Vergessene KommunistInnen

11.09.2015, Lesezeit 5 Min.
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// GESCHICHTE: Der Historiker Marcel Bois legt ein Buch über die linke Opposition der KPD vor. //

Wie konnte es passieren? Anfang der 30er Jahre erlebten die Nazis einen rasanten Aufstieg – tagtäglich griffen braune Schlägertrupps SozialistInnen an. Sie drohten damit, die millionenstarke ArbeiterInnenbewegung in Deutschland zu pulverisieren. Doch die beiden ArbeiterInnenparteien, die SPD und die KPD, verharmlosten die faschistische Gefahr – in der jeweils anderen Partei sahen sie ihren Hauptfeind. „Bolschewismus und Faschismus sind Brüder“, erklärte SPD-Mann Otto Wels zu seiner Ablehnung eines Bündnisses mit den KommunistInnen gegen die NSDAP. Sozialdemokratie und Faschismus seien „keine Antipoden, sondern Zwillinge“, sagte seinerseits Josef Stalin, der seit Mitte der 20er Jahre zum Diktator der Sowjetunion und der Kommunistischen Internationale aufgestiegen war.

Eine Einheitsfront der ArbeiterInnenbewegung – darauf drängte eine kleine Organisation, die Linke Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten). Die SPD hatte seit 1914 immer wieder ArbeiterInnen massakriert, um die Herrschaft des deutschen Kapitals zu sichern – von ihr war nicht viel zu erwarten. Doch die KPD konnte die ArbeiterInnen im Kampf gegen Hitler vereinigen und anschließend auch die Bourgeoisie stürzen – wenn sie nur die verhängnisvolle Theorie des „Sozialfaschismus“ abwerfen und eine antifaschistische Einheitsfront gründen würde.

Dafür trat die Linke Opposition (LO) ein – obwohl ihre knapp 1.000 Mitglieder aus der Partei ausgeschlossen worden waren, kämpfte sie weiterhin für eine Kursänderung. In einzelnen kleinen Städten konnte die LO eine ArbeiterInneneinheitsfront tatsächlich anstoßen und die Nazis aus der Öffentlichkeit verbannen. Diese kleinen Beispiele zeigen, was möglich gewesen wäre.

Linke Oppositionen

Der junge Historiker Marcel Bois aus Hamburg hat nun eine Gesamtdarstellung der Linken Opposition der KPD vorgelegt. Darin stellt er nicht nur die trotzkistische Gruppe vor, sondern insgesamt fünfzehn verschiedene kommunistische Strömungen, die sich im Laufe der 20er Jahre als links von der Parteiführung verorteten und zu unterschiedlichen Zeitpunkten ausgeschlossen wurden.

Die Kategorie „linke KommunistInnen“ ist nicht ohne Schwierigkeiten, denn sie umfasst teilweise entgegengesetzte Positionen. So stellte sich die „Linke Opposition“, die 1924 unter Ruth Fischer, Arkadi Maslow und Werner Scholem die Parteiführung übernahm, bedingungslos gegen jede Einheitsfront mit der Sozialdemokratie und jede Mitarbeit in Gewerkschaften. Diese Führung trieb gleichzeitig die „Bolschewisierung“ der KPD voran – das war ihr Begriff dafür, jede andere Strömung mundtot zu machen oder auszuschließen. Diese KPD-Linke orientierte sich an Grigori Sinowjew, dem Vorsitzenden der Kommunistischen Internationale, und wurde von der Parteiführung abgelöst, sobald Sinowjew bei Stalin in Ungnade fiel.

Die Linke Opposition, die sich Anfang 1930 in Berlin gründete, stellte sich ausdrücklich gegen die frühere KPD-Linke. Sie orientierte sich an Leo Trotzki, der zu diesem Zeitpunkt im Exil auf der türkischen Insel Prinkipo lebte. Die LO trat für eine Wiederbelebung der Rätedemokratie in der Sowjetunion genauso wie der Parteidemokratie innerhalb der KPD ein. Vor allem argumentierte sie, dass die KPD die Millionen ArbeiterInnen, die noch der SPD anhingen, für einen gemeinsamen Kampf gegen die Nazis gewinnen musste – indem man die Sozialdemokratie permanent zur Einheitsfront aufforderte.

Gewisse personelle Überschneidungen gab es zwischen diesen beiden linken Oppositionen, etwa den Neuköllner Metallarbeiter Anton Grylewicz, der im ersten Weltkrieg Mitglied der revolutionären Obleute, später Mitarbeiter von Fischer und Maslow, und noch später eine Führungsfigur des deutschen Trotzkismus war. Doch letztere Opposition vertrat die Positionen der kommunistischen Internationale unter Lenin und Trotzki, vor dem Aufstieg des Stalinismus – erstere stand für jene linksradikale „Kinderkrankheit“, die die Kommunistischen Parteien in die Bedeutungslosigkeit führte und deswegen stets von Lenin bekämpft wurde. Die vorliegende Gesamtdarstellung hat jedoch den Vorteil, dass sie deutlich macht, wie schwer es für Trotzki und die Internationale Linksopposition der Komintern war, eine tatsächliche linke Opposition in Deutschland aufzubauen.

Massive Datenbank

Über manche Strömungen, die Bois vorstellt, sind bereits Bücher erschienen – doch stellt er auch viele neue Erkenntnisse vor, zum Beispiel über die „Weddinger Opposition“ der KPD (die trotz ihres Namens hauptsächlich in der Pfalz verankert war), die in der trotzkistischen Organisation aufging.

Besonders interessant ist Bois‘ Datenbank: Biographische Daten hat er von über 1.000 LinkskommunistInnen der verschiedenen Gruppen zusammengetragen. Damit kann er die Verleumdungen der StalinistInnen widerlegen: Die Opposition bestand nicht etwa aus jungen, unerfahrenen Intellektuellen, sondern vor allem aus kommunistischen ArbeiterInnen mit jahrelanger Erfahrung in der Partei.

Über einzelne Punkte in diesem Buch lässt sich debattieren (siehe Teil II der Rezension). Aber Kommunisten gegen Hitler und Stalin bietet eine reichhaltige und systematische Quelle, um solche Debatten zu führen. Diese mühsame Arbeit von Bois verdient Lob von allen MarxistInnen.

Teil II dieser Rezension

Marcel Bois: Kommunisten gegen Hitler und Stalin. Die Linke Opposition der KPD in der Weimarer Republik. Klartext Verlag, Essen 2014. 613 Seiten.

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