Vernetzung für Solidarität und die Revolution

30.11.2015, Lesezeit 6 Min.
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Vom 27. - 29. November 2015 versammelten sich rund 20 solidarische Aktivist*innen und Beschäftigte von Amazon und anderen Betrieben in Bad Hersfeld, um Erfahrungen auszutauschen und gemeinsamen Strategien der Streiksolidarität zu diskutieren. Organisiert wurde das Treffen von den Streiksolikreisen in Kassel und Leipzig. Mit dabei waren Aktivist*innen, Kolleg*innen und Betriebsräte aus dem ganzen Bundesgebiet von verschiedensten Gruppen. Bis tief in die Nacht hinein wurden die Arbeitskämpfe bei Amazon, die Streikwelle in Deutschland in diesem Jahr und die Perspektiven anti-rassistischer Betriebsarbeit diskutiert.

„Verlorene Tage“ hieß es auf einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit, die die Streiktage der letzten 20 Jahre in Deutschland zusammenfasste. Da konnten wir uns dann Lächeln dann doch nicht verkneifen, offenbart allein diese Formulierung die Interessengegensätze zwischen Arbeiter*innen und Bossen. Denn verloren sind diese Tage in erster Linie für die Kapitalist*innen, für die Arbeiter*innen ist jeder Streiktag ein gewonnener Tag.

Ganz in diesem Sinne begann am Freitagabend die Diskussion um das Streikjahr 2015. Sei es bei der Bahn, im Sozial- und Erziehungsdienst, bei der Post oder bei Amazon. Die Kolleg*innen von Amazon befanden sich in der letzten Woche bereits wieder im Streik . Leider endeten die meisten dieser Kämpfe in faulen Kompromissen, die die Gewerkschaftsführungen mit den Bossen aushandelten – prominent dabei der Streik bei der Post im Sommer. Aber auch der Streik im Sozial- und Erziehungsdienst wurde von der Gewerkschaftsführung frühzeitig abgewürgt. Trotz dieser Misserfolge waren sich alle Anwesenden einig, dass dieses Jahr den Willen von Beschäftigten gezeigt hat, sich gegen die Angriffe auf ihre Arbeits- und Lebensbedingungen zur Wehr zu setzen – notfalls auch gegen die eigene Gewerkschaftsführung.

Verhältnis zu Gewerkschaften

Viele Diskussionen drehten sich dieses Wochenende um das Verhältnis von Solidaritätsarbeit und Gewerkschaften. Was nicht immer einfach ist, wie wir selbst in unser alltäglichen Solidaritätsarbeit mit den Kolleg*innen von Amazon in Brieselang feststellen müssen. Dennoch wurde die Bedeutung dieser Arbeit immer wieder von Beschäftigten und Aktivist*innen herausgestellt. Ein Mitglied von linken Gewerkschaftsgruppe Jour Fixe aus Hamburg wies beispielsweise auf den neunmonatigen Streik bei dem Verpackungshersteller Neupack hin, der ohne Solidaritätsstrukturen nicht derart lang hätte dauern können. Auch in Leipzig beteiligten rund 30 Studierende an einer Demonstration der streikenden Gebäudereiniger*innen.

Dennoch können und sollen Soli-Strukturen nicht einfach „alternative Gewerkschaften“ werden. Organisation im Betrieb, Mobilisierung zu Aktionen und Vernetzung sind Aufgaben, die Gewerkschaften im Interesse der Kolleg*innen durchführen müssten. Leider stellen sich Gewerkschaftsapparate immer wieder quer, um die Kontrolle im Arbeitskampf nicht aus den Händen zu geben. Ein Grund mehr, warum Solidaritätsstrukturen vor allem die Selbstorganisierung der Kolleg*innen im Betrieb stärken müssen.

Selbstorganisierung von Kolleg*innen

In diesem Zusammenhang diskutierten wir auch die Grenzen von legalistischer Gewerkschaftsstrategien. Denn die Kapitalist*innen machen bei Amazon und der Post mehr als deutlich, dass sie die Sozialpartnerschaft mit den Gewerkschaften nicht mehr brauchen. Offener Vertragsbruch bei der Post und das Einsetzen von Leiharbeiter*innen und Beamtin*innen als Streikbrecher*innen blieben für den Konzern folgenlos. Dennoch organisierten sich vereinzelt Kolleg*innen selbst, um beispielsweise Streikposten zu stellen.

„Ein Streik steht, wenn mensch ihn selber macht“. So der Titel eines Buchs vom auch anwesenden Peter Nowak, der ganz gut beschreibt, worum es uns als Solidaritätsstrukturen geht: Unterstützung der Selbstorganisierung von Kolleg*innen. Das heißt Aktionen gemeinsam mit Kolleg*innen organisieren und durchführen, wie beispielsweise beim Berliner Firmenlauf im Juni. Der Erfahrungsaustausch ist dabei unerlässlich. Unter Kolleg*innen, aber auch zwischen Kolleg*innen und Unterstützer*innen. Als beispielsweise Kolleg*innen aus Leipzig von einem spontanen Streik in Leipzig aus dem Betrieb heraus erzählten, taten es ihnen die Beschäftigten in Bad Hersfeld weniger Tage später gleich. Aber auch aus schlechten Erfahrungen müssen wir lernen. So berichteten die Leipziger*innen auch von einer spontanen Blockadeaktion vor dem Werk vor einem Jahr, die bei den Beschäftigten weniger gut ankam.

Rassismus im Betrieb

Die Frage der Geflüchteten beeinflusste auch dieses Treffen maßgeblich. Bei Amazon in Bad Hersfeld arbeiten mittlerweile rund 40 Geflüchtete im Weihnachtsgeschäft, die teilweise extra in Bussen zum Werk gefahren werden. Ein brisantes Thema, wie einige Kolleg*innen betonten. So berichteten sie von vermehrten Hakenkreuzschmiereien und rassistischen Vorurteilen unter den Beschäftigen. Von Diskussion auf „schlimmstem PEGIDA-Niveau“ war dabei die Rede. „Du kämpfst gegen Windmühlen an“, meinte ein weitere Kollege, der vergeblich versucht hat, mit den Kolleg*innen zu diskutieren. Auch die Gewerkschaft kümmert sich kaum um dieses Thema.

Dabei sind es gerade gemeinsame Kampferfahrungen, die dazu beitragen können, diese rassistischen Vorurteile abzubauen. Denn ob geflüchtet oder nicht, die „Gemeinsamkeit ist die Arbeit bei Amazon“. Eine Solidarisierung mit den Geflüchteten würde auch dem Streik neue Schlagkraft verleihen. Denn die Erfahrungen dieser Menschen mit Militär und Polizei sind durch nichts zu ersetzen. An Moral mangelt es ihnen nicht. Ein Kollege aus Leipzig berichtete von einer Streikversammlung, auf der ein Geflüchteter von seinen Fluchterfahrung erzählt hatte und die Stimmung der Kolleg*innen schlagartig in Solidarität umschwenkte.

Geflüchtete in die Gewerkschaften!

Die Organisierung von Geflüchteten für gewerkschaftliche Arbeit ist demnach längst überfällig. Die gewerkschaftlichen Apparate zögern bisher noch, diesen Schritt zu gehen. Umso zentraler ist der Druck aus der Belegschaft und die Solidarisierung untereinander. Kolleg*innen aus Leipzig und Bad Hersfeld beteiligten sich in der Vergangenheit bereits gemeinsam mit Studierenden an den Protesten gegen rassistische Mobilisierungen. Daran gilt es anzuknüpfen und den Kampf zum betrieblichen Kampf auszuweiten.

Als Solidaritätskreise müssen wir dazu beitragen, dieses Bewusstsein zu stärken. Denn viele von uns sind schon heute in antirassistischen Zusammenhängen unterwegs, die oft leider keinerlei Bezug zu Arbeiter*innenkämpfen haben. Erste Ansätze wurden in Leipzig begonnen, als der Soli-Kreis Kolleg*innen zu einem antirassistischen Seminar eingeladen hat. Rassismus und Chauvinismus sind Teil der Arbeiter*innenklasse. Nur die Überwindung dieser Spaltung kann die Kampfkraft erhöhen und den Streiks ein politische Dimension verleihen.

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