Verhaftung von Roman Protassewitsch: Lukaschenkos Griff nach der Macht und die westliche Heuchelei

26.05.2021, Lesezeit 4 Min.
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Foto: WIKIMEDIA COMMONS

Der belarussische Geheimdienst entführte am Sonntag mit einer plumpen Bombendrohung ein Passagierflugzeug mit dem oppositionellen Journalisten und Nexta-Zeitungsredakteur Roman Protassewitsch an Bord. Diese Verhaftung ist ein neuer Kraftakt, den das autokratische Lukaschenko-Regime inszeniert. Angesichts dieser abscheulichen Verhaftung kündigte Europa am Montagabend neue Sanktionen gegen das belarussische Regime an und nutzte das Ereignis, um seine Spielfiguren auf dem osteuropäischen Schachbrett weiterzubringen.

Brutalität durch Polizei und Militär – Verfolgung der Opposition

Lukaschenkos autokratisches Regime, das seit 1994 besteht, ist seit den umstrittenen Wahlen vom 9. August 2020 in wanken geraten, da die Wahl durch eine mächtige Protestwelle des Volkes, angeführt von großen Teilen der Jugend, der Mittelschicht und der Arbeiter:innen, begleitet wurde. Angesichts des gewaltigen Ansturms der Bevölkerung konnte Lukaschenkos schwächelndes Regime nur mit grausamer Repression reagieren, die nach offiziellen Angaben mindestens vier Todesopfer, fast 4.000 Verletzte und nicht weniger als 30.000 Verhaftungen zur Folge hatte. Die Repression hatte die liberale und pro-westliche Opposition ins Visier genommen.
Seit der sozialen Explosion im August 2020 wurden zwei Oppositionskandidaten, eine Reihe weiterer Oppositionsvertreter:innen, der Banker Victor Babaryka und der Youtuber Shiarhei Tsikhanouski, sowie viel Anführer:innen der sozialen Bewegung inhaftiert.

In diesem ultra-repressiven Kontext wurde der junge 26-jährige Oppositionelle Roman Protassewitsch am Sonntag in Weißrussland verhaftet, nachdem der Geheimdienst die Passagiermaschiene entführt hatte, in der er saß. Wie Le Monde berichtet, beschreiben die Kommentare der Passagiere einen jungen Mann, der plötzlich in Panik geriet, als das Flugzeug abdrehte: „Wir fragten ihn, was los sei“, so ein Passagier. Er sagte uns: „Mir droht hier die Todesstrafe.“

Geopolitische Turbulenzen und erneutes Kräftemessen

Die Verhaftung des belarussischen Oppositionellen und seiner Begleitung ist eine neue Machtdemonstration gegenüber der Opposition, an die das Regime eine unmissverständliche Botschaft sendet. Diese hat zahlreiche Reaktionen in der ganzen Welt und insbesondere in der Europäischen Union hervorgerufen, welche am Montag neue Sanktionen ankündigte. Litauen (wo die Exil-Opposition residiert), Polen und die Ukraine haben angekündigt, dass ihre Flugzeuge von nun an den belarussischen Luftraum meiden werden. Die EU hat die Vorbereitung von „Repressalien“ angekündigt, die sich insbesondere gegen die privaten Interessen einiger Schlüsselpersönlichkeiten des Regimes richten, sowie Maßnahmen zur Isolierung des Landes durch Sperrung des Luft- und sogar des Landzugangs.

Es ist klar, dass das Ereignis die Spannungen zwischen den ehemaligen Sowjetrepubliken und der Europäischen Union, die deren Opposition aktiv unterstützt (insbesondere die rechtsextreme polnische Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (Prawo i Sprawiedliwość), die sie mit 10 Millionen Euro finanzierte), neu entfachte. Die in demokratische Gewänder gekleidete Gegenoffensive des Westens zielt vor allem auf die Destabilisierung einer nicht mit ihren Interessen übereinstimmenden Regierung. All das um eine neoliberale Opposition an die Macht zu bringen, die sich ihren Interessen unterordnet und ebenfalls nicht im Interesse des belarussischen Volkes handelt.

Scheinheilige EU-Verurteilungen und die Rivalität mit Russland

Die EU prangert die Verhaftung als „inakzeptabel“ an und versichert mit der Stimme von Ursula von der Leyen, dass das „ungeheuerliche und illegale Verhalten des belarussischen Regimes Konsequenzen haben wird“. Doch die die jetzt laut schreien, kümmern sich nicht um ihre eigenen Widersprüche. Wie viele hochrangige europäische Beamte haben sich denn gegen die Verfolgung von Whistleblowern wie Julian Assange und Edward Snowden ausgesprochen?

In Wirklichkeit kümmert sich die EU nicht um die demokratischen Forderungen des Volkes. Sie will vor allem ein Regime einrichten, das für westliche multinationale Unternehmen und Investitionen günstig ist, um ein Gegengewicht zum russischen Einfluss im ehemaligen sowjetischen Raum zu schaffen. Darüber hinaus stellen diese Nachbarstaaten aus militärischer Sicht Schlüsselgebiete dar, weil sie als „Puffer“ zwischen den russischen Grenzen einerseits und dem geographischen Gebiet unter der Kontrolle der NATO andererseits fungieren. Der Sturz des prorussischen ukrainischen Präsidenten Janukowitsch im Jahr 2014 unter dem Deckmantel des Kampfes für die Demokratie ermöglichte in Wirklichkeit nur die Wahl von Petro Poroschenko, einem weiteren korrupten Oligarchen, dessen einzige „Qualität“ darin bestand, westlichen Interessen wohlgesonnen zu sein.

Der aussergewöhnliche Volksaufstand gegen das autokratische, volksfeindliche und polizeiliche Regime in Minsk darf sich deshalb nicht von westlichen imperialistischen Interessen vereinnahmen lassen, sondern muss im Gegenteil den Weg zu seiner Emanzipation finden, völlig unabhängig von ausländischen kapitalistischen Interessen, die seine Forderungen instrumentalisieren, wie das bei der widerlichen Verhaftung von Protassewitsch gerade geschieht.

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