[Video] „Wir müssen uns das Recht auf politischen Streik nehmen.“ – 50 Gäste diskutieren CO2-Steuer und politisches Streikrecht
Am Freitag wird in über 400 Städten in Deutschland gegen die Klimakrise demonstriert. In den Gewerkschaften ist in den letzten Monaten eine Diskussion darüber entbrannt, ob auch Beschäftigte an diesem Tag streiken „dürfen“. Die Berliner Kampagnen-Initiative gegen Auslagerung und Befristung organisierte am vergangenen Samstag eine Podiumsdiskussion zum politischen Streik und der Rolle der Gewerkschaften. 50 Teilnehmer*innen diskutierten an der Humboldt Uni über CO2-Steuer, grünen Kapitalismus und die Tradition politischer Streiks in Deutschland.
Fridays for Future steht am Freitag vor dem wahrscheinlich größten Klimastreik seit Beginn der Bewegung. Weltweit werden Menschen, vor allem Jugendliche, die Schulen und Unis bestreiken und auf die Straße gehen. Dass das Thema auch für Beschäftigte eine Rolle spielt, haben die letzten Monate gezeigt. Eine Initiative von Gewerkschafter*innen forderte die Führungen auf, am Freitag einen Streiktag auszurufen. Über 450 Beschäftigte, Betriebsrät*innen und Funktionär*innen unterstützen diesen Aufruf. Anlass war unter anderem die Aussage von ver.di-Chef Frank Bsirske, dass Beschäftigte nur außerhalb der Arbeitszeit zu den Demonstrationen gehen könnten, ein politischer Streik sei ja schließlich illegal.
Um dieser These auf den Grund zu gehen und Möglichkeiten für ein Umdenken der Gewerkschaftsführungen und für einen politischen Streik zu diskutieren, wurden Redner*innen aus der Klima- und der Arbeiter*innen-Bewegung am vergangenen Samstag an die HU geladen.
Aimo Tügel, U-Bahnfahrer und Mitglied der Basisgewerkschaftsgruppe ver.di aktiv, machte deutlich, dass er nicht einsieht, warum angesichts der drohenden Klimakatastrophe die Schüler*innen zwar ihre Schulen bestreiken aber Arbeiter*innen im Gegenzug nicht ihre Betriebe. Es gibt schließlich keine Jobs auf einem toten Planeten. Diesen Gedanken spitzte Dominik Cramer, der für Fridays for Future Berlin auf dem Podium saß, noch weiter zu: Es gibt auch keine Gewerkschaften auf einem toten Planeten.
Dass die Debatte nicht nur bei ver.di geführt wird, zeigte aktuell ein Tweet des Studierendenausschuss der GEW: Sie wiesen darauf hin, dass die GEW sich bereits 2013 zum politischen Streik „als gewerkschaftlichem Kampfmittel zur Durchsetzung der Interessen von abhängig Beschäftigten“ bekannt hat.
Dennoch ruft auch die Bildungsgewerkschaft GEW ihre Mitglieder für den 20.09. nicht zum Streik auf, sondern verweist auf Debatten und legale Hürden. Das Recht auf politischen Streik wird uns allerdings nicht einfach gegeben, sondern „es ist ein Recht, das wir uns kollektiv nehmen müssen“, wie Aimo Tügel es formulierte.
Ebenfalls auf dem Podium saß Historiker Uwe Fuhrmann, der mit vielen Beispielen politischer Streiks aus der deutschen Geschichte auf oft übersehene kämpferische Traditionen aufmerksam machte. So unter anderem mit dem Kampf der Bergarbeiter*innen von Bischofferode 1992 und 1993, der eine ganze Region elektrisierte. Damals ging es gegen den Ausverkauf und die Schließung ehemaliger volkseigener Betriebe durch die Treuhand.
Besonders kontrovers diskutiert wurde die Frage einer CO2-Steuer. Hartmut Ehmler, Physiker und Mitglied der Scientists for Future, erläuterte in seinem Beitrag noch einmal die Dringlichkeit der aktuellen Situation. Als Antwort darauf forderte er die Einführung einer Steuer auf CO2-Ausstoß, wie sie aktuell in verschiedenen Formen diskutiert wird.
Das grundlegende Konzept ist, Menschen und Konzerne, die viel CO2 verbrauchen, zur Kasse zu bitten, indem sie für jedes Kilogramm verbrauchtes CO2 zahlen müssen. Wie in der Diskussion schnell klar wurde, könnte dies jedoch Arbeiter*innen unverhältnismäßig stark belasten. So zum Beispiel Beschäftigte, die jeden Tag mit dem Auto zur Arbeit pendeln, weil es nicht ausreichend öffentlichen Nahverkehr gibt. Sie können sich nicht einfach aussuchen, näher an ihren Arbeitsplatz zu ziehen oder ein teures Elektro-Auto zu kaufen. Und es gibt auch Modelle, die vorsehen, Unternehmen von dieser Rechnung auszunehmen. Entgegen aller Versprechungen wird die reale Umsetzung einer CO2-Steuer wohl kaum „sozial verträglich“ gestaltet sein.
Ein weiteres Argument für die CO2-Steuer lautete, dass dadurch dem Parlament eine Kontrollmöglichkeit gegeben werde. Jedoch regte sich auch hier schnell Widerspruch aus der Runde. Denn es ist genau dieses Parlament, das einen konsequenten ökologischen Wandel verhindert, indem es nicht die größten Klimakiller – die großen Konzerne – zur Kasse bittet. Stattdessen wird vor allem individueller Verzicht gepredigt. Eine CO2-Steuer, die durch solch ein Parlament geht, wird demnach vor allem eine Gruppe belasten: Beschäftigte und Verbraucher*innen und nicht diejenigen, die die Hauptverantwortung tragen. U-Bahnfahrer Tügel forderte im Gegensatz dazu eine Erhöhung der Vermögenssteuern zur Finanzierung umweltschonender Maßnahmen und Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohnausgleich. Auch aus dem Publikum wurden konkrete Alternativen vorgeschlagen: Die Konzerne sollen den ökologischen Umbau bezahlen, durch Umstellung der Produktion und eben auch mit Umschulungen für betroffene Kolleg*innen.
Schlussendlich wiesen mehrere Beiträge aus dem Publikum darauf hin, dass solch ein ökologischer Wandel nicht dem Gutdünken der Wirtschaft oder des Marktes überlassen werden darf. Denn Unternehmen geht es nicht um die Umwelt, sondern um die Vermehrung ihrer Gewinne, wie zuletzt der Dieselskandal in Deutschland oder die riesigen Brände in Brasilien gezeigt haben. Ein Ausweg aus dieser Krise kann nur gefunden werden, wenn wir unser Wirtschaftssystem konsequent auf die Bedürfnisse von Mensch und Natur ausrichten und die Produktion demokratisch planen. Private Konzerne müssen dafür verstaatlicht und unter die Kontrolle der Beschäftigten gestellt werden. Wie das gehen kann, zeigen seit einigen Wochen die Arbeiter*innen von Harland & Wollf in Nordirland. Sie streiken gegen die Schließung ihrer Werft und für die Umstellung der Produktion auf umweltfreundliche Technologien. Um ihren Kampf zu unterstützen, wurde am Ende der Podiumsdiskussion ein Soli-Foto aufgenommen.
Um jedoch flächendeckend zu Enteignungen und einer Umstellung der Produktion zu kommen, müssen wir uns schon heute an der Basis organisieren und Möglichkeiten diskutieren, an Protesten wie am Freitag mit möglichst vielen Menschen teilzunehmen. Die Führungen unser Gewerkschaften haben trotz aller Lippenbekenntnisse leider immer wieder bewiesen, dass ihnen gute sozialpartnerschaftliche Beziehungen zur Großindustrie wichtiger sind, als die Bedürfnisse der Beschäftigten und der Umwelt. Nur mit einer Ausweitung der Organisierung an der Basis werden wir genügend Druck erzeugen können, um die Gewerkschaftsoberen zu politischen Streikaufrufen zu zwingen.