[VIDEO] Nico del Caño: „Die Parlamentssitze der FIT sind Schützengräben im Kampf für das Abtreibungsrecht“
Die argentinische Abgeordentenkammer stimmte in den frühen Morgenstunden des Freitag für ein Gesetz zur Legalisierung der Abtreibung. Nun muss es im Senat behandelt werden. Nicolás del Caño, Abgeordneter der Partei Sozialistischer Arbeiter:innen (PTS) in der Front der Linken – Einheit (FIT-U) betonte in seiner Rede vor dem Parlament die Rolle der kämpferischen Frauenbewegung.
Mit 131 Ja-Stimmen gegen 117 Nein-Stimmen und 6 Enthaltungen stimmte die argentinische Abgeordnetenkammer in den frühen Morgenstunden des Freitag für den Gesetzentwurf zur Legalisierung der Abtreibung. Der von der Regierung vorgelegte Gesetzesentwurf muss nun noch im Senat behandelt werden, damit Recht auf freiwillige Unterbrechung der Schwangerschaft bis zur 14. Woche Gesetz wird.
Vor der Diskussion in der unteren Kammer des argentinischen Kongresses wurde der Gesetzentwurf an einigen wichtigen Stellen abgeschwächt, darunter die Ermöglichung einer Verweigerung aus „Gewissensgründen“, was dazu führen könnte, dass ganze Krankenhäuser und möglicherweise sogar ganze Provinzen sich diesem Recht verweigern können.
Währenddessen verfolgten auf den Straßen politische, soziale, feministische und gewerkschaftliche Organisationen, die das Recht auf Abtreibung unterstützen, die Sitzung auf den von der Regierung aufgestellten Großbildschirmen. Währenddessen versammelten sich auf der anderen Seite des Zauns, der den Kongressplatz teilte, wenige hundert Menschen gegen das Recht auf Abtreibung. Hinter ihnen stehen jedoch mächtige reaktionäre Institutionen wie die katholische und die evangelische Kirche.
Deshalb, so argumentierte der Kongressabgeordnete Nicolás del Caño von der Front der Linken während der Parlamentssitzung, die am frühen Morgen endete, „weil wir das Leben der Frauen verteidigen und weil es ein Problem der öffentlichen Gesundheit ist, kämpfen wir dafür, dass es Gesetz wird. Aber auch, weil wir die Autonomie der Menschen verteidigen, ihre Lebensentwürfe frei zu wählen und ihre Sexualität voll zu genießen. Und in diesem Sinne betont die Front der Linken auch erneut die Notwendigkeit, die Trennung von Staat und Kirche tatsächlich durchzusetzen, wie auf den Straßen auch gefordert wird.“ Wir geben hier seine Rede in voller Länge wieder.
Ohne die unermüdliche Mobilisierung der argentischen Frauenbewegung wäre die Abstimmung über den – wenn auch beschränkten – Gesetzentwurf niemals möglich gewesen. Mit ihrem Kampf sind sie so weit gekommen, und wahrscheinlich wird das Gesetz in ein paar Wochen ratifiziert. Aber die effektive Eroberung der Rechte erfordert, weiterhin auf der Straße zu bleiben.
Nicolás del Caño: „Die Parlamentssitze der FIT sind Schützengräben im Kampf für das Abtreibungsrecht“
In dieser patriarchalen kapitalistischen Gesellschaft haben Frauen es mit allem schwerer. Deshalb diskutieren wir mitten im 21. Jahrhundert immer noch, ob dieser Kongress anerkennen wird, dass Frauen und gebärfähige Menschen das volle Recht haben, über ihre Schwangerschaften und ihre Lebensentwürfe zu entscheiden, ob sie Mütter werden wollen oder nicht, wann und wie.
In dieser Gesellschaft wird auch die Leistung von Frauen unsichtbar gemacht, wie es tagtäglich mit der unbezahlten Haus- und Pflegearbeit geschieht, die auf ihren Schultern lastet. Und wie oft werden ihre Verdienste und Erfolge verschwiegen, oder schlimmer noch, von anderen enteignet, deren Namen in der Geschichte auftauchen, hinter denen die Frauen in der Anonymität versinken.
Deshalb hoffen wir, Herr Präsident, dass dieser Kongress anerkennt, weshalb wir erneut hier stehen: aufgrund der Kraft, des Kampfes und der Beharrlichkeit einer Frauenbewegung, die seit Jahrzehnten kämpft und in den neuen Generationen erneuerte Impulse gefunden hat, die sie in eine grüne1 Welle verwandelt haben. Und Herr Präsident, wir sind auch deshalb erneut bei dieser Institution, dieser Debatte angelangt, weil diese Frauen kollektiv einen Gesetzentwurf verfassten und ihn mehr als ein Jahrzehnt lang immer wieder vorlegten, obwohl der Kongress ihn immer wieder in der Schublade verschwinden ließ.
Den Frauen, die bei klandestinen Abtreibungen starben; denen, die Spuren an ihrem Körper und ihrer Gesundheit davon trugen; den Pionierinnen, die diesen Moment nicht mehr erleben durften, der ihnen aber zweifellos gehört; denen, die jeden Tag für ihre Rechte kämpfen: Ihnen möchte ich sagen,
dass die Parlamentssitze der Front der Linken ihnen einmal mehr als Schützengraben im Kampf dafür dienen werden, dass es endlich Gesetz wird.
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Herr Präsident, heute hören wir dieselben Leute, die vor mehr als einem Jahrhundert sagten, dass die Zivilehe das Ende der Familie bedeuten würde, und die das in den 80er Jahren wiederholten, als die Scheidung legalisiert wurde; und vor wenigen Jahren noch einmal, als die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiert wurde… dieselben, die sagten, dass das Wahlrecht für Frauen oder das geteilte Sorgerecht die „natürliche“ Hierarchie zerstören würde, die zwischen Mann und Frau existieren solle.. Dieselben Leute wiederholen heute, dass die Abtreibung weiter unter Strafe stehen soll.
Aber haben so viele Jahre der Kriminalisierung etwa ihre Durchführung verhindert? Natürlich nicht. Es wird geschätzt, dass Argentinien, wo die Mehrheit der Bevölkerung sich als katholisch definiert, eines der Länder mit der höchsten Anzahl von klandestinen und unsicheren Schwangerschaftsabbrüchen ist. Und die Kriminalisierung hat nur dafür gesorgt, dass viele junge und arme Frauen ihr Leben verloren, sogar ihre Kinder als Waisen zurückließen, weil man ihnen nicht erlaubte, eine Schwangerschaft zu vermeiden, die ihre Gesundheit gefährdete. So wie im Fall von Ana María Acevedo, die von einer Abgeordneten erwähnt wurde, die vor mir gesprochen hat, deren Mutter diese Forderung in Erinnerung an sie begleitet.
Das Gesetz weitet Rechte aus und verbietet niemandem, nach seinen oder ihren Glaubenssätzen und Werten zu leben. Deshalb ist es unerklärlich, dass selbst inmitten des 21. Jahrhunderts immer noch fundamentalistische Sektoren in diese Debatte mit dem Willen eingreifen, der gesamten Bevölkerung ihren Glauben aufzudrücken, als wenn diese Frauen und gebärfähigen Menschen nicht verschiedene Religionen, verschiedene Glauben, Prinzipien und Werte hätten.
Diejenigen, die sich dagegen stellen, dass Abtreibung zu einem Recht wird, schützen das Leben nicht. Sie schützen klandestine Abtreibung.
Und sie wollen weiterhin patriarchale Vorschriften vertreten, nach denen die Sexualität von Frauen nur im Dienste der Reproduktion stünde, weil nur Männern körperliche Lust und Begehren zustünden. Deshalb stellen sie sich nicht nur gegen legale Abtreibung, sondern auch gegen das Medikament Misoprostol, gegen Verhütungsmittel und gegen umfassende Sexualerziehung.
Weil wir das Leben der Frauen verteidigen und weil es ein Problem der öffentlichen Gesundheit ist, kämpfen wir dafür, dass es Gesetz wird. Aber auch, weil wir die Autonomie der Menschen verteidigen, ihre Lebensentwürfe frei zu wählen und ihre Sexualität voll zu genießen.
Und in diesem Sinne betont die Front der Linken auch erneut die Notwendigkeit, die Trennung von Staat und Kirche tatsächlich durchzusetzen, wie auf den Straßen auch gefordert wird.
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Wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, dass heute nicht das Ende erreicht ist. Auch wenn wir heute die Zustimmung der Abgeordnetenkammer erlangen (das ist unsere Erwartung wie auch die der Frauen, die hier draußen und im ganzen Land versammelt sind), wissen wir, dass der Gesetzentwurf im Senat behandelt werden muss. Derselbe Senat, der hunderttausenden Frauen in jener regnerischen und stürmischen Nacht 2018 den Rücken kehrte und sie wütend zurückließ. Derselbe Senat, der nur wenige Schritte von hier in diesen Augenblicken eine neue Rentenformel abstimmt, um Millionen von verrenteten Frauen Kürzungen aufzuzwingen, die ihr ganzes Leben lang gearbeitet haben, und den Frauen, die das geringe Kindergeld erhalten; also den Frauen der bescheidensten Haushalte, die dieses Einkommen brauchen, damit ihre Kinder nicht vor Hunger sterben.
Die Mehrheitsblöcke beinhalten sowohl Unterstützer:innen dieses Gesetzentwurfs als auch erbitterte Verfechter:innen klandestiner Abtreibungen. Viele Jahre lang unterstützten die „grünen“ Abgeordneten dieser politischen Blöcke den Gesetzentwurf der Kampagne für das Recht auf Abtreibung , aber ordneten sich der Fraktionsdisziplin unter. Auch aufgrund des Befehls der Regierung konnte es so lange keinen Fortschritt mit dem Gesetzentwurf zur Legalisierung der Abtreibung geben.
Ich möchte sagen, dass die Abgeordneten, die diesem Gesetzentwurf entgegenstehen, heute nicht ihre Zustimmung geben werden, egal von wem er kommt. Und ich möchte auch sagen, Herr Präsident, dass einige derjenigen, die nicht dafür sind, jetzt sagen, dass sie dafür stimmen werden, aufgrund der Veränderungen, die in den in dem Gesetzentwurf eingefügt wurden, bezüglich der Verweigerung aus Gewissensgründen. Und wie meine Genossin Romina del Plá in einer teilweisen Ablehnung hervorhob, die sie im Kommissionsplenum vorstellte, sind wir damit nicht einverstanden. Wir sehen es mit großer Sorge, dass es sich de facto um eine Verweigerung ganzer Einrichtungen handelt, denn wenn ein Gesundheitszentrum nur Fachpersonal hat, welches „aus Gewissensgründen“ verweigert, wird dieses Zentrum dieses Recht nicht garantieren. Wer wird für die Verlegung sorgen, wie soll das in vielen Provinzen geschehn, wo sie sogar Mädchen dazu zwingen, Mütter zu werden? Wer wird dort das Recht auf Abtreibung garantieren? Deshalb betonen wir hier unsere Ablehnung dieser Veränderung.
Ich möchte sagen, Herr Präsident, dass wir in der Front der Linken den Kampf für das Recht auf sichere und kostenfreie Abtreibung auf der Straße, in unserem täglichen Aktivismus, in den Wahlkampagnen und auch im Kongress, auf kohärente, konsequente und einstimmige Weise unterstützen.
Unsere Tradition ist die der sozialistischen Revolution der Arbeiter:innen, die aus Russland das erste Land der Welt machte, in welchem vor einem Jahrhundert die Abtreibung legalisiert wurde und für die Frauen der Arbeiter:innenklasse in öffentlichen Krankenhäusern zugänglich war.
Um zum Schluss zu kommen, möchte ich etwas Sagen, das meine Genossin Myriam Bregman sagte, als sie hier im Kommissionsplenum sprach und den Slogan mitbrachte, den die kämpferische Frauenbewegung wiederholt. Wir wissen, dass wir Abgeordneten hier Gesetze machen, aber es ist ganz klar, dass dieses Recht nur durch den jahrzehntelangen Kampf dieser großen Frauenbewegung erkämpft wird, die heute auch hier und im ganzen Land mobilisiert ist, und die ihre Kraft vervielfachen wird,wenn der Entwurf im Senat behandelt wird, damit es endlich Gesetz wird.
Fußnote
1. Im argentinischen Kontext steht „grün“ für die Farbe der Kampagne zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, während „blau“ für die Ablehnung steht.