Verteidigt den GDL-Streik!

08.05.2015, Lesezeit 10 Min.
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// GewerkschaftsfeindInnen zurückschlagen! Streikrecht ausweiten! //

Mal wieder könnte man meinen, die Welt geht unter. Die LokführerInnen- und -ZugbegleiterInnen-Gewerkschaft GDL streikt für höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und vor allem für das Recht auf die Vertretung ihrer eigenen Mitglieder. Und die deutsche Bourgeoisie und ihre Leitmedien hetzen mit Schaum vor dem Mund gegen den „Monster-Mega-Streik“. Auch die Konkurrenzgewerkschaft der GDL, die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), verurteilt den Streik — ironisch gerade deshalb, weil sie selbst gegenüber der sturköpfigen Verhandlungsspitze der Deutschen Bahn AG mit Streik droht.

Die Fronten scheinen in dieser Auseinandersetzung klar: Die „Vernunft“ der deutschen Sozialpartnerschaft, des deutschen Klassenfriedens, gegen den „Bahnsinnigen“, den GDL-Chef Weselsky. Je nach politischer Richtung wird wahlweise analysiert, dass Weselsky die gesamte deutsche Bevölkerung als „Geisel“ hält, oder die GDL-Mitglieder zwar für eine richtige Sache streiten, aber dabei von Weselsky für seine eigenen „Machtgelüste“ manipuliert werden.

Und es stimmt: Die Ängste der deutschen Bourgeoisie sind berechtigt. Kaum eine Berufsgruppe hat eine größere Schlagkraft als die LokführerInnen. „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will“ — diese alte Losung der deutschen ArbeiterInnenbewegung bedeutet im Fall der GDL, dass ein unbefristeter LokführerInnenstreik einen Großteil der deutschen Wirtschaft lahmlegen könnte. Glaubt man den offiziellen Zahlen der Deutschen Bahn, sorgt jeder Streiktag für 10 Millionen Euro direkte Schaden bei der Bahn. Hinzu kommen gesamtwirtschaftliche Engpässe bei Warenlieferungen und Produktionsausfälle. Der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Eric Schweitzer, prophezeite in dem Sinne: „Wenn der Streik wie angekündigt sechs Tage dauert, kommen Lieferketten ins Stocken, Lager laufen leer, die Produktion stottert.“

Eine neue Generation des Klassenkampfs entsteht

Nur: Das ist ja gerade der Punkt eines Streiks: wirtschaftlicher Schaden. Diejenigen, die nichts als ihre Arbeitskraft zu verkaufen haben, besitzen keine andere Waffe als den Stopp der Produktion, um für die Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen zu kämpfen. Die ArbeiterInnenklasse weltweit wusste das einmal.
Jahrzehntelange Praxis der „Sozialpartnerschaft“, gefolgt von der neoliberalen Restauration und der Vernichtung erkämpfter Errungenschaften haben dieses Wissen verschüttet. Dass die herrschende Klasse diese Entwicklung vorantrieb, ist selbstverständlich. Aber gerade die Klassenkollaboration der Gewerkschaftsbürokratie und der Sozialdemokratie im Allgemeinen, verbunden mit dem Verrat des Stalinismus an den Interessen der ArbeiterInnenbewegung weltweit, haben Generationen von ArbeiterInnen im Glauben aufwachsen lassen, dass es sich nicht zu kämpfen lohnt.

Doch in den letzten Jahren beginnt sich das Blatt zu wenden. Langsam aber sicher existiert in Deutschland eine wachsende Streikbereitschaft, sowohl in prekären Bereichen, als auch in einigen Schlüsselsektoren der Infrastruktur, die inzwischen zu einem wichtigen Teil in Spartengewerkschaften organisiert sind. Potentiell sind beide Sektoren für das deutsche Kapital gefährlich: Unmittelbar können die Spartengewerkschaften der Kapitalakkumulation leichter einen Strich durch die Rechnung machen, doch das Entstehen einer kampfbereiten Schicht von prekär beschäftigten KollegInnen stellt einen großen Teil des Akkumulationsmodells in Frage, welches das deutsche Kapital mit der Agenda 2010 durchgesetzt hat.

Es geht um’s Streikrecht — nicht nur für die GDL!

Deshalb geht es in dieser Auseinandersetzung auch nur vordergründig um die Interessen der GDL. Die Auseinandersetzung zwischen GDL und DB ist lediglich ein Exempel, das die deutsche Regierung im Interesse der herrschenden Klasse zu statuieren versucht, um die wachsende Streikkonjunktur in Deutschland im Keim zu ersticken. Noch steht Deutschland mit der Zahl der jährlichen Streiktage weit unten in der Liste der Industrienationen. Damit das auch so bleibt, und der deutsche Imperialismus an der „Heimatfront“ Ruhe hat, um seine geopolitischen Interessen in Süd- und Osteuropa ungestört durchzusetzen, orchestriert die Regierung — im Pakt mit großen Teilen der deutschen Gewerkschaftsbürokratie — einen in der Nachkriegsgeschichte nie dagewesenen Angriff auf das Streikrecht.

Schon 2010 hatte die deutsche Bourgeoisie versucht, das Streikrecht auf diejenigen Gewerkschaftsapparate zu beschränken, die sich nach den Regeln des Klassenfriedens benehmen. Kein Wunder, dass sie schon damals Unterstützung von den Spitzen des DGB bekam, sah dieser doch seine Felle immer mehr durch Spartengewerkschaften wegschwimmen. Nachdem der erste Anlauf gescheitert war, begann im letzten Jahr ein neuer Versuch: das “Tarifeinheitsgesetz“. Vereinfachend gesagt erteilt dieses Gesetz nur derjenigen Gewerkschaft ein Streikrecht, welche im Betrieb die Mehrheit besitzt. Diese Regelung würde es kämpferischen Minderheiten im Betrieb fast unmöglich machen, für ihre Rechte zu kämpfen. Sie stellt damit de facto die Abschaffung des Streikrechts dar.

Doch selbst das geht der deutschen Bourgeoisie nicht weit genug: Die CDU brachte im Fall der GDL nun sogar sogenannte „Zwangsschlichtungen“ ins Gespräch: Eine solche Regelung würde der Regierung einen direkten Eingriff in Arbeitskampfauseinandersetzungen ermöglichen und somit Streiks, die die Kräfteverhältnisse zwischen den Klassen in Deutschland tatsächlich herausfordern, vollständig erdrosseln. Der nächste Schritt wäre die Militarisierung von Arbeitskämpfen, wie es in den letzten Jahren beispielsweise in der Athener U-Bahn oder am Madrider Flughafen der Fall war, wo die Armee die ArbeiterInnen unter vorgehaltener Waffe zur Arbeit zwang.

Diese massiven Angriffe auf eines der elementarsten Rechte der ArbeiterInnenklasse kommen natürlich nicht von ungefähr: Die Agenda-Politik, die verschärften Tendenzen zur Prekarisierung und die schwache weltwirtschaftliche Konjunktur stellen die klassische Sozialpartnerschaft in Frage — von oben. Nicht umsonst befindet sich die Tarifbindung deutscher Unternehmen auf einem historisch niedrigen Niveau, während die Gewerkschaftsfeindlichkeit deutscher Bosse immer weiter steigt.

Für eine klassenkämpferische Strömung in den Gewerkschaften!

Doch die langsam aufblühende Kampfbereitschaft in Deutschland ist nicht nur von Seiten der Bourgeoisie in Gefahr. Zwar gibt es gewisse Teile der Gewerkschaftsapparate, die schon gemerkt haben, dass die klassische Sozialpartnerschaft in weiten Bereichen der Geschichte angehört. Dazu gehören Spartengewerkschaften wie die GDL oder Gewerkschaften im Dienstleistungssektor wie ver.di, die auf den Mitgliederschwund der Gewerkschaften mit teils kämpferischer Rhetorik und mehr Arbeitskampf reagieren. Zuweilen kommen dort sogar Methoden zum Einsatz, die eine gewisse (wenn auch reglementierte und begrenzte) Mitsprache der Streikenden bei ihren Kämpfen ermöglichen — natürlich nur, solange dadurch die Interessen der Bürokratie nicht berührt werden.

Doch das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es die Gewerkschaftsapparate waren, die im Interesse des „Standorts Deutschland“ das eiserne Regime der Klassenkollaboration gegen kämpferischere Sektoren der ArbeiterInnenbewegung durchgesetzt haben; die oppositionelle Strömungen in den Gewerkschaften immer wieder verfolgt haben; die die Agenda 2010 mitverantwortet haben; und die an der Entwicklung des „Tarifeinheitsgesetzes“ mitgewirkt haben.

Auch die GDL-Spitze vertritt nicht die Interessen ihrer Mitglieder. Würde sie das tun, würde sie sich nicht gegen jede Regung der Demokratisierung der Streikführung sträuben. Sie würde nicht selbst für ihre Mitglieder völlig intransparente Verhandlungsstrategien verfolgen. Sie würde versuchen, die Basis der EVG für einen gemeinsamen Streik zu gewinnen. Und sie würde ihren Kampf mit Solidarität und Massenmobilisierungen zur Verteidigung und Ausweitung des Streikrechts verbinden. Warum tut sie es nicht? Weil auch ihre materielle Existenz als Bürokratie davon abhängt, wie gut sie ihre eigene Basis zu kontrollieren im Stande ist. Die GDL ist nicht deshalb kämpferischer als die EVG, weil sie statt auf Sozialpartnerschaft auf Klassenkampf setzt, sondern weil ihre Existenz als Spartengewerkschaft auf dem Spiel steht. Doch eine noch größere materielle Gefahr stellen ArbeiterInnen dar, die sich derart im Kampf radikalisieren, dass sie für die Bürokratie unkontrollierbar werden.

Und so kommt es, dass selbst die Gewerkschaftsapparate, die das „Tarifeinheitsgesetz“ formell ablehnen, sich darauf beschränken, das geplante Gesetz mit rein formell-juristischen Methoden wie einer Verfassungsbeschwerde abzuwenden. Hier offenbart sich ein weiteres Mal die Notwendigkeit des Aufbaus einer klassenkämpferischen Basisbewegung, die unsere Gewerkschaften von ihren Bürokratien zurückerobert. Die ArbeiterInnenklasse muss sich selbst organisieren und vereint diesen Angriff zurückschlagen. Als RevolutionärInnen ist es unsere Pflicht, diesen Weg gemeinsam mit ihnen zu beschreiten.

GewerkschaftsfeindInnen zurückschlagen! Streikrecht ausweiten!

Noch sind wir in Deutschland lange nicht so weit, das schwere Joch der Sozialpartnerschaft abzuwerfen. Doch die aktuellen Tendenzen zur Ausdehnung von Kämpfen — bei der GDL, bei Amazon, bei der Post, bei den ErzieherInnen und LehrerInnen, bei der Krankenpflege, bei der Postbank usw. — sorgen für die Entstehung einer neuen Generation von langsam zum Klassenkampf erwachenden ArbeiterInnen. Ihre Bedeutung geht deshalb weit über den ökonomischen Charakter hinaus — gerade wenn sie sich miteinander verbinden. Sie fordern das etablierte Akkumulationsmodell des deutschen Kapitals heraus und tendieren aus dieser objektiven Tendenz heraus dazu, sich in politische Kämpfe zu verwandeln.

Das „Tarifeinheitsgesetz“ ist ein direkter Ausdruck davon, dass die deutsche herrschende Klasse das längst begriffen hat. Zeit, dass die ArbeiterInnenbewegung sich auch bewusst wird, dass wir es nicht nur mit der Frage einer gewissen ökonomischen Umverteilung in einzelnen Betrieben zu tun haben. Der Streik der GDL hat das Potenzial dazu, unter der Losung der Verteidigung und Ausweitung des Streikrechts die Kräfteverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit im imperialistischen Zentrum Deutschland zu verschieben.

Die Verteidigung des GDL-Streiks kann deshalb nicht bei der Losung stehen bleiben, dass die GDLerInnen das Recht haben, für ihre Interessen zu streiken. Stattdessen muss ihr Kampf verbunden werden mit einer politischen Konfrontation der Regierung, und damit in letzter Instanz auch mit einer Konfrontation der Interessen des deutschen Imperialismus im Ausland. Die aktuelle Streikwelle in Deutschland muss vereinigt werden und in der Perspektive eines Generalstreiks gegen das Tarifeinheitsgesetz zu einem Katalysator der Politisierung einer Avantgarde der ArbeiterInnenbewegung werden.

Unsere Parole heißt deshalb: GDL-Streik verteidigen, GewerkschaftsfeindInnen zurückschlagen, Streikrecht ausweiten und auf einen Generalstreik hinarbeiten!

Ein Kampf für uns alle!

// Flyer von RIO zur Solidaritätsdemo für den GDL-Streik am 7. Mai in Berlin //

Mittlerweile ist die GDL in den längsten Streik in der derzeitigen Tarifauseinandersetzung mit der Deutschen Bahn eingetreten. Dies hat vor allem damit zu tun, dass das neue Tarifeinheitsgesetz am 22. Mai verabschiedet wird, welches die Streiks der GDL de facto für illegal erklären würde. Die Deutsche Bahn zieht die Tarifauseinandersetzung auch deshalb so weit hin, weil sie auf das neue Gesetz hofft. Die Bundesregierung erweist sich somit als direkte Gehilfin des Bahn-Vorstandes. Dieser Vorstand ist immer noch nicht bereit, die Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen zu akzeptieren, erhöht aber gleichzeitig seine Gehälter, obwohl er schon Millionen verdient!

Dieser mehr als gerechte Kampf ist auch ein Kampf um unsere zukünftigen Lebens- und Arbeitsbedingungen. Es ist ein entscheidender Kampf um die Verteidigung unseres Streikrechtes! Dieses Grundrecht dürfen wir uns nicht nehmen lassen. Wir müssen nicht nur die GDL-Streiks aktiv unterstützen, sondern auch das Tarifeinheitsgesetz verhindern! Das wird nur möglich sein, wenn wir die verschiedenen Kämpfe – bei der Bahn, der Post, im Erziehungsdienst – in einen Generalstreik zusammenführen, der sich gegen dieses Gesetz richtet und gegen die Regierung, die es durchsetzen will.

Wir fordern deshalb die bedingungslose Solidarität mit dem GDL-Streik! Wir stehen für eine Verbindung aller Arbeitskämpfe, da die Beschäftigten die gleichen fundamentalen Interessen haben und diese nur gemeinsam durchsetzen können! Wir sind gegen eine Zwangsschlichtung, da die Forderungen der GDL berechtigt sind und sie einen Kampf im Sinne aller Beschäftigten führt. Gemeinsam für die Forderungen der Lokführer*innen! Gemeinsam gegen das Tarifeinheitsgesetz!

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