Vom Plattenteller zur politischen Waffe: Wie Hip-Hop den Unterdrückten eine Stimme gab

07.09.2024, Lesezeit 25 Min.
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Bild: Public Enemy in Hamburg von Mika Väisänen

In den Straßen der South Bronx, New York, entstand in den 1970er Jahren ein kulturelles Phänomen, das die Welt der Musik verändern sollte: Hip-Hop. Mehr als nur eine Musikrichtung, spiegelte Hip-Hop von Anfang an die Erfahrungen und Kämpfe der marginalisierten Communities wider und entwickelte sich zu einem kraftvollen Sprachrohr für soziale und politische Kritik, die sich Revolutionäre zu eigen machen sollten.

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Blockpartys – Keimzellen einer musikalischen Bewegun

Hip-Hop ist weit mehr als nur Musik, sondern umfasst  eine ganze Subkultur. Sein Erfolg lässt sich nur mit der gemeinsamen Erfahrung seiner Anhängerschaft verstehen. Auch wenn Hip-Hop heute nicht mehr nur Ausdruck der deklassierten und arbeitenden Schwarzen Community ist, lohnt sich doch der Blick auf seine Ursprünge und Entwicklungen bis heute. Hip-Hop ist ein Spiegelbild gesellschaftlicher Veränderungen, kultureller Kämpfe und der unerschütterlichen Fähigkeit der Kunst, Grenzen zu überschreiten und Menschen zu vereinen.

Um die Ursprünge des Hip-Hop zu verstehen, müssen wir unseren Blick nach New York, genauer in die South Bronx, richten – ein Viertel, das bis heute von starker Armut und Kriminalität geprägt ist. Der Südteil der Bronx durchlief eine drastische Transformation von einem lebendigen, multikulturellen Gebiet zu einem überwiegend von Schwarzen und Lateinamerikaner:innen bewohnten Viertel, geprägt von Armut und Kriminalität.

Trotz des offiziellen Endes der Apartheid in den USA, die 1964 abgeschafft wurde, blieb die tatsächliche Diskriminierung und Benachteiligung von Schwarzen weiterhin bestehen. Der Zugang zu Kultureinrichtungen und Clubs blieb ihnen häufig verwehrt. In dieser Situation organisierten die von diesen Partys Ausgeschlossenen sogenannte „Blockpartys“ – das waren kostenlose Feiern in Kellern und auf leeren Grundstücken. Sie boten auch den ghettoisierten Armen einen Ausweg aus der Tristesse des Alltags und schufen Räume der künstlerischen Entfaltung. So entstanden Orte, die armen Jugendlichen trotz Marginalisierung und Repression die Möglichkeit boten, sich selbst Ausdruck zu verleihen und ihre Community zu stärken.

Die Pioniere einer neuen Subkultur

In diesen Räumen entwickelten die Pioniere des Hip-Hops ihre DJ-Sets. Kool DJ Herc löste mit seiner „Merry-go-round“-Mischtechnik eine musikalische Revolution aus. 

The idea was to keep the party going, to make the music continuous. So I would extend the breaks between the songs, and that’s how the breakbeat was born.

[Die Idee war, die Party am Laufen zu halten, die Musik kontinuierlich zu gestalten. Also verlängerte ich die Pausen zwischen den Songs, und so entstand der Breakbeat.]

Kool DJ Herc

Durch den kontinuierlichen, auf Funk basierenden Tanzrhythmus inspirierte er viele Nachahmer, darunter Grandmaster Flash, der diesen Sound in seiner Küche verfeinerte und auf die Straßen brachte. Melly Mel prägte schließlich den Begriff „MC“ (“Master of Ceremony”) für die Vokalisten bei Blockpartys. Wie er selbst sagte: ‚Ich bin der MC, der Master of Ceremonies, der die Party am Laufen hält.‘ Damit definierte er eine neue Rolle innerhalb der Hip-Hop-Kultur, die den Rhythmus mit ihren Worten füllten. Der Rap (“Rhythm and Poetry”) wurde zu einem Instrument, um mit dem gesprochenen Wort komplexe Ideen und Emotionen zu vermitteln. Durch ihre Innovationen nicht nur im Sound, haben sich auch die Art und Weise, wie Musik erlebt und konsumiert wurde, fundamental verändert. 

Aber auch das Tanzen, das sogenannte Breakdancing, war ein zentraler Bestandteil der Szene. B-Boys und B-Girls traten immer stärker als ihre eigene Gruppe hervor. Mit der neu entwickelten Musik entstanden Tänze, die durch Jazz und Kung-Fu-Filme inspiriert waren. Szeneninterne Tanzwettbewerbe boten den Breakdance-Crews die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten zu präsentieren und Anerkennung zu gewinnen. Die Bedeutung des Breakdance geht weit über den Tanz hinaus. Afrika Bambaataa betonte: ‚Breakdancing was more than just a dance style. It was a way of life, a way to express ourselves.‘ Er sah darin eine Möglichkeit, sich in einer oft feindlichen Umgebung zu behaupten und eine eigene Identität zu entwickeln.

Gleichermaßen wurde Graffiti zu einem Mittel, um sich individuell oder mit einer Crew stadtweit einen Namen zu machen. So fuhren die New Yorker U-Bahnen bunt bemalt von Viertel zu Viertel und machten die benachteiligten Viertel stadtweit sichtbar.

Graffiti was a way to claim our space in a city that often felt like it didn’t belong to us.

[Graffiti war eine Möglichkeit, unseren Platz in einer Stadt zu beanspruchen, die sich oft nicht wie unsere anfühlte.]

Lee Quinones

Keef Cowboy aus der Crew „Grandmaster Flash and the Furious Five“  war der Erste, der den Begriff „Hip-Hop“ verwendete, um die Musik und die sich darum entwickelnde Kultur zu beschreiben. Diese Pioniere haben das erste Kapitel einer Geschichte geschrieben, die weit über die Grenzen der South Bronx hinausging und sich auch in anderen Städten verbreitete und auch neue und völlig eigene Stile hervorbrachte.

Mittlerweile begannen lokale Radiosender, DJ-Sets zu senden und populär zu machen. In ihren Anfängen spielten diese lokalen Sender eine entscheidende Rolle, indem sie den afroamerikanischen und lateinamerikanischen Communities in den Großstädten eine Plattform boten. Sie präsentierten ihre eigene Musik und Kultur und leisteten einen wesentlichen Beitrag zur Bekanntheit von Hip-Hop-Künstler:innen und DJs. Dabei unterstützten sie die Verbreitung der Kultur über die Bronx hinaus. Die Sender wurden selbst zu Akteuren in der Hip-Hop-Szene und beteiligten sich aktiv an der Organisation von Blockpartys und weiteren Veranstaltungen. Mit dem zunehmenden Erfolg von Hip-Hop in den 1980er Jahren begannen auch nationale Radiosender, Hip-Hop-Musik in ihre Programme aufzunehmen. Das förderte die Verbreitung der Kultur und führte zu ihrer stärkeren Präsenz im Mainstream. Filme wie „Wild Style“ und „Breakin’“ hatten einen bedeutenden Einfluss auf die Popularität der Hip-Hop-Kultur. Sie machten einem breiteren Publikum die weniger bekannten Bestandteile der Szene zugänglich – Breakdance und Graffiti. Obwohl diese Filme ein eher stereotypisiertes Bild von Hip-Hop präsentierten und dessen soziale und politische Dimensionen außen vor ließen, gelten sie bis heute als Klassiker. Die Anerkennung von Graffitikünstler:innen wie Basquiat, Sharp und anderen durch die Kunstwelt trug dazu bei, Graffiti vom Rand in den Mainstream zu befördern.

Die von Sugar Hill Records gegründete Sugar Hill Gang nutzte das „Toasting“, eine Sprechgesangstechnik, die vor allem in der jamaikanischen Musik – speziell in Reggae, Dancehall und Dub – Anwendung findet. Vom Sound her wurde man stark vom Funk inspiriert.  Der Song „Rapper’s Delight“ avancierte zum größten Hip-Hop-Hit des Jahrzehnts. Sein Erfolg löste einen Boom unter den Plattenfirmen aus, die versuchten, diese Erfolgsformel zu replizieren und damit Millionen in der Szene zu verdienen.

Schließlich wurde mit „The Message“ von Grandmaster Flash and the Furious Five (1982) eine der wegweisend Hip-Hop-Aufnahmen veröffentlicht, die die harten Realitäten des Lebens in der South Bronx einfingen. Der Song thematisiert die sozialen Probleme der South Bronx, wie Armut, Kriminalität und Polizeibrutalität. „The Message“ gilt als einer der ersten Songs, der Hip-Hop als Medium zur Darstellung  einer sozialen und politischen Kritik nutzte. Mit „The Message“ reagierte Grandmaster Flash auf die sozialen und wirtschaftlichen Probleme der Bevölkerung in den Ghettos. Es war das erste Mal, dass die Problematiken der Armenviertel durch die wachsende Beliebtheit der Musik ein breiteres Publikum erreichen konnten. Er inspirierte auch weitere Musiker, das neue Medium zu nutzen, um der Frustration über tägliche Kämpfe, Arbeitslosigkeit und finanzielle Schwierigkeiten Ausdruck zu verleihen.

Häufig unbeleuchtet ist, welche zentrale Stellung Frauen in der Etablierung des Battle-Raps gespielt haben. Frauen nutzten das Genre ebenfalls zunehmend, um die Benachteiligung und ökonomischen Herausforderungen anzuprangern, denen sie in der Gesellschaft und in der Hip-Hop-Szene ausgesetzt waren. Die sexistische Unterdrückung von Frauen spiegelt sich auch innerhalb der neuen Rap-Szene wider. Die Hip-Hop-Szene war damals wie heute stark geprägt von Rollenklischees, und Frauen wurden oft auf ihre sexuelle Ausstrahlung reduziert und in ihren künstlerischen Fähigkeiten nicht ernst genommen, einige nutzten das neue Medium jedoch und kämpften mit ihren eigenen Texten zurück. Die „Roxanne Wars“ waren eine Reihe von Rap-Battles, die in den späten 1980er Jahren stattfanden. Berühmt wurde das Rap-Battle zwischen Roxanne Shanté und Adrian B. Der Song „Roxanne’s Revenge“ von Roxanne Shanté folgte, gilt als ein wichtiger Moment in der Geschichte des Hip-Hop, da sie zeigen, dass Frauen in der Szene mithalten und ihrer eigenen Stimmen Gehör verschaffen können. Unter anderem trugen die „Roxanne Wars“ dazu bei, den Platz von Frauen im Hip-Hop zu etablieren. Sie ebneten den Weg für Künstlerinnen wie MC Lyte und Queen Latifah, bekannt für ihre kraftvollen und sozialkritischen Texte, die Themen wie Rassismus, Sexismus und Selbstbestimmung aufgriffen, sowie Salt-N-Pepa, das erste erfolgreiches weibliche Rap-Duo, das mit Hits wie „Push It“ und „Shoop“ die Charts eroberte. 

Zwischen Kommerz und politischem Anspruch

Mit der Zeit wurde Hip-Hop zunehmend vom kommerziellen Druck und einem Mangel an künstlerischer Innovation beeinflusst, wodurch das Genre in eine Richtung gedrängt wurde, die weniger herausfordernd und freundlich wirkte – fast schon wie eine Karikatur seiner selbst. Hip-Hop verlor an Authentizität, wurde zum Gegenstand von Parodien durch Komiker und schien sich immer weiter von seinen Wurzeln zu entfernen. Die Musikindustrie vereinnahmte die kreative Energie und die Innovationsfreude der Subkultur und passte sie an den von den weißen Vorstädtern gehörten Mainstream an.

Es war zu dieser Zeit, als die Regierung von Ronald Reagan – seit 1982 an der Macht – die prekäre Lage der Menschen in den Armenvierteln noch weiter verschlechtert hat. Die Einkommensunterschiede wuchsen enorm und die öffentlichen Ausgaben für soziale Programme wurden drastisch gekürzt. Besonders betroffen durch die sogenannten „Reaganomics“ waren vor allem die afroamerikanischen und lateinamerikanischen Communities, deren Verelendung durch die aufgekommene Crack-Krise noch weiter vorangetrieben wurde. 

Zu dieser Zeit fand Hip-Hop jedoch Wege, sich neu zu erfinden und wieder relevant zu werden. Durch Persönlichkeiten wie Russell Simmons und Rick Rubin, und dem von ihnen gegründete Label Def Jam, fand authentischer Rap Wege zurück in die öffentliche Wahrnehmung. Sie schafften Hip-Hop Musik, die authentisch und fähig war, über Kanäle zu verbreiten, die zuvor verschlossen schienen. Besonders bemerkenswert war die Zusammenarbeit von Hip-Hop-Künstlern mit Rockmusik, durch die Zusammenarbeit von Run DMC mit Aerosmith für „Walk This Way“, was symbolisch die musikalische Beendigung der Rassentrennung in  Amerika einläutete. Auch die aufkommende Präsenz in Musik Kanälen – wie MTV – spielte eine bedeutende Rolle. Sie erlaubte es, Hip-Hop einer breiten Zuschauerschaft näherzubringen und so eine Brücke zwischen den Straßen und den Wohnzimmern zu bauen.

Doppelmoral der Musikindustrie

Eines der besten Beispiele dafür, wie die neue, vorwiegend von Schwarzen geprägte Subkultur bekämpft wurde, ist der Fall der Gruppe 2 Live Crew. 

Die Darstellung von Sexualität in den Texten der 2 Live Crew stand in starkem Kontrast zur weißen, konservativen US-Gesellschaft und führte zur Einführung des „Parental Advisory“-Aufklebers. Dies war ein Ausdruck des Versuchs der weißen Bevölkerung der USA, den Durchbruch und damit den Erfolg junger Afroamerikaner zu verhindern. Die Texte des „Miami Bass“, die vor allem die Club- und Partyszene von Miami mit ihren Drogen-, Sex- und Alkoholexzessen widerspiegelten, stießen auf Widerstand bei den konservativen Schichten der amerikanischen Gesellschaft der 90er Jahre. Durch Gerichtsverfahren und das damit einhergehende mediale Interesse verkaufte sich ihr drittes Studioalbum mit der Single „Me So Horny“ über zwei Millionen Mal.

Diese Auseinandersetzung führte zu einem der wichtigsten Gerichtsprozesse in der Geschichte über künstlerische Freiheit innerhalb der US-amerikanischen Musikindustrie. Mehr und mehr weiße Jugendliche hörten die Musik der 2 Live Crew, was zur Gründung des „Parents Music Resource Center“ führte. Diese Organisation ging aktiv gegen obszöne Texte vor und forderte mehr Mitbestimmung darüber, welche Musik veröffentlicht werden darf. Der Höhepunkt war die Klage des Sheriffs Nick Navarro, der per Gerichtsbeschluss die Musik der 2 Live Crew verbannte und Händler, die die Musik dennoch weiterverkauften, verhaften ließ.

Am 10. Juni 1990 trat die 2 Live Crew trotz des Beschlusses in Broward County auf und wurde direkt nach diesem Auftritt verhaftet. Einen Monat später veröffentlichte die Crew ihr Album „Banned in the U.S.A.“, das als erstes Album den „Parental Advisory“-Aufkleber trug. Luke Campbell, ein Mitglied der 2 Live Crew, wehrte sich dagegen und legte Widerspruch gegen den Beschluss ein, wobei er sich auf das First Amendment „Freedom of Speech“ berief. Er fühlte sich systematisch diskriminiert, da es zahlreiche Beispiele aus der Musikindustrie mit obszönen Texten gab. Doch Campbell, als schwarzer Labelchef, war Opfer von systematischem Rassismus.

In diesem Fall wurde versucht, rassistische und sexistische Diskriminierung gegeneinander auszuspielen, um die Unterdrückung einer aufstrebenden schwarzen Kultur zu rechtfertigen. Erwähnenswert ist dieser Fall, weil es sich hierbei um einen Präzedenzfall handelte. Der Inhalt der Musik war keinesfalls progressiv, doch gerade aufgrund des sexistischen Inhalts ihrer Texte konnte die 2 Live Crew auf die Doppelmoral der amerikanischen Gesellschaft aufmerksam machen, die ebenso patriarchal und sexistisch ist wie die Texte der Gruppe. In diesem Fall ging es darum, dass Schwarze Künstler mit denselben Inhalten erfolgreich waren, die bereits in der gesamten Musikindustrie präsent waren. 

Entscheidend war aber vor allem: Hätte Campbell den Fall verloren, hätte der Rap seine Ausdrucksfreiheit und damit die Fähigkeit verloren, auch andere Themen musikalisch zu thematisieren. Doch Campbell gewann den Fall und bewies damit, dass die Hautfarbe keinen Einfluss auf den Erfolg von Musiker:innen haben sollte und dieser nicht eingeschränkt werden darf. 

Rap wird politischer

Der Übergang in die 1990er brachte auch weitere tiefgreifende Veränderungen im Hip-Hop. Einerseits stärkte der „Conscious Rap“, vertreten durch Künstler wie Public Enemy und KRS-One, seine politische und gesellschaftskritische Seite.  Mit immenser Reichweite und verstärkter Medienpräsenz äußerten sich Rapper nun vermehrt zu politischen und sozialen Themen. Rapper wie KRS-One, Paris oder Public Enemy sind geprägt von der Black-Power Bewegung. Das Duo ‘Dead Prez’ tritt sogar offen sozialistisch auf und macht in ihren Texten kein Geheimnis für ihre Sympathien für das Erbe der Black Panther Party.  Gleichzeitig vertiefte sich die Krise der marginalisierten Communities in den USA. Während die Blockpartys zunächst Orte der Gemeinschaft und des kreativen Ausdrucks waren, entwickelte sich der Hip-Hop auch schnell zu einem politischen Sprachrohr. Wie KRS-One betonte:

We’re not just rappers, we’re teachers. We’re trying to educate the people.

[Wir sind nicht nur Rapper, wir sind Lehrer. Wir versuchen, die Menschen zu bilden.]

KRS-One

Die 1990er Jahre waren aber auch eine Phase der wachsenden Spannungen als Folge des sozialpolitischen Kahlschlags der Reagan-Ära. Die wachsende Spannung dieser Zeit spiegelt sich besonders in der Musik wider. Wenn man verstehen möchte, was sich gegen Ende der 1980er Jahre in der afroamerikanischen Gemeinschaft zusammenbraute, empfiehlt es sich, Spike Lees Film „Do the Right Thing“ anzusehen. Der Film spielt auf einer einzigen Straße in New York und beginnt am frühen Morgen. Über den Verlauf des Films steigt die Temperatur von gerade noch erträglich am Morgen bis hin zu absolut unerträglich am Nachmittag an, bis schließlich am Abend der Siedepunkt erreicht ist. Die Hitze dient dabei als Metapher für den wachsenden Druck und die Spannungen, denen die arbeitende afroamerikanische Bevölkerung in Amerika ausgesetzt ist. Am Ende des Films kommt es zu einer gewaltigen Explosion, die schreckliche Kosten verursacht. Spike Lee nutzt Public Enemys „Fight the Power“ als Soundtrack zum Film. Diese Entscheidung an sich ist bemerkenswert. Spike Lees Einsatz von „Fight the Power“ im Kontext der hitzigen und explosiven Atmosphäre im Film unterstreicht nicht nur die Stimmung, sondern deutet auch auf die künftige Richtung des Hip-Hops hin. Hip-Hop entwickelte sich weiter als Sprachrohr für soziale Gerechtigkeit und politischen Aktivismus und spiegelte die Realitäten und Kämpfe der afroamerikanischen Gemeinschaft. „Do the Right Thing“ und die Musik darüber wirken nicht nur als Zeitdokument, sondern auch als Vorhersage und Inspiration für die Rolle des Hip-Hops als Medium des Ausdrucks und als Instrument für Veränderung.

Public Enemy bemühte sich, einen politischen Rahmen für die wachsende Wut in der afroamerikanischen Gemeinschaft zu bieten. Für viele bot Hip-Hop eine Stimme, mit der sie sich identifizieren konnten, eine Art, ihre Geschichten, Hoffnungen, Kämpfe und Träume zu teilen. Der Mitgründer von Public Enemy, Chuck D, betrachtete Rap als „das schwarze CNN“, um Nachrichten zu übermitteln, die von den Mainstream-Medien oft ignoriert wurden. Hip-Hop hat es wiederholt geschafft, den gesellschaftlichen Status quo darzustellen. Geprägt von den sozialen Zuständen, aus denen er hervorgeht, und spiegelt alle damit verbundenen Widersprüche wider, obwohl Public Enemy radikalen Widerstand gegen systemischen Rassismus mit den Ideen der Nation of Islam kombinierte. Die Widersprüchlichkeit in ihrer Politik und persönliche Konflikte, u. A. der Rausschmiss von Professor Griff wegen antisemitischer Aussagen, führten zu ihrem Niedergang Anfang der 1990er Jahre. Allerdings wurden einige ihrer fortschrittlichen Impulse US-weit aufgenommen.

Gangstarap verursacht Lauffeuer 

Auf der anderen Seite beleuchtete „Gangsta-Rap“ die harten Realitäten des Lebens in den Innenstädten. Beide Strömungen – der Conscious Rap und der Gangsta-Rap – obwohl unterschiedlich in ihrer Herangehensweise, trugen wesentlich dazu bei, dass Hip-Hop zu einem mächtigen Medium für politischen Aktivismus wurde. Besonders die Gruppe N.W.A. aus der Westküste der USA wurde berühmt für ihren zornigen Aufschrei gegen Polizeirassismus und die Verhältnisse, unter denen sie lebten. In gewisser Weise war der Ansatz, den Public Enemy verfolgte, wesentlich ausgefeilter als das, was später von N.W.A. kam. Der Song „Fuck The Police“ entstand, nachdem Dr. Dre und Eazy-E gewaltsam nach einer Paintball-Schlacht verhaftet wurden. 

N.W.A. erlangte vor allem aber im Kontext der Unruhen in Los Angeles 1992 eine besondere Bedeutung. 

Bei N.W.A. war der Protest gegen ihre Musik – möglicherweise auch wegen ihrer größeren Reichweite – deutlich intensiver als bei der 2 Live Crew: Man unterstellte der Musik, die mittlerweile von weißen Jugendlichen landesweit in den Vororten gehört wurde, dass sie aus anständigen weißen Teenagern gefährliche, nicht systemkompatible Rebellen und Gangster machen würde. Als erste Auswirkung nach dem Release erhielt Priority Records eine schriftliche Stellungnahme des FBI, in der klargestellt wurde, dass dieser Song Polizeibeamte diskreditiert und gefährdet und dass eine solche Musik eingestellt werden müsse. Spätestens mit dem Freispruch der Polizeibeamten im Fall Rodney King wurde klar, dass die Aussagen über Polizeigewalt in den Texten von N.W.A. mehr Relevanz hatten, als man ihnen zunächst zugestanden hatte. 

Die Texte wurden zur bitteren Realität, die sich daraufhin 1992 in den LA Riots gewaltsam auf den Straßen von Los Angeles entlud. Die US-Regierung konnte den Ghetto-Aufstand nur durch den Einsatz von Truppen im Land wieder unter Kontrolle bringen. Im Nachgang wurde durch den Film „Straight Outta Compton“ NWA regelrecht zum Symbol für die Aufstände. Hip-Hop fand in den Flammen von Los Angeles eine Art Neuerfindung. Das verdeutlicht die Natur von musikalischen Bewegungen als subkulturellen Ausdruck sozialen Widerstands.

Diese Ereignisse verdeutlichen die enge Verflechtung von Hip-Hop mit den sozialen und politischen Umwälzungen der afroamerikanischen Gemeinschaft. Der Aufstieg von Hip-Hop, insbesondere in der Form, wie ihn Public Enemy und N.W.A. repräsentierten, spiegelte nicht nur die Realitäten des Lebens in den amerikanischen Ghettos wider, sondern wurde auch zum Ausdruck des Widerstands und des Rufs nach Veränderung. Die Musik kodierte die Erfahrungen, Ängste, Hoffnungen und Kämpfe einer ganzen Generation und leistete einen Beitrag zur politischen und sozialen Bewusstseinsbildung im Zusammenhang mit Polizeigewalt bei. 

Aber auch andere Rapper aus dem Label Death Row Records nutzten die Bühne als Sprachrohr der Unterdrückten und Ausgeschlossenen. Einer der ikonischsten Rapper aller Zeiten, Tupac Shakur, hat vielfach in Interviews und Songs Armut, Krieg und Rassismus angeprangert. Als Jugendlicher schrieb Tupac Gedichte und tanzte Ballett, erlebte im direkten Umfeld den Aufstieg und Fall der Black Panther Bewegung, kümmerte sich um seine drogenabhängige Mutter und war auch in mehrere Gewaltverbrechen verwickelt.  Eines seiner bekanntesten Zitate aus dem Song „Me Against the World“ (1995) lautet: „They got money for war, but can’t feed the poor.“ Unabhängig vom konkreten Konflikt, auf den sich Tupac bezieht, spiegelte er treffend einen langfristigen Trend wider, der in den USA und anderen Ländern zu beobachten ist: Die Ausgaben für Militär und Krieg stehen oft im Widerspruch zu dem, was gesellschaftlich eigentlich benötigt wird. Insbesondere damals, in Zeiten einer Crack-Epidemie und Kürzungen sozialer Programme und im öffentlichen Sektor, prägte er einen Slogan, der bis heute von Aktivisten und Künstlern auf der ganzen Welt verwendet wird. Im Gegensatz zur kommerzialisierten Seite des Hip-Hops betonten Künstler wie Tupac Shakur die Notwendigkeit, authentisch zu bleiben. In seinem Song ‚Me Against the World‘ rappte er:

I’m not saying I’m gonna change the world, but I guarantee I’ll spark the mind that will.

[Ich sage nicht, dass ich die Welt verändern werde, aber ich garantiere, dass ich den Geist entzünde, der es tun wird.]

– Tupac Shakur

Er forderte dazu auf, die eigenen Überzeugungen zu vertreten und nicht den kommerziellen Erwartungen zu entsprechen. Tupac Shakurs Musik ist eine wichtige Brücke zwischen der Authentizität des Gangsta-Raps und dem Conscious Rap.

Black Power oder liberale Hustle-Culture?

Nach dem Tod von Martin Luther King trat in den USA eine Zeit ein, in der es an Schwarzen Führungspersönlichkeiten mangelte. In diese Leerstelle drängten diverse Strömungen der Black Power-Bewegung, welche neben neuen, emanzipativen Ideen auch Tendenzen zur Anpassung an herrschende Verhältnisse brachten, wie sie der französischsprachige Psychologe und Revolutionär Frantz Fanon bereits für kolonisierte Gesellschaften beobachtet und in seiner Schrift “Black Skin, White Masks” beschrieben hat. 

Hip-Hop verkörpert einen grundlegenden Gegensatz. Einerseits steht er für den Aufbau einer einzigartigen Kultur der Armen und Unterdrückten, die nicht nur Widerstand leisten, sondern auch die eigene Community zusammenschweißt. Andererseits findet sich eine Tendenz zur Anpassung an die Normen der konservativen/liberalen amerikanischen Mehrheitsgesellschaft, einschließlich der Übernahme der Hustle-Culture und des Nach-unten-Tretens. Einige Rapper begannen, sich also der Sprache und den Werten und Regeln des vorherrschenden Kapitalismus zu bedienen, um darin Erfolg zu haben. Hierbei kann man nochmal besonders deutlich erkennen, wie Schwarze Menschen dazu gezwungen werden, Teile ihrer kulturellen Identität abzulegen, um sich in ein vorgegebenes System einzufügen, um erfolgreich zu werden. In diesem Kontext werden diejenigen belohnt, die sich anpassen, und diejenigen bestraft, die versuchen, außerhalb des Systems unabhängige kulturelle Identitäten zu pflegen.  Diese Dynamik spiegelt sich auch im Hip-Hop wider, der einerseits eine Plattform für die Artikulation und Selbstbestimmung darstellt und andererseits auch Räume für Anpassung und Assimilation an das System öffnet.

Während der Hip-Hop des Nordens, mit seinen politischen Botschaften und der Auseinandersetzung mit sozialen Ungerechtigkeiten, eine Stimme für die marginalisierten Gemeinschaften in den städtischen Zentren darstellen, entwickelte sich im Süden eine Szene, die die rauen Realitäten des Lebens auf ihre ganz eigene Art widerspiegelte. In Memphis, Tennessee, weit entfernt von den pulsierenden Metropolen des Nordens, entstand eine Nische, die durch ihre ungeschliffenen, direkten Botschaften und starke DIY-Einflüsse („Vom Tape Hustler zum Millionär“) ausgezeichnet wurde. Der Memphis-Rap, mit Vertretern wie Three 6 Mafia, DJ Spanish Fly, Gangsta Boo, Koopsta Knicca und Evil Pimp verkörperte eine raue, unpolierte Seite des Hip-Hops, die von der dunklen Seite des amerikanischen Traums inspiriert war. Während der Northern Hip-Hop oft auf die gesellschaftlichen Strukturen und politischen Systeme zielte, konzentrierte sich der Memphis-Rap eher auf die persönlichen Erfahrungen und die inneren Dämonen seiner Protagonisten. 

Angetrieben von der Notwendigkeit, sich in einer oft feindlichen Umgebung Gehör zu verschaffen, nutzten die Künstler in Memphis die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel. Mit einfachen Tonbandgeräten und Kassetten schufen sie Werke, die, wenn auch roh in der Produktion, eine unglaubliche Authentizität ausstrahlen. Dieser DIY-Ansatz war nicht nur ein Spiegel der marginalisierten Existenz in Memphis, sondern auch ein Akt des Widerstands gegen das kommerzialisierte Musikbusiness. Die Texte des Memphis-Rap waren häufig düster, geprägt von Geschichten über Gewalt, Drogenmissbrauch und okkulte Themen. Sie spiegelten die Hoffnungslosigkeit und den Überlebenswillen einer ganzen Generation wider. Der charakteristische Sound des Memphis-Rap ist untrennbar mit dem 808-Bass verbunden. DJ Paul, eine der prägenden Figuren der Szene, beschrieb ihn treffend: „The 808 bass was our weapon. It was the sound of the streets.“ [Der 808 Bass war unsere Waffe. Es war der Sound der Straße] Dieser tiefe, wummernde Bass wurde zum Markenzeichen des Memphis-Rap und beeinflusste maßgeblich die Entwicklung des modernen Hip-Hops.

Es ist größer als Hip-Hop!

Immer wenn Hip-Hop dazu neigte, sich dem Mainstream anzupassen, entsteht innerhalb der Subkultur Widerstand dagegen. Ein markantes Beispiel hierfür ist das Album „Hip-Hop is Dead“ von dem Queensbridge-Rapper Nas, in dem er den zunehmenden Einfluss von Rappern, wie unter anderem Lil Wayne, kritisiert. Dead Prez geht in ihrem Song „It’s Bigger Than Hip-Hop“ noch einen Schritt weiter und betont die politische Dimension von Hip-Hop. Sie sehen in der Musik mehr als nur Unterhaltung, sondern vielmehr ein Werkzeug für soziale Veränderung. Mit der Aussage „It’s bigger than hip-hop, it’s a revolution“ [Es ist größer als Hip-Hop, es ist eine Revolution] machen sie deutlich, dass Hip-Hop Teil eines größeren Kampfes für Gerechtigkeit ist. Damit entwickelte sich die schärfste Kritik am Mainstream-Rap gegen Ende der 90er aus dem Album „Let’s Get Free“. Darin setzen sie sich mit Themen wie Rassismus, Ungerechtigkeit, Armut und der Kommerzialisierung der Hip-Hop-Kultur auseinander. Dead Prez kritisiert systemische Missstände und hebt hervor, dass die Herausforderungen und Kämpfe der afroamerikanischen Gemeinschaft weitaus größer und weitreichender sind, als es die Musik allein vermitteln kann. Ihr Ziel ist es, politisches Bewusstsein zu schaffen. In anderen Titeln des Albums, wie „Police State“, werden Reden von bekannten Black Panther Aktivisten eingespielt. So viel politische Klarheit und der Aufruf zur Organisation gab es zuvor selten. Dead Prez‘ „Police State“ ist ein Paradebeispiel dafür, wie revolutionäre Sozialist:innen Musik nutzen können, um Wissen zu vermitteln und für einen Aufruf zur Organisation, statt nur die Missstände anzuprangern. Ihr Aufruf „We need to fight back, we need to strike back“ zeigt, dass Hip-Hop nicht nur ein Medium der Unterhaltung ist, sondern auch ein Werkzeug für den politischen Kampf sein kann.

Der Kapitalismus schafft international dieselben Erfahrungen und die Hip Hop Kultur schaffte es, diese zu  verknüpfen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Rap sich international schnell verbreitete und eine gigantische Anhängerschaft gewann. Ähnliche Erfahrungen von Ausgrenzung, Armut und Diskriminierung, wie wir sie unter anderem auch in den französischen Banlieues finden, haben dafür gesorgt, dass die Kultur schnell in den Elendsvierteln Europas und weltweit übernommen wurde. Es sind die kollektiven systemischen Erfahrungen von Unterdrückung, die Jugendliche dazu bewegen, sich explizit auch dieser Subkultur zu öffnen. Auch die Erfahrungen mit Polizeigewalt sorgen in Frankreich und anderenorts immer wieder für sich entladende Spannungen und Straßenschlachten mit der Polizei. Der französische Film „La Haine“ ist bis heute einer der wichtigsten Filme innerhalb der Hip-Hop-Subkultur, nicht nur wegen seiner Darstellung aller verbindenden Elemente des Hip-Hop wie Breakdance und Graffiti, sondern auch, weil er die sozialen Missstände, Spannungen und Probleme der deklassierten und Jugendlichen in den Elendsvierteln anschaulich zeigt. Mit Hip-Hop als Medium konnten die Unterdrückten und Ausgegrenzten ihre Geschichten erzählen. Hip-Hop wurde zu einem Ausdruck des Wandels, das die Realitäten und Kämpfe der Gemeinschaften widerspiegelte und teilweise auch dazu beitrug, das Bewusstsein zu schärfen. Bis heute bleibt Hip-Hop eine Plattform für soziale und politische Kritik. Wenn wir Subkulturen – insbesondere Hip-Hop – als politisches Instrument nutzen wollen, ist es wichtig, seine Stärken gezielt einzusetzen. Hip-Hop kann die Lebensrealität der Armen authentisch darstellen und hat die Kraft, Ideologien populär zu machen. Wir sollten diese Stärken nutzen, um liberale Ideologien wie das DIY-Prinzip anzugreifen und stattdessen die kollektive politische Organisation als logische Konsequenz der dargestellten Lebensrealität voranzutreiben. Dabei müssen wir auch die Grenzen der Subkultur erkennen. Obwohl Hip-Hop dazu in der Lage ist, die Wut gegenüber dem Staat und seinen Institutionen auszudrücken, sollte die Darstellung der Lebensrealität immer das Ziel haben, unsere politische Bewegung zu stärken. Wir brauchen einen politischen Rap, der sich klar gegen das System stellt und zur politischen Organisation aufruft. Musik und Kultur sollten auch als Kampfmittel dienen, um die Wut, die viele von uns gegen ein System empfinden, das uns nur Ausbeutung und Unterdrückung bietet und weltweit Leid verursacht, auszudrücken. Die Geschichte des Hip-Hops ist noch lange nicht zu Ende, und die Musik lebt durch ihre Vielfalt weiter, um unsere Welt zu prägen – Lasst uns seine Potenziale nutzen! 

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