Vielleicht wird ein Rechtsextremist Präsident in Österreich – wie konnte es so weit kommen?

29.11.2016, Lesezeit 7 Min.
Gastbeitrag

Österreich versucht am 4. Dezember wieder, einen Präsidenten zu wählen. Im Frühling unterlag der rechtsradikale FPÖ-Kandidat Norbert Hofer nur knapp dem konservativen Grünen-Politiker Alexander van der Bellen. Ein kurzer Abriss über den langen Aufstieg der FPÖ.

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Viele Nachrichten dringen nicht aus der kleinen Alpenrepublik, hier eine Meldung über Skifahren, da eine Promimeldung, zum Beispiel über Bauunternehmer Richard Lugner und seine Frau Cathy. Und dann plötzlich eine riesige Meldung über den Rechtsrutsch bei der Nationalrats-, Wiener Landtags- oder Präsidentschaftswahl. „Plötzlich“ kommt in Österreich allerdings gar nichts – der Rechtsrutsch findet schon lange und als erster in Europa statt.

Das politische System in Österreich ist dem deutschen sehr ähnlich. Der Nationalrat wird nach dem Verhältniswahlrecht gewählt, allerdings alle fünf Jahre, genauso wie die meisten Landtage. Die einzigen größeren Unterschiede sind stärkere direkt-demokratische Mittel, wie Volksbegehren und -abstimmungen, sowie die Direktwahl des Staatsoberhaupts alle sechs Jahre.

Nach der österreichischen Verfassung hat die*der Präsident*In deutlich mehr Macht als in Deutschland. Die Regierung kann entlassen und das Parlament aufgelöst werden. Traditionell werden diese Befugnisse nicht genutzt und das Amt ist rein repräsentativ. Bisher wurden alle Präsidenten von den beiden (ehemals) großen Parteien SPÖ und ÖVP sowie einem nahestehenden, parteilosen Kandidaten gestellt.

Besonders an dieser Wahl ist, dass der neue Präsident nicht von den beiden großen Parteien gestellt wird – beide sind im ersten Wahldurchgang mit jeweils 11 Prozent abgestraft worden. Es ist ein weiteres Zeichen für einen Umbruch des österreichischen Regimes. Die beiden ehemaligen Hauptstützen aus SPÖ und ÖVP würden bei einer Neuwahl vermutlich nicht einmal mehr eine Große Koalition auf die Beine stellen können. Allerdings ist die FPÖ bereits selbst Teil des Regimes geworden und vertritt die Interessen des Kapitals, stützt sich aber elektoral auf unzufriedene Kleinbürger*innen und vom Chauvinismus verblendete, enttäuschte Arbeiter*innen.

Im Falle eines Wahlsiegs von Norbert Hofer wird befürchtet, dass er alle in der Verfassung gegebenen Rechte ausnutzen könnte, um die FPÖ auch im Parlament an die Macht zu bringen und demokratische Rechte auszuhöhlen – oder zumindest Kanzler Kern (SPÖ) zu triezen.

Aufstieg der FPÖ bis in die Regierung

Gegründet wurde die FPÖ 1955 von Altnazis, blieb allerdings unbedeutend, bei Wahlen immer um die 6 Prozent, dafür aber durchgehend im Parlament. In den frühen 80ern gab es eine Auseinandersetzung zwischen liberalen und deutschnationalen Mitgliedern. Die Liberalen führten die Partei in eine kurze Regierung mit der SPÖ. Der Anführer des liberalen Flügels Norbert Steger machte zum Verdruss der anderen Mitglieder eine unglückliche Figur und wurde 1986 von Jörg Haider gestürzt.

Die Wahl Haiders zum Parteiobmann fiel in eine Zeit der Krisen in Österreich. Zur Präsidentschaftswahl 1986 wurde der Altnazi Kurt Waldheim (ÖVP) gewählt – der Antisemitismus stieg an und Österreich isolierte sich außenpolitisch. Mit Haider kam dennoch der Aufschwung der Partei. Zunächst startete er einen Anti-Establishment-Kurs, gegen SPÖ und ÖVP, gegen die Medien und gegen den EU-Beitritt Österreichs, der von SPÖ und ÖVP vorangetrieben wurde. Besonders die ÖVP verlor Stimmen an Haider.

Um der Partei zu einem weiteren Aufstieg zu verhelfen, musste Haider jedoch auch die Wähler*innenschaft der SPÖ anzapfen. Ab Anfang der 90er setzte er auf eine verstärkt antimigrantische und antimuslimische Politik. Teil dieser Kampagne war das Volksbegehren „Österreich zuerst“. Damit wollte sich die FPÖ einen sozialen Anstrich für die privilegierten und nicht-migrantischen Teile der Arbeiter*innenklasse verpassen und diese spalten.

Nach Stimmgewinnen bei jeder Wahl wurde die FPÖ 1999 zweitstärkste Partei und Juniorpartnerin in einer ÖVP-Regierung unter Kanzler Wolfgang Schüssel. Diese wurde EU-weit sanktioniert und zusätzlich gab es in Wien große Demonstrationen gegen „FPÖVP“. Zusammen setzte Schwarz-Blau Privatisierungen durch, ähnlich wie Schröder, allerdings mit stockkonservativ gesellschaftlicher Ausrichtung. In Österreich gibt es beispielsweise eingetragene Lebenspartnerschaften erst seit 2010.

Die Regierungszeit lief, für die bis dahin von Erfolgen verwöhnte Partei, schlecht. Sie stolperte über mehrere Affären und das Umsetzen neoliberaler Politik enttäuschte ihre Anhänger*innen. Zusätzlich gab es innerparteiliche Streitigkeiten. Die Umfragewerte stürzten in den Keller. Die vorgezogene Nationalratswahl endete für die FPÖ in einer Katastrophe. Es kam zum Konflikt zwischen zwei Flügeln innerhalb der Partei. Heinz-Christian Strache und die Burschenschaftler wollten die Regierung verlassen, Jörg Haider wollte der Partei den Touch einer pragmatischen Regierungspartei geben. Sein Flügel spaltete sich in das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) ab.

Fragmentierung und Wiederaufstieg

In den folgenden Jahren war das extrem rechte Spektrum zwischen FPÖ und BZÖ gespalten. Haiders BZÖ war nur in Kärnten, seinem Bundesland, stark. Nachdem Haider 2008 betrunken bei einem Autounfall starb, zerfiel das BZÖ und schloss sich wieder der FPÖ an. In der Zwischenzeit hatte Strache die FPÖ wieder den Burschenschaftlern geöffnet und radikalisiert.

Leicht ging es für die wiedervereinigte Partei nicht weiter. Das Team Stronach (TS) war eine neoliberale Partei um den exzentrischen Milliardär Frank Stronach, der berühmt wurde durch die Forderung nach Todesstrafe für Auftragskiller*innen. Die rechtspopulistische Partei konnte 2013 ins Parlament einziehen und davor in einige Landtage. Stronach war stark genug, um der FPÖ einen beträchtlichen Stimmenanteil zu stehlen – die meisten trauten ihm wirtschaftlich mehr Kompetenz zu. Das ist auch nicht schwierig, denn die FPÖ hat mit Leidenschaft den Bankenkonzern HypoAlpeAdria an die Wand gefahren.

Kurz nach der Wahl 2013 ging TS auch schon wieder unter. Dadurch ist die FPÖ die einzige verbliebene rechtsextreme Partei in Österreich. In aktuellen Umfragen ist sie die stärkste Partei mit 35 Prozent. Die Gründe für diese Stärke sind, dass sie das gesamte rechte Spektrum vereinigen kann und keine Führungskämpfe mehr hat. Sie muss ihr rechtes Wähler*innenpotential nur noch zu Wahlen mobilisieren. Ihre größte Stärke liegt allerdings darin, dass ihr Programm bereits von anderen umgesetzt wird. Es braucht keine FPÖ-Regierung, damit FPÖ-Politik gemacht wird – das erledigen bereits SPÖ und ÖVP.

Die Regierung unter Werner Faymann (SPÖ) baute Grenzzäune und setzte eine Obergrenze für Geflüchtete durch. Der neue Kanzler Christian Kern (SPÖ) setzt diese Politik fort – die FPÖ muss sich nur noch zurücklehnen und weiter rassistische Parolen grölen.

Einen eigenen Ausdruck der Krise hat die Arbeiter*innenklasse in Österreich nicht: Wie auch in Deutschland, ist die zerstörerische Sozialpartnerschaft extrem stark – gestreikt wird in Österreich fast gar nicht. Auffällig für Österreich ist das Fehlen einer linksreformistischen Partei wie Die Linke in Deutschland.

Die Wahl am 4. Dezember findet im Gegenteil vor dem Hintergrund des weltweiten Rechtsrucks statt – der Brexit, Trump in den USA, neue rechte Regierungen in Lateinamerika, Rajoy im Spanischen Staat, Le Pens Erfolg in Frankreich, die Nominierung des rechten Fillon für die Konservativen in Frankreich, der Erfolg der AfD in Deutschland. Und von der CSU schließlich wird Österreich in der Geflüchtetenfrage seit einem Jahr immer wieder als rechtes Vorbild herangezogen.

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