Vierte Welle: Die Bundesregierung nimmt tausende weitere Tote in Kauf
Deutschland befindet sich aktuell in der vierten Welle mit steigenden Inzidenzen. Der Dienstag war der erste Tag seit zwei Wochen, an dem die deutschlandweite Inzidenz (153,7) leicht gefallen ist. Das könnte allerdings mit Meldeverzögerungen aufgrund des Feiertages in einigen Bundesländern zu tun haben. Vor allem Bayern ist momentan extrem betroffen: Acht der zehn Landkreise mit den höchsten Inzidenzen befinden sich in dem Freistaat. Spitzenreiter ist Mühldorf am Inn mit einer Inzidenz von knapp 650.
Gleichzeitig erleben wir immer mehr Lockerungen und Aussagen von Politiker:innen, wie zum Beispiel jüngst von Gesundheitsminister Spahn, der die epidemische Notlage aufheben möchte. Damit würde es keine bundesweite Strategie mehr geben, sondern die Verantwortung würde wieder auf die Bundesländer dezentralisiert werden. Tests werden schon seit Oktober nur noch in Ausnahmefällen von staatlichen Geldern getragen, sondern müssen von den Bürger:innen selbst finanziert werden. Dies führt vor allem dazu, dass ärmere Bevölkerungsanteile, wie zum Beispiel große Teile der Jugend, sich weniger oder gar nicht testen lassen. Besonders dann, wenn sie geimpft sind. Infektionen fallen demnach seltener auf, da auch asymptomatische Fälle durch die Impfung häufiger auftreten und der Virus so öfter unbemerkt bleibt. Darüber hinaus häufen sich die Fälle bei Kindern unter 14 Jahren an den Schulen. Sie werden zwar regelmäßig getestet, die Eltern haben aber nicht ohne Weiteres ein Recht darauf.
Zu beachten ist im Vergleich zu den bisherigen Wellen der Faktor des geimpften Bevölkerungsteils. Etwa 67 Prozent der in Deutschland lebenden Personen sind vollständig geimpft. Impfdurchbrüche sind zwar keine Seltenheit, dennoch ist die Wahrscheinlichkeit einer Infektion trotz Impfung deutlich geringer als für ungeimpfte Personen. Die hohen Inzidenzen zeigen demnach, dass wir uns die Lockerungspolitik der vergangenen Wochen bisher nur durch die Impfung erlauben konnten. Jedoch stagniert die Impfquote seit Wochen, ohne dass die Regierung eine reale Anstrengung für eine offensive aufklärende Impfkampagne macht, die die bisher nicht geimpften Bevölkerungsteile wirklich erreicht.
Ein Aussetzen der epidemischen Lage in solch einer prekären Situation wäre damit nichts weiter, als eine Durchseuchung der Bevölkerung in Kauf zu nehmen und damit viele weitere Tote in diesem Winter. Die vermutlich neue Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP hat bereits angekündigt, diesen Schritt von Gesundheitsminister Spahn zu unterstützen. Im Sondierungspapier kommt die Corona-Politik fast gar nicht mehr vor. Damit wird die Verantwortung schlichtweg abgeschoben auf die Bundesländer und jeden einzelnen von uns.
Stattdessen brauchen wir bundesweit eine sofortige Wiedereinführung von kostenlosen Schnelltests für alle. Nur durch regelmäßiges Testen können auch Impfdurchbrüche schnell erfasst und eine weitere Ausbreitung verhindert werden. In den Universitäten und Betrieben braucht es ähnlich wie an Schulen regelmäßige Testangebote. Arbeitgeber:innen sind zwar auf dem Papier immer noch verpflichtet, solche Angebote zu machen. Die Durchsetzung darf jedoch nicht an jedem einzelnen hängenbleiben, sondern muss vom Staat garantiert werden. Denn wo vor gut einem Jahr viel über die Verantwortung von Bossen zur Bewältigung der Pandemie durch strenge Hygienekonzepte, Home Office und Co. diskutiert wurde, scheint das in der aktuellen Situation keine Rolle zu spielen. Besonders die Gewerkschaften müssen für die Durchsetzung von Schutzmaßnahmen für Beschäftigte kämpfen. Notwendige Auffrischungsimpfungen sollten ebenfalls durch Betriebsärzt:innen durchgeführt werden können und Beschäftigten muss unbürokratisch ermöglicht werden, sich auch während der Arbeitszeit bei voller Lohnfortzahlung Impfungen abzuholen.
In Krankenhäusern wird heute schon Alarm geschlagen, dass es wieder zu einer Überforderung durch Intensivpatient:innen kommen kann. Eine Warnung, die Beschäftigte seit Beginn der Pandemie gebetsmühlenartig wiederholen. Eine Reaktion aus der Politik hat es quasi nicht gegeben. Viele Kolleg:innen haben deshalb wegen Überarbeitung während der Pandemie ihren Job aufgegeben. Um dem entgegenzuwirken, brauchen wir gewerkschaftliche Kämpfe der Beschäftigten in den Krankenhäusern für eine sofortige Verbesserung der Arbeitsbedingungen und eine drastische Aufstockung des Personals. Die Berliner Krankenhausbewegung hat vorgemacht, wie es gehen kann, und einen Entlastungstarifvertrag erkämpft.
Statt profitorientierter Gesundheitsversorgung brauchen wir ein Gesundheitssystem, das einzig und allein im Interesse der Beschäftigten und Patient:innen funktioniert. Dafür brauchen wir eine Verstaatlichung aller Krankenhäuser und medizinischen Einrichtungen, Labore usw. unter Kontrolle der Beschäftigten und ein Ende der Fallpauschalen/DRGs. Zudem müssen alle Impfstoffpatente aufgehoben werden, um eine weltweite, schnelle Verteilung von Impfstoff möglich zu machen. Nur so kann die Pandemie effektiv bekämpft werden.