterkommen sollten. Im Oktober 2021 wurde das gleiche Hotel erneut von Nazis angezündet.

Der DGB-Ostsachsen, zuständig auch für Bautzen, hatte nicht zum CSD mobilisiert und hat den riesigen Naziaufmarsch nicht kommentiert. Und das, obwohl jede erhöhte Nazipräsenz die Arbeit der Gewerkschaften vor Ort direkt bedroht und es das erste Lebensinteresse der Arbeiter:innenbewegung ist, den Nazimob in die Schranken zu weisen. Dass die Gewerkschaften zu den wichtigsten Zielen der Nazis gehören, zeigte vor einer Woche in Dresden ein Übergriff von unbekannten Neonazis auf einen DGB-Infostand. Ein Gewerkschafter wurde dabei brutal zusammengeschlagen und musste daraufhin ins Krankenhaus eingeliefert werden. Daraufhin meldete sich auch der Vorsitzende des DGB-Ostsachsen Markus Schlimbach mit einem Statement, in welchem er die „zunehmende Verrohung“ und zur „Verteidigung der Demokratie“ aufrief. Indem der DGB in Bautzen 680 gewaltbereite Neonazis aber tatenlos aufmarschieren ließ und keinen gewerkschaftlichen Gegenprotest organisierte, ließ er die hunderten queeren und trans Menschen auf dem CSD im Stich, spaltete damit antifaschistische Bewegung und warf das soziale Gewicht der Arbeiter:innenbewegung nicht aktiv in die Waagschale. Eine Haltung, die desaströse Folgen haben kann. 

Auch Leipziger CSD wird zum Ziel

Auch gegen den CSD in Leipzig, der am kommenden Samstag, den 17. August stattfinden soll, mobilisieren die sächsischen Neonazis. Doch anders als in Bautzen treffen sie in der Großstadt, die über eine jahrzehntelange antifaschistische Tradition verfügt, auf deutlich entschiedeneren Gegenwind. Geplant ist der Naziaufmarsch ab 10 Uhr vom Hauptbahnhof aus. Unter dem Motto „Weiß, normal, hetero“ solle man wie in Bautzen ganz in Schwarz und mit Reichsfahnen erscheinen. Die Anmelder:innen rechnen mit bis zu 1.000 Teilnehmenden. 

Das antifaschistische Bündnis „Leipzig nimmt Platz“ rief bereits zum Gegenprotest auf. Auch verschiedene linke Organisationen wie die Jugendgruppe Revolution, Young Struggle, Zora, das „Studikollektiv Leipzig“ und weitere rufen zum Gegenprotest und zu einem „antifaschistisch-revolutionären Block“ dem CSD auf. 

Der DGB Leipzig und andere Gewerkschaftsgliederungen haben bisher noch nicht öffentlich gegen den Nazimob mobilisiert. Stattdessen bewirbt der DGB eine Großdemonstration „für die Verteidigung der Demokratie“ anlässlich der sächsischen Landtagswahlen. Offensichtlich geht die DGB-Bürokratie davon aus, dass man den Rechtsruck nicht auf der Straße und aus den Betrieben heraus konfrontieren muss, sondern dieser Kampf allein durch die Wahlurne geführt wird. Auch die wichtige ver.di-Betriebsgruppe am Uniklinikum Leipzig hat sich bisher nicht zu den geplanten Angriffen auf den CSD geäußert. Damit überlassen die großen Organisationen der Arbeiter:innenbewegung die Politik und die Straße den Nazis und können ihrem organisierten Vordringen auf die größeren sächsischen Städte nichts entgegensetzen.

Die Polizei, der „Freund und Helfer“? 

Statt auf die Mobilisierung der Arbeiter:innenbewegung zu setzen, verlassen sich die meisten führenden Akteur:innen der queeren Bewegung auf die Staatsmacht als ihren Schutzherren. Der CSD in Bautzen bedankte sich für die Hilfe der Polizei, beim Fernhalten der Nazis. Der CSD in Leipzig hatte im Vorfeld bereits verkündet, „eng im Austausch“ mit den Sicherheitsbehörden zu stehen. Auch der DGB-Ostsachsen bedankte sich bei den Sicherheitskräften, die „schnell und mit ausreichend Einsatzkräften vor Ort waren und die Täter sofort in Gewahrsam genommen haben“. Ein TAZ-Kommentator versorgte solche Polizeifans und Aufrüster im Inneren gleich noch mit den passenden Argumenten: 

Es kommt auf die Sicherheitsbehörden an: Deren Angehörige sind auf das Grundgesetz vereidigt, also haben sie ihren Job zu tun. Dass die Polizei einen CSD nötigenfalls mit ihren auch heftigen Mitteln bewacht, ist also wichtig, besonders in Sachsen, wo im Polizeiapparat Rechtspopulismen keine Rarität beim Personal sind.

Vertrauen in die Verfassung der BRD und ihre bewaffneten Schoßhündchen kann aber nicht die Antwort auf den Anstieg rechter Gewalt sein. Schon allein ein Blick auf die Geschichte des CSD, der als Aufstand gegen eine Polizeirazzia im New Yorker queeren Treffpunkt „Stonewall Inn“ begann, sollte Zweifel daran schüren, ob die Polizei beim Schutz des CSD der richtige Ansprechpartner ist. Auch ein Blick auf die zahlreichen Fälle extrem rechter Chatgruppen in der Polizei, sollten genug Hinweise darauf geben, dass die Sicherheitsbehörden nicht die Gegner, sondern selbst Zentren vernetzter Nazigruppen sind. Der Staatsapparat und seine Regierung organisieren durch ihre eigene staatlich organisierte Hetze gegen Migrant:innen, ihre fortgesetzte institutionelle Benachteiligung von trans Menschen und ihre brutale Kürzungs-, Militarisierungs- und Aufrüstungspolitik selbst den Rechtsruck, dessen Auswirkungen jetzt auf der Straße sichtbar werden. 

Auch der Aufstieg der NSDAP zur Macht konnte nur unter aktiver Förderung durch den deutschen Staatsapparat und seine hochrangigen Vertreter gelingen. Nach der Machtübergabe an die Nazis setzte dieser Staatsapparat den Nazis nicht etwa Widerstand entgegen, sondern wechselte binnen weniger Tage die Uniformen und führte dann zwölf Jahre lang die mörderische Politik der NSDAP willentlich aus. Nein, der bürgerliche Staat ist Teil des Problems und kann im Kampf gegen den Rechtsruck niemals eine Antwort sein. 

Was können wir also wirklich tun gegen extrem rechte Mobs auf den Straßen?

Vereinzelte Angriffe auf rechte Gruppen werden nicht viel helfen, solange sie nicht in einem kollektiven Rahmen mit zehn- oder hunderttausenden passieren. Organisiert, strukturiert und strategisch. Wir rufen deshalb dazu auf, einen Antifaschismus von unten aufzubauen, der sich auf die Massenorganisationen der Arbeiter:innen stützt. Die Gewerkschaften sind hier der Dreh- und Angelpunkt. Ihre potentiell riesige ökonomische und politische Macht muss entfesselt werden. Wir kämpfen dafür gegen die bremsende und passive Bürokratie, die die Aufgaben der Gewerkschaften nur auf Lohnverhandlungen mit den Kapitalist:innen beschränken will. 

Unser Ziel ist, dass die Gewerkschaften bei der Organisation von antifaschistischen Massenprotesten zur treibenden Kraft werden. Wird ein CSD angegriffen, so sollen die Gewerkschaften zum Schutz der Demonstration vor Naziübergriffen Ordner:innendienste aufstellen und ausbilden, die in der Lage sind, die Nazis selbstständig und ohne die Hilfe der Polizei zurückzuschlagen. Mit dem Anwachsen der Nazibewegung muss sich auch das Aufgabenfeld dieser Ordner:innendienste erweitern. Es gilt, besonders bedrohte Orte, wie Geflüchtetenheime, migrantische Geschäfte, queere Treffpunkte und Bars, Moscheen und Synagogen sowie das Eigentum der Arbeiter:innenklasse zu schützen. 

Es braucht des nachts freiwillige Arbeiter:innenpatrouillen, die von allen Betriebsgruppen und Arbeiter:innenparteien gestellt und gemeinsam in Selbstverteidigungstechniken geschult werden. Tagsüber müssen Gewerkschafter:innen und Arbeiter:innen Hand in Hand mit den Unterdrückten Übergriffe des Nazimobs aktiv zurückschlagen, wie es bei den letzten Ausschreitungen in England vereinzelt zu beobachten war. Lokale Belegschaften müssen sich mit Nachbar:innen zusammentun, um Stützpunkte der Nazis, wie Parteibüros und rechte Kulturzentren, unermüdlich zu bekämpfen. 

Auf dem Lande werden sie ihre Stellungen deutlich länger halten können, aber auch hier bedarf es massenhafter antifaschistischer Aktion. Nachbarschaftspatrouillen und regelmäßige Versammlungen, um die Bekämpfung von Nazistrukturen zu besprechen, müssen organisiert werden. Auch Delegationen von Betriebsgruppen und Arbeiter:innenpatroillien aus den Städten müssen den lokalen Bewohner:innen auf dem Lande ihre Kräfte zur Verfügung stellen, um auch hier die Nazis bei jedem Schritt zu konfrontieren.

Es kann jedoch nicht nur bei solchen defensiven Maßnahmen bleiben. Um dem Faschismus wirklich effektiv das Wasser abzugraben, braucht es einen allgemeinen Generalangriff der Arbeiter:innenbewegung. Politische Massenstreiks für eine inflationsfeste gleitende Lohnskala, für die Arbeiter:innenkontrolle in den Betrieben, die übergeht zur Verstaatlichung der Banken und der strategisch wichtigen Industriesektoren. Dazu gehören unter anderem Verkehr, Häfen, Energie- und Schwerindustrie. Das Ziel ist die Errichtung einer Arbeiter:innenregierung, die mit dem Kapitalismus bricht. Denn nur wenn die Arbeiter:innenbewegung Selbstsicherheit, Zielstrebigkeit, Unbestechlichkeit ausstrahlt und allen Arbeiter:innen, Jugendlichen und Unterdrückten glaubhaft demonstrieren kann, dass sie für die Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung eintritt, kann sie die große enttäuschte und zurückgelassene Masse mit neuer Hoffnung füllen, sie von der AfD loseisen und schließlich siegen.

Angesichts des Aufstiegs der extremen Rechten gerade auch in einem bedeutenden Teil der Jugend muss diese Perspektive mit einer breiten Selbstorganisation der Jugend verbunden werden. Anlässe wie der CSD, aber auch linke Jugendclubs und andere Orte, in denen sich Jugendliche gegen die kapitalistische Perspektivlosigkeit organisieren, können sich nicht auf Polizeischutz verlassen. Stattdessen ist es notwendig, antifaschistischen Selbstschutz zu selbst zu organisieren, um sich nicht nur physisch gegen rechte Angriffe zu wehren, sondern auch – gemeinsam mit der Arbeiter:innenbewegung – ein Programm zu verteidigen, welches dem Aufstieg der Rechten den politischen Boden entzieht. Ein Programm gegen Militarismus im Innern und Außen, gegen Sozialkahlschlag, gegen Rassismus und LGBTIQ+-Feindlichkeit. Solche Bündnisse aufzubauen, ist eine der wichtigsten Aufgaben der Stunde.

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