„Viele können sich seit geraumer Zeit weder Miete noch Essen leisten“ – Interview zur Lage von Tätowierer:innen

18.02.2021, Lesezeit 5 Min.
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Foto: Mave Anderson

Mave Anderson arbeitet als Tätowierer:in in Berlin und protestiert mit #ihrmachtunsnackt gegen fehlende Unterstützung für Tätowierer:innen.

Hey Mave, du bist mit deinem Tattoostudio Teil der Initiative #ihrmachtunsnackt. Kannst du uns erzählen, wie für dich als Tattooartist das letzte Jahr mit Corona verlaufen ist?

Hey Tabea,

für mich, wie auch für viele andere Tätowierer:innen, war das letzte Jahr ziemlich hart. Ich hatte im März die Soforthilfen von der Investitionsbank Berlin bekommen. Jedoch musste ich weiterhin alle laufenden Kosten und meine Privatausgaben leisten. Als es im November wieder Hilfeleistungen geben sollte, wurden wir vergessen, da viele Menschen einfach nicht mitgedacht werden.

Aktuell musste ich mich sogar beim Jobcenter melden, was sich für mich nach fünf Jahren des Aufbaus meines Gewerbes anfühlt wie eine Niederlage. Auch hier wurde gesagt, alles sei vereinfacht worden, damit Selbstständige es leicht hätten, Unterstützung zu bekommen. Ich glaube, ich habe über 50 Seiten Dokumente einreichen müssen – alles war viel aufwändiger als ein reguläres Verfahren.

Was mir auch langsam Bauchschmerzen macht, sind die Kosten, die mich erwarten, wenn ich wieder arbeiten kann. Nach 180 Tagen müssen alle angebrochenen Farben ersetzt werden. Gegebenenfalls kommt auch equipmenttechnisch noch etwas drauf. Wenn ich mit 50 Tattoofarben arbeite, die bis zu 30 Euro pro Stück kosten, ist das ziemlich viel Geld.

Ich versuche, wie auch viele andere Tätowierer:innen, andere Wege zu gehen und mir Alternativen zu überlegen, Einnahmen zu generieren. Meine Tattootermine wurden bislang bis zu zehn Mal verschoben und langsam fühlt man sich demotiviert. Wenn man dann noch liest, dass Seehofer sagt, dass Friseur:innen wieder arbeiten können, weil sonst ein Markt an illegaler Arbeit geschaffen würde, den keine:r kontrollieren kann, wird es zunehmend frustrierend.

Friseure haben viele Kund:innen täglich, haben einen Wartebereich, wo sich Kund:innen aufhalten – während Tätowierer:innen oft mit Terminkund:innen arbeiten und Hygienekonzepte aufgrund der sterilen Arbeit durchführen, die ein:e Friseur:in niemals erreichen könnte. Weder werden bei Friseur:innen die Geräte desinfiziert, noch die Stühle, ebenso wenig tragen die Friseur:innen Handschuhe und oder desinfizieren diese. Auch werden die Handschuhe, wenn sie getragen werden, nicht zwischen den Kund:innen gewechselt.

Jetzt bringt ihr Protest ins Netz: Was sind deine Forderungen mit #ihrmachtunsnackt? 

Meine persönlichen Forderungen wären, dass man einen besseren Zugang zu Informationen schafft. Dass man auch an die Menschen denkt, die z.B. Existenzgründer:innen sind oder Menschen, die viel gespendet haben. Dass man eine Grundsicherung schafft, die es ermöglicht, sowohl das eigene Gewerbe und dessen laufende Kosten zu stemmen, wie auch private Kosten für Miete, Essen etc. Man braucht eine Vereinfachung der Bewerbung auf Hilfeleistungen. 

Ein ganz einfaches Beispiel: Wie soll man sich auf Hilfeleistungen bewerben, wenn man nicht das Geld hat, eine:n Anwält:in dafür zu engagieren?

Aktuell läuft es wie immer so: Die, die es sich leisten könnten, selbst ihre Kosten zu zahlen, bekommen Unterstützung, die, die schon im Minus auf ihren Konten sind, bekommen keine Hilfe. Viele meiner Tätowierer:innenkolleg:innen können sich seit geraumer Zeit weder Miete noch Essen leisten.

Wie wird es jetzt weiter gehen? Dürft ihr im März öffnen?

Aktuell gibt es noch keinen Beschluss, dass wir wieder öffnen können. Wir alle wollen, dass diese Pandemie bald endet. Hygienekonzepte müssen her, die auch sinnvoll sind. Meiner Meinung nach ist das, was Friseur:innen jetzt dürfen absolut nicht sinnvoll. Der Beruf Friseur:in unterscheidet sich umfassend von dem, des:r Tätowierer:in. Wir können Termine so vergeben, dass sich pro Tag pro Tätowierer:in nur ein bis zwei Kund:innen im Studio aufhalten. Das wäre ökonomisch für Friseur:innen gar nicht tragbar. Ich wünsche mir zumindest für Friseur:innen andere Hygienekonzepte, ich möchte nicht mit 15 Menschen auf zehn Quadratmetern sitzen. Ich möchte, dass Handschuhe getragen werden, Masken getragen werden, dass Menschen sich nicht im Wartebereich aufhalten.

Als ich noch arbeiten durfte, hatte ich es selbst so gemacht. Ich habe Termine vergeben, darauf hingewiesen, dass es aktuell wichtig ist pünktlich zu sein. Leerzeiten des Studios zwischen den Kund:innen ermöglicht. Dazu kommen natürlich noch die umfassenden Hygienemaßnahmen, die sowieso zum Beruf gehören.

Keine:r denkt an Existenzgründer:innen, keine:r denkt daran, dass es eine Grundabsicherung geben müsste.

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