Vom „Aufstand für den Frieden“ zum Kampf gegen Krieg, Aufrüstung und Inflation

28.02.2023, Lesezeit 10 Min.
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Foto: KGK

Am Samstag versammelten sich mehr als 20.000 Menschen in Berlin zur Kundgebung "Aufstand für den Frieden". Die Gewerkschaften und die Linke sollten weder Wagenknecht und Schwarzer noch den Rechten die Führung über die Friedensproteste überlassen, sondern selbst gegen Krieg und Inflation mobilisieren.

Am Freitag wurde das Brandenburger Tor noch in den Farben in der Ukraine angestrahlt, am Samstag sammelten sich zehntausende Menschen vor dem Brandenburger Tor, um gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine zu protestieren. Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer füllen damit eine Lücke in der politischen Diskussion in Deutschland. Rund 600.000 Menschen haben ihr „Manifest für den Frieden“ mittlerweile unterschrieben. Die breite Zustimmung zu diesem Manifest ist wohl der konkreteste Ausdruck, wie unzufrieden große Teile der Bevölkerung mit der Politik der Bundesregierung sind. So zeigen aktuelle Umfragen, dass mehr Leute beispielsweise die Lieferungen von Leopard 2-Panzern an die Ukraine ablehnen, als ihr zuzustimmen. Auf der Kundgebung selbst ist vor allem deutlich geworden, dass speziell die Angst vor einer atomaren Eskalation eine wichtige Rolle für viele Teilnehmer:innen spielt. Auch in den Reden von der Bühne wurde das immer wieder aufgegriffen.

Als Klasse gegen Klasse beteiligten wir uns zusammen mit anderen linken Gruppen an der Demo, haben uns gegen die Vereinnahmung durch rechte Kräfte wie AfD, Compact und Co. gewandt und zugleich Wagenknecht und Schwarzer für ihr nach rechts offenes „Manifest“ kritisiert. Anstatt ihnen das Feld zu überlassen, haben wir mit einem klar abgegrenzten Programm für eine Kampagne geworben, die sich gegen NATO und Putin wendet, mit Streiks gegen Krieg, Inflation und Aufrüstung. Dafür haben wir 2.000 Flyer verteilt, die vor allem bei unorganisierten Teilen des Publikums positive Rückmeldungen hervorriefen.

Verhandlungsfrieden mit Putin oder Aktionen der Arbeiter:innenbewegung?

Nach einem Jahr verheerendem Ukrainekrieg ist es dringend notwendig, dass sich eine Antikriegsbewegung formiert. Hinter der angeblichen Solidarität mit der Ukraine und der „feministischen Außenpolitik“ von Annalena Baerbock stehen die imperialistischen Ziele von NATO und Bundesregierung, die bereit sind, jahrelange Materialschlachten gegen die brutale Invasion Russlands zu führen – aber nicht zum Wohl der ukrainischsprachigen und russischsprachigen Massen in der Ukraine, sondern um selbst geopolitisch und wirtschaftlich die Kontrolle über die Ukraine zu übernehmen. Doch der Lösungsvorschlag von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer ist selbst illusorisch. Der abstrakte Ruf nach Frieden und nach Verhandlungen und Kompromissen auf beiden Seiten ist derart vage, dass sich von Linkspartei-Promis wie Gregor Gysi bis zur Spitze der AfD und selbst dem ehemaligen Bundeswehrgeneral Erich Vad ein breites politisches Spektrum davon angesprochen fühlt.

Dass das kein Unfall der Geschichte ist, zeigt die Politik Sahra Wagenknechts deutlich. Auf die Migrationskrise 2015 antwortete sie mit chauvinistischer Hetze gegen Geflüchtete, das Selbstbestimmungsrecht für queere Menschen verteufelte sie als Problem einer Minderheit von „Lifestyle“-Linken und auch auf der Kundgebung selbst bekräftigte sie noch einmal, dass alle dort willkommen sein, die „offenen Herzens für den Frieden“ seien – auch wenn sie sich im Satz davor von Rechtsextremen und Reichsbürger:innen abgegrenzt hatte. Auch die rechte „Feministin“ Alice Schwarzer schürt regelmäßig antimuslimischen Rassismus und Transfeindlichkeit und rechtfertigt das mit dem Kampf für Frauenrechte, weil muslimische Männer ihrer Meinung nach Terror und Krieg nach Deutschland brächten, die die westlichen Errungenschaften der Gleichstellung gefährdeten. Anstatt eines gemeinsamen Kampfes gegen Unterdrückung schürt sie Ressentiments und spaltet damit die feministische Bewegung.

Wagenknecht will mit ihrer Politik Rechte ansprechen, die von der Bundesregierung enttäuscht zur AfD oder anderen rechten Organisationen gehen, und das gelingt ihr aktuell. Auf der Kundgebung sammelten sich entsprechend Mitglieder der AfD (ohne Fahnen), der verschwörungstheoretischen Organisation „die Basis“, Compact, Coronaleugner:innen und weitere Menschen mit Russland-Fahnen. Durch aktiven linken Protest konnte das rechtsextreme Compact-Magazin mit Jürgen Elsässer erfreulicherweise aus der Kundgebung gedrängt werden, aber damit ist keinesfalls Wagenknechts und Schwarzers Offenheit nach rechts verschwunden.

Kein Wunder, dass der Ruf nach Frieden und Verhandlungen bei solch einer Grundlage mit Putin-Freundlichkeit gleichgesetzt wird. Und auch wenn Wagenknecht auf der Kundgebung sichtlich darum bemüht war, klarzustellen, dass die Ukraine kein „russisches Protektorat“ werden dürfe, forderte sie mit keinem Satz den Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine, sondern eine Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten – und meint damit letztlich Zugeständnisse an Putin.

Führende Teile der Partei DIE LINKE distanzierten sich deswegen von Wagenknecht. Parteivize Katina Schubert sagte, „diese Demonstration hatte nichts mit linker Politik, gar mit linker Friedenspolitik zu tun“. Sie kritisierte die rechtsoffenen und zu Russland vermittelnden Töne, womit sie sich jedoch nicht gegen den Krieg insgesamt aussprach, sondern lediglich die ablehnende Haltung Wagenknechts gegenüber der NATO bemängelte. Dieses Muster zieht sich leider durch Teile der LINKEN fort, die aktiv die Rolle der Bundesregierung im Krieg mit Sanktionen und Waffenlieferungen begrüßen. Andererseits positionieren sich Christine Buchholz aus dem Parteivorstand sowie Ulrike Eifler und Jan Richter, die eine Initiative in der LINKEN gestartet haben, gegen den Krieg mit einer Position gegen Aufrüstung und Waffenlieferungen zu mobilisieren und gleichzeitig rechte Kräfte auf der Demos wie am 25. Februar herauszudrängen. Nichtsdestotrotz ist die Partei DIE LINKE mit ihrer Integration in den Staat in ihrer Gesamtheit handlungsunfähig, eine entscheidende Opposition aufzubauen.

Die Abgrenzung nach rechts wurde von Wagenknecht und Schwarzer bewusst schwammig formuliert. Sie schafft so keine starke Antikriegsbewegung – im Gegenteil hält sie viele Jugendliche und Arbeiter:innen davon ab, auf die Straße zu gehen. Denn nicht nur wollen viele berechtigterweise nicht mit AfD und Co. gemeinsam demonstrieren, sondern lehnen richtigerweise Putins reaktionäre Invasion ab. Genausowenig wie es eine Illusion ist, auf eine fortschrittliche Rolle von NATO, EU und Bundeswehr zu setzen, kann von Putin kein progressiver Ausweg aus diesem Krieg erwartet werden. Es kann keine Antikriegsbewegung geben, die in dieser Frage uneindeutig und anschlussfähig nach rechts und für Putin-Freunde ist. Denn der Krieg und die Militarisierung nach außen gehen auch mit einer Militarisierung nach innen einher: Die Polizei wird aufgerüstet und bekommt mehr Befugnisse, sogar über eine weitere Einschränkung des Streikrechts wird diskutiert. Währenddessen nehmen rassistische Polizeigewalt und rechte Anschläge auf Geflüchtete, Migrant:innen und Linke zu. Und während im Krieg immer mehr Waffen, Munition und Panzer geliefert werden, bleiben die Grenzen für Viele geschlossen. Ukrainische Geflüchtete werden vorübergehend aufgenommen, doch für russische Deserteur:innen bleiben die Grenzen zu. Abschiebungen und Abschottung gehen für Millionen Geflüchtete weiter, an den Grenzen Europas sterben jährlich immer noch Tausende.

Zugleich spielt es nur den Interessen der Herrschenden in die Hände, die Zehntausenden, die am Samstag auf der Straße waren, unterschiedslos zu diffamieren, wie es nicht nur bürgerliche Zeitungen und Kriegstreiber wie Wirtschaftsminister Robert Habeck gemacht haben, sondern selbst die Spitze der Linkspartei, die sich damit hinter die Politik der Ampelregierung einreihte. Denn tatsächlich waren die Teilnehmenden der Kundgebung nicht mehrheitlich Rechte, sondern viele Menschen, die berechtigte Sorgen vor der militaristischen Eskalation haben, davon besonders viele aus ostdeutschen Bundesländern. In weiten Strecken erinnerte die Kundgebung an die gemischte Zusammensetzung der Friedensbewegung der 80er Jahre.

Statt Partei für die NATO oder für Putin zu ergreifen, braucht es einen Kampf für internationale Solidarität zwischen den Arbeiter:innen der Ukraine, Russland und des Westens sowie allen Geflüchteten. Eine solche Antikriegsbewegung kann es nur geben, wenn die Arbeiter:innen eine eigene Stimme haben. Es ist die dringende Aufgabe von Linken und Gewerkschafter:innen, in diesen Anfängen einer möglichen neuen Antikriegsbewegung für eine unabhängige Perspektive der Arbeiter:innen zu streiten. Wagenknecht und Schwarzer sprechen in ihrem Manifest nicht davon, was die sozialen Folgen des Kriegs sind, wie Inflation und Spardiktate. Sie sprechen auch nicht davon, dass die Arbeiter:innen es selbst in der Hand haben, mit Streiks die Kriegslogistik auf beiden Seiten zu stoppen. Doch genau das schafft erst die Möglichkeit, eine unabhängige Position von Putin oder NATO zu entwickeln.

Lohnstreiks und Antikriegsbewegung zusammenführen!

Ein wirklicher Frieden für die Ukraine ist nur möglich, wenn sich die Gewerkschaften und die Arbeiter:innenbewegung weltweit mit Streiks gegen die militaristische Politik ihrer Regierungen stellen und die Großmächte damit zu einem Waffenstillstand zwingen, anstatt ihnen das Feld zu überlassen. Nur so kann eine Waffenstillstand geschaffen werden, der keinen auferlegten Diktatfrieden von Russland oder der NATO nach sich zieht. Deshalb ist es umso skandalöser, dass sich die Gewerkschaftsführungen in Deutschland hinter die Forderungen der Bundesregierung nach mehr Sanktionen gegen Russland stellen – oder wie DGB-Chefin Fahimi sogar die Lieferung von Waffen befürworten. Die Gewerkschaften sind heute immer noch die größten Arbeiter:innenorganisationen mit mehreren Millionen Mitgliedern. Die gesellschaftliche Macht, die Beschäftigte beispielsweise in der Industrie, bei der Bahn, in den Häfen usw. haben ist gewaltig. International haben wir bereits an kleinen Beispielen gesehen, dass Rüstungsexporte verhindert werden können, wenn Arbeiter:innen streiken – wie die Hafenarbeiter:innen in Genua, wo am Wochenende 10.000 Menschen auf die Straßen gingen.

Deshalb ist es zentral in den Gewerkschaften nicht nur für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen, sondern auch die pro-Regierungshaltung der Gewerkschaftsführungen bei der Aufrüstung zu bekämpfen und auf dieser Grundlage klassenkämpferische, antibürokratische und antimilitaristische Fraktionen in den Gewerkschaften aufzubauen. Der neue SPD-Kriegsminister Boris Pistorius hat mit seinen Aussagen, dass höhere Löhne im öffentlichen Dienst die Aufrüstungspläne gefährden, bereits klargemacht, was das Programm der Bundesregierung künftig ist.

Nur wenn wir den Kampf gegen den Krieg nicht Wagenknecht, Schwarzer und Co. überlassen, sondern für eine internationalistische und antiimperialistische Bewegung gegen diesen Krieg und die Aufrüstung kämpfen, können wir auch den Massen, die heute pazifistische Illusionen in Verhandlungen haben, einen wirklichen Ausweg anbieten. Und nur so können wir den Rechten, die sich heute als Friedenskämpfer:innen inszenieren, aber gleichzeitig mehr Aufrüstung der Bundeswehr und mehr Abschottung gegen Geflüchtete fordern, den Boden entziehen.

Wir schlagen deshalb vor, künftig als Anitiimperialist:innen und Internationalist:innen einen linken Pol in der Friedensbewegung aufzubauen und gemeinsam auf Demonstrationen und Kundgebungen sichtbare Blöcke gegen Krieg, Sanktionen und Aufrüstung, aber auch gegen die Inflation und ihre Auswirkungen zu bilden. Dieser Kampf muss auch ein Kampf für offene Grenzen für alle Menschen bedeuten, die vor Kriegen und Armut fliehen, für volle Staatsbürger:innenrechte und gleiche Löhne für die gleiche Arbeit, gegen die Überausbeutung geflüchteter Menschen als Niedriglöhner:innen, und für die Aufnahme aller Geflüchteten in unsere Gewerkschaften. Kurzum: Wir brauchen ein klares Programm der Arbeiter:innen gegen die Inflation, den Krieg und die Aufrüstung – unabhängig von der Regierung, den Rechten und Wagenknechts und Schwarzers Populismus.

Die aktuellen Tarifrunden im Öffentlichen Dienst, bei Post, möglicherweise bei der Bahn, bei den Lehrer:innen bieten die Gelegenheit, die Politik gegen die Aufrüstung mit den Streiks konkret zu verbinden. Die Politisierung dieser Tarifrunden muss auch dazu genutzt werden, als Linke um die Führung in der Friedensbewegung zu kämpfen und Wagenknechts und Schwarzers Position damit herauszufordern.

Dasselbe gilt für die kommenden Proteste zum 8. März. Gegen die imperialistische Außenpolitik mit feministischem Anstrich Annalena Baerbocks ist der konservativ-bürgerliche Feminismus Alice Schwarzers keine Alternative. Der 8. März bietet die Gelegenheit, die Kämpfe der feministischen Bewegung zu Kämpfen gegen den Krieg zu machen. Nicht nur, weil die Aufrüstung letzten Endes durch Kürzungen in Gesundheit, Bildung und Sozialem bezahlt werden und damit insbesondere auch auf Frauen und Queers abgewälzt werden soll. Nicht nur, weil unter Krieg und imperialistischer Ausplünderung Frauen, Kinder und Queers weltweit besonders leiden. Sondern auch, weil die proletarische Frauenbewegung im Ersten Weltkrieg ein zentraler Faktor im Kampf gegen den Krieg war.

Denn trotz einiger rechter Positionen auf der Kundgebung waren eben auch viele Linke vor Ort, Teile der Linkspartei, aber auch von linksradikalen Organisationen, die die Rechten konfrontierten. Wenn wir als Linke internationalistische, antimilitaristische und antiimperialistische Positionen durchsetzen wollen, müssen wir gegen die pazifistische und teils rechte Hegemonie dort kämpfen, indem wir einen Kampfplan der Arbeiter:innen international gegen den Krieg aufstellen. Es braucht Versammlungen in den Betrieben und bei Streiks, wie aktuell die Delegiertenversammlungen der Streikenden im Öffentlichen Dienst in Berlin. Dort können wir nicht nur über die Forderungen nach mehr Geld diskutieren, sondern auch über den Krieg und den Aufbau einer Antikriegsbewegung. Zugleich kämpfen wir für den Aufbau einer antimilitaristischen und antiimperialistischen Jugend an der Seite der Arbeiter:innen.

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